[rohrpost] Eröffnung Auflösung (II) _Rausch/en
Anke Hoffmann
anke at kosmonauten.in-berlin.de
Die Feb 21 22:56:41 CET 2006
Das *RealismusStudio* der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in
Berlin lädt herzlich ein zur Ausstellungseröffnung am 24. Februar 2006,
19 Uhr in der NGBK
*Auflösung II: Rausch/en*
25.02 – 26.03.2006
mit Arbeiten von Jens Brand, Jim Campbell, Matias Faldbakken, Carl
Michael von Hausswolff, Kirsten Johannsen, Tatjana Marusic, Achim Mohné
und Astrid Nippoldt
****************************************************************************
Ankündigung:
Nach der meditativen Betrachtung präzisester Bildauflösungen zwischen
Low Resolution und High Definition wendet sich das RealismusStudio in
„Auflösung II – Rausch/en“ nun dem dunklen Spiegelbild der maximalen
Informationsdichte zu, dem Rauschen – und untersucht dessen
verwandtschaftliche Beziehung zum Rausch.
Zu beobachten sind eigenartige Phänomene und Ausfallerscheinungen, die
auf der unablässigen Wanderung der Informationsinhalte zum nächst
höheren Speichermedium verzeichnet werden können. Während einige
Informationen einfach verblassen und scheinbar verloren gehen,
verflüchtigen sich andere in die entgegengesetzte Richtung: Sie
verselbstständigen sich, bilden so genannte „Artefakte“ und beginnen,
die ursprüngliche „Nachricht“ parasitär zu überlagern. Hier beginnt das
Arbeitsgebiet von Grenzwissenschaftlern und Parapsychologen. Wo andere
nur noch Rauschen feststellen, entdecken sie Geisterstimmen aus dem
Jenseits. Doch sieht nicht auch die seriöse Wissenschaft im so genannten
kosmischen Rauschen die letzte Spur von Ereignissen aus der fernen
Vergangenheit?
Die KünstlerInnen in „Auflösung II – Rausch/en“ gehen davon aus, dass
das maximale Chaos sich allenfalls um den Hauch eines Vorzeichens von
der maximalen Informationsdichte unterscheidet.
Warum sich also nicht dem Rauschen überlassen, um so die in ihm zu
vermutenden Botschaften und geheimen Inhalte direkt zu erleben und
vielleicht auf diese Weise zu dechiffrieren?
Dass dieser Trip ins rauschende Innere des Flimmerns für Psychedeliker
und Esoteriker hochinteressant ist, liegt auf der Hand – doch auch
Wissenschaftler und Kontrolltechniker haben sich auf die Reise gemacht.
Aus kybernetischer Sicht ähneln sich Rauschen und Rausch grundsätzlich
darin, dass beide in einer Tabuzone beheimatet sind, die immer genau
zwischen den festgelegten Werten liegt. Wenn das Gebäude der diskreten
Zahlen intakt bleiben soll, darf diesem zügellosen Bereich niemals ein
Messwert zugeordnet werden. Gerade deshalb entspricht er aber der
Regellosigkeit, die studieren muss, wer akkurat prognostizieren und so
auch wirksam kontrollieren will. Die gemeinsame Matrix von Rauschen und
Rausch wäre demnach die Kontrolle ...
Kontrolle und Überwachungstechnologien mit ihren allgegenwärtigen
offenen Augen, die Aber-Milliarden Bilder produzieren, sind Themen des
kalifornischen Medienkünstlers *Jim Campbell*, der auch im 2.Teil der
Ausstellungsserie „Auflösung“ vertreten sein wird. Seine Arbeit
„Political Protest“ offeriert mit hochpräzisem fotografischen Blick
unzählige Szenen einer Demonstration in Washington, die jedoch aufgrund
ihrer kaleidoskopischen Facettierung nur aus nächster Nähe kenntlich
sind. Der panoptische Kontrollblick scheitert an seiner eigenen
Grundbedingung; den Protest wirklich erfassen kann nur, wer an ihm
teilnimmt. In einer zweiten Arbeit komprimiert Campbell Hitchcocks fast
2-stündigen Klassiker „Psycho“ auf ein einziges Dia. Auch hier entsteht
eine paradoxe Informationsverdichtung: Was aussieht wie eine Nebelwolke
enthält die visuelle „Erinnerung“ an den gesamten Film.
Auch in *Tatjana Marusics* 3-Kanal-Videoinstallation „the memory of a
landscape“ geht es um Erinnerung. Ihre alte Heimat Ex-Jugoslawien wird
hier als Kulisse für koloniale Phantasien von Exotik und Wildheit
zitiert, wie sie in den Karl-May-Filmen der 60er Jahre inszeniert
wurden. Zusätzlich verfremdet wird das Bildzitat durch Kaskaden
technischer Artefakte. Sie sind Resultat einer gestörten
Satellitenübertragung, die Marusic in Kroatien „wieder“-empfing und zur
Grundlage ihrer Arbeit machte. Die bunt ausstaffierten Kriegshandlungen,
in die Winnetou verwickelt war, lassen sich nur noch erahnen. Umso
deutlicher tritt die Erinnerung an die realen Kriege in den Vordergrund,
die sich in genau dieser Landschaft noch vor wenigen Jahren ereignet haben.
Der Experimental-Soundkünstler *Carl Michael von Hausswolff* begibt sich
auf die Suche nach akustischen Phänomenen außerhalb unserer Wahrnehmung.
Durch den experimentellen Umgang mit handelsüblichen Sonar- und
Radargeräten, die er entgegen ihren eigentlichen Bestimmungen verwendet,
gelingt es ihm, Geräusche aus verborgene Sphären freizulegen: Er dringt
vor in das Reich der „unknown entities“, die auch den Parapsychologen
und Forscher Friedrich Jürgenson (1903 -1987) ein Leben lang
beschäftigten. In einer zweiten Installation stellt C.M. von Hausswolff
Jürgensons einschlägig bekanntes „Audioscopic Research Archive“ vor, das
Geisterstimmen aus dem Jenseits hörbar macht.
*Kirsten Johannsen* nimmt in ihrer sphärischen Video-/ Klanginstallation
„Konzert des Aeon“ ein Phänomen unter die Lupe, das vor der Zeit des
digitalen Fernsehens noch jedem Fernsehzuschauer vertraut war: Das
schwarz-weiß flimmernde Rauschen des Bildschirmes nach Sendeschluss.
Dieses per Hausantenne empfangbare „Stör“-Signal zeigt nichts Geringeres
als den letzten Rest von Information, der noch vom Urknall erhalten und
bis heute als so genanntes „kosmisches Hintergrundrauschen“ messbar ist.
Der Medienkünstler **Achim Mohné** widmet sich der Poesie des Staubs.
„Aufzeichnungen für das Kellerloch“ ist eine
Closed-Circuit-Installation, an der die Besucher teilnehmen, indem sie
Staub aufwirbeln. Im Lichtschein eines Projektors kurzfristig sichtbar
gemacht, erinnern die fliegenden Partikel ebenfalls an kosmische Welten;
das Restlicht wird in den dunklen Tiefen eines Lichtsackes verschluckt.
Auch Töne lassen sich dem Staub entlocken. Mit Hilfe einer speziell
angefertigten Schallplatte, die nur über eine tonlose Leerrille verfügt,
lässt Mohne den sich während der Ausstellung darin ansammelnden Staub zu
einer immer neuen Herausforderung für die Abspielnadel werden.
Mit seinem präparierten Telefon „Mitte (der Welt)“ ermöglicht *Jens
Brand* den Ausstellungs-besuchern, Rausch-Kompositionen an frei
„wählbare“ Adressaten zu senden. Die experimentellen Audio-Stücke sind
eine genaue Entsprechung der Entfernung, die zwischen den beiden
jeweiligen Telefonpartnern liegt und basieren auf einem
dreidimensionalen topographischen Modell der Welt.
*Astrid Nippoldts* Video „Bloop“ referiert auf die Bezeichnung für ein
unidentifizierbares Unterwasser-Geräusch, das 1997 im Pazifischen Ozean
aufgenommen wurde. Ihre Arbeit spielt mit unseren Erwartungshaltungen,
indem sie Pseudowissenschaften und Hollywood-Dramaturgie gleichermaßen
zitiert – und eine überraschende „Auflösung“ für das unheimliche
Phänomen bereit hält.
Auf den (Asphalt-)Boden der Tatsachen zurückgebracht werden diese
feinstofflichen Auseinandersetzungen schließlich durch das Video
„Getaway“ von *Matias Faldbakken*, welches förmlich durch die gesamte
Ausstellung rast. Zu sehen und zu hören ist eine Endlosschleife aus
Aufnahmen von illegalen Motorradrennen. Aus der Fahrerperspektive
aufgenommen, zeigen sie eine Flucht ins Nirgendwo, die sich den Rändern
der Matrix der Kontrolle lebensgefährlich nähert. Der Gleichgewichtssinn
gerät fundamental ins Wanken, das Adrenalin rauscht in
Höchstgeschwindigkeit.
Zur gesamten Ausstellungsreihe erscheint ein Katalog mit Essays von
Martin Conrads, Claus Pias, Birgit Schneider, Ute Holl, Christiane
Schulzki-Haddouti und Holly Willis. (ISBN 3-938515-007)
Vorschau:
Auflösung III - Entgrenzung
22. Juli bis 27. August
Eine Ausstellung des *RealismusStudios* der Neuen Gesellschaft für
Bildenden Kunst, 2006
Konzeption, Organisation, Realisation: Friederike Anders, Anke Hoffmann
und Christin Lahr.
NGBK
Oranienstrasse 25
10999 Berlin - Kreuzberg
http://www.ngbk.de
taglich 12-18.30 Uhr
Eintritt frei
--
anke hoffmann
kuratorin für
medien/kunst
anke at kosmonauten.in-berlin.de