[rohrpost] DATABASE OF VIRTUAL ART : NEW THESAURUS [u]

Alma-Elisa Kittner alma.kittner at gmx.de
Sam Jun 11 15:52:39 CEST 2005


solche konkreten Diskussionsbeiträge finde ich  nun wieder interessant,
nachdem ich schon etwas genervt war von dem Hin und Her der sich gegenseitig
beleidigenden und beleidigten L-würste. und unabhängig vom Inhaltlichen habe
ich Oliver Graus Geduld aus der Ferne Achtung gezollt. Natürlich kann man
nicht nur, sondern muss man Kritik an selektierenden (Pseudo?)-Begriffen
üben und an der Art und Weise, Felder besetzen zu wollen. Aber Kritik ist
ein schwierigeres Geschäft als das wortgewaltige, eitle Gemäkel, das manche
Beiträger den Listenmitgliedern in dieser Diskussion zugemutet haben
- -

ein schlichtes schönes wochenende
wünscht
a.

----- Original Message ----- 
From: "Florian Cramer" <cantsin at zedat.fu-berlin.de>
To: "Oliver Grau" <oliver.grau at culture.hu-berlin.de>
Cc: <rohrpost at mikrolisten.de>; "Geert Lovink [c]" <geert at xs4all.nl>
Sent: Saturday, June 11, 2005 3:00 PM
Subject: Re: [rohrpost] DATABASE OF VIRTUAL ART : NEW THESAURUS [u]


> Am Samstag, 11. Juni 2005 um 09:46:11 Uhr (+0200) schrieb Oliver Grau:
>
> > In unserem kleinen DFG-Projekt (1 WM, 4 Hiwis),
> > dass zunaechst der Groesse der IMMERSION in Kunst
> > und Medien gilt, gelang es auf der Basis des von
> > uns entwickelten Dokumentationssystems
> > erfreulicherweise eine Doku der digitalen,
> > installativen, interaktiven und IMMERSIVEN Kunst
> > aufzubauen.
>
> Auf der Homepage <http://virtualart.hu-berlin.de> steht:
>
> |  The Database of Virtual Art documents the rapidly evolving field of
> |  digital installation art.
>
> Soweit klar, und genau darüber wurde hier diskutiert.
>
> |  This complex, research-oriented overview of
> |  immersive, interactive, telematic and genetic art
>
> Man darf annehmen, daß bei diesem Satz keine Logiker am Werk waren und
> die Kommata bzw. das "and" nicht als Boolesches "und", sondern als
> "oder" zu lesen sind, denn kaum eine der verzeichneten Arbeiten dürfte
> immersiv UND interaktiv UND telematisch UND genetisch sein.
>
> Nach dem, was Du oben leicht genervt schreibst, müßte das Projekt eben
> nicht "Database of Virtual Art" heißen (ein Name, der sowieso unsinnig
> ist, weil jede Kunst ["ars"] per definitionem virtuell ist, sich nämlich
> einer "virtus" verdankt), auch nicht "[Database of] digital installation
> art", wie die Unterzeile präzisiert, sondern "Database of immersive and
> interactive digital installation art".
>
> Und selbst dann wären noch erhebliche Fragezeichen angebracht. Warum
> etwa fehlt in der Datenbank das gesamte Genre künstlerischer
> 3D-Computerspiel-Modifikationen, also z.B. die Arbeiten von Joan Leandre
> (retroyou), Amy Alexander (B0timati0n), eben auch jodi (SOD, Untitled
> Game) sowie die "Nybble Engine" von Jahrmann/Moswitzer?
>
> Man könnte weitergehen und fragen, was überhaupt mit "immersiv" gemeint
> ist. Für mich selbst z.B. gibt es keine radikalere Immersion in den
> Computer und auch keine konsequentere Interaktion, als das
> Programmieren. So gesehen, gäbe es nicht immersiveres als Jodis
> 2003 in Malmö gezeigte Installation "10 Programs written in BASIC
> ©1984". Wenn solch eine Arbeit sich für die "Datenbank" disqualifiziert,
> dann wohl, weil dem Projekt eine speziellere Definition von Immersion
> als _visueller_ Immersion zugrundeliegt.
>
> Ähnliches gilt für Interaktivität, ein Begriff, mit dem Medienindustrie,
> -theorie und -kunst in den letzten 15 Jahren konsequent Schindluder
> getrieben haben, in dem sie ihn auf schlichte Reiz-/Reaktionsschemata in
> deterministisch programmierten Systemen bzw. black boxes reduziert
> haben, (anthropologische) Interaktion also auf kybernetische
> Rückkoppelung. Interaktiv wäre ein System nur dann, wenn sein Nutzer
> auch seine Parameter, d.h.  sein Programm verändern könnte; eine
> Erkenntnis, die die allgemeine Systemtheorie schon in den 1940er Jahren
> formuliert hat.
>
> Man müßte also "immersive und interaktive Installationskunst"
> präzisieren zu "Kunst visuell immersiver Rückkoppelungssysteme in
> physisch begehbaren Räumen". Was bescheidener klingen würde als
> "Datenbank der virtuellen Kunst" oder "Datenbank digitaler
> Installationskunst".  Und selbst dann noch nicht begründen würde,
> weshalb das Projekt faktisch nur eine bestimmte Form und Schule
> institutioneller Hightech-Installationskunst dokumentiert, s.o..
>
> Würde ich als Literaturwissenschaftler eine "Datenbank der digitalen
> Lyrik" betreiben, ihr Gebiet irgendwo im Untertitel, unter einer Reihe
> von Attributen versteckt, noch auf "programmierte Poesie" einschränken
> und schließlich in die Datenbank selbst nur Arbeiten eintragen, die
> meinen Forschungsinteressen entsprechen, also Oulipo-Dichtung und
> Code Poetry z.B., und ganze Gebiete auslassen, die mich wegen meiner
> ästhetischen Präferenzen weniger interessieren, etwa die gesamte nicht
> minder digitale und programmierte audiovisuelle Multimediapoesie, müßte
> ich mich über Kritik nicht wundern, erst recht nicht, wenn ich diese
> Datenbank als wissenschaftliches Projekt betreiben würde.  Ich würde das
> Label "Datenbank der digitalen Lyrik" und den Status des
> Forschungsprojekts dazu verwenden, eine bestimmte Lesart und einen
> extrem selektiven Kanon digitaler Lyrik durchzusetzen.  Es wäre dann
> angebracht, die Website "Datenbank Oulipo und Codepoetry" zu nennen, ihr
> einen assoziativen Fantasienamen wie z.B.  "www.patacode.org" zu geben
> oder sie gleich als floriancramer.org laufen zu lassen.
>
> > Aufgrund der Versaeumnisse der letzten Generation
> > von Konservatoren und Museumsleuten und einer
> > leider hier und da immer noch bestehenden
> > ueberheblichen Einstellung von Vertretern unserer
> > Generation, der die Erhaltung der Kunst unserer
> > Zeit einerlei ist, hat sich eine Situation
> > aufgebaut, die bedeutet, dass wir, bedingt durch
> > den Wandel der Speichermedien, die Kunst der
> > letzten Jahrzehnte verlieren. Arbeiten die vor 10
> > Jahren entstanden, sind in der Regel heute nicht
> > mehr zeigbar.
>
> Das ist in der Tat ein ernster Punkt, und es ist, um mal zu unserer
> Diskussion vor mehreren Jahren zurückzukehren, immer noch bezeichnend,
> daß ein universitäres Forschungsprojekt mit DFG-Forschungsmitteln eine
> typische Museums-Aufgabe wahrnehmen muß.
>
> Es wundert mich z.B., daß auf Netzkunst-Mailinglisten Apples Wechsel auf
> Intel-Hardware noch nicht diskutieren worden ist, mit dem die sog.
> "Classic-Umgebung" über Bord geht und mit ihr auch sämtliche
> künstlerischen Arbeiten, die in den 90er Jahren auf der Basis von MacOS
> 7/8/9 entwickelt wurden.
>
> -F
> -- 
> http://cramer.netzliteratur.net
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