[rohrpost] offener Brief an Merkel wg IT Gipfel

Andreas Broeckmann abroeck at transmediale.de
Mit Dez 6 09:54:17 CET 2006


Date: Tue, 05 Dec 2006 18:46:03 +0100
From: Ralf Bendrath <bendrath at zedat.fu-berlin.de>
Subject: [Wsis] offener Brief an Merkel ist raus


-------- Original Message --------

Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel zum deutschen IT-Gipfel am 18.
Dezember 2006 in Potsdam

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Frau Dr. Merkel,

wir, die unterzeichnenden Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft,
begrüßen sehr, dass Sie die Schirmherrschaft über den sogenannten
deutschen IT Gipfel, der am 18. Dezember 2006 in Potsdam stattfindet,
übernommen haben. Das Thema Informationsgesellschaft, dem die Vereinten
Nationen in den Jahren 2003 und 2005 zwei Weltgipfel (WSIS) gewidmet
haben, ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit und die
Bundesrepublik Deutschland einer der wichtigen globalen Akteure in diesem
Prozess. Dem Thema größeres Gewicht auch in der nationalen Politik zu
geben, ist daher mehr als angebracht.

Im Zusammenhang mit dem geplanten IT Gipfel möchten wir jedoch Ihre
Aufmerksamkeit auf zwei Punkte lenken, bei denen nach unserer Ansicht
wichtige Potenziale möglicherweise ungenutzt bleiben.

Das betrifft erstens die konzeptionelle Ausrichtung des Gipfels. Der IT
Gipfel beschäftigt sich im Schwerpunkt mit dem IT Standort Deutschland.
Dies wird natürlich von uns begrüßt, geht es doch auch darum, die
wirtschaftlichen Möglichkeiten der neuen Technologien für eine Erhöhung
der ökonomischen Effizienz, Marktanteile deutscher Unternehmen und neue
Arbeitsplätze zu erschließen. Nach unserer Ansicht aber verengt eine
überwiegend technische oder wirtschaftliche Ausrichtung des IT Gipfels die
Chancen, Potenziale zu nutzen.

Im Rahmen des WSIS Prozesses wurde fünf Jahre lang über die verschiedenen
Ansätze diskutiert mit dem Ergebnis, dass die technischen und
wirtschaftlichen Aspekte nicht separiert werden können von den
gesellschaftspolitischen und sozialen Implikationen der neuen IT
Technologien. In der WSIS Deklaration hat man sich daher auf ein breites
Konzept von der Informationsgesellschaft verständigt, das auf den Menschen
orientiert ist. Das spiegelt sich auch in dem vom WSIS Prozess
entwickelten Grundprinzip wider, wonach die Gestaltung der
Informationsgesellschaft die volle Einbeziehung von Regierungen,
Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in ihren jeweiligen spezifischen
Rollen und Verantwortlichkeiten erfordert.

Das Internet mit seinen großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Möglichkeiten schafft auch neue interaktive Formen der Beziehungen
zwischen den beteiligten Stakeholdern: zwischen Regierungen und Bürgern
ebenso wie zwischen Anbietern und Nutzern von Produkten und
Dienstleistungen. Dieses Multistakeholder-Prinzip zieht sich durch alle
vier WSIS-Gipfeldokumente.

Nach unserer Ansicht wird der deutschen IT Gipfel diesem Prinzip nur
unzureichend gerecht. Die in den sieben Arbeitskreisen des geplanten IT
Gipfels berührten wirtschaftlichen Fragestellungen lassen sich nicht
trennen von gesellschaftspolitischen Fragen wie Meinungsfreiheit und
Datenschutz im Cyberspace, Verbraucherschutz bei eCommerce,
Bürgerbeteiligung bei eGovernment, freie Software und offene
Publikationsmodelle. All diese gesellschaftlichen Fragen sind auch von
hoher wirtschaftlicher Relevanz. Wirtschaftliche Projekte, die das Thema
der digitalen Spaltung und/oder digitalen Ausgrenzung ignorieren, lassen
zukünftige Marktpotenziale ungenutzt.

Unser zweiter kritischer Punkt ist mehr formeller Natur. Für die deutsche
Zivilgesellschaft ist auf diesem IT Gipfel kaum ein Platz vorgesehen. Nach
den Auskünften, die wir erhalten haben, wird lediglich ein Vertreter des
Verbraucherschutzverbandes eingeladen, der die Belange der
Zivilgesellschaft mit abdecken soll. Begründet wird dies auch mit der
begrenzten Raumkapazität für die Tagung. Der Vorlesungssaal in dem
Potsdamer Institut fasst nicht mehr als 200 Teilnehmer. Bei allem Respekt
vor der konzeptionellen Ausrichtung des Potsdamer IT Gipfels halten wir
diese selektive Einladungspolitik für unausgewogen. Wie oben dargelegt,
ist eine solche konzeptionelle Verengung der eigentlichen Herausforderung
an die Informationsgesellschaft nicht angemessen.

Die weitgehende Ausgrenzung der deutschen Zivilgesellschaft vom deutschen
IT Gipfel steht diametral dem Konzept einer inklusiven
Informationsgesellschaft entgegen. Wir hoffen sehr, dass dieser Eindruck
noch korrigiert werden kann. Gerade die deutsche Zivilgesellschaft hat
sich im internationalen Rahmen im WSIS Prozess hohe Anerkennung erworben.
Der IT Gipfel kann nur gewinnen, wenn er diese Ressourcen mit einbezieht.
Das betrifft auch das vom Gipfel beschlossene follow up.

Die unterzeichnenden Vertreter der deutsche Zivilgesellschaft sind bereit,
sich konstruktiv und innovativ an der Entwicklung der
Informationsgesellschaft in der Bundesrepublik zu beteiligen und damit den
IT Standort Deutschland zu stärken. Wir möchten Sie daher einladen, den
Organisatoren des IT-Gipfels unser Anliegen zur Kenntnis zu bringen und
dieses zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen

die Erstunterzeichner

* Christiane Aschenfeldt, Creative Commons
* Markus Beckedahl, Netzwerk Neue Medien, netzpolitik.org
* Ralf Bendrath, Universität Bremen
* Friedrich Dittmer, CECUA-Deutschland
* Christoph Dowe, politik-digital.de
* Olga Drossou, Heinrich-Böll-Stiftung
* Johnny Häusler, Spreeblick.com
* Uli Heimann, politik-digital.de
* Arne Hintz, Arbeitsstelle Medien und Politik, Universität Hamburg
* Dr. Jeanette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin, Mitglied IGF Advisory
Group
* Werner Hülsmann, Forum InformatikerInnen für Frieden und
gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V.
* Dr. Heike Jensen, Humboldt-Universität zu Berlin, Medienbeauftragte von
Terre des Femmes
* Prof. Wolfgang Kleinwächter, Medienstadt Leipzig e.V., Special Adviser
IGF Chair
* Prof. Rainer Kuhlen, Universität Konstanz, Vorsitzender von NETHICS e.V.
* Barbara Lison, Sprecherin von Bibliothek & Information Deutschland -
Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände
* Oliver Moldenhauer, Attac
* Annette Mühlberg, Netzwerk Neue Medien
* padeluun, FoeBuD e.V.
* Dr. Wolfgang Sander-Beuermann, SuMa-e.V.
* Max Senges, Komitee für eine demokratische UNO
* Twister (Bettina Winsemann), STOP1984

Nach den Erstunterzeichnern haben mittlerweile mehr als 280 weitere
Personen diesen offenen Brief unterzeichnet. Die aktuelle Liste finden Sie
unter http://www.politik-digital.de/sig/liste.php.

Dieser Brief ist online veröffentlicht unter
http://www.politik-digital.de/sig/index.php.


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Dipl. Pol. Ralf Bendrath
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