[rohrpost] Interview mit Hartmut Winkler zum Thema Geld und Medien [Fwd.]

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Mar 8 14:26:36 CET 2006


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From: ch <ch at upb.de>
To: cantsin at zedat.fu-berlin.de
Subject:  Interview mit Hartmut Winkler zum Thema Geld und Medien


Sehr geehrter Herr Cramer,

vielleicht ist folgendes Interview (anbei als Anhang) für die Mailingliste
interessant. Hoffe, es ist in Ordnung, dass ich es Ihnen zunächst zuschicke.
Ich selbst bin momentan noch kein Listenmitglied.
Das Interview mit Hartmut Winkler habe ich zum Zusammenhang von Geld und Medien
mit ihm geführt. Es wurde allerdings schon (leicht gekürzt) im Schnitt
Filmmagazin veröffentlicht. Die hätten nichts gegen eine weitere
Veröffentlichung, wenn ihre Publikation kurz erwähnt wird.

Ich würde mich freuen, wenn es für die Liste in Frage käme,


mit freundlichen Grüßen aus Paderborn


Christian Hüls

E-Mail:ch at upb.deod. chhuels at aol.com                     





Münzen und Zeichen, Diskursökonomie und Geld

   Christian Hüls trifft Hartmut Winkler im Internet



CH: Du beschäftigst Dich in Deinem neuen Buch Diskursökonomie
mit der "inneren Ökonomie der Medien". Es geht um die
strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Medien und Ökonomie, zwei
auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen Sphären. Medien
werden dabei von ihrer "Verkehrsseite" her gedacht; nicht mehr
Produktion oder Rezeption, sondern nun die Zirkulation der
Zeichen steht im Vordergrund; hierfür dient die
Warenzirkulation als Muster. Gleichzeitig geht es darum,
Unterschiede und Grenzen zwischen Medien und Ökonomie zu
benennen. Ein Kapitel widmest Du dabei dem Geld. Warum?

    HW: Es gibt, denke ich, zwei Bereiche, in denen sich
    Medien und Ökonomie am deutlichsten überschneiden: Zum
    einen werden viele Medienprodukte als Waren gehandelt; wie
    Edelstahltöpfe oder Brötchen treten sie in die
    ökonomischen Kreisläufe ein. Die Zeichen, so könnte man
    sagen, nutzen das System der Ökonomie, um ihre Zirkulation
    zu organisieren, oder aber - auch diese Perspektive ist
    möglich - das ökonomische System dringt in die Sphäre des
    Zeichenverkehrs zunehmend vor. Dies ist der klassische
    Bereich der "Medienökonomie".
    Und der zweite offensichtliche Überschneidungsbereich ist
    das Geld. In seiner Entwicklung vom Gold hin zum Papier-
    und Giralgeld hat das Geld immer deutlicher
    Zeichencharakter bekommen. Es ist selbst nicht wertvoll,
    sondern verweist auf Werte; "immaterialisiert" zirkuliert
    das Geld inzwischen auf den gleichen Leitungen wie Texte,
    Daten und Informationen. Und gleichzeitig handelt es sich
    beim Geld um ganz besondere Zeichen. Texte kann ich auf
    den Fotokopierer legen; brenne ich eine DVD, verstoße ich
    gegen das Copyright. Wenn ich aber Geld drucke, hört für
    den Staatsanwalt der Spaß endgültig auf.

CH: Geld ist allgegenwärtig. Es ist eine Art bedeutungsleerer
"Universalsignifikant", jeder braucht es, (fast) jeder nutzt es
und jeder hätte gern mehr davon. Aber es ist bekanntermaßen
knapp, denn nur etwas, das knapp ist, kann auch "Wert" haben,
so die ökonomische Theorie. Dabei setzt es ganz verschiedene
Dinge äquivalent. Handelt es sich beim Geld also um ein Medium,
wie McLuhan behauptet hat?

    HW: Das sind gleich mehrere Punkte auf einmal. Wert, denke
    ich, hat das Geld nicht, weil es knapp ist, sondern weil
    der Staat und das Funktionssystem der Ökonomie
    garantieren, dass ich es gegen wertvolle Dinge
    zurücktauschen kann. Dass seine Menge begrenzt ist, ist
    Voraussetzung für sein Funktionieren, nicht aber der Grund
    seines "Werts".
    Der zweite Punkt ist spektakulärer: In der Tat setzt das
    Geld die unterschiedlichsten Dinge gleich (oder
    äquivalent); Grundstücke und Arbeit, Cornflakes und
    körperliche Liebe - alles kann im gleichen Code, im
    gleichen Zeichensystem ausgedrückt und quantifizierbar
    gemacht werden. Marx allerdings stellt klar, dass diese
    Gleichsetzung nicht am Geld hängt, sondern bereits auf der
    Stufe des Tauschs Ware gegen Ware gegeben ist. Der Tausch
    ist ein Mechanismus der Abstraktion (dies ist im
    Medienkontext mehr als interessant); und im Geld kommt
    diese Tauschabstraktion nur zu sich selbst.
    Ein Medium also ist das Geld zunächst für den Tausch, an
    den es funktional gebunden ist. Auf einer zweiten Stufe
    kann man fragen, ob Tausch und Geld selbst eine Technik
    gesellschaftlicher Kommunikation sind und damit
    Mediencharakter haben; die Antwort hängt davon ab, auf
    welche Weise ich "Kommunikation" und Medialität definiere;
    Luhmann sagt ja, weil er seinem Gesellschaftsmodell einen
    verallgemeinerten Begriff von Kommunikation zugrunde legt,
    der auch den Warentausch mit umfasst; ich selbst sage
    nein, weil ich die Sphäre des Medialen auf symbolische
    Prozesse einschränke. Der Erwerb einer Jeans fällt für
    mich nicht in den Bereich des Medialen.
    Die dritte Stufe wäre, die Abstraktion des Geldes mit
    denjenigen Abstraktionen zu vergleichen, die für die
    Zeichen und Medien charakteristisch sind. Die Begriffe der
    Sprache, oder Schemata und Stereotypen im Bilderdiskurs
    sind medientypische Abstraktionen; und wenn Sohn-Rethel
    Tausch, Wert und Geld auf den Begriff der Form bringt,
    eröffnet dies die Möglichkeit, einen Begriff der Form
    anzuvisieren, der medienübergreifend das Konzept der
    ästhetischen Form mit den Formalsprachen des Computers,
    und eben mit der Geldform verbindet.

CH: Geld zirkuliert. Oder liegt die Besonderheit des Geldes
gerade in seiner Akkumulierbarkeit, in der Möglichkeit, den
Prozess des "Fließens" aufzuhalten? Wie wäre dies Verhältnis zu
beschreiben und ist hier eine erste Unterscheidung zu den
Zeichen zu sehen, die nicht einfach akkumuliert werden
(können), die auf die "Sinnhaftigkeit" ihrer Anordnung
angewiesen sind?

    HW: Eine wunderbare Frage, die in den Kern meiner
    Leidenschaften führt. Beiden Sphären - Medien und
    Geld/Ökonomie - ist gemeinsam, dass sie jeweils ein
    fluides Element (Zirkulation, Tausch, Austausch, Diskurs,
    Äußerungspraxen) und ein Moment von Stase
    (Akkumulation/Schatzbildung, materielle
    Niederlegung/Einschreibung, Struktur, Code, Technik)
    haben. Beide sind jeweils dialektisch miteinander
    verschränkt. Allerdings auf unterschiedliche Weise;
    Akkumulation/Schatzbildung ist ein sehr schlichtes Modell;
    interessanter ist, dass Geld immer Aufschub bedeutet, und
    das haben zumindest die Poststrukturalisten vom Zeichen
    und seinem "Sinn" auch gesagt.
    Wenn Zeichensysteme eine Niederlegung sind, dann in dem
    Sinne, dass sich im Code die Äußerungspraxen der
    Vergangenheit verdichten. Wichtiger als die schlichte
    quantitative Aufhäufung also wäre, auf welche Weise Akte
    des Tauschs und des Austauschs in Strukturbildung
    umschlagen. Und auch das Geld wirkt strukturbildend; nicht
    im Sinne von "Sinn", sehr wohl aber, insofern sein Fließen
    das Netz ausformt, das scheinbar die Voraussetzung seines
    Fließens ist. Wo es sich sammelt, entstehen Knoten in
    diesem Netz.

CH: Du wendest Dich in Deinem Buch auch gegen Tendenzen in der
Theorie, die materielle Seite der Zeichen (und des Geldes)
auszublenden. Medien und Geld nutzen mittlerweile die gleichen
elektronischen Transportwege, doch das macht sie in ihren
Konsequenzen nicht direkt gleich.

    HW: In der Theorie des Geldes wie der Zeichen gibt es den
    Begriff der "Immaterialisierung", und in beiden Sphären,
    denke ich, wird diese überschätzt. Das Geld kann nur
    gelten, weil es sich an sehr materielle Mechanismen der
    Repression (Banken, Polizei, Gefängnis) zurückbindet. Für
    die Zeichen wäre ein Primat des Signifikanten und der
    materiellen Zeichenprozesse Konsens. Hier ist es fast
    umgekehrt: Die hardware-hardheads innerhalb der
    Medientheorie klammern sich so sehr an die materiellen
    Kanäle und ihre Magie, dass sie nicht einmal in der Lage
    sind, die materiellen Medien-Praxen  mit einzubeziehen.
    Und umgekehrt schwelgt man (oder schwelgte bis vor kurzem)
    in Virtualität und "Simulation".

CH: In dem Kapitel über Geld werden fünf Definitionen des
Geldes genannt. Das erste Kriterium ist das der Performanz.
Inwieweit ist Geld und sind Medien performativ?

    HW: Indem ich auf Austin und sein Konzept von
    Performativität zurückgreife, versuche ich eine
    Begrifflichkeit zu finden, die für Geld/Ökonomie und
    Zeichen/Medien in gleicher Weise funktioniert.
    Performativität meint, dass Äußerungen/Zeichenprozesse
    Wirkungen in der tatsächlichen, 3-dimensionalen Welt
    haben; das Ja-Wort verändert meinen Familienstand, ein
    Schwur, ein Versprechen oder eine Beleidigung werden reale
    Konsequenzen haben.
    Austin nun sagt, dass alle Zeichen eine performative
    Dimension haben, außerhalb dieser Sonderfälle aber ist
    ihre Wirkung immer gefährdet. Die Wirkung
    (Austauschbarkeit) des Geldes dagegen ist sichergestellt;
    deshalb bestimme ich das Geld als ein in extremer Weise
    performatives Zeichen.

CH: Austin beschreibt den Übergang von der einen in die andere
Sphäre als Performanz. Geld verweist auf nichts Spezielles,
seine Funktion besteht in diesem Übergang - darin, Tauschakte
in der Sphäre des Tatsächlichen in Gang zu halten. Bei Medien
dagegen spielt Referenz eine entscheidende Rolle. Verliefe hier
eine mögliche Demarkationslinie zwischen Geld und
Medien/Zeichen?

    HW: Ja, ich denke auch, dass man sich um diese Frage
    wieder kümmern muss. Referenz war als Kategorie lange
    tabuisiert, es galt als zeichentheoretisch naiv, nach der
    Referenz der Zeichen überhaupt zu fragen. Im Licht der
    Performativität aber wird deutlich, dass es zwei
    Mechanismen des Weltbezuges gibt, die miteinander durchaus
    konkurrieren: Performativität funktioniert ähnlich wie
    Handeln: Wer handelt, greift in die tatsächliche Welt ein
    und verändert diese. Ich habe nun vorgeschlagen,
    symbolische Prozesse als ein Probehandeln zu fassen, das
    von tatsächlichen Konsequenzen weitgehend entkoppelt ist.
    Gemessen an tatsächlichen Handlungen (auch in der
    Ökonomie) also sind symbolische Prozesse immer schwach
    performativ. Referenz scheint mir nur auf dieser Basis
    möglich zu sein. Wenn ich zeige, begreife ich vielleicht,
    aber ich greife zunächst nicht ein. Hier liegt das
    spezifisch reflexive, oder eben referentielle Moment der
    Medien. Dem Geld, hier würde ich dir Recht geben, fehlt
    diese Dimension.

CH: Die zweite Definition bezieht sich auf die
Traditionsbildung. Die angesprochene Akkumulierbarkeit spielt
hier eine Rolle, sowie die Eigenschaft des Geldes, bei Bedarf
und auf Abruf performativ werden zu können. Logiken des
Aufschubs und der Traditionsbildung sind auch für Medien
charakteristisch. Wie wäre der Zusammenhang zu sehen?

    HW: Wir haben in dieses Problem ja schon etwas
    hineindiskutiert. Das Geld verkettet jeweils zwei
    Tauschakte (Ware gegen Geld und Geld gegen Ware) und damit
    die Vergangenheit mit der Zukunft. Die Schatzbildung, auch
    das hast Du schon angesprochen, ist eine Speicherfunktion.
    Und wenn Marx das "Kapital" schreibt, dann um zu zeigen,
    auf welche Weise aufgehäufter Reichtum die Macht hat, die
    gesellschaftliche Struktur und ihre Zukunft zu
    determinieren.
    Darüberhinaus aber erscheint mir wichtig - und dies ist
    eine zweite, völlig anders geartete Dimension der
    Traditionsbildung -, dass man dem Geld nicht ansieht,
    woher es stammt.

CH: Exakt das ist ja gemeint, wenn man sagt: Geld stinkt nicht.
Man sieht ihm seine Herkunft nicht an, ebenso wenig, gegen was
es zuletzt getauscht wurde. Im Buch beschreibst Du dies als
einen Mechanismus der Kontextentbindung; ein großes Potential
des Geldes, das es auf einer funktionalen Ebene mit anderen
Zeichensystemen teilt.

    HW: Ich denke in der Tat dass es für das Zeichen
    kennzeichnend ist, dass es seinen Kontext wechseln und in
    die unterschiedlichsten Kontexte eintreten kann. Dies
    hätte es mit dem Geld (und übrigens der Ware) gemeinsam.
    Die Besonderheit des Geldes ist, dass es diese
    Kontextentbindung radikalisiert: Auf spezifische Weise
    entsemantisiert schüttelt es den Kontext, aus dem es
    stammt, viel radikaler ab als das Zeichen. Das Zeichen hat
    "Bedeutung"; und seine Bedeutung ergibt sich aus seinen
    Verwendungen in der Vergangenheit. Das Zeichen ist eine
    Art verdichtetes Protokoll dieser Verwendungen; es hat, so
    könnte man sagen, ein Gedächtnis. Dies ist im Fall des
    Geldes anders.

CH: Deine nächste Definition beschäftigt sich
interessanterweise mit Schuld. Sie kann eigentlich nur mit der
schon beschriebenen Performanz zusammenhängen, die Medien nicht
im gleichen Maße besitzen, oder?

    HW: Bolz, den ich ansonsten weniger schätze, hat den
    schönen Satz geschrieben, die säkularisierte Moderne
    stelle mit der Abkehr von der Religion und dem Übergang
    zum Geld - von Schuld auf Schulden um. Geld ist immer
    Schuld, einfach weil der zweite Tauschakt noch aussteht.
    Und noch allgemeiner und auf eine ernstere Weise sind Geld
    und Schuld miteinander verschränkt: wenn ich kein oder
    wenig Geld habe, bekomme ich es mit denjenigen zu tun, die
    es haben.
    Schuld und Geld sind ein Klebstoff, der die Gesellschaft
    zusammenhält. Habe ich Schulden, spreche ich von
    "Verbindlichkeiten"; mein Handeln für die Zukunft ist
    vorbestimmt; ich werde brav sein und bezahlen. Performativ
    ist Geld gerade dort, wo es fehlt.

CH: Die "ursprüngliche Akkumulation des Kapitals" findet laut
Marx seit der Kolonialisierung statt, einer frühen Phase der
"Globalisierung". Nicht nur Kapital, auch (schwere körperliche)
Arbeit wandert um den Globus und lässt die westliche Welt als
eine  "Informationsgesellschaft" zurück. Die Ursprünge eines
asymmetrischen Tauschssystems, bei dem gleiche Arbeit nicht
überall auch gleich entlohnt wird, zeugen von der Macht des
Geldes, genauer: von der "zeitlichen" Macht akkumulierten
Geldes. Ähnliche Ungleichheiten beobachtet man bei der globalen
Ausbreitung der Kommunikationsnetze. Inwieweit ist Geld für
diese Ungleichheiten verantwortlich oder verewigt sie?

    HW: Ja, das Geld scheint den Globus wesentlich müheloser
    zu umrunden als jedes andere Zeichensystem; es penetriert
    alle Grenzen, und die Globalisierung ist zu allererst
    ökonomische Globalisierung. Auch insofern ist McLuhans
    These vom global village falsch; die globale Ungleichheit
    spiegelt weniger globale "Kommunikation" als sehr wirksame
    Wahrnehmungsbarrieren.

CH: Nun streitet man sich häufig über Geld, aber weniger
darüber, dass Dinge überhaupt einen Preis haben. Geld scheint
eine Art "Schmiermittel" zu sein, um die ökonomische und
gesellschaftliche Maschine in Gang zu halten. Macht Geld also
sprachlos, indem es "Referenz" durch "Preise" (der 3-
dimensionalen Waren) ersetzt?

    HW: Auch diese These wird vertreten; und tatsächlich
    spricht einiges für sie. Allerdings würde ich den Bogen
    gern etwas weiter schlagen, denn es scheint verschiedene
    Mechanismen zu geben, uns sprachlos zu machen, will sagen:
    Dinge von der Ebene luzider Diskursivität (und
    Verhandelbarkeit) zu entfernen und in Medien
    einzuschreiben, die Reflexion und Verhandlung auf
    spezifische Weise abweisen.
    Mindestens ebenso wirksam wie die Übersetzung in Geld ist
    die Einschreibung in Technik. Auch in die Technik hinein
    "vergessen" wir Inhalte; in der Technik schreiben wir
    Strukturen, Wertsetzungen, Entwicklungsrichtungen fest,
    die aus der Technik kaum noch herauszulesen, geschweige
    wieder zu verflüssigen sind. Und an dieser Stelle wird das
    strukturelle Bündnis wichtig, das das Geld (als Kapital)
    mit der Technik eingeht.

CH: Eine These Deines Buches ist, dass es bei Geld und Ökonomie
u.a. um die Wünsche und das Begehren geht. Begehren und
Tatsächliches stehen sich ja eigentlich gegenüber, und nun
ändert das Geld den Bezug zwischen den beiden. Inwiefern?

    HW: Wünsche sind dem Tatsächlichen tatsächlich
    entgegengesetzt - ich kann mir nur das wünschen, was nicht
    der Fall ist. Das Tückische nun ist, dass Geld und
    Ökonomie die Wünsche aufs Tatsächliche, auf tatsächlich-
    warenförmig-kaufbar Vorhandenes zurückorientieren. Auf
    diesen Punkt haben Negt/Kluge mit Nachdruck aufmerksam
    gemacht. Die Wünsche sind ein Potential, eine
    gesellschaftliche Ressource; sie enthalten die Möglichkeit
    für Veränderung in sehr viele verschiedene Richtungen.
    Wenn die Gesellschaft es schafft, dass wir uns nur noch
    solche Wünsche vorstellen können, oder nur noch solche
    Wünsche für akzeptabel halten, auf die der
    Konsumgütermarkt - Geiz ist geil - eine Antwort hat, so
    ist dies eine Recodierung der Wünsche selbst, und gemessen
    an den Möglichkeiten (zumindest der Wünsche) eine
    drastische Reduzierung. Das gesellschaftsverändernde
    Potential, das in den Wünschen steckt, geht verloren.
    Auch dies ist ein Grund, die Medien und das Symbolische
    über ihren Abstand zum Tatsächlichen zu bestimmen. Das
    Mediale hat ein besonderes Potential im Fiktiven; nicht wo
    es Tatsächliches "widerspiegelt", sondern dort wo es
    Möglichkeitsräume eröffnet. Als eine Sphäre des
    Probehandelns erlauben die Medien reversible Operationen.
    Eine Reload-Taste gibt es im Spiel, in der ökonomischen
    Realität gibt es sie, so wünschenswert sie auch dort
    vielleicht wäre, nicht.

CH: Letztlich sind also symbolische Sphäre und die Sphäre des
Geldes durch die unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer
Reversibilität von einander getrennt. Ist es also die soziale
Verwobenheit, die den Mediencharakter des Geldes ausmacht?

    HW: Wie gesagt: dass Medien und Geld/Ökonomie jeweils
    Netze ausbilden, auf denen Tausch und Austausch laufen und
    die Gesellschaft konstituieren, ist die strukturelle
    Gemeinsamkeit. Und jenseits dessen beginnen die
    Differenzen. Die Herrschaft des Geldes und die
    Ökonomisierung nicht zuletzt der Mediensphäre zwingt dazu,
    das Spezifische des Medialen und des Symbolischen neu zu
    fassen. Und mein Vorschlag eben ist, das Geld dem Handeln
    und die Medien dem Probehandeln zuzuordnen.



                             Hartmut Winkler: Diskursökonomie.
                             Versuch über die innere Ökonomie
                             der Medien.
                             Frankfurt: Suhrkamp 2004, 11,- €.
                             Der Volltext des Buches steht
                             auch im Netz:
                             www.uni-paderborn.de/~winkler

    Das Interview wurde leicht gekürzt zuerst veröffentlicht
    in: Schnitt. Das Filmmagazin, Heft Nr. 41/01.2006.

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