[rohrpost] ars electronica themenkonferenz und radio hinweis

Armin Medosch armin at easynet.co.uk
Mon Aug 27 09:31:15 CEST 2007


Hallo, 

die Ars Electronica wirft ihren Schatten voraus, diese Woche mit einem
Radiokolleg auf ORF Ö1 
http://www.thenextlayer.org/node/2

und der Vorabveröffentlichung des Kuratorenstatements
http://www.thenextlayer.org/GoodbyePrivacy

Dazu auch der folgende Text von Ina Zwerger

Die iGesellschaft - Richard Sennett über das Verhältnis von Privatheit
und Öffentlichkeit.
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Viele Internet-Services beruhen auf der freiwilligen Preisgabe privater
Informationen. Mit Plattformen wie Youtube oder Myspace wird der
Ich-Stream zum Mainstream. Ob iGoogle oder iTunes: in der iGesellschaft
ist das Herzeigen-Wollen oft stärker als die Angst vor dem Verlust der
Privatsphäre. 

Wie das Private die Öffentlichkeit durchdringt, hat der amerikanische
Soziologe Richard Sennett bereits Mitte der 1970er Jahre in seinem Buch
“The Fall of Public Man” beschrieben. In der deutschen Ausgabe lautet
der Titel des renommierten Werks „Verfall und Ende des öffentlichen
Lebens. Die Tyrannei der Intimität.“ Richard Sennett zeichnet darin den
Weg zur intimen Gesellschaft nach, in der das Private immer stärker das
Öffentliche überlagert. 

„Die Rhetorik der Politiker des 18. Jahrhunderts war eher unpersönlich,
es kamen selten Ausdrücke wie ‚Ich glaube’ oder ‚Es ist meine starke
Überzeugung’ vor“, erörtert Richard Sennett den historischen Wandel der
Kommunikationskultur. Die Leidenschaft gehörte der Sache, dem “es” und
nicht dem “ich”. Heute liege die Betonung mehr beim “Ich” als beim “es”.
Das habe in der Politik schreckliche Folgen, so der Professor an der
„London School of Economics“.

Richard Sennett wurde im März dieses Jahres mit dem Hegel-Preis
ausgezeichnet. Der Amerikaner mit Wohnsitz und Professur in London und
New York gilt als einer der wichtigsten Gesellschaftswissenschafter der
Gegenwart. Seine Bücher “Der flexible Mensch" oder "Die Kultur des Neuen
Kapitalismus" sind Bestseller. In seinem frühen Werk über die „Tyrannei
der Intimität" analysiert er die historische Entwicklung der
Öffentlichkeit. Seine These: Öffentliches Handeln ist stets ein Handeln
mit Masken. Wenn diese Masken fehlen, entstehe so etwas wie der “Terror
der Intimität”. Das “sich selbst ausdrücken” ersetze den politischen
Diskurs. 

„Manchmal wenn ich mich durch diese Weblogs klicke, wo Menschen alle
Aspekte ihres intimen Lebens online veröffentlichen, kommt es mir vor,
als würden sie Müll in einen Abfalleimer, in dem Fall in ihren Computer,
tippen“, meint Richard Sennett, der über die Gefahren dieser „Ideologie
der Intimität“ bereits vor mehr als 30 Jahren schrieb, als das Internet
in seiner heutigen Form noch nicht einmal gedacht wurde.

„Die Dinge, die einem wirklich wichtig sind, behandelt man mit mehr
Achtsamkeit. Nicht so wie dieses endlose Berichten aller Details des
alltäglichen Lebens. Es ist ein unermessliches Ödland an Geständnissen
und Offenbarungen, das diese Blogs ausfüllen.“ Die private
Geschwätzigkeit gefährdet das, was bereits Jürgen Habermas eine
„kritische Öffentlichkeit“ nannte. 

Für ihn sei es eine zweischneidige Erfahrung, dass sein Buch ein
Phänomen benannt hat, das im Laufe der Zeit nur noch schlimmer geworden
sei. „Es freut mich natürlich, dass mein Buch so prophetisch ist, aber
meine Prognose macht mich auch sehr traurig.“ Was ihm besser gefalle
sind Chat-Rooms, wo Leute sich gegenseitig Fragen stellen. „Von diesen
gibt es natürlich nicht so viele, wie von jenen, wo man Fotos seines
Hundes oder seiner Fußoperation online stellen kann.“

Richard Sennett ist kein Internetverweigerer. Im Gegenteil. Es selbst
bezeichnet sich als technophil und kennt sogar die feinen Unterschiede
zwischen „Myspace“ und „Facebook“. Der amerikanische Soziologe, der in
den 1970er Jahren den Verfall des öffentlichen Lebens proklamierte,
sieht in den neuen partizipativen Online-Tools sehr wohl auch neue
Chancen. Seine Antwort auf die Frage, ob mit Social Software zur
Selbstveröffentlichung nicht auch ein neues öffentliches Leben entsteht?

Richard Sennett: „Natürlich kann daraus ein neues öffentliches Leben
entstehen. Es ist ja eine großartige Technologie! Doch meist verwenden
wir sie auf eine sehr traditionelle Weise. Wir schaffen mit diesen
elektronischen Möglichkeiten das, was ich als intime Gesellschaft
beschrieben habe.“

Als wegweisendes Beispiel nennt er die Wikipedia-Community, die
einerseits offenen Zugang zur Produktion der Inhalte gewähren und
andrerseits Qualität garantieren will. Das zu bewerkstelligen, sei eine
technische, aber auch eine soziale Herausforderung. „Wenn wir uns damit
in der Praxis beschäftigen, entwickeln wir Formen eines neuen
öffentlichen Lebens.“ 

Text: Ina Zwerger


Hinweis:
Goodbye Privacy Symposium
http://www.aec.at/de/festival2007/program/content_event_projects.asp?iPa...

Sendung in Ö1 Radiokolleg:
http://oe1.orf.at/highlights/107662.html

Hör-Tipp

Unter dem Titel „Die transparente Gesellschaft. Zwischen Offenheit und
Kontrolle“ geht das Radiokolleg auf ORF Ö1 diese Woche der Frage nach,
wie viel Offenheit und wie viel Geheimnis die Informationsgesellschaft
braucht.

27. – 30.8., 9.05 Uhr
Ö1 Live-Stream: http://oe1.orf.at/konsole/live

Von 6.9. bis 7.9 diskutiert die Ars Electronica ein Update der
Privatsphäre unter den neuen Bedingungen von Terrorismus und Web 2.0.

Ars Electronica Festival
http://www.aec.at/de/festival2007/program/content.asp


http://www.thenextlayer.org/GoodbyePrivacy