[rohrpost] DATABASE OF VIRTUAL ART : NEW THESAURUS [u]

Oliver Grau oliver.grau at culture.hu-berlin.de
Mon Jun 13 11:41:43 CEST 2005


Liebe Liste,

wurde gebeten auf zumindest einige der Fragen und 
Annahmen von Florian doch auf der Liste zu 
antworten. Fuer die, dies interessiert, die 
anderen moegen delete druecken.


Lieber Florian,

Du versuchtest den Eindruck zu erwecken, unser 
Projekt konstruiere "eine bestimmte Lesart und 
einen extrem selektiven Kanon digitaler" Kunst in 
subjektiver Weise...  Dies ist nicht richtig. 
Vielmehr haben wir eine transparente Policy 
vorgeschaltet, die offen legt, wer sich per 
account dokumentieren kann und wer nicht,  eben 
damit nicht unterstellt werden kann, es ginge 
nach persoenlichen Affinitaeten und so...

Wenn Du genauer hinsiehst, liest Du gleich unter Anmeldung:

"Qualifications for the assignment of an account 
are the number of exhibitions, of publications on 
and by an artist, and of public presentations. We 
also ascribe high importance to artistic 
inventions like for example innovative interface, 
display or software solutions."

Es geht mithin nach dem Grad der Wirkung und 
oeffentlichen Anerkennung in Form von 
Ausstellungen, Veroeffentlichungen, Preisen etc. 
und eben nicht nach Vermutungen, wie Du sie 
vorgebracht hast... Gern kann ich Dir auch 
versichern, dass die bislang 60 angemeldeten 
Beitraeger nicht immer meine wissenschaftlichen 
Interssen, die es natuerlich auch gibt, 
vorausahnen  ;-)


Durch das Dokumentationssystem und den aus der 
Forschungslage, den wichtigsten 
Festivalkategorien und in Zusammenarbeit mit 
vielen Kuenstlern entwickelten Thesaurus bietet 
die Datenbank Kuenstlern und Fachleuten die 
Moeglichkeit, selbststaendig Informationen ueber 
Werke, Personen, Literatur, Ausstellungen, 
Technologien, Erfindungen etc. einzugeben. Es 
handelt sich mithin - soweit dies moeglich ist - 
um ein kollektives Projekt und nicht um das 
unrichtige Bild, dass zu zeichnen versucht wurde. 
Und wer etwas von Datenbanken versteht, weiss, 
dass dies in der Regel immer Works in Progress 
sind, offene dynamische Systeme...


Moeglicherweise, es waere fuer alle ein Gewinn 
(!), koennte das Fragment der Digitalen Kunst, 
dessen Aufnahme Du mehrfach eingefordert hast und 
auf das Du, wie ich annehme, spezialisiert bist, 
in Deiner Person einen Anwalt finden und Du 
einfach pragmatisch beitragen, die Luecken 
aufzufuellen - die Felder haben wir ja bereits 
eroeffnet. Neben den Kuenstlern arbeiten wir auch 
mit Theoretikern zusammen, nehmen gerne 
Anmeldungen fuer den internen Bereich der 
Datanbank an und freuen uns ueber Beitraege.
Sicher wuerden sich dann auch andere Deiner 
Vermutungen aufloesen, etwa Dein Exkurs zur 
Interaktion.. = mit Verlaub, 1994 
veroeffentlichte ich in MedienKunstPassagen 
(erweitert 97 fuer Neue Bildende Kunst) eine 
Kritik der Ideologie der Interaktion, die genau 
den Punkt herausarbeitet, mit Du ironischerweise 
nun unserem Projekt kommen moechtest...

Es macht nur wenig Sinn vorschnell 
Unterstellungen zu machen und auf dieser Basis 
die Arbeiten von Kuenstlern, die auf vielen 
Festivals ausgezeichnet wurden, wie Benayoun, 
Penny, Sommerer, Mikami, Krueger, Holzer, 
Knowbotics u.a. zu verzerren.  ;-)  Insbesondere 
Benayoun und viele andere haben doch den "Mythos 
Interaktion" in ihren Arbeiten und Publikationen 
immer kritisch hervorgehoben !!

Sollten in unseren (alphabetisch gelisteten) 
Kategorien, die, wie Du richtig schreibst, 
naturgemaess zu Ueberschneidungen fuehren (das 
sollen sie ja auch) wichtige Richtungen fehlen, 
koennen wir gerne KONSTRUKTIV diskutieren (dies 
ist auf den englischsprachigen Listen ja auch 
moeglich und geschieht ziemlich produktiv). Nach 
unserer Erfahrung lassen sich die Kunstwerke am 
ehesten durch Cluster von Begriffen in ihrer 
Hybriditaet "einfangen":

Bio Art
Computer Animation
Computer Graphic
Database art
Genetic Art
Immersive Architecture
Interactive Art
Nano art
Net Art
Robotics
	Others
	Expanded Cinema
	Kinetics
	Concept Art
	Cybernetics
	Performance

Soundinstallation
Telematics
Telepresence
Transgenic Art
Virtual Reality
	Augmented Reality
	Mixed Reality

Insgesamt haben wir versucht, den  Umfang des 
Thesaurus uberschaubar zu halten, dennoch haben 
sich aus der Analyse insgesamt etwa 350+ 
Stichworte herausgeschaelt, um die mehreren 
tausend eingegangenen Dokumente umfassend zu 
verschlagworten - was natuerlich gleichfalls 
kollektiv mit den Kuenstlern geschieht.  Wo es 
moeeglich war, haben wir versucht, auf 
kunsthistorische Thesauri (Getty, Warburg 
Institute, etc.) aufzubauen, um dort, wo es Sinn 
macht, (nach Gruendung einer Metadatenbank) die 
Voraussetzungen fuer historischen Vergleich zu 
schaffen. Erwartungsgemaess hat sich aber aus dem 
Material eine Vielzahl von Bruechen und 
Diskontinuitaeten ergeben, die wir in der daraus 
abgeleiteten Terminologie in der Datenbank 
sichtbar machen.

    ....Ein hoffnungsvoller Anfang, und eine 
Diskussion, die wir mit Experten in Banff auf dem 
Refresh! Kongress (natuerlich kollektiv...) 
fortsetzen.

Du schreibst weiter:
>
>Das ist in der Tat ein ernster Punkt, und es ist, um mal zu unserer
>Diskussion vor mehreren Jahren zurückzukehren, immer noch bezeichnend,
>daß ein universitäres Forschungsprojekt mit DFG-Forschungsmitteln eine
>typische Museums-Aufgabe wahrnehmen muß.

Dies war erneut vorschnell und daher ebenfalls 
nicht richtig: Niemand zwingt uns zu etwas ... 
Thesauri wurden uebrigens in der Regel immer von 
Spezialistengruppen entwickelt (und auch oeffter 
an Universitaeten als Du denkst), kaum von 
Museen. Siehe hierzu auch die aktuelle Arbeit von 
V2, CURA, Ars Electronica, usw.

Freue mich aber, dass wir gemeinsam Versaeumnisse 
und erheblichen Handlingsbedarf fuer den 
Museeumssektor sehen.

Nochmals danke fuer Deine Gedanken und Fragen.
Freue mich auf weiteren Austausch - vielleicht ab jetzt mal face to face.

Viele Gruesse
Oliver

Hierzu: http://www.mediaarthistory.org/
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