[rohrpost] Interview mit Manuel Goettsching
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Die Dez 12 06:47:34 CET 2006
Hi!
Etwas off-topic, aber hoffentlich trotzdem interessant ist dieses Interview mit Manuel Goettsching, das heute gekürzt in der taz erscheint.
Ich habe es während der Recherche für mein nächstes Buch geführt, und jetzt veröffentlicht, weil Goettsching heute abend zum ersten Mal seine legendäre und oberwichtige Proto-Techno-Komposition "E2 E4" von 1981 in der Panorama Bar in Berlin live spielt.
Gruesse,
Tilman
--------------------------SCHNAPP!-----------------------------
Ganz simpel
Das Stück „E2 E4“ von 1981 ist ein Meilenstein in der Entwicklung der elektronischen Tanzmusik. Dabei war es von Komponist Manuel Göttsching eigentlich gar nicht als Tanzmusik gedacht. Zu seinem 25jährigen Jubiläum des legendären Stücks wird er es in der Berliner Panorama Bar zum ersten Mal live spielen
Ein Stück, das auf zwei Akkorden basiert und knapp eine Stunde lang ist, erscheint auf den ersten Blick nicht gerade wie ein Kandidat für einen internationalen Hit. Doch Manuel Göttschings Komposition "E2-E4" ist nicht nur ein Meilenstein in der Entwicklung der elektronischen Tanzmusik, die einen Impuls für mehrere Generationen von Techno-, House-, Trance- und Ambient-Produzenten lieferte. Einflussreiche DJs wie Larry Levan oder später Fatboy Slim spielten das Stück in europäischen und amerikanischen Diskotheken, und machten die Originalversion zu einem langlebigen Clubhit. Dessen andauernde Beliebtheit inspirierte eine Gruppe italienischer DJs zu einem Remix unter dem Namen "Sueno Latino", der 1990 zu einem internationalen Sommer- und Clubhit wurde und bis heute ein beliebter Afterhour-Clubtrack ist.
So wenig wie "E2-E4" Material für einen Clubklassiker zu sein scheint, so wenig wirkt Manuel Göttsching wie der Produzent eines solchen. Der heute 54jährige Berliner geht kaum in Clubs und erfuhr von dem Diskothekenerfolg von "E2-E4" in den 80er Jahren erst aus der Presse. Ausgebildet an der klassischen Gitarre, begann er seine musikalische Karriere als Gitarrist der Berliner Krautrock-Formation Ash Ra Tempel. Die Band veröffentliche 1971 (mit Tangerine-Dream-Gründer Klaus Schulze als Schlagzeuger und Göttschings Schulfreund Hartmut Enke als Bassist) ihre erste Platte auf dem Berliner Ohr-Label. Hier und auf ihren folgenden Platten, zu denen auch eine Kollaboration mit dem amerikanischen LSD-Apostel Timothy Leary unter dem Titel "Seven up" gehört, spielten sie einem blues-angehauchten Space Rock, der schon Mitte der 70er Jahre erste Anklänge an die elektronische Trance-Musik der Gegenwart Jahre bot.
Ab Mitte der 70er Jahre beschäftigte Göttsching, sich verstärkt mit elektronische Instrumente zu beschäftigen, und das prägt auch seine ersten Solo-Platten "Inventions for electronic guitar" und "New Age of Earth". Auch "E2-E4" wurde mit Sequenzer und Rhythmusmaschine eingespielt. Eigentlich war das Stück, das nach einem Eröffnungszug im Schach benannt ist, überhaupt nicht zur Veröffentlichung gedacht. Göttsching hatte es alleine und in einer einzigen Session ohne nachträgliche Bearbeitung am Abend des 12. Dezembers 1981 aufgenommen. Erst 1984 wurde es auf Platte veröffentlicht und trat seinen allmählichen Siegeszug durch die Diskotheken an. Seither sind so viele Versionen des Stücks entstanden, dass Göttschings Plattenfirma gerade einen Sampler mit den besten Remixen zusammenstellt.
Heute erscheint "E2 E4" wie das „missing link“ zwischen Krautrock und Techno. Göttsching isolierte das monoton-repetative Element der experimentellen Rockmusik, die in den 70er Jahre aus Deutschland kam, und stellte es in den Mittelpunkt seiner Komposition. Doch anders als bei den oft pedantischen Wiederholungen bei Kraftwerk, den anderen wichtigen Techno-Vorläufern aus Deutschland, hat "E2-E4" Funk und Lebendigkeit.
„E2-E4“ verweigert sich den konventionellen Vorstellungen von melodischer Entwicklung in der westlichen Musik, sondern hält sich für knapp eine Stunde mit einem einfache Akkordwechsel auf. Eine Rhythmusmaschine klappert den Beat, ein Synthesizer wiederholt unendlich einige simple Bassfiguren und Riffs, und erst in der zweiten Hälfte des Stücks kommt Göttsching mit seiner elektrischen Gitarre dazu. Wie bei der amerikanischen Minimal Music, mit der Göttsching zu dieser Zeit bereits in Berührung gekommen war, ist es die Interaktion zwischen den einzelnen musikalischen Elementen und die sich allmählich aufbauende Spannung, die das Stück interessant macht und den Zuhörer in einen tranceartigen Zustand versetzten kann.
Zu seinem 25jährigen Jubiläum wird Göttsching "E2-E4" zum ersten Mal live aufführen - am 12. Dezember im Berliner Club Panorama Bar. Im Interview mit der taz spricht er über die Entstehung des inzwischen legendären Stücks, warum man als Musiker wie eine Maschine spielen will und was der Reiz von musikalischen Wiederholungen ist.
?: Was bedeuten Wiederholungen in der Musik für Dich?
Göttsching: Für mich wird ein musikalisches Element immer erst ein Thema, wenn ich etwas ein paar Mal höre. Und wenn ich es ein paar Mal höre, will ich etwas daran ändern. Das Prinzip der Wiederholung gab es in der Musik natürlich schon lange, bevor ich es angewandt habe. Schon in der einfachen Notation gibt es das Wiederholungszeichen, das sind diese beiden Punkte. Oder die Anweisung „da capo al fine“, wiederholen von vorne bis zum Ende. Das geht bis hin zu einer Schwingung, die sich wiederholt. Eine einzelne Schwingung wäre gar nicht hörbar, erst wenn sie sich wiederholt, wird die Schwingung zur Frequenz und damit hörbar. Für mich wird ein musikalisches Thema erst durch Wiederholung zu Musik, und dann suche ich nach der Variation in der Wiederholung.
? : Viele Musiker, die in den 70er Jahren mit solchen Wiederholungen arbeiteten, waren dabei von der Technologie beeinflusst, besonders durch Experimenten mit Tonbandschleifen und durch die ersten Sequenzer, die Synthesizermelodien automatisch wiederholten. Wie war das bei Ash Ra Tempel?
Göttsching: Bandloops kenne ich natürlich in allen Variationen. Bei Ash Ra Tempel hatten wir für unsere frühen Experimente ein Echogerät der Firma Dynacord, in dem eine Tonbandschleife lief. Das hatte verschiebbare Tonköpfe, und es gab interessante Effekte, wenn man damit rumgespielt hat, während das lief. Und wir hatten ein Echogerät von Watkins Electric Music, das hieß „Copycat“. Das war ein legendäres Gerät, das auch Pink Floyd benutzten. Bei diesen Bandschleifen war irgendwann die Schnittstelle hinüber, an der die Tonbandschleife zusammen geklebt war. An diesen Stellen gab es dann immer so ein „Blubbs“-Geräusch, und dadurch entstand ein Rhythmus. Das haben wir teilweise bei Live-Auftritten als eine Art Metronom benutzt. Beim Spielen, bei der Improvisation fing man vollkommen unbewusst hat, sich danach zu richten.
?: Waren diese Effektgeräte das erste Mal, dass Du mit Tonband-Schleifen in Berührung gekommen bist?
Göttsching: Wir haben uns 1968/69 in einem Studio in der Pfalzburger Strasse getroffen. Das war damals in Berlin ein ziemlich legendäres Örtchen: ein Studio in einer Musikschule, vom Senat finanziert, unter der Leitung des Schweizer Avantgarde-Komponisten Thomas Kessler. Der arbeitete schon mit Tonband-Loops und war ein Einfluss auf das, was später als die „Berliner Schule“ bekannt wurde: Agitation Free, Tangerine Dream und wir. Das waren die Bands, die damals in diesem Studio probten. Wir haben einfach drauflos gespielt, ohne fertige Komposition und ohne Konzept. Thomas Kessler hielt sich sehr zurück. Der saß ganz still in seinem Raum, und machte seine Tonband-Experimente. Aber wenn man nicht weiter wusste, dann konnte man ihn immer fragen. Er hat sich das angehört, und uns Tipps gegeben. Auf mich hat er damals einen großen Einfluss gehabt, weil er uns Improvisation beigebracht hat, also wie man gemeinsam spielt und nicht nur versucht, sich gegenseitig zu überdröhnen, sondern das als eine Art Gespräch betrachtet. Als das anfing, war ich sechzehn Jahre alt.
?: Der Sequenzer spielte dabei noch keine Rolle?
Göttsching: Der Sequenzer kam erst später. Die Zeit, von der ich rede, das war so 1968, 1969. Man sollte das Ganze vielleicht eher von der Musik her betrachten als von der Technik. Wir haben damals mit relativ simplen Mitteln gearbeitet, und auch nicht intellektuell und mit einem Bauplan im Studio produziert. Unsere Musik ist von Anfang improvisiert gewesen, also sehr aus dem Bauch heraus entstanden. Unsere Stücke waren immer lang, manchmal 45 Minuten, manchmal drei Stunden. In dem Buch „Krautrock-Sampler“ von Julian Cope gibt es einen netten Satz. Da ist ein Bild von uns bei einem Konzert im Quartier Latin, alle mit langen Haaren, und drunter steht: „Ash Ra Tempel konnte sechs Stunden spielen, ohne sich ein einziges Mal anzugucken.“
Was mich zu dieser Zeit musikalisch beeindruckt hat, war das Ausbrechen aus diesem Schema von Drei-Minuten-Titeln, die damals in der Popmusik üblich waren. Wir haben ja nie eine Single gemacht, sondern gleich eine Langspiel-Platte. Wir spielten zwar am Anfang auch die Hits aus der Zeit nach, aber das wurde uns schnell langweilig. Wir wollten unsere eigene Musik machen. Darum fingen wir mit dem Improvisieren an, und so kam ich zusammen mit meinen Schulfreund Hartmut Enke auf den Blues. Da gab es zum Beispiel eine Band wie Blue Cheer, die spielten ein Blues-Thema einmal kurz an, und dann machten sie eine gaaanz lange Variation darüber, und ganz am Schluss kam dann noch mal kurz das Thema. Das waren Experimente, die uns gut gefallen haben: ein Thema ausarbeiten, entwickeln, es länger machen. Gleichzeitig hatte so etwas in der Minimal Music der 60er Jahre schon auch stattgefunden. Ich kannte das damals noch gar nicht. Aber das war so etwas, das zu dieser Zeit in der Luft lag. Diese längeren Sessions, die Wiederholungen, das musste einfach passieren.
?: War das der „Zeitgeist“?
Göttsching: Wenn es so was gibt, dann war es vielleicht der Zeitgeist. Wie gesagt, wir waren ja nicht die einzigen, die so etwas gemacht haben, sondern auch andere. Die Pink-Floyd-Sessions wurden auch immer länger. Das hatte auch was mit der Langspielplatte zu tun. In den 60er Jahren war die Single das Medium für Popmusik. Und darum mussten die Stücke kurz sein. Ende der 60er Jahre ging das langsam zu Langspielplatten über. Und daraus ergeben sich eben auch diese Wiederholungen, weil man mehr Zeit zur Verfügung hat. Man kann zwar auch ganz verschiedene Sachen aneinander fügen, aber das mag ich persönlich überhaupt nicht. Meist klingt das nur aneinandergeschnipselt. Man findet gar keinen Zugang, und kann sich nicht damit beschäftigen. Und dann ergibt sich diese Methode des Loops oder der Schleife, oder ganz allgemein gesagt der Wiederholung ganz von selbst. Man verschiebt das Thema in eine andere Tonart, dreht die Töne um, tauscht Moll und Dur aus, spielt langsamer und schneller, und so weiter.
?: Neue Musiktechnologien wie Sequenzer und Tonbandschleifen haben also beim Entstehen dieses repetativen Stils für Euch keine Rolle gespielt?
Göttsching: Doch, aber erst später. Zunächst habe ich die Wiederholungen mit der Hand gespielt. Handmade. Es ist doch so: Auf der einen Seite sind die Ideen da. Auf der anderen Seite wird das, was technisch möglich ist, natürlich auch ausprobiert. Und dadurch, dass man etwas aufnehmen und wieder anhören kann, verändert sich eben auch die Musik. Das war die Entwicklung im 20. Jahrhundert: dass es möglich war, Musik aufzunehmen und wieder zu überarbeiten, und damit zu experimentieren. Die Ingenieure denken sich etwas aus. Das probieren die Musiker aus. Dann kommen sie mit neuen Forderungen an die Technik und so weiter. So hat sich das immer weiter hochgeschaukelt. Und inzwischen kann man mit so einem Sequenzer oder einem Computer den ganzen Abend allein Programm machen, wenn man darauf steht.
Ash Ra Tempel haben anfang 1970 aber mit einer ganz normalen Band-Besetzung angefangen: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Unsere Musik entstand aus dem Spielen. Und aus dem Echoeffekt, nicht zu vergessen (lacht). Die erste Phase war komplett improvisiert. Vor dem Konzert standen wir hinter der Bühne und haben ausgelost, wer anfangen musste. Das Publikum mochte das. Wir hatten keine große Werbung, das sprach sich so rum. Die eigentliche Musik war bei unseren ersten Konzerten vielleicht gar nicht so wichtig. Da waren viele Leute, und irgendwas passierte, deswegen ging man da hin.
?: Wo seid ihr denn zu dieser Zeit in Berlin aufgetreten?
Göttsching: Wir sind oft im Quartier Latin in der Potsdamer Strasse aufgetreten, da ist heute der Berliner Wintergarten drin. Dann gab es noch die TU Mensa, da sind viele der damals bekannten Bands aufgetreten. Das waren die größeren Orte. Dann gab es noch diesen Klub, der zuerst „Park“ und später „Takt“ hiess. Wir haben auch in der Akademie der Künste gespielt. Die waren für sowas offen. Im Vergleich zu heute gab es aber einfach viel weniger geeignete Orte für diese Musik. Wir haben darum am Anfang auch in den ganzen Jugendclubs gespielt oder bei Galerie-Eröffnungen.
?: Die Wiederholungen bei Ash Ra Tempel wurden also noch ausschließlich mit der Hand gespielt...
Göttsching: Ja. Auch auf meiner ersten Solo-Schallplatte „Intventions for Electric Guitar“, die ich 1974 produzierte, habe ich alles noch mit der Hand gemacht. Ich habe keine Tape-Loops gebastelt, ich habe sie praktisch imitiert. Damals gab es die ersten Sequenzer für Synthesizer, zum Beispiel für diesen riesigen, ersten Moog. Diese Kisten waren so groß, dass man im Grunde nur im Studio experimentelle Musik mit ihnen machen konnte. Klaus Schulze nahm sie allerdings mit auf die Bühne, das war eine Attraktion. Aber dafür waren sie eigentlich zu empfindlich und zu schadensanfällig. Für dieses Riesending gab es jedenfalls auch so ein Modul, das ein Sequenzer war und das bestimmte Tonfolgen immer wieder automatisch wiederholen konnte. Das hat auch Christoph Franke von Tangerine Dream benutzt. Das hört man auch auf der ersten Platte, die sie bei Virgin gemacht haben, „Phaedra“.
Ich wollte diese Art von Musikmachen übernehmen, die mit dem Sequenzer möglich geworden war. Aber ich wollte sowas nicht mit dem Synthesizer spielen, sondern auf der Gitarre. Oder, genauer gesagt, auf mehreren Gitarren. Ich hatte dieses Vierspur-Tonbandgerät, mit dem ich mehrere Gitarrenspuren aufnehmen konnte. Und ich habe diese ganzen Gitarrenphrasen nicht per Tape-Loop gemacht, sondern ich habe sie tatsächlich gespielt. Ich habe mich hingesetzt, eine große Uhr vor mir aufgestellt, und zwanzig Minuten lang immer die gleiche Figur auf der Gitarre gespielt. Das hört sich natürlich interessanter an als ein Tonband-Loop, weil es halt doch immer ein bisschen anders ist. Man kann gar nicht anders als zu variieren. Das Tempo schwankt ein bisschen, der eine Ton ist ein bisschen lauter als der andere. Es erinnert an die Technik des Sequenzers, ist es aber nicht. Ich habe mir gesagt: „Ich brauch so ein Ding nicht, ich kann das auch so.“
?: Ist es nicht langweilig, immer wieder dasselbe zu spielen?
Göttsching: Nein, es kann sehr meditativ und sehr beruhigend sein. Aber wenn es mal einen Aussetzer gibt, kann es auch sehr nervig sein. Ich habe damals zuhause und ohne große Studiotechnik aufgenommen, und ab und zu knackste der Kühlschrank, wenn er sich an oder aus schaltete. Das war natürlich sehr ärgerlich, wenn ich gerade bei Minute 15 war und dachte: „Na, noch 5 Minuten“, und dann machte es klick! Dann musste ich wieder von vorne anfangen. Schließlich habe ich den Kühlschrank einfach ausgestöpselt, was zur Folge hatte, das meine Freundin sagte: „Ich halt das hier nicht mehr aus. Ich komm erst wieder, wenn du fertig bist.“, und auf Reisen ging.
?: Wie lange hat das gedauert?
Göttsching: Na, so über den Sommer 1974, das müssen drei Monate gewesen sein. Nicht jeden Tag, das kann man gar nicht. Aber das ist eine ganz gute Fingerübung für einen Gitarristen. Ich habe klassische Gitarre gelernt, und da muss man viel üben. Ich bereue es nicht. In den 70er Jahren gab es auch das Ideal, dass man als Musiker wie eine Maschine spielen konnte. Da war zum Beispiel die berühmte Band von James Brown. Die konnte zehn, zwanzig Minuten dasselbe spielen, ohne das einer aus dem Takt kam - wirklich wie eine Maschine. Die Schwarzen konnten das schon immer besser. Auch in den 70er Jahren, bei diesen Funk-Bands war alles mit der Hand gespielt. Aber die waren mit dem Punkt auf der Eins.
?: Ist das nicht eine Form der Selbst-Maschinisierung, die eigentlich schrecklich ist?
Göttsching: Heute kann man ja eine Maschine nehmen. Heute ist es nicht mehr das Ideal. Es ist vielleicht noch nicht so offensichtlich, aber heute ist es eigentlich wichtiger, dass man hört, dass es gespielt ist und dass es nicht immer gleich klingt. Damals gab es diese Technologie noch nicht, die heute zur Verfügung steht, und darum hat man versucht, das vorwegzunehmen, indem man selbst wie eine Maschine gespielt hat.
?: Das war also auch eine besondere Form der Virtuosität...
Göttsching: Ja, und einer, der das besonders gut konnte, war Harald Grosskopf, unser Schlagzeuger. Der konnte mit einem Sequenzer spielen, das konnten die meisten nicht. Die kamen aus dem Takt: Wir haben damals ein paar Sessions in der UFA-Fabrik gespielt, die ich jetzt auf meinem eigenen Label veröffentlicht habe. Da kann man gut hören, dass Harald nicht aus dem Takt kommt. Das erste mal, dass ich einen Sequenzer für eine Veröffentlichung benutzt habe, war auf meinen Soloalbum „Blackouts“ von 1977.
?: Kanntest du zu dieser Zeit eigentlich die amerikanische Minimal Music der 60er und 70er Jahre?
Göttsching: Ich bin mit Steve Reich, Terry Riley, Phil Glass und den anderen bekannten Vertretern bewusst in Berührung gekommen bei einem Festival in Berlin, das Metamusik hieß; das war 1974 und 1976. Da spielten Reich und Riley. Das war interessant, aber auch anders als meine Musik, viel durchstrukturierter und komponierter. Das geht auch nicht anders bei größeren Orchestern - obwohl Steve Reich auch viel auf Zeichen hin gemacht hat. Ich war ja mehr von der Improvisation zu solchen minimalen Wiederholungen gekommen. Minimal Music hatte ich aber vorher schonr gehört, aber nicht unter diesem Begriff. Das ist witzig, wenn man selbst so was macht und denkt, man hat das erfunden, und plötzlich findet man heraus, es gibt noch ein paar andere, die so arbeiten. So geht es heute auch den ganzen Kids, die Techno machen und plötzlich uns Alte entdecken.
Bei „New Age of Earth“ (1976) habe ich auch noch alles selbst gespielt. Diesmal waren es nur keine Gitarrenseiten, sondern Tasten. Das ist auch eine Konzentrationsübung. Später dann habe ich mir von der amerikanischen Firma Arp zwei Sequenzer gekauft, die ganz interessant waren. Die habe ich mit den Synthesizern Mini-Moog und Odysee verbunden. Das ist auf „Belle Alliance“ und „Correlations“ zu hören. Nach der Platte „New Age of Earth“ habe ich eine Solo-Tournee gemacht. Das war in Frankreich, und ich habe allein mit meinem Instrumentarium experimentiert. Das war damals so ein Trend, sich allein mit seinen elektronischen Instrumenten auf die Bühne zu setzten. Klaus Schulze hat das gemacht, und dann haben es viele nachgemacht. Mir wurde das schnell langweilig. Bei solchen Konzerten war schon relativ viel vorprogrammiert, auch wenn das alles noch nicht mit dem Computer gemacht wurde. Aber es ist schon relativ unflexible, und auch ein bisschen lächerlich, wenn man da zwischen tausend Kisten herumhampelt. Ein Orchester kann man nicht ersetzen - die Lebendigkeit, die zehn Musiker haben. Man kann sich zwanzig Keyboards hinstellen, es ist letztlich doch ein solistischer Vortrag. Klar, wenn man die Geräte einschaltete, das kann auch inspirieren. Aber auf der Bühne macht es einfach mehr Spass, wenn man nicht alleine spielt. Ich habe ein paar Mal Modenschauen begleitet, denn da steht man dann nicht so allein auf der Bühne. Da habe ich alleine 80 Minuten gespielt, und ich hatte die Sequenzer und alles, was ich hatte, zusammengestöpselt.
?: „E2E4“ hast du also komplett alleine eingespielt?
Göttsching: Diesen Aufbau von den Modenschauen habe ich mir dann in meinem Studio so aufgebaut und dort regelmäßig nächtelang gespielt und auch viel aufgenommen. So entstand dort auch an einem Nachmittag im Dezember 1981 die „E2-E4“ - ohne Gedanken an eine Veröffentlichung: Die Aufnahme, die so entstand, war technisch in Ordnung. Es funktionierte alles perfekt, es knackte nichts. Das ganze Stück ist live aufgenommen worden, ohne Overdubs, nur mit Mischpult, Keyboards, den Arp-Sequencer und einer alten Drum-Machine. Alles noch Geräte aus der Analog-Generation, die man einfach so an und aus schalten konnte. Ganz simpel. Die erste Hälfte ist komplett elektronisch, nach einer halben Stunde kommt meine Gitarre dazu.
Die Aufnahme blieb dann erst mal eine Zeit lang liegen, denn ich hatte damals keine Plattenfirma. Ich wollte das nicht mehr bei Virgin rausbringen. Die fingen damals mit Synthie-Pop an, und waren nur noch auf die Charts fixiert. Und das war nun ein Stück, das sechzig Minuten lang war und zwei Akkorde hatte. Aus alter Freundschaft hätten sie’s wahrscheinlich genommen, aber es wäre nur in irgendwelchen Regalen verstaubt. Ich habe es zunächst auf einem Label von Klaus Schulze veröffentlicht, und es hat sich am Anfang nicht gerade sensationell verkauft. Dass sich dafür DJs interessiert haben, hat sich erst so peu a peu entwickelt, und ich habe das erst über drei Ecken mitbekommen. Heute spielen es aber auch moderne Ensembles.
?: Der Titel der Platte ist ein Eröffnungszug beim Schachspiel?
Göttsching: Ja. Ich habe früher viel Schach gespielt. Dazu komme ich auch nicht mehr, weil es immer so ewig dauert. Dann gab es den Film „Star Wars“ mit diesem kleinen Roboter R2 D2. Aber eigentlich ist E2-E4 ein Standard-Eröffnungszug im Schach. Das ist ein Anfang, wenn man gar nicht weiß, was man machen soll. Für mich war es das auch. Ich dachte mir: Ich bring halt mal ein 60-Minuten-Stück raus. Ich habe nie gegrübelt, ob das richtungsweisend ist oder ob das die Musik der nächsten 20 Jahre sein könnte. Ich freue mich natürlich, wenn es Jahre später immer noch Wirkung hat.
?: Richtig bekannt geworden ist „E2-E4“, weil es 1989 für den Sommerhit „Sueno Latino“ gesamplet worden ist...
Göttsching: Durch den New Yorker DJ Larry Levan war das Stück schon in den USA bekannt. Dann kamen die Italiener auf mich zu, die „Sueno Latino“ produziert haben. Das war ganz skurril. Da rief mich eine Frau vom deutschen Gerig Verlag in Köln an, und sagte: „Vom ihrem Stück ´E2-E4´ gibt es eine Coverversion aus Italien.“ Ich sage: „Aber das Stück ist sechzig Minuten lang.“ Und sie: „Ja, ja, und es ist auf Italienisch.“ „Aber das Stück hat gar keinen Text.“ „Ja ja, das machen die schon.“ Ich habe dann gesagt, ich würde mir das gerne erstmal anhören, bevore ich mein Okay dazu gebe. Und Giovanni Natale von dem Label Expanded Music stand dann tatsächlich ein paar Tage später bei mir in Berlin vor der Tür.
?: Hast du diese Version als eine Vulgarisierung deines Stücks empfunden?
Göttsching: Naja, das ist schon eine merkwürdige Version. Aber es heißt halt „Sueno Latino“ und nicht „E2-E4“, und ist nicht unter meinem Namen erschienen, nur die GEMA wusste das (lacht). Und es war ja auch ein großer Hit, Nummer Eins in Deutschland, in England und Italien.
?: Wie war das denn, auf einmal einen Clubhit zu haben?
Göttsching: Die Produzenten von Expanded Music haben mich zu sich nach Bologna eingeladen, um einen Remix mit Gitarre zu machen. Da habe ich es aus dem Friseursalon dröhnen gehört. In Rimini, überall. Ich gehe nicht so häufig in Clubs, deswegen hatte ich das nicht so mitbekommen. Auch von den anderen Versionen habe ich immer nur auf Umwegen gehört. Die Italiener passen aber auf. Der Chef von der Firma ist schon etwas älter und schon länger in der Branche. Der kennt sich aus, denn Probleme mit Coverversionen gibt es in der Musik ja schon länger. Als die „Sueno Latino“ gemacht haben, haben wir sehr lange zusammengesessen. Damals wusste ja noch niemand, wie das rechtlich mit dem Sampling aussieht und wie man da einen Vertrag macht. Der wollte das gründlich und korrekt machen. Denn er glaubte, dass „Sueno Latino“ ein großer Hit werden könnte, was ja dann auch so war.
Der hat mir auch sehr geholfen, bei einigen Sachen einzuschreiten, wenn Leute das benutzt haben. In Hamburg waren zwei bei Cafe Del Mar, die haben das gemacht, und dann behauptet, sie würden mein Stück gar nicht kennen. Dabei war das natürlich original das Sample. Viele haben das einfach so gemacht, und ich habe erst später davon erfahren;
?: Betrachtest du dich denn wegen „E2-E4“ heute als einen Wegbereiter der modernen Tanzmusik, wie es viele DJs und Kritiker tun?
Göttsching: Nein. Eigentlich denke ich überhaupt nicht oft an diese Platte. Und „E2-E4“ war ja auch nicht als Tanzmusik gedacht. Darum war ich auch vollkommen überrascht, als mir jemand aus New York einen Ausschnitt aus der Zeitschrift Details schickte, wo die Favorites der verschiedenen DJs von New York standen. Und bei der Danceteria stand da: „E2-E4“. Da war ich schon ganz überrascht, und habe mir gedacht: „Ich muss echt mal gucken, wie die dazu tanzen.“ Dann gab es noch diesen Club Paradise Garage, wo Larry Levan das Stück regelmäßig gespielt hat. Der hat sich gewünscht, dass das auf seiner Beerdigung gespielt wird. Haben sie auch tatsächlich beim Gottesdienst in der St. Peter Church in Manhattan gemacht.
? : Warum, glaubst du, ist „E2-E4“ so oft bearbeitet und gecovert worden?
Göttsching: In dem Stück passiert oberflächlich gesehen relativ wenig. Es sind zwei Akkorde und viele Varianten darüber, mehr nicht. Das hat viele inspiriert, etwas dazu zu machen, weil das Stück so viel Freiraum bietet. Es gibt ja den berühmten Spruch, dass in der Musik die Pausen am wichtigsten sind. Man muss Lücken lassen, wo der Zuhörer eine eigene Vorstellung entwickeln kann. Gerade solche minimalistischen Stücke regen dazu an, alles Mögliche daraus zu machen.
?: Hat diese Art von Reduktion auch mit einer veränderten Vorstellung von der Rolle des Künstlers, des Komponisten zu tun?
Göttsching: Reduktion war schon immer ein Grundprinzip, auch bei Ash Ra Tempel. Wenn man zuviel sagen will, kommt nichts richtig zum Ausdruck. Es ist wichtig, etwas wegzulassen und mit ganz wenigen Tönen etwas auszusagen. Ich kann damit nichts anfangen, wenn Musik so überladen ist. Mir fehlt schnell die klare Linie. Ich versuche, alle Stücke auf eine Idee zu reduzieren, die ausgearbeitet wird. Mir macht es mehr Spaß, eine kleine Idee zu nehmen und die von allen Seiten zu beleuchten, als viele Sachen zusammenzupacken. Bei „E2-E4“ wiederholt sich eigentlich ganz wenig vollkommen monoton, da sind ganz viele, kleine Variationen drin. Ich habe die ganze Zeit an den Geräten rumgespielt. Es entwickelt sich ununterbrochen weiter, aber das bekommt man nur mit, wenn man die Sensoren dafür hat und genau hinhört. Wenn man irgendwo zehn Minuten rausschneiden würde, würde man merken, dass das plötzlich ganz anders klingt.
?: Glaubst du, dass der Hörer bei deiner Musik wissen muss, wie sie entstanden ist, um sie wirklich geniessen zu können?
Göttsching: Ich freue mich, wenn sich jemand dafür interessiert, aber ich verlange es nicht. Meine Musik kann man hören, ohne dass man sich erst mal ein Konzept durchliest. Man braucht keine Bedienungsanleitung. Ich bemühe mich immer, Musik mit einfachen, klaren Linien zu machen, die man auch hören kann, wenn man sich nicht dafür interessiert, wie sie entstanden ist. Thomas Kessler - was der damals gemacht hat, das war hoch-intellektuell und ich habe mir gedacht: Wer soll sich das denn anhören? Ich habe von ihm aber trotzdem viel gelernt, konnte mit seiner Musik aber nichts anfangen. Aber er war ein sehr guter Lehrer, ich mochte ihn sehr. Es war interessant zu sehen, wie er seine Musik gemacht hat. Ich habe, glaube ich, sogar mal bei einer Aufführung von ihm mitgemacht. Aber ohne darin beteiligt zu sein, hätte ich mir das nicht angehört. Die Musik, die ich mache, hat zwar einen Anspruch, aber man kann sie auch einfach nur hören.
?: Eine deiner Platten heißt „New Age of the Earth“. Würdest du deine minimalistischen Kompositionen als New Age Musik bezeichnen?
Göttsching: Nein, mit New Age hat diese Platte nichts zu tun. Der Begriff New Age in der Musik kam ohnehin erst einige Jahre später auf. Diese Platte sollte eigentlich „Neuzeit“ heissen. Aber da wir die Platte auch in Frankreich und England verkaufen wollten, habe ich das dann so übersetzt. Ich rutsche offensichtlich immer wieder in Schubladen. Das verfolgt mich seit ich Musik mache: „Krautrock“ da weiss ich auch nicht, was ich dazu nun sagen soll. Auch „Kosmische Musik“, das war so ein Begriff, den sich der Produzent von Ohr Musik ausgedacht hat. Das fand ich zwar zuerst ganz witzig, aber das hatte ganz schnell auch so einen negativen Beigeschmack, dass das keiner mehr hören wollte. Auch der Begriff „Elektronische Musik“ - da denken viele nur: oh, diese langweilige Gewabere.
Auch der Name Ash Ra Tempel hat bei vielen so Assoziationen an Indien ausgelöst, aber das hat nix damit zu tun. Den Namen hat Klaus Schulze erfunden. Er hatte sich da was ausgedacht mit „Ash“, englisch für Asche, Ra für den ägyptischen Sonnengott, und Tempel... na ja, Hartmut Enke hat dann eine ganze Philosophie draus gemacht. Ich habe mir nur gedacht: Den Namen wird uns bestimmt keiner klauen oder streitig machen. Als wir später mit Lutz Ulbrich weiter gemacht haben, habe ich das Tempel auch gestrichen, weil mir das schon immer zu religiös klang. Ashra ist eigentlich auch nicht besser. Ist jetzt aber wurscht. (lacht) Geschichte eben.
Mehr zu Göttsching unter www.ashra.com. „E2-E4“ am 12. 12. live in der Berliner PAnorama Bar.