[rohrpost] tell.net // Andreas Broeckmann: Fuer eine neue Maschinen-Kunst

Interactionfield struppek at interactionfield.de
Mit Apr 5 15:01:27 CEST 2006


Am [DATUM] schrieb "Tilman Baumgärtel" unter <[ADRESSE]>:

> At 00:51 01.04.2006, you wrote:

> 
> Was für "interaktive Medienskulpturen" gibt es denn im öffentlichen Raum,
> mal abgesehen von den ewigen Call-In-Handy-Projekten an den Fassaden von
> Unternehmensfilialen?
> 
> Ich verstehe nicht, wem solche hoch gehängten und leicht zu widerlegenden
> Behauptungen helfen sollen. Der "Medienkunst"?
> 

Lieber Tilman,

Es ist ja schön, wenn klare Aussagen hinterfragt werden, also hier ein wenig
unterstützende Aufklärung für dich bezüglich Interaktiven Projekten im
Stadtraum.

Damals als ich 2001 mit meiner Recherche zu Interaktivität, Stadtraum und
Neue Medien anfing gab es fast kaum Publikationen, die sich mit diesem
Phänomen beschäftigten, geschweige denn viele nach aussen deutlich als
interaktive Medienprojekte im Stadtraum kommunizierte Kunstprojekte.

Es gibt mehre Anzeichen, dass das sich in den letzten Jahren verändert hat,
das habe ich versucht auf

www.interactionfield.de

darzustellen. Meine Arbeit war in der Tat anfangs inspiriert von einem
"Call-In-Handy-Projekt an einer Fassade" nämlich Blinkenlights  parallel
dazu fand ich schliesslich noch das SMS Projekt Urban Diary und beides
sogar in Deutschland zur gleichen Zeit, egal ob Kunst oder nicht. Wenn man
sich mittlerweile etwas umschaut, gibt es jedoch eine Vielzahl anderer
Anzätze, irgendwann hatte ich mal versucht etwas Ordnung in meine
Sammelliste zu bringen :

Interaktive Projektionen im Stadtraum
Sound-Recordings
Licht- und Sound-auslösende Installationen
Interaktive Fassaden und Schaufenster
Kommunikations-Skulpturen
Messageboards
Space Annotations
WIFI experimente
Psychogeographische Performances
Internet focussierte Projekte
Ortsbasierte mobile Spiele
Outdoor Mixed-Reality Experimente

Mittlerweile haben seid ca. ein zwei Jahren Projekte, Forschungen und
Veranstaltungen Überhand angenommen und sind nicht mehr im Detail von einer
Person auflistbar. ISEA Interactive City und der Fusedspace contest quasi
als deutlichste Repräsentanten. Vielleicht hinkt die Verbreitung in
Deutschland ein wenig hinterher, zumindest in der Kommunikation dieses
Phänomens. Mich interessieren dabei die genauen Begrifflichkeiten nur
teilweise, ein Grossteil der Bevölkerung kann wahrscheinlich aber auch immer
noch nichts mit dem Begriff Videokunst assoziieren. Mich interessiert vor
allem, dass eine Haltung, die mit der künstlerischen Nutzung von
interaktiven Medien meist verknüpft ist wieder in den öffentlichen Raum
getragen wird und das lohnt es zu unterstützen. Eine Haltung die zur
Partizipation und Beteiligung herausfordert und auf die Notwendigkeit der
aktiven Teilnahme basiert, welche in der Stadtplanung seid dem "scheitern"
der alten partizipativen Ideen äusserst skeptisch betrachtet wird und als
lästig oder notwendiges übel empfunden wurde, was ich selbst während meines
Studiums der Raum und Umweltplanung erlebte. Viele Medienprojekte decken
dabei genau dieses Problem einer weit verbreiteten Haltung und Skepsis auf,
der man unweigerlich in einer Massenmedien gesteuerten und konsumtrainierten
Gesellschaft begegnet. Zenur und Angst vor unkontrollierbarer Beteiligung
ist dabei z.B. ein oft dikutieretes Thema, welches den Verlust der Haltung
eines verantwortungsvollen, bürgerlichen Miteinander andeutet. Rafael hatte
bei seinem Projekt für die SPOTS Fassade absurder Weise sogar damit zu
kämpfen, den Begriff Jude in seiner Database zur Generierung von Fragen zu
belassen.

Da Installationen im Stadtraum die Einbeziehung verschiedendster Player,
Genehmigungen etc. erfordern ist es eine Interessante Aufgabe, die Konzepte
die hinter den neuen Medien stehen auf aesthetischer, künstlerischer
Dimension unterschiedlichsten Beteiligten nahe zu bringen. Dass sich die
Region East Midland in England nun mit einem Medienkunstprojekt von Rafael
Lozano Hemmer versucht weltweit zu positionieren, welches nun auf eine Reise
um die Welt geschickt wird, zeigt, dass Medienkunst mittlerweile nicht nur
auf Festivals untereinander herumgereicht wird und dort versauert. Ob man
möchte das seine Projekte als Regionalmarketing benutzt werden ist eine
andere Sache. Auch bei der Beobachtung und Diskussion zum Projekt Mobile
Studios, welches sich gerade auf die Reise durch öffentliche Räume in
Osteuropa macht, war ich erstaunt, welche Grosse Rolle bei den Jungen
Kuratoren vor Ort Projekte spielen, die mit interaktiven Medien
experimentieren.

Da mittlerweile eine Unmenge an Ideen und Projektansätzen kursieren ist es
andererseits warscheinlich um so wichtiger, es als eigenes Feld zu
betrachten um es für Aussenstehende kommunizierbar zu machen, vor allem wenn
es darum geht, die Skepsis und Berührungsangst nehmen zu wollen. Ausserdem
fördert eine Begriffsetablierung Vergleiche, Beobachtungen und Kritik was
hoffentlich langfristig eine Qualitätssteigerung mit sich bringt.

Ob sich auch daraus eine langfristige Kunstkathegorie entwickelt ist meiner
Meinung nebensächlich, vielleicht ist das Erscheinen von interaktiven
(Medien)installationen in der Stadt auch nur ein temporäres Phänomen auf dem
Weg zu einem neuen Umgang mit dem öffentlichen Raum, bei dem es sich
herausstellt, dass andere Tools geeigneter sind als das was man heute Neue
Medien nennt. Auf jeden Fall tragen sie zur Etablierung partizipativer,
temporärer kunstformen im Stadtraum bei, in einer Zeit in der
kunstprojekte_riem als "begleitender Dialog mit den Menschen vor Ort" immer
noch als Modellvorhaben gilt. Ich würde mir auch wünschen, dass auf Dauer
die nicht technologisch unterstütze Kommunikation im Stadtraum stärker an
Bedeutung gewinnt, sehen wir Neue Medien als Vermittler, als Übergang auf
dem Weg dahin zurück!

Die Entwicklung der Bedeutung des öffentlichen Raumes braucht dringend neue
Impulse. Oft war Stadtentwicklung beeinflusst von technologischen
Entwicklungen und vielleicht besteht jetzt gerade die Chance, dass Imulse
aus einem künstlerischen, kreativen Umgang mit Technologie kommen und
Einfluss gewinnen. 

Beste Grüsse,
Mirjam Struppek




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