[rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online

Harald Hillgärtner hillgaertner at tfm.uni-frankfurt.de
Sam Mar 4 03:10:52 CET 2006


Florian,

> Man wäre gezwungen, präziser zu benennen, wovon man genau spricht.
> Leider sind "Medien" die begrifflichen Nebelkerzen der
> Geisteswissenschaften geworden, was ja auch die Weimarer Tagung als
> Problem benannt hat. Aber auch an den dortigen Diskussionen fiel mir
> auf, daß in ihnen oft beiläufig und ohne weitere Erläuterung von "den
> Medien" gesprochen wurde, so, als ob der Begriff evident sei.

Dass der Medienbegriff eine "Nebelkerze" der Geisteswissenschaften ist, ist 
sicherlich eine treffende Metapher. Gleichwohl (und nicht ganz ernst 
gemeint): Wo wären die Geisteswissenschaften ohne Nebelmaschinen und 
Schaumwerfer? Dazu gehören, du hattest ja an anderen Stelle auch darauf 
hingewiesen, ebenso solche Begriffe wie "Diskurs" und "symbolische Formen" 
etc. Jedenfalls wäre der nebulöse Charakter nicht allein dem Medienbegriff 
vorzuwerfen, zumal hier, gerade hier, die alltagssprachliche Verwendung des 
Begriffs immer eine akademische Eingrenzung zumindest irritiert. Und wenn bei 
den Diskussionen auf der Tagung dann der Begriff wieder so vorbehaltlos 
verwendet wird, dann spricht es dies ja genau aus. 

> > Eben dieses nicht-definierbare halte ich hingegen für außerordentlich
> > fruchtbar.
>
> Ich hatte es auch nicht abwertend gemeint. Es gibt ja große
> Definitionsprobleme auch bei Begriffen wie "Kunst" und "Literatur", zum
> Beispiel. Allerdings existieren für beide starke Definitionsangebote,
> die ich bei "Medien" äquivalent nicht sehe.  Auch ist bei "Medien" die
> Diskrepanz zwischen einem umgangssprachlichen Verständnis und einem
> akademischen Verständnis enorm, wohl auch deswegen, weil die
> geisteswissenschaftlichen Medienwissenschaften sich von ihrem
> empirisch-sozialwissenschaftlichen Pendant (sprich: der Publizistik)
> abgrenzen wollen.

Es gibt eine ganze Reihe an Mediendefinitionen so wie es inzwischen geradezu 
eine Inflation an "Einführungen" in die Medienwissenschaft gibt. Welche ich 
nun davon als überzeugende Angebote bezeichnen würde, mag ich nicht zu 
benennen. Aber da kommt mir dein Beispiel der Kunst wirklich gelegen: Ich 
kann mich nur an fruchtlose Diskussionen darüber erinnern, was denn nun Kunst 
sei und was nicht. Es ist sicherlich schon zu trivial, um es auszusprechen, 
aber Kunst lebt von ihrer Abgrenzung gegenüber Nicht-Kunst und hat doch seit 
nunmehr hundert Jahren kaum ein anderes Ziel, als diese Abgrenzung infrage zu 
stellen.  

> Ich finde, es muß wenigstens eine Definition ex negativo geben, also
> eine Bestimmung dessen, was nicht unter den jeweiligen Begriff fällt.
> Auch sollte man versuchen, Kriterien für die Positivbestimmung des
> Begriffs zu formulieren.

Eine Postitivbestimmung ist sicherlich einfacher, als eine negative. Nehmen 
wir einfach übertragen, speichern und formatieren. Da passt dann jedoch 
wieder alles drunter. Auch die Hostien. Nichtsdestotrotz bin ich auch 
dagegen, alles darunter zu subsumieren, es sei, man könnte damit dem 
Gegenstand eine neue, bisher unbeachtete Seite abgewinnen. Der Medienbegriff 
wäre insofern keinesfalls ein Leitbegriff. Und wenn man versucht, sich eine 
tragbare Definition zu geben, sollte man ebenso versuchen, dies 
mitzubedenken.   

> > Ja, und hier komme ich zu meiner eigentlichen Frage zurück: Was um alles
> > in der Welt wäre mit einer Rede von "symbolischen Apparaten" gewonnen?
> > Was wäre hieran genauer oder umfassender als der Medienbegriff?
>
> Wir wären alle Engel, Hostien, Luftmassen, Schwingungen und
> Leitmaterialien los, aber auch alle Rede von der Spracheqoder von
> Bildinformation als Medium, - und würden uns darauf einigen, daß
> Medienwissenschaft schlicht eine spezialisierte Technikwissenschaft ist,
> indem die sich nur mit Technik befaßt, die zum Zweck der
> Informationsverarbeitung konstruiert oder verwendet wird. Damit fallen
> auf der anderen Seite auch die McLuhanschen Revolver und Glühbirnen aus
> dem Gegenstandsbereich heraus (solange sie keine Signalgeber sind),
> sowie die auf der Weimarer Tagung ins Spiel gebrachten Frösche und
> Turnschuhe, und man hätte einen recht genaue, aber immer noch
> hinreichend flexible und freigeistige Definition des eigenen
> Forschungsgebiets. Weil solch eine Disziplin das umgangssprachlich
> verstandene Gebiet der "Medien" nicht nur weiterhin abdecken, sondern
> sich ihm frei von Hostien, Fröschen und Revolvern wieder verstärkt
> zuwenden würde, käme Medienwissenschaft auch wieder aus ihrem
> wissenschaftshistorischen Elfenbeinturm heraus.

Ja, ich vergaß den Ankündigungtext der Tagung. Der scheint mit seiner 
Auflistung dessen, was bisher schon alles unter dem Medienbegriff verhandelt 
worden ist, doch eher dazu geeignet, diesen als absurd zu erweisen. Aber zu 
McLuhan und auch zu Flusser sei gesagt, dass beide Querdenker sind, mit denen 
man überhaupt ersteinmal umgehen muss. 
Von Fröschen und Revolvern einmal abgesehen: Was steht hinter deinem Plädoyer 
für eine Medienwissenschaft als spezialisierter Technikwissenschaft, die 
demgemäß Sprache und Bilder ausklammern müsse? Doch wohl kaum etwas anderes, 
als dass kein Mensch die Medienwissenschaft braucht. Sie käme also nicht aus 
ihrem "Elfenbeinturm" heraus, sondern sie würde aus dem Elfenbeinturm 
herausgeworfen.
Hier wäre aber dann zu fragen, welche Rolle die Medienwissenschaft innerhalb 
der anderen Disziplinen spielt. Befruchtet sie nicht am Ende gar auch die 
Literaturwissenschaft oder die Kunstwissenschaft, die doch derzeit so viel 
Mühe darauf verwendet, eine Bildwissenschaft zu werden. Oder kannibalisiert 
die Medienwissenschaft lediglich die anderen Disziplinen? 

Viele Grüße,
Harald.