[rohrpost] Offener Brief an O.Grau wegen http://virtualart.hu-berlin.de/common

Ruine der Kuenste Berlin ruine-kuenste.berlin at snafu.de
Mit Jun 8 11:10:35 CEST 2005


Sehr geehrter Herr Grau,
schade, dass Sie wie die meisten nicht verstehen,dass eine interaktive (wir
sprechen natürlich von wirklich interaktiver) Netzarbeit auch schon per se
eine digitale Installation ist: Da steht oder sitzt ein User, wie
installiert, vor dem Bildschirm oder im Saal bei einer Projektion und nimmt
Einfluss.Oder sollten Sie etwa so materialeng denken, dass ein grösserer
Haufen rumstehendes Material mehr Installation ist, als der Bildschirm und
der User selbst?! Wenn also in meinem Stück SELBST-LOS /SELF-LESS
www.wolf-kahlen.net/selbstlos als nur ein Beispiel von mehreren meiner
interaktiven Stücke, etwas Unwiederbringliches passiert, weil der User es
auslöst, und dass auch noch ausgedruckt werden kann und ein
'mittelalterliches' Produkt (Graphiktriptychon, signiert und nummeriert)
ergibt (verstehen Sie die Ironie im Ganzen?!), dann ist das
Installationskunst. Oder ist die etwa per (Ihrer) Definition nur ohne
lebende Installateure 'richtige' Installation?
Ausserdem gibt es eine Reihe von interaktiven Installationen mit Video (ist
das nicht digital?) wie 'ICH KANN TUN UND LASSEN WAS ICH WILL (mit lebenden
Fliegen, Bienen oder Mücken) oder den im Museum in Bernau ausgestellten
TV-SPIEGEL II von 1977, bei dem das Interferieren des Davorstehers mit den
Tieren, die ihm scheinbar (virtuell mag ich nicht: MORE VIRTUES are needed
THAN VIRTUALS) übers Gesicht laufen oder dem aktuellen TV-Programm, das sich
mit den eigenen Spiegelungen mischt. Das sind echte menschliche
Interaktionen, denken Sie mehr über maschinenhafte nach? Das kann doch wohl
nicht wahrsein, dass man aus systematischen Gründen die Künste so
auseinanderreisst. Die Uhr Welt ist schon auseinandergenommen genug. Was wir
brauchen, sind Zusammensetzer, Universalisten, keine Fleischer. Ich bin hell
empört über soviel Lückensucherei in der Forschung. Ich weiss natürlich aus
eigener Erfahrung auch, dass man nur für enge Forschungsvorhaben Gelder
kriegt, was nicht heisst, dass man den schlechten Manieren folgt. Übrigens
hat das Museum für Gestaltung in Zürich vor ein paar Jahren in einer
Ausstellung interaktiver Stücke mit internationalen Künstlern, ICH?! hiess
die glaube ich (Katalog), mit meinen Installationen zwischen der
Maschinenkunst Anderer tiefere Einsicht in das Thema bewiesen. Und siehe da,
zudem waren meine zwei Räume viel aufregender als die technoiden (aber das
ist ein anderes Thema, das lassen wir hier lieber).
Ich bitte Sie, denken Sie noch mal nach, ob sich das Ganze nicht wie nötig
erweitern lässt, man kann ja alles sammeln, aber Weitblick und Verantwortung
in einer Sammlung sind doch das Grössere...
Mit freundlichem Gruss
Ihr
Wolf Kahlen
der nicht beleidigt ist, der hat nämlich tausende Ideen, die er garnicht
weiss, wo er sie überall loswerden kann, und viele an seine 10 000 Studenten
in zwanzig Jahren Lehre und Künstler weitergegeben hat, brauchen Sie welche?
(z.B. Erweiterung, s.o.)

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Oliver Grau
An: Ruine der Kuenste Berlin
Cc: rohrpost at mikrolisten.de
Gesendet: Mittwoch, 8. Juni 2005 10:03
Betreff: Re: [rohrpost] http://http://virtualart.hu-berlin.de/common


Sehr geehrter Wolf Kahlen,


offenbar haben Sie Sinn und Zweck des Forschungsprojektes noch nicht ganz
erfasst