[rohrpost] undo-redo - die andere seite_ 5 Tage vor Ende der Kunst- heute auf Radio x

Felicia Herrschaft f.herrschaft at soz.uni-frankfurt.de
Fre Jul 7 12:13:14 CEST 2006


Fr. July 7 2006, 13-15 Uhr: 5 Tage bis zum Ende der Kunst: undo- redo, Gespräch mit Solvej Helweg Ovesen, Susan Philipsz und: die andere Seite, Gespräch mit Thomas Niemeyer 
Radio x 91,8fm, Frankfurt

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5 tage bis zum ende der kunst: 
undo redo 
Kuratiert von Solvej Helweg Ovesen 

3. Juni bis 16. Juli und 2. bis 17. September 2006 

mit Lucas Ajemian, Mariana Castillo Deball, Martha Colburn, Gabriel Lester, Mads Lynnerup, Jan Mancuska, Melik Ohanian, Susan Philipsz, Kirstine Roepstorff, Tino Sehgal 


Am 2. Juni eröffnet die Kunsthalle Fridericianum die Ausstellung "undo redo", die zeitgenössische Strategien der Aneignung untersucht. Die 10 beteiligten Künstlerinnen und Künstler greifen auf bereits existierende Texte, Bilder oder Musikstücke zurück, die sie durch gleichzeitige Re- und Dekonstruktion in neue Kontexte und Bezüge setzen und dadurch neues Wissen und Bedeutungen generieren. Die Umwelt wird dabei als große Materialsammlung verstanden, in der sich heutzutage fast alles downloaden oder mixen lässt und neu arrangiert werden kann. Diese Tatsache beeinflusst nicht nur die Wahrnehmung der Welt, sondern auch die aktuelle Kunstproduktion. Dabei geht es den Künstlerinnen und Künstlern nicht darum, fremde Ideen zu wiederholen oder sich zu Eigen zu machen. Vielmehr zeigen sie Wege und Möglichkeiten verantwortungsvoll mit Geschichte und künstlerischen Arbeiten umzugehen. 

"undo redo" ist die erste Ausstellung im gemeinschaftlichen Projekt der Kuratorenwerkstatt, welche bis November 2006 das Programm der Kunsthalle Fridericianum bestimmt. In einer Reihe von thematisch und zeitlich ineinander greifenden Ausstellungen, geben ihre vier Mitglieder und der künstlerische Leiter unter dem gemeinsamen Titel "5 Tage bis zum Ende der Kunst" Einblick in ihre aktuelle Arbeit. Der Titel proklamiert keineswegs das schon so oft beschworene ?Ende der Kunst?, sondern sucht nach den Bedingungen einer zeitgemäßen künstlerischen und kuratorischen Praxis. Die offene Struktur der Kuratorenwerkstatt ermöglicht es jedem Mitglied für die Reihe eine eigene Ausstellungsidee zu entwickeln und umzusetzen. 

Lucas Ajemian (USA) | Mariana Castillo Deball (MEX) | Martha Colburn (USA) |Gabriel Lester (NL) | Mads Lynnerup (DK) | Jan Mancuska (SK) | Melik Ohanian (F) | Susan Philipsz (UK) | Kirstine Roepstorff (DK) | Tino Sehgal (UK) 

Kuratiert von Solvej Helweg Ovesen 

Pressetext 
mit Henry VIII´s Wives, Jens Kloppmann, Susanne Kutter, Julien Maire, Pia Maria Martin 

28. Juni bis 16. Juli und 2. September bis 3. Oktober 2006 


Die Kunst gibt zuweilen den Blick darauf frei, dass die Welt der Menschen eine genau so disparate, wunderliche und absurde ist, wie wir uns das vielleicht schon immer gedacht haben. Das ist insofern eine unbequeme Erkenntnis, als wir normalerweise darauf bedacht sind, stets die Dinge mit Hilfe unseres Wissens und unseres Urteilsvermögens sinnvoll zu ordnen. Nur die Klarheit gibt Sicherheit und macht handlungsfähig - jedenfalls glauben wir daran und wollen deshalb immer gerne wissen woran wir sind. Für die Kunst geht es jedoch gar nicht darum, dass wir endlich die Wahrheit erfahren sollten, und genau genommen wäre das sogar ein historisches Missverständnis mit der Aufklärung. Zwar teilen Künstler natürlich eine generelle Neugier der Menschen an der Welt und am Dasein, doch es fällt auf, dass gerade die Kunst die Wirklichkeit nicht erklärt, sondern häufig genug ein Ausdruck des Staunens über deren Rätselhaftigkeit ist. Dagegen ist die alltägliche, von den Medien bestimmte und alles durchdringende Bildkultur schon seit langem wesentliche Trägerin unseres Zeitwissens und das, obwohl die meisten Menschen noch immer wenig Ahnung vom Wesen jener Bilder haben, mit denen sie leben müssen. Siegfried Kracauer attestierte dem heraufziehenden visuellen Zeitalter bereits in den 1920er Jahren, als das Fernsehen noch nicht einmal in Sicht war, dass noch niemals eine Zeit so viel und zugleich so wenig über sich gewusst habe. Man muss nicht Medienwissenschaftler sein um zu erkennen, dass sich dieser paradox wirkende Befund seitdem noch verschärft hat. 

Die Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung sezieren nicht die Wahrheit, sondern sie transformieren Bilder oder Bildvorstellungen, wie sie längst Teil des gesellschaftlichen Prozesses der Entstehung und Vermittlung von Wissen und Meinung sind. Das können entweder Bilder aus Journalismus, Kunst oder Werbung sein, aber auch solche aus den so genannten bildgebenden Verfahren der Wissenschaft. Sie kehren dabei den Herstellungsvorgang um, oder sie nehmen diesen allzu wörtlich, oder sie bringen Bildwelten zusammen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Vor allem aber verändern sie bildnerische Funktionsweisen mal spielerisch, mal mit Ironie und mal mit Sinn für das Absurde. Mit jeder Transformation entstehen neue Wirklichkeiten, aber auch Widersprüche. Allerdings werden uns diese nicht demonstrativ und entlarvend serviert und schon gar nicht mit der Absicht, sie für uns aufzulösen. Das geschieht offensichtlich vielmehr produktiv, lustvoll und mit der ganzen souveränen Freiheit der Kunst, die Komplexität des Bilderkosmos immer noch erweitern zu können. Und wenn man als Betrachter das Staunen teilen möchte, dann kann man entdecken, dass auch die vermeintlich selbstverständlichsten und klarsten Dinge stets noch eine andere Seite haben und natürlich, dass Bilder auch Realitäten schaffen. Der Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend, ein Bewunderer von Marcel Duchamp übrigens, sagte es so: "Gegen die Vernunft habe ich nichts, ebenso wenig, wie gegen Schweinebraten. Aber ich möchte nicht ein Leben leben, in dem es tagaus tagein nichts anderes gibt als Schweinebraten." 

Die Künstlergruppe Henry VIII's Wives wurde 1997 in Glasgow von Rachel Dagnall, Robert Grieve, Sirko Knüpfer, Simon Polli, Per Sander und Lucy Skaer gegründet. Die Ideen zu ihren zahlreichen gemeinsamen Projekten entzünden sich meist an vorgefundenen Geschichten, Bildern, historischen und aktuellen Ereignissen oder auch an räumlichen Situationen. In ihren einzelnen Arbeiten treffen häufig Motive oder Erzählweisen aufeinander, die auf den ersten Blick überhaupt nichts miteinander zu tun haben, woraus dann nicht nur überraschend Neues entsteht, sondern mitunter auch Momente absurden Humors. 

Jens Kloppmann misstraut seit jeher den vordergründigen Bedeutungen von Begriffen und Bildern und hat daraus zwei ganz unterschiedliche künstlerische Konsequenzen gezogen. Auf der einen Seite arbeitet er mit den auf das Wesentliche reduzierten Methoden der Konkreten Kunst. Dem steht bei ihm eine lange Reihe künstlerischer Capriccios gegenüber, die den Dingen zu Leibe rücken, indem sie zum Beispiel die Form oder den Inhalt bis auf einen tautologischen Kern reduzieren, oder aber, indem sie den bildnerischen Spieß herumdrehen. 

Susanne Kutter ist in einer geradezu destruktiven Liebe jenen Idyllen verbunden, in denen die Menschen sich gerne irgendwann einrichten oder die zum Repertoire der unterschiedlichsten Träume und Klischeevorstellungen gehören. Ihre Installationen und Videos zeigen subversive Eingriffe in heile Welten, und das nicht nur in solche von Spießern, sondern eben auch von jenen, die vielleicht von sich meinen, sie stünden darüber. Hin und wieder münden die Szenarien ihrer Werke dabei sogar in die totale Katastrophe. 

Julien Maire ist ein Materialforscher und Erfinder. Seine Fotografien, Objekte und vor allem seine Bildmaschinen reflektieren die bildnerische Krise der Moderne, die sich aus der analytischen, wissenschaftlichen und vermeintlich objektiven Verwendung neuer Bildtechniken wie der Fotografie und dem Computer ergeben hat. Indem er das Unsichtbare sichtbar macht, gibt er der Technologie und damit aber auch dem Bild einen poetischen Sinn zurück. Dabei schlüpft er für das staunende Publikum in eine ähnliche Rolle, wie sie früher ein Magier oder ein Gaukler innehatte. 

Pia Maria Martin dreht Trickfilme in klassischer Stop-Motion-Technik und mit analogem Filmmaterial. Ihre Motive stammen ursprünglich aus der sehr realen Welt der Alltagsdinge, entweder aus der Gegenwart oder auch aus der Kunstgeschichte, dem Genre des Stilllebens etwa. Doch die stets fiktiven und oft mit schwarzem Humor gewürzten Geschichten enthalten dabei noch einen abstrakten Aspekt der vor allem auch in der Form sehr spezifisch auf das Medium Film bezogen ist: sie spielen mit der Zeit, zeigen sie als Prozess der Veränderung oder aber machen ihren Ablauf sogar rückgängig. 

Thomas Niemeyer, geb. 1967 in Hanau. Seit 1997 Ausstellungen, Lehre und Veröffentlichungen zur zeitgenössischen Kunst, seit 2004 Mitglied der Kuratorenwerkstatt. 

Die andere Seite ist die zweite Ausstellung im gemeinschaftlichen Projekt der Kuratorenwerkstatt, die bis Ende November 2006 das Programm der Kunsthalle Fridericianum bestimmt. In einer Reihe von thematisch und zeitlich ineinander greifenden Ausstellungen, geben die vier Mitglieder und der künstlerische Leiter René Block Einblick in ihre aktuelle Arbeit. Die Ausstellungen - unter dem gemeinsamen Titel 5 Tage bis zum Ende der Kunst - verfolgen ganz individuelle Ansätze und verschiedene Perspektiven. Der Titel proklamiert keineswegs das schon so oft beschworene "Ende der Kunst", sondern sucht nach den Bedingungen einer zeitgemäßen künstlerischen und kuratorischen Praxis. Die offene Struktur der Kuratorenwerkstatt ermöglicht es jedem Mitglied für die Reihe eine eigene Ausstellungsidee zu entwickeln und umzusetzen. 

Parallel zur Ausstellung Die andere Seite wird in Renés Nebenschauplatz die Arbeit What remains des türkischen Künstlers Ömer Ali Kazma gezeigt. Die auf 11 Monitoren und einer raumgreifenden Projektion präsentierte Videoinstallation begleitet die Fußballspieler des Istanbuler Vereins Galatasaray und ihren Trainer in den Spielpausen, auf einer Reise nach Moskau, bei einem Heimspiel in Istanbul oder bei dem Herumalbern in der Mannschaftskabine. "What remains zeigt die Spieler als das was sie sind: als junge Männer, Kämpfer, die eine viel zu große Last auf ihren Schultern tragen müssen. What remains ist eines der faszinierendsten und beeindruckendsten Werke, die sich im letzten Jahrzehnt mit dem Thema Fußball beschäftigt haben." (Erden Kosova). 

Die Arbeit von Ömer Ali Kazma war bereits Teil der Ausstellung In den Schluchten des Balkan (2003) und spannt durch ihre erneute Präsentation in der Kunsthalle den Bogen zur Abschlussveranstaltung Fremd bin ich eingezogen des künstlerischen Leiters René Block. Gleichzeitig begleitet der Nebenschauplatz die Arbeit der jungen Kuratoren mit jeweils einem persönlichen Statement.