[rohrpost] Just do it - be neoliberal! Geistiger Diebstahl als kuratorische Praxis

Inke Arns inke.arns at snafu.de
Mit Jul 6 18:35:39 CEST 2005


Just do it - be neoliberal! Geistiger Diebstahl als kuratorische Praxis
Oder: Wie unter dem Deckmantel "linker" 
Strategien kapitalistische Ausbeutung betrieben 
wird

Offener Brief, 3. Juli 2005


Anlaesslich der Ausstellung "Just do it - Die 
Subversion der Zeichen von Marcel Duchamp bis 
Prada Meinhof" im Lentos Museum in Linz, 
Oesterreich, haben die drei Kuratoren Thomas 
Edlinger, Florian Waldvogel und Raimar Stange 
einen Katalog produziert, der aus - teils sehr 
langen - Passagen von Texten verschiedener 
AutorInnen besteht. Die Urheber wurden weder um 
Erlaubnis zum (Wieder-)Abdruck gefragt, noch sind 
die Texte namentlich gekennzeichnet, d.h. 
einzelnen AutorInnen zuzuordnen. Der Katalog 
scheint so aus einem einzigen zusammenhaengenden 
Text zu bestehen, der keine Textgrenzen mehr 
erkennen laesst.

Als einzige namentlich genannt sind das Lentos 
Museum als Herausgeber und die drei Kuratoren der 
Ausstellung.

Die Publikation wird kommerziell vertrieben.

Auf der letzten Seite des Kataloges findet sich 
unter "Dank" eine eindrucksvolle Liste von 
Personen, bei welchen jedoch unklar bleibt, ob es 
sich dabei um die Namen derjenigen AutorInnen 
handelt, deren Texte verwendet wurden, oder 
Leute, die das Projekt unterstuetzt haben, am 
Ausstellungsaufbau beteiligt waren oder gar um 
Geld- oder Sachmittelgeber. Die AutorInnen, die 
hier genannt werden, wurden ohne ihr Wissen in 
diese Liste aufgenommen.

Generell handelt es sich hierbei um ein 
Missverständnis und Missbrauch der Konzepte des 
"Culture Jamming", "Appropriation" und 
"Subversion von Zeichen". Bei diesen Praktiken 
geht es nicht um einen Freibrief zur kostenlosen 
Selbstbedienung bei KollegInnen, sondern - v.a. 
im netzaktivistischen Bereich - um eine Strategie 
der Entwendung von Zeichen (z.B. Markennamen, 
CIs, Logos) zwecks Unterwanderung der Autoritaet 
grosser Korporationen. Es geht um die kritische, 
künstlerische Verfremdung und Wiederaneignung 
herrschender Codes, nicht um unkritisches 
postmodernes Recycling und auch nicht um 
Arbeitseinsparungen für Kuratoren und Kritiker, 
die sich sowenig Mühe wie möglich machen wollen.

Bei Just do it scheint es sich jedoch nicht um 
ein Missverstaendnis aus Unwissenheit zu handeln, 
sondern um eine bewusste karrieristische 
Verschleierungsstrategie.

Daher die folgenden Ausfuehrungen.

1) Gerade dort, wo nicht die kommerzielle 
Verwertung, sondern die freie Verbreitung von 
Werken im Vordergrund steht, wie in der freien 
Software,  den Wissenschaften, bestimmten 
Bereichen der Kunst und anderer freier Arbeit, 
ist Namensnennung (= symbolische Verwertung) 
unabdingbar und gehört zur guten Sitte. 
Schließlich haben die Autoren nichts an ihren 
Werken außer der Anerkennung durchs Publikum. Der 
"Just Do It"-Katalog läßt sich nicht einmal dazu 
herab. Wären die Herausgeber konsequent gewesen, 
hätten sie wenigstens auch ihre eigenen Namen 
weglassen sollen, anstatt die Meriten für die 
Texte selbst einzustreichen.

AUSBEUTENDE UNTERSCHLAGUNG FREMDER ARBEIT

2) Namensnennung ist nach Urheberrechtsgesetz ein 
nicht abtretbares Urheberpersoenlichkeitsrecht. 
Es handelt sich also ohne Frage um einen 
(justiziablen) Rechtsverstoss.

3) Ja, es gibt pseudonyme (Luther Blissett) und 
anonyme Veroeffentlichungen, doch steht es einzig 
und allein dem Autoren / der Autorin zu, sich 
fuer eine solche Form der Veroeffentlichung zu 
entscheiden, nicht einem Herausgeber. Dieser ist 
–nach gesetzlichen und Anstandsregeln – 
verpflichtet, bei jeder, auch einer Zweitnutzung, 
sofern nicht vertragliche oder Lizenzbestimmungen 
etwas anderes besagen, die Zustimmung des Autoren 
einzuholen. Wie die Ausstellung selbst 
dokumentiert, überschreiten Künstler in ihren 
Materialaneignungen diese Regeln zwar. Wenn 
Herausgeber und Kuratoren dies tun und sich dabei 
auf dieselbe künstlerische Freiheit berufen, 
dürfen sie sich aber nicht wundern, wenn man sie 
- genau wie jene Künstler - Manipulateure nennt.

4) Autorschaft hat mit Verantwortung zu tun und 
die wird durch die Signatur gegeben. Ohne 
Kennzeichnung mit Namen verlieren alle Texte 
ihren Wert.

PLAGIAT

5) Der Katalog macht seinen Text nicht als 
kollektives, anonymes Werk kenntlich, sondern 
schreibt ihn implizit den Kuratoren zu. Damit 
verbuchen sie  ihren Wert ausschließlich auf ihr 
Konto bzw. das des Lentos Museums. Andere 
AutorInnen bzw. UrheberInnen sind nicht mehr 
identifizierbar und werden wie in stalinistischer 
Publizistik aus der Geschichte wegretuschiert. Da 
die Leser den Eindruck gewinnen, die Texte seien 
von den Kuratoren geschrieben worden, handelt es 
hier nicht nur um Unterschlagung von Namen, 
sondern um ein Plagiat. Anders als in 
künstlerischen Plagiaten bedient hier nicht ein 
(schwächeres) Individuum bei Institutionen, 
sondern eine Institution bei Individuen, ähnlich 
einem Professor, der die Forschungsarbeit eines 
Studenten oder Assistenten unter seinem eigenem 
Namen in einer Fachzeitschrift publiziert.

ZWEIFACHE VEREINNAHMUNG

6) Die im Katalog enthaltene Dankesliste hat 
ebenfalls eine Vereinnahmung der Genannten zur 
Folge, da es zumindest im Fall der mir bekannten 
Autoren im Vorfeld keine Kontakte bzw. Absprachen 
gab. Diese (fiktive) Liste suggeriert eine 
Qualitaetsgarantie, die die Reputation der 
Kuratoren und des Herausgebers steigern soll.

7) Die zitierten Autor/innen wurden aus der 
symbolischen Wertschoepfungskette der 
Katalogveroeffentlichung bewusst ausgeschlossen; 
begruendet wurde dies in einer Mail damit, dass 
ihr Einschluss (durch Honorierung) das Produkt 
(den Katalog) verhindert haette, weil dieser 
damit zu teuer geworden waere. Die Kuratoren 
verraten hiermit ein durchaus gestoertes 
Rechtsbewusstsein, das die oekonomische 
Handlungsfaehigkeit des Verwerters ueber das 
verbriefte Recht der ProduzentInnen stellt.

8) Die Kuratoren zeigen mit ihrem Verhalten, dass 
sie nicht verstehen, was die Handlungsoption 
"Aneignung" ist: Es geht naemlich nicht darum, 
Geld fuer Autoren zu sparen. Und auch nicht 
darum, die Arbeit anderer fuer den eigenen 
Marktwert zu benutzen.

9) Da das Lentos Museum bis heute zu keiner 
Stellungnahme bereit war, schlage ich folgendes 
vor:

- die erzielten Einnahmen aus dem Verkauf des 
Katalogbuchs werden der Free Software Foundation 
Europe oder dem Creative Commons-Projekt gespendet
- die Kuratoren verzichten anteilig auf ihr 
Honorar und überweisen es ebenfalls an "Creative 
Commons
- die noch verbleibende Auflage des Katalogbuchs 
wird kostenlos verteilt und das Manuskript als 
PDF-Datei zum freien Herunterladen ins Netz 
gestellt
- das Lentos Museum und die Kuratoren werden auf 
allen Websites und noch zu produzieren Websites 
anonymisiert, genauso, wie zuvor die Autoren.

10) Das Urheberrecht gibt mir theoretisch alle 
Mittel an die Hand, die weitere Verbreitung des 
Katalogbuchs zu stoppen. Da ich meine Texte aber 
gerne freigebe, wenn minimale Anstandsregeln wie 
Autoren- und Quellenangabe eingehalten werden, 
wird meine Lektion aus dieser unerfreulichen 
Erfahrung sein, künftig meinen Texten eine Lizenz 
beizugeben, in der unmissverstaendlich die Regeln 
expliziert werden, nach denen sie genutzt werden 
duerfen, und alle Verstoesse einem Anwalt zu 
uebergeben.

Inke Arns

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Inke Arns
http://www.v2.nl/~arns/