Re: [rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online

Sophia Nabokov sophia_nabokov at yahoo.de
Son Mar 12 16:25:45 CET 2006


      Liebe Leute,
      einen Begriff über den man vielleicht nachdenken müsste,  wäre Information. Medien haben doch immer irgendwie etwas mit Information zu  tun. Man könnte sagen, dass Medien informiert werden und dabei ist dann auch  völlig gleichgültig, was man dann genau unter einem „Medium“ versteht. Wenn man  nun sagt, dass ein Medien der Kanal ist, dann könnte man sagen, dass er  informiert wird, wenn ein Medium etwas anderes ist, dann wird das dann eben  informiert. 
       
      Es gibt ein Buch, das heißt „Grundbegriffe der  Medientheorie“ und ist von Alexander Roesler und Bernd Stiegler herausgegeben.  Und in diesem Buch da schreibt dann auch sein Freund Stefan Münker (der mit  Roesler die Tagung „Was ist ein Medium? organisiert hat) den Artikel über  Information. Da wird Gregory Bateson zitiert: „’Information ist ein  Unterschied, der einen Unterschied ausmacht“. (Bateson, 1985, p.582).  „Verständlich“, heißt es weiter, „wird dieses Modell von Information als einer  doppelten Differenz, wenn man sich klarmacht, dass nur dasjenige Signal oder  Ereignis als Information gelten kann, das (bezogen auf den Informationsstand  des betreffenden Systems) 1.) anders ist - und 2.) als anders auch  weiterverarbeitet wird. Wäre es nicht anders (und würde sich damit vom  Datenbestand des informationsverarbeitendenen Systems nicht unterscheiden) wäre  ein Signal schlicht redundant: wird es aber in seiner Verschiedenheit dem  Datenbestand hinzugefügt, hat si
 ch
 dieser selbst geändert.“ [p.99]
       
      Also, diese Erklärung finde ich nun nicht so wahnsinnig  überzeugend, denn eine Information betrifft ja immer gerade eine Unsicherheit.  Es ist ja nicht so, dass man weiß, dass beispielsweise ein Lutscher 1 Euro  kostet und man dann nach dem Preis fragt und gesagt bekommt, nee, der kostet 2  Euro, sondern man weiß beispielsweise, dass es die Lutscher für 1 Euro gibt und  Lutscher für 2 Euro und dann fragt man, weil man sich unsicher ist, ob die, die  man vor sich sieht, die für 1 Euro oder die für 2 Euro sind. Oder man fragt,  weil man gar nicht weiß, was sie kosten. 
       
      Es ist ja nicht so, dass Informationsfluss immer mit dem  Aufheben eines Irrtums zu tun hat, sondern mit der Beseitigung von  Unsicherheit. Auch Ashby verstand Information als 'that which removes  uncertainty' oder so ähnlich. Das Maß der Information, entspricht der Menge der  Unsicherheit von der ein empfangendes System dann befreit wird: Frau sieht  etwas und denk sich, ist das eine Katze oder eine Ratte und dann huscht was an  einem beleuchteten Kellerfenster vorbei und dann ist frau über hygienische  Zustände im zweiten Hinterhof, Paul-Linke-Ufer 25a INFORMIERT. - Da kann man  auch schon sehen, dass Information auf unterschiedlichen Ebenen etwas  Unterschiedliches bedeutet. Die erste Information beseitigt die Unsichheit über  das Tier und die zweite Information, die davon dann abgeleitet wird, betrifft  die Unsicherheit über die hygenischen Verhältnisse an einem bestimmten Ort.  Informationen sind also irgendwie übereinander strukturiert.
       
      In jedem Fall aber hat Information mit Unterscheidung zu  tun, die auch eine Bezeichnung ist (also eher discrimination oder distinction),  also nicht nur unterscheidet, sondern eben eine Seite der Unterscheidung wählt  bzw. nachvollzieht und dann wird diese Unterscheidung zur Information, wenn sie  eine Relevanz für ein System und in einem Kontext hat.
       
      Nun könnte man den Unterschied, der einen Unterschied macht,  als eine doppeltgemoppelte Selektion verstehen, also einmal, ob etwas  unterschieden wird, beispielsweise ein Mann von einer Frau und dann bezeichnet  wird (also, ob es nun ein Mann oder eine Frau IST) und dann, ob dieser  Unterschied einen Unterschied macht; tatsächlich ist es aber genau umgekehrt:  Zunächst liegt ein Interesse vor, also dir steht vor Augen, was ein Unterschied  wäre, der einen Unterschied machen würde, und dann wird die Aufmerksamkeit vom  Interesse auf den  betreffenden  Unterschied gelenkt (der die Unsicherheit spezifiziert) und man will wissen,  welche Seite der Unterscheidung vom Leben oder einem Sender markiert worden  ist. Information ist also eine Selektion bzw. das Nachvollziehen einer  Selektion (eben eine Bezeichnung) einer interessevollen Unterscheidung. Ein  Unterschied, der einen Unterschied macht, ist genau genommen eine mögliche und  interessierende Information, während eine
 Bezeichnung einer Seite der  Unterscheidung, die einen Unterschied macht, eine Information darstellt. 
       
      Wenn es um Wahrnehmung geht, dann ist doch klar, dass wir  immer nur Unterschiede wahrnehmen können; das steht auch bei Bateson in „Geist  und Natur - Eine Notwendige Einheit.“ Aber diese wahrgenommene Unterscheidung  ist auf der Ebene, beispielsweise der Buchstaben, nur dann eine Unterscheidung,  wenn auf diese Weise ein anderer Buchstabe von den übrigen Buchstaben  unterschieden wird. Und dann bauen auf diesem Unterschied - oder besser gesagt  - auf der Bezeichnung von einem Buchstaben, der auf Unterscheidungen zu den  anderen basiert, andere Unterschiede auf, die sich dann auf die Wörter  beziehen, die ja Saussure auch aus ihren Unterschieden konstruiert versteht und  dann kommt es zu Aussagen, die eine Art Sachinformation darstellen (falls  vorhanden) und von der leitet man dann im Kontext einer Kommunikation eine  Mitteilung ab, also dass, was man meint, was einer einem sagen will - so  ähnlich, denke ich mal, könnte man das beschreiben. 
       
      ...aber diese Vorstellung von Herrn Dr. Münker, diese Idee:  eine Information muss „anders“ sein, ist doch etwas merkwürdig.  
       
      Beispiel: 
      Ich sage, dass ich 21 bin: Herr Dr, Münker, ich bin 21. 
      Sagt Herr Dr. Münker: Ja ich dachte du wärest 77 und jetzt  habe ich eine Info
      hääääää??? 
       
      Also entweder fragt mich Herr Dr. Münker: Sophia, wie alt  bist du? (er wird schon seine Gründe haben) und dann kann ich einfach keine  Andersheit produzieren, weil es sich ja auf der einen Seite um eine  Unsicherheit und keine falsche Info handelt.
       
      Oder ich schreibe Herrn Münker eine blöde E-Mail und  schreibe, mein Gott, ich bin 21 und werde bald 22 und ein Grundstudium krieg  ich einfach nicht fertig, weil ich mir den Schwachsinn einfach nicht reinziehen  kann und Herr Dr. Münker sagt: Das interessiert mich nicht und es interessiert  ihn wirklich nicht und dann ist es eben auch kein Information für ihn und  Tschüß. - Aber auch in diesem Falle: von Anderssein keine Spur.
       
      lg,
      Sophia
       
      P.S. 
      Also, was mir noch einfällt: 
      - ein Signal oder ein Ereignis kann nicht „anders“ sein als  ein System oder sein Informationsstand, sondern ein Signal oder ein Ereignis  ist eben etwas anderes als ein System. 
      - „Signal oder Ereignis“ (wie es im Artikel heißt) ist auch  irgendwie eine problematische Bezeichnung. Ein Signal kann man ja unter  Umständen noch mit einem Datenbestand vergleichen aber ein Ereignis? 
      - Dass eine Information nur dann eine Information ist, wenn  sie nicht redundant ist, dass hat Luhmann von Shannon geklaut und auf soziale  Zusammenhänge angewandt...
      - Was ist ein Code? (Wie wollen wir den Begriff benutzen?)
    
  

Till Nikolaus von Heiseler <Till_N_v_Heiseler at web.de> schrieb:  > Till,
> (...) Es geht darum, daß sich Leute egal welcher
> Profession nicht gerne von außen sagen lassen, wie sie ihren Diskurs zu
>führen haben und sich keinen Experimenten anderer ausliefern, zumal,
> wenn sie ihnen nicht als Kollegen bzw. Teil ihrer vertrauen.

Florian,
diese Experimente finden ja längst statt. 

Zu unterscheiden sind 
- Techniken, die auf „Vorschläge aus dem Off“ und Konsens beruhen und 
zu experimentellen Spielregeln führen (unsere Erfahrung ist 
merkwürdigerweise: je mehr Reputation, desto größer die Bereitschaft), 
- Techniken, die auf der Benutzung von bestimmten medialen Kanälen und 
tools basieren,
- Techniken, die eher in der Tradition der Performance und von Harold 
Garfinkel und Knorr-Cetina  stehen, und die die scientific community 
(ein wunderbarer Euphemismus, den ich gern affirmiere) eher ethnologisch 
untersuchen (Artikel über Knorr-Cetinas Forschung am Cern von einem Prof. 
aus Minnesota: Discussion Note: Distributed Cognition in Epistemic Cultures*, 
http://www.tc.umn.edu/~giere/DCEC.pdf). (Wenn ein „teilnehmender 
Beobachter“ teilnimmt, dann versucht er natürlich, die Rituale so gut wie 
möglich zu reproduzieren, aber das Maß, in dem ihm das gelingt und das, 
was er dabei herausfindet, sind erst einmal zweierlei). 

Die ersten beiden Techniken und die dritte sind nicht kombinierbar.

...

Eine derartige Diskussion hat im Kontext einer Medientheorie in dem Sinne 
ihre Berechtigung, als dass eine Medientheorie mit epistemologischen 
Interesse auch nach den Bedingungen ihrer Produktion fragen muss und dazu 
gehören die generalisierten Motive von Wissenschaftlern genauso, wie die 
kulturtechnischen Bedingungen, wissenschaftliche Formate, das Archiv im 
Sinne Foucaults etc. 

Aber vielleicht wäre es trotzdem sinnvoll, zum eigentlich Inhaltlichen - so 
wir auf den Abwegen auch nicht zu schwerwiegenden Erkenntnissen 
gekommen sind - zurückzukehren. Vielleicht könnte man zunächst andere 
Begriffe und Begriffskomplexe als nun gerade den des Mediums behandeln. 

Beispielsweise: 
Was meint Negative Medientheorie? (Mersch)
Medien und Asymmetrierung//mediale Asymmetrierung (Krämer)
Zeitkritisch (Ernst)
Mediales Apriori / Historisches Apriori (Kittler/Foucault)
Web 2.0 (Hierzu werden Stefan Heidenreich und Pit Schultz ein Seminar 
geben => http://www.datenstroeme.de/web2seminar/


Oder welche Begriffe wären zum UMKREISEN des Medienbegriffs geeignet? 

Glück zu allen!
till nikolaus von heiseler


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