[rohrpost] Vom Verfall bedroht: 40 Jahre Videokunst

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Die Mar 21 13:18:34 CET 2006


Am Dienstag, 21. März 2006 um 09:46:16 Uhr (+0100) schrieb tigerkruemel at web.de:

> Bedroht sind unzählige Videofilme aus über 40 Jahren. Um dieses
> herausragende kulturelle Erbe zu retten, müsste es dringend
> digitalisiert werden.  Nur durch baldigen Datentransfer des
> Filmmaterials etwa auf DVDs könne es erhalten bleiben.

Hoffentlich ist es nicht ganz so gemeint, wie es da steht.  60 Minuten
unkompromiertes PAL/NTSC-Video belegen nach
<http://www.avid.com/onlineSupport/supportcontent.asp?contentID=7483> 75
Gigabyte, bei einer verlustfreien Datenkompression vielleicht noch 30
GB.  DVDs bieten in der höchsten spezifizierten Qualitätsstufe eine
Datenrate von 10 Mbit/s, d.h. 4.5 GB/Std bei einer verlustbehafteten
Kompressionsrate von 1:16. Selbst 1:40, das man braucht, um zwei
Stunden Video auf eine einlagige DVD-5 zu packen, liegt noch innerhalb
der DVD-Spezifikation.

Die Qualität reicht dank der Trägheit des Auges gerade für ein passables
Bewegtbild aus. Spätestens im Standbild sieht man die starken
Kompressionsartefakte, wie bei einer schlechten JPEG-Qualität.  Wer
schon einmal Video digital geschnitten hat, weiß auch, daß
MPEG2-Material zu wenig Qualitätsreserven besitzt und nach Betitlung
bzw. Compositing und Recodierung flau wird. DV-Material mit seiner
Kompression von 1:5 ist qualitativ klar überlegen, obwohl z.B. in
Fernsehstudios qualitativ noch bessere, professionelle Systeme wie
Digital Betacam <http://en.wikipedia.org/wiki/Betacam#Digital_Betacam>
eingesetzt werden - wohlgemerkt auch nur für PAL/NTSC-Bildauflösung.

Hinzu kommt, daß DVDs als physische Datenträger keineswegs das perfekte
Archivmedium sind: Probleme mit Verkratzung, Bruch des Innenrings oder
der ganzen Scheibe, Temperatur- und Lichtempfindlichkeit sind
hinreichend bekannt und bei DVD-Rs sogar eklatant. Brenn- oder
Pressqualität bzw. Jitter sind ein weiteres ernstes Problem. Bei
privaten und semiprofessionellen Videoproduktionen gilt es daher als
beste Archivierungsmethode, Schnittfassungen auf DV-Band zurückzuspielen
und so zu lagern.

Man kann daher nur hoffen, daß die Institutionen, die im Artikel genannt
werden, das Problem richtig angehen, ihre Archiv-Master in besserer
Qualität als MPEG2 digitalisieren und die Lagerung der Daten
professionell administrierten Rechenzentren überlassen - am besten mit
denselben Backup-Verfahren, wie sie die Norm etwa für Banken und
Versicherungen sind.

-F

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