FW: [rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vortr ä ge online

Peter C. Krell pc.krell at game-face.de
Sam Mar 4 13:12:36 CET 2006


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From: Peter C. Krell <pc.krell at game-face.de>
Date: Sat, 04 Mar 2006 13:05:16 +0100
To: Harald Hillgärtner <hillgaertner at tfm.uni-frankfurt.de>
Subject: Re: [rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online



> Hier wäre aber dann zu fragen, welche Rolle die Medienwissenschaft innerhalb
> der anderen Disziplinen spielt. Befruchtet sie nicht am Ende gar auch die
> Literaturwissenschaft oder die Kunstwissenschaft, die doch derzeit so viel
> Mühe darauf verwendet, eine Bildwissenschaft zu werden. Oder kannibalisiert
> die Medienwissenschaft lediglich die anderen Disziplinen?

Harald, ich denke, wer so fragt, hat nicht viel von der Medienwissenschaft
begriffen, bzw. sich nicht die Mühe gemacht, die von Ihr angebotenen
Denkansätze sich für seine Denkpraxis zu erschließen.

Denn man sollte nicht vergessen, dass sich die MedienwissenschaftEN (oder im
Singular, wenn es um die in der deutschen Sprache betreibenen geht) nicht
nur mit dem beschäftigt, was technisch medial kommuniziert wird, sondern wie
Bernard Siegert endlich begreifen, dass die "Passage des Digitalen" eine
Nachhaltige sein wird, deren Ideengeschichte bis in die vortechnische Zeit
zurückreicht. Um diese vortechnische Zeit nach Foucaultschem Vorbild wie
seine Schüler Gérad Simon archivarisch zu erschließen und das Vergessene in
der vom Technik-Dogma beherrschten Zeit nicht außer Acht zu lassen und als
Wissen zu bewahren, ist die Geisteswissenschaft dazu aufgerufen, sich auch
ihrer Wurzeln zu erinnern. Genauso wie sich die Informatik nach Kurt Gödels
Vorbild die Frage stellen darf, in wie fern ihre Theorie, die Theorie der
Informatik also sich zu ihrer implementierten Praxis verhält. Die Diskrepanz
dieser Implementiertheit zu ihrer Theorie allein sollte die Relevanz einer
Medienwissenschaft im Singular schon aus dem Grunde legitimieren, da die
Gleitkomma-Stellen-Abbrevationen wie Friedrich Kittler et al. Wissen keine
100% Approximationen von reellen Zahlen wie Wurzel 2 zulassen sondern immer
mit Ungenauigkeiten zu opierieren gezwungen sind.
Diese Unzulänglichkeit ist wie Kittler richtig festgestellt hat, dem Wesen
und der Beschaffenheit der Hardware und den damit gegebenen Nachteilen der
von Neumann Architektur verschuldet, die es in den kommenden Jahren
nachhaltig zu widerrufen gelten wird. Daran arbeiten die Chefarchitekten aus
dem Umfeld des ISC (Internationale Supercomputer Conference) in Heidelberg
und in Amerika. Diese haben vor zwei Jahren unser Jahrhundert zum Zeitalter
der Archtiketen erklärt. Wohlgemerkt der Hardware Architekten. In wie fern
die Theorien von isomorphen Architekturen von Rem Kohlhaas et al. (vgl.
Diverse 90er Arch+ Ausgaben und Welt Architektur Kongress, UIA, Katalog
2002) hierbei berücksichtigt werden können, wird sich erst noch zeigen. Klar
aber ist, dass auch hier der Bottleneck der Kanal der Sprache ist, ein
Bottleneck jedoch via dem, die einzelenen Disziplinen zum jetzigen Zeitpunkt
überhaupt von einander und ihren Problemen zu erfahren in der Lage sind.
Derrida hat mit seinem Begriff der différance ein Neologismus, mit man sich
in die Lage versetzt, außerhalb des Systems zu denken und damit einen Teil
seines Freiheitspotentials z.T. auch Gunsten der Gesellschaft zu behaupten.
Diese Theorie wurde im Medium der Schrift aufgeschrieben und ist durch ihre
Schrifthaftigkeit als ein logisches System manifest geworden, in dem die
Möglichkeit zum Irrationalen beschrieben wird. Könnte man die Wurzel aus 2
z.B. für irgendeine Disziplin in irgendeinem x-beliebigen Medium oider
Aufschreibe-System exakt berechnen, müßte man sich wahrhaftig über
Medientheorie wahrscheinlich keine Sorgen machen. So lange wir seit Albert
Einstein und Riehmann nicht sicher sein können, ob die vier uns bekannten
Dimensionen alle sind, die es gibt, so lange wir keine Antwort darauf haben,
was das Leuchten in den Augen von Menschen seinem Wesen nach ist, wird es
eine Medienwissenschaft geben, die auch nach den Mitteln fragt, mit der wir
eines Tages beispielsweise zu einer sinnvollen Definition von "Medium" oder
"Media" gelangen werden.

Da nicht nur das System der Mathematik und alle an sie angedockten und von
ihr abgeleiteten Wissenschaften und Disziplinen nach Kurt Gödels Ansatz, dem
wir letztendlich die Emergenz der heute existierenden Computer-Systeme
verdanken, auf wissenschaftlich logisch determininerten Vorgaben aufsetzen,
hat die Geisteswissenschaft und vor allem die Philosophie, die Mutter aller
Wissenschaften, eine absolute Daseinsberechtigung. Die Medienwissenschaft
erforscht hierbei die Wurzeln ihrer derzeitigen und ehemaligen
Beschaffenheit. Die Medienwissenschaft ist wie alle anderen Wissenschaften
eine der Philosophie zugeordnete Wissenschaft, die nach dem medialen Wesen
einer Zeit fragt und dabei die epistemischen Vorgaben einer Gesellschaft,
die in Systemen kommuniziert, mitbehandelt.-

Sie vermittelt sich zur Zeit im System der jeweiligen Sprache, in der sich
Studenten einen Zugang zu diesem rekursiven Forschungsgegenstand
erschließen. (Und natürlich auch in den Satndards der die Diskurse
augmentierenden Medientechniken unter denen dieses Wissen erworben wird.)
 
Die Tatsache, dass sich die epistemischen Vorgaben unserer Gesellschaft mit
der fortschreitenden Entwicklung der Computertechnologien im Wandel
befinden, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Aussagen, die eine
Medienwissenschaft im Gewand einer jeweiligen Sprache nicht auch das Ende
der Gutenberg Galaxis bzw. das Ende einer Ordnung der Dinge, bzw. das Ende
eines Zeichenregimes zum Gegenstand haben können. Das Gegenteil ist vielmehr
der Fall. All dies sind Themen der Medienwissenschaft, die wie bei Vilém
Flusser aufgrund von Komplexitätskompressionsnotwendigkeiten - allesamt der
Anschlussfähigkeit der Diskurse geschuldet - als Derivate einer
Kontemplation erscheinen und in ihrer Reduziertheit gewisse Ungenauigkeiten
gleich mit zum Vorschein bringen. In völliger Analogie zu den
Rechen-Apparaten übrigens, auf denen diese Medienwissenschaft praktiziert
wird (wie natürlich mittlerweile alle anderen auch).

Da die Verbreitung der Apparate in Vernetzung zunehmend unser Leben zu
bestimmen scheint, erachte ich es als notwendig, eine Medienwissenschaft zu
betreiben und an ihr festzuhalten, die wie die Philologie nicht nur nach dem
Ursprung der Sprache sondern auch nach der Zulänglichkeit bzw.
Unzulänglichkeit von sprachlichen und anderen kommunikativen System-Mitteln
fragt.   

Die im Alphabeth angelegte Ordnung unseres Weltwissens ist nicht die
eigentliche Ordnung des Weltwissens. Das weiß einjeder, der auch anderer
Sprachen mächtig ist. Sie ist eine mediale Ordnung der Dinge. Eine Taxonomie
eines Sprachraums, in dem "Medien", "Medium" und "Media" unter dem
Buchstaben "M" katalogisiert sind. Vielleicht sollte man wie in einer
wissenschaftlichen Abhandlung mit dieser Ordnung berechen und methodisch
richtig diese Begriffe an den Anfang stellen.

Erst dann vielleicht leuchtet einem ein, dass die von Dir festgestellte
Kanibalisierung eher einer überkommenen Denktradition oder einer
Zuhandenheit der theoretischen Diskurse entspringt, die sich im
Heideggerischen Sinne im Wandel (Fluxus) befindet und ihre Effekte zeitigt.

Auch daher kann es nicht völlig sinnlos sein, sein praktisches Agieren in
Diskussionsrunden, theoretisch zu erden. Ansonsten entbehrt man doch jeder
theoretischen Grundlagen. Eine Auseinandersetzung mit Computer- und
Videospielen in diesem Zusammenhang kann auch nicht schaden...

Ob Computer- und Videospiele hierbei selbst "Medien" sind oder eine Art
medialer Subgattung des Universalmediums Computer spielt im Hinblick auf das
epistemische Potential von Computer- und Computerspieletechnologien keine so
große Rolle. All sie bezeichnen jedoch Durchgangsstadien auf der Basis von
Gedachtem in all ihren Interpretationsmängeln...

Viele Grüße,
Peter

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