[rohrpost] THE THING Hamburg: Art is back in town!

cornelia sollfrank cornelia at snafu.de
Mit Aug 15 11:54:04 CEST 2007


"Art is back in town!"

taz, 15.08.2007

Die Kritik an der immer oberflächlicheren Kulturpolitik der  
Metropolen ist massiv. Trotzdem versteht die Mit-Initiatorin und  
Medienkünstlerin Cornelia Sollfrank die neue Kunst-Internet-Plattform  
The Thing Hamburg nicht als Gegenöffentlichkeit, sondern als offenes  
Forum.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN


taz: Frau Sollfrank, warum haben Sie die Internet-Plattform "The  
Thing Hamburg" mitgegründet?

Cornelia Sollfrank: Zur Vorgeschichte des Projekts gehört die  
Mailingliste [echo], die seit Mai 2003 existiert. Die ist aus dem  
kulturpolitischen Engagement Hamburger KünstlerInnen entstanden, die  
sich gegen den grundlegenden Umschwung in der Kulturpolitik wehren  
wollten. Die Tendenz war und ist: weg von der individuellen  
Künstlerförderung hin zu repräsentativen Großprojekten wie dem  
Schifffahrtsmuseum Peter Tamms oder der Elbphilharmonie in Hamburg.  
Besonders deutlich wird das auch bei "Kunst im öffentlichen Raum",  
die fast nur noch für Stadtentwicklungspolitik und Städtewerbung  
funktionalisiert wird. Fast alle Fördermaßnahmen finden inzwischen  
innerhalb politisch festgelegter Programme statt.

taz: Wogegen die [echo]-Mailingliste protestieren wollte?

Ich verstehe [echo] durchaus als Instrument einer "kultur-politischen  
Opposition (KPO)". Dem Netzwerk gehören mittlerweile über 560  
Hamburger KulturproduzentInnen an. Inzwischen hat sich die  
Mailingliste zum zentralen Informationsorgan der Hamburger Kunstszene  
entwickelt. Im vorigen Jahr wurde klar, dass es Zeit war für einen  
neuen Entwicklungsschritt. Zusammen mit Ulrich Mattes, dem Betreiber  
von kunstecho-hamburg.de, einem selbst organisierten  
Veranstaltungskalender der Kunstszene, entstand die Idee, eine  
Internet-Plattform zu bauen. In der Planungsphase kam mir in den  
Sinn, dass es bereits seit langem ein ähnliches Projekt gibt: das von  
Wolfgang Staehle 1992 in New York gegründete "The Thing." Im Zentrum  
steht ein von KünstlerInnen initiiertes und im Internet  
stattfindendes Schreiben über Kunst.

taz: Wie sieht die Plattform The Thing Hamburg konkret aus?

Es gibt zwei verschiedene Bereiche. Der eine wird redaktionell  
betreut, der andere ist ein offenes Forum. Wir haben uns für diese  
Form entschieden, weil wir einerseits durch die Arbeit der Redaktion  
eine gewisse Qualität sicherstellen wollen. Andererseits muss es eine  
Plattform sein, auf der sich jeder äußern kann. Diese beiden  
gleichberechtigten Bereiche sind im Übrigen untereinander  
durchlässig: AutorInnen und Redaktionsmitglieder schreiben auch im  
Forum. Und Diskutanten des Forums können Text- und Themenvorschläge  
in die Redaktion geben, wo sie besprochen werden. Erscheinen die  
Beiträge im redaktionellen Teil, werden sie auch honoriert.

taz: Wie ist der redaktionelle Teil aufgebaut?

Um das Feld, in dem wir uns bewegen, zu strukturieren, haben wir vier  
Themen festgelegt: "Selbstorganisation + Existenz" und  
"Öffentlichkeiten + Kunst" sind bereits mit zahlreichen Beiträgen  
online. Dazu wird im Herbst "Kunst + Eigentum" kommen. Später soll es  
zusätzlich "Kunstbegriffe / KünstlerInnenbilder" geben. Diese Themen  
werden fortlaufend mit neuen Texten und Bildbeiträgen bestückt.  
Zusätzlich schieben wir Sonderthemen dazwischen. So wird ungefähr  
Mitte August erscheinen: "Bildet Ketten: G 8 und d 12". Das bezieht  
sich auf die beiden Großereignisse dieses Sommers: den Gipfel in  
Heiligendamm und die "documenta". Zusätzlich zu den Themen gibt es  
aktuelle Beiträge mit Besprechungen von Ausstellungen,  
Veranstaltungen und Publikationen.

taz: Inwiefern reicht "The Thing Hamburg" über das bestehende mediale  
Angebot hinaus?

Einerseits durch das, worüber wir schreiben, andererseits und durch  
die Art, wie geschrieben wird. Beides ist freier, experimenteller und  
meist auch anspruchsvoller als herkömmlicher Journalismus. Und wenn  
man regelmäßig die Berichterstattung über Kunst liest, stellt man  
fest, dass die Kunstkritik ziemlich heruntergekommen ist. Sie ist  
genauso mainstreamisiert und banalisiert wie der Kunstbetrieb selbst.  
So ist es nur naheliegend, dass Künstler das selbst in die Hand nehmen.

taz: Wobei Künstler ja schon immer miteinander diskutiert haben. Das  
Sprechen über Kunst ist also nicht prinzipiell neu.

Sicher. Aber es geht bei The Thing nicht um Stammtischplaudereien,  
sondern um eine diskursive Ebene, die die künstlerische Praxis nicht  
nur begleitet, sondern Teil davon ist. Und The Thing realisiert damit  
auch einen Kunstbegriff, der sich vom derzeitigen Mainstream  
unterscheidet.

taz: Wie wird The Thing organisiert und finanziert?

Nach einem längeren Diskussionsprozess haben zehn Personen einen  
gemeinnützigen Verein gegründet. Die Mitglieder sind für Redaktion,  
Kommunikation und Technik zuständig. Zusätzlich erhält der Verein  
eine dreijährige Projektförderung der Hamburger Kulturbehörde.

taz: Wie kann man sich an The Thing Hamburg beteiligen?

Auf der Website gibt es den Button "Do The Thing". Dort kann man  
nachlesen, welche Möglichkeiten der Beteiligung es gibt. Die  
einfachste ist: Man loggt sich im Forum ein und kann sofort  
schreiben. Was hier geschrieben wird, geht direkt online. Dies ist  
gedacht für schnelle Reaktionen, Kommentare, Statements, kurze Reviews.

taz: Für das Forum gibt es keine Regeln?

Es gilt die allgemeine Netiquette. Ansonsten haben wir beschlossen,  
es erst einmal offen zu lassen. Nur wenn uns die Nutzer durch  
Missbrauch dazu zwingen, wird es reglementiert.

taz: Der Unterschied zwischen offen und geschlossen?

Geschlossen würde lediglich bedeuten, dass Beiträge vor der  
Veröffentlichung durch die Moderation frei gegeben werden müssen. Zur  
Zeit muss man sich nur registrieren, was aber sehr unkompliziert ist.  
Dann kann man sofort loslegen, auch unter falschem Namen.

taz: Wenn jeder mitmachen kann: Warum haben Sie The Thing Hamburg  
dann bis jetzt nur in Künstlerkreisen beworben?

Wir sind jetzt ein gutes halbes Jahr online und wollten erst einmal  
Erfahrungen sammeln und experimentieren. Jetzt, nach einer  
grundlegenden Überarbeitung der ersten Version, sind wir so weit,  
dass wir an eine größere Öffentlichkeit gehen können.

taz: Trotzdem heißt das Projekt "The Thing Hamburg". Dürfen nur  
Hamburger teilnehmen?

Nein. Wir nennen uns so, weil es auch in anderen Städten "The Thing"- 
Projekte gibt.

taz: Aber ist es nicht absurd, ein - explizit global agierendes -  
Internet-Projekt lokal zu verankern?

Nein. Zehn Jahre internationaler Vernetzungserfahrung haben mich  
gelehrt, dass der Spruch "Think global - act local" durchaus sinnvoll  
ist.

taz: Warum?

Man kann am besten da agieren und sich organisieren, wo man sich gut  
auskennt. Lokale Strukturen sind der Ausgangspunkt allen politischen  
Handelns. Von da aus kann man sich dann vernetzen. Zum Beispiel haben  
norwegische und britische Publikationen über unsere Hamburger Protest- 
Aktion "Tamm Tamm" gegen das geplante Schifffahrtsmuseum Peter Tamms  
bewiesen, dass das funktioniert.

taz: Wobei das Forum von The Thing Hamburg weit lokaler ist als der  
redaktionelle Teil.

Ich wünsche mir, dass wir auch im redaktionellen Teil noch stärker  
auf Hamburger Verhältnisse eingehen.

taz: Wäre das nicht ein Schritt zur Provinzialisierung?

Die Auseinandersetzung mit den lokalen Verhältnissen zeigt, dass in  
Hamburg die gleichen globalen Kräfte wirken wie in anderen Städten.  
Um die geht es.

taz: Versteht sich The Thing also als Gegenöffentlichkeit?

Wir sind und schaffen eine von vielen Öffentlichkeiten.

taz: Wie verortet sich The Thing politisch? Im linken Spektrum?

Auf jeden Fall geht es darum, die ökonomischen und politischen  
Bedingungen von Kunst mitzudenken. Unsere Politik besteht darin,  
einen Raum für Kunst zu öffnen, der nicht Marktgesetzen oder dem  
Geschmack von Sammlern gehorchen muss.

taz: Ist die Redaktion von The Thing Hamburg - neben aller Kritik -  
auch am Dialog mit Politikern interessiert?

Unsere Dialogbereitschaft haben wir im Jahr 2005 bei unserer Aktion  
"TammTamm - Künstler informieren Politiker" bewiesen. Damals haben  
KünstlerInnen Dialoge mit allen Bürgerschaftsabgeordneten geführt.  
Erfahrungsgemäß sind Dialoge mit Politikern aber sinnlos. Wir führen  
sie trotzdem.

taz: Was bedeutet Ihr Logo: Sollen das Zuckerwürfel sein? Stilisierte  
Computer-Tasten?

Hier können unsere User ihrer Phantasie freien Lauf lassen.

The Thing Hamburg: www.thing-hamburg.de
Veranstaltungskalender: www.kunstecho-hamburg.de
Cornelia Sollfrank: http:// artwarez.org