[rohrpost] Reminder: 1st Bachelors? Prize for Net-Literature // deadline 30. September 05

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Don Sep 1 00:05:46 CEST 2005


Am Mittwoch, 31. August 2005 um 12:48:17 Uhr (+0200) schrieb sascha brossmann:
(Manovich zitierend)

> p. 64: 'in semiotic terms, the computer interface acts as a code that
> carries cultural messages in a variety of media.', 

Nicht mal damit wäre ich einverstanden, weil es "computer interface"
unzulässig aufs Nutzerinterface reduziert.  Tatsächlich umfaßt der
Begriff "Interface" aber noch viel mehr: Programmierschnittstellen,
alias APIs ("Application Program Interface") und
Hardware-Schnittstellen zum Beispiel. Diese transportieren technische
Information, die allerdings - wie jeder technischer Code - immer 
gestaltet und kulturell konnotiert ist.

Ein Kriterium eines guten Nutzerinterfaces ist dabei - wenn Du mich
fragst -, daß es auch als API taugt und umgekehrt. Unix-Pipes und
HTML-Formulareingaben bzw.  http-POST-Befehle sind ein gutes Beispiel.
Selbiges gilt Hardwareinterfaces, etwa einen gut designten
Prozessorbefehlssatz oder Peripherie-Anschlußstecker. 

> eine differenzierung macht dennoch einigen sinn. und zwar insofern,
> dass als 'interface' grob geagt die (zur 'laufzeit'!) sinnlich direkt
> zugängliche domäne eines artefakts (nicht nur eines computerprogramms)
> bezeichnet werden kann. 

Ein API muß nicht zur Laufzeit zugänglich sein und sich auch nicht
sinnlich direkt mitteilen. Letzteres gilt auch z.B. für ein
Netzwerk-Interface, etwa ein TCP/IP-Socket oder "eth0" als
primäres Netzwerkinterface eines Unix-Systems.

> und zwar zur realisierung einer handlung (die
> im übrigen auch kommunikativ sein kann, spätestens hier schlägt der
> m.e. erheblich zu restriktive begriff 'steuerung' auch fehl) eines
> nutzers/sozialen agenten. 

Das Interface macht aber immer nur Maschinenprozesse zugänglich. Die
soziale Handlung äußert sich zwar in der symbolischen Codierung und
kulturellen Nutzung des Interfaces, aber das Interface modelliert
apparative Steuerung. Für soziale Handlungen selbst gibt es kein
Interface, bzw. wäre dies eine fragwürdige Metaphorisierung des Begriffs
(also z.B. E-Mail ein "Interface" zweier Korrespondent/inn/en zu
nennen). 

> 'interface macht aus blosser vorhandenheit -
> in heideggerscher terminologie - zuhandenheit.' (bonsiepe)

D'accord!

> 'interface' besitzt somit in erster linie *ästhetische* (im alten
> wortsinn, mithin also sinnliche/kognitive) und *praktische*
> qualitäten. und ist nicht zuletzt auch gekoppelt an den menschlichen
> körper -- eine einschränkung, der 'code' m.e. *nicht* unterliegt.

Einspruch, auch der Code mißt sich an Kriterien wie Lesbarkeit,
"Wartbarkeit" und Eleganz, die immer auch an menschlicher Wahrnehmung
und damit am menschlichen Körper ausgerichtet sind. 

> da code aber, wie du ja auch schon gesagt hast, häufig als das auf
> endlichen und diskreten zeichenmengen basierende interface zu einem
> modell betrachtet wird, sollte man allerdings vielleicht wirklich
> besser von 'interface' versus 'modell', 'funktion', 'innere logik',
> 'inhalt' o.ä. sprechen, wenn man das spezifische/konkrete dem
> abstrakten gegenüber stellen will. 

Die Frage ist, ob man beide tatsächlich kategorisch differenzieren kann
oder man nicht schon auf der Funktionsebene ständig auf kulturelle
Semantiken bzw. symbolische "handles" stößt, die Du unter "Interface"
verbuchen würdest. Das fängt schon beim Binärcode an, der auf Shannons
Idee gegründet ist, die Boolsche Logik zum Interface maschineller
Informationsverarbeitung zu machen.

> bleibt festzuhalten, dass zumindest im bereich des immateriellen
> 'code' und 'interface' durchaus grössere überschneidungen aufweisen
> können, 'code' aber dennoch eine andere kategorie als 'interface'
> darstellt und nicht die konkrete koppelung an handlung und menschl.
> körper aufweist, was im gegenzug aber auch äquivalenzumformungen
> ermöglicht. 

Das funktioniert als Heuristik, einverstanden. Z.B. insofern, daß man
Binärcode verlustfrei in Dezimalcode [der sehr körperlich ist in seiner
Referenz auf die zehn Finger!] wandeln kann und umgekehrt, z.B. ein
piktographisches Nutzerinterface jedoch nur ungleich schwerer - und ohne
künstliche Intelligenz nicht automatisiert - in ein
sprachlich-alphanumerisches. Vielleicht könnte man den Unterschied darin
festmachen, daß ein Code Semantik konnotiert, ein Nutzerinterface jedoch
Semantik denotiert. Wohl ist mir dabei aber nicht, weil dabei zuviele
andere Bedeutungsaspekte von "Interface" (s.o.) über Bord gehen, und es
meiner Meinung nach sinnvoller wäre, eine zweidimensionale Matrix von
(a) verschiedenen Ausprägungen von Semantik bzw. kultureller
Aufladung von Symbolen und (b) verschiedenen Restriktionsgraden von
Codes zu definieren, anstatt starr von "Code" und "Interface" zu
sprechen.

> weiterhin lässt sich 'code' m.e. auch rein abstrakt, als
> reine entität von 'vorstellungen' auffassen, was für 'interface'
> ausgeschlossen ist.

Das funktioniert nicht, rein abstrakte Codes gibt es deshalb nicht, weil
man Codes nur mit Symbolen ausdrücken kann, die ihrerseits semantisch
geprägt sind, sowie in Logiken (wie binär oder dezimal), die ebenfalls
nicht kulturell referenzfrei sind.

> > So gesehen, stellt jedes Programm über seinen Code ein Interface
> > her, das selbst wiederum einen restringierten Code zur Nutzung des
> > Computers implementiert.
> 
> insofern kann man im übrigen auch entgegen der landläufigen meinung
> praktisch jede benutzung eines rechners in der derzeitigen form mit
> 'programmieren' gleichsetzen (cf. die einleitung zu felleisen, findler
> et al: 'how to design programs', cambridge (ma), 2001).

Ja, kann man in der Tat - und das war auch meine Implikation -, nur dann
allerdings, wenn man das Wort "Programmierung" nicht durch ein hartes
Kriterium wie Turing-Vollständigkeit auf elaborierte Steuerungen
beschränkt. 

-F

-- 
http://cramer.netzliteratur.net