[rohrpost] Retro-Mediale

Stefan Heidenreich stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Sam Feb 3 09:00:44 CET 2007


Die taz hat mich um meine Ansicht zum Programm der Transmediale gebeten.
Der Text unten weicht der Zeitungs-Ausgabe leicht ab, weil sie dort noch 
ein wenig kürzen mussten.
http://www.taz.de/pt/2007/02/03/a0212.1/text

* * * Retro-Mediale * * *

Zum zwanzigsten Mal findet das Festival statt, das einmal als 
VideoFilmFest gegründet wurde und heute Transmediale heißt. Sein 
Jubiläum begeht es mit drei Protagonisten, deren erste Erfolge in die 
eigene Gründungszeit zurückreichen. Vorgestern sprach Stelarc, gestern 
Arthur Kroker, heute Friedrich Kittler. Nichts gegen die drei 
Vortragenden. Jeder von ihnen hat die Welt um Wissen und Taten bereichert.

Die Einladung an drei verdiente Männer der Mediengeschichte, die 
Hauptreden zu halten, wirft ein Licht auf die Orientierungslosigkeit des 
Programms. Jahr um Jahr wird eine neue hohle Marketingfloskel als Thema 
ausgegeben. 2007 ruft es uns aus der Akademie „Unfinish!“ entgegen. Und? 
Im letzten Jahr hieß es „reality addicts“, davor Basics, FlyUtopia, 
PlayGlobal, GoPublic, Do it yourself. Ein Sammelsurium von Plattheiten, 
austauschbar wie Neujahrsansprachen von Bundeskanzlern, samt und sonders 
Kandidaten für eine Neuausgabe von Flauberts „Wörterbuch der 
Allgemeinplätze“. 2005 wurde das Festival zum kulturellen Leuchtturm 
ausgerufen und erfreut sich seither einer substanziellen Förderung der 
Bundeskulturstiftung. Große kulturelle Energieschübe gehen davon 
freilich nicht aus. Wirklich gut gelungen scheint einzig und allein die 
feste Verankerung im kulturbürokratischen Subventionsbetrieb der 
Republik. Nicht dass nicht hin und wieder ein großartiger Vortrag zu 
hören oder ein gelungenes Kunstwerk zu sehen wäre, aber im Großen und 
Ganzen schleppt sich die Veranstaltung uninspiriert von Jahr zu Jahr.

Den Grund der Probleme vor Ort zu suchen, greift zu kurz. Denn das 
Festival ist in zwei Fallen getappt, für die weder Organisatoren, noch 
Künstler, noch Vortragende eine Schuld trifft. Die ein Falle betrifft 
die Medienkunst, die andere die Medientheorie.

Die Falle der Medienkunst liegt darin, kulturelle Produktivität in 
unproduktive Bahnen zu lenken. Die Falle der Medientheorie besteht 
darin, zu Gegenwart und Zukunft der Medien nichts oder noch das Falsche 
zu sagen.

Zuerst zum Fall der Theorie. Simulation, Virtualität, Hyperrealität 
lauteten die Leitbegriffe der Neunziger Jahre, als französische 
Philosophie sich glücklich mit dem neuen Begriff Medium vereinigte. 
Fixiert auf Rechenleistungen, Maschinenästhetik und die Überbietung der 
Sinne, nahm kaum jemand wahr, was sich als kulturell folgenreichste 
Entwicklung des Jahrzehnts erweisen sollte. Das Wordwide Web wuchs im 
blinden Fleck der Medientheorie. An Wissen haben die 
Medienwissenschaften seither wohl einiges ausgegraben, aber wenig, was 
sich in Handeln übersetzen ließe. Das mag für Universitätskarrieren 
ausreichen, aber im Rest der Welt hilft es nicht weit. Eine 
zukunftsstiftende Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaften der Kultur 
und der Computer ist ausgeblieben. Diesen Umstand illustriert die 
Tatsache, dass die erfolgreichen Unternehmen im Netz kaum aus 
Deutschland oder Europa stammen. Einzig die Kommunikation zwischen 
Betriebswirtschaft und Informatik ist so gut gelungen, dass daraus eine 
SAP werden konnte. Auch wenn der Erfolg am Kapitalmarkt nur von 
eingeschränkter Aussagekraft ist, so kann man doch zur Lage eines 
festhalten: wer an der Zukunft der Kultur in Netzen und Datenströmen 
mitarbeiten will, hat von heimischer Medientheorie derzeit nicht viel zu 
hoffen und wandert tunlichst aus, nach Amerika, China, Indien oder 
Nigeria (Die Empfehlung für das letzte Ziel verdanke ich Geert Lovink.)

Nun zur Falle der Medienkunst. Sie liegt im Begriff und im Betrieb der 
Kunst. Wer Kunst macht, liefert sich einem seltsamen 
Gratifikationsmodell aus. Wohl gelitten sind Werke, die irritieren, 
verstören, sich dem gewöhnlichen Blick verweigern, Technologien und 
Formate reflektieren und brechen. Dabei sind viele schöne, obskure und 
großartige Arbeiten entstanden. Nur leider kaum etwas, das auf die 
Entwicklung der medialen Kultur im Großen und Ganzen einen sonderlichen 
Einfluss gehabt hätte. Anstatt die Arbeit am Medium zu etwas zu nutzen, 
an dem sich viele Leute beteiligen und das vielen Beteiligten nutzt, 
richtet sich Kunst, zumal wenn sie wie Medien- und Netzkunst keinen 
Markt findet, am Ende an andere Adressaten: an staatliche Institutionen 
und Behörden oder an Stiftungen, die den Betrieb subventionieren. So 
verliert sich der größte Teil der Kreativität in einer kulturellen 
Sackgasse.

Die Entwicklungen der digitalen Kultur greifen Medienkunst oder 
Medientheorie im Normalfall verspätet auf. Kaum je gelingt es, einen 
Schritt vorauszuahnen, geschweige denn mitzugestalten. Das kalifornische 
Modell einer Kooperation von Computerkultur, Universitäten und 
Investoren hat sich demgegenüber als ungleich kreativer und kulturell 
wirkungsvoller herausgestellt.

Den Machern der Transmediale scheint die konzeptuelle Schwäche nicht 
ganz verborgen geblieben zu sein. Für dieses Jahr wurde der Name der 
Veranstaltung wieder einmal leicht abgewandelt. Es heißt nun nicht mehr 
„international media art festival“ sondern „festival for art and digital 
culture“. Ach, wenn kosmetischen Eingriffen dieser Art nur Taten folgen 
würden. Ein halbes Jahrzehnt nachdem Weblogs zum Mainstream geworden 
sind, stellt ein Panel fest, dass die Blogosphäre nun auch die Kunst 
erreicht habe. Dem Hype der Online-Community Secondlife konnte in den 
letzten Monaten niemand entkommen. Nun konstatiert ein Panel, dass 
Künstler „auch hier die Welt gegen den Strich bürsten wollen.“ Ja danke, 
darauf haben wir gewartet..

Warum lädt man nicht jemanden ein, der populäre digitale Kultur 
miterfindet? Und seien es die in Berlin lebenden Gründer von StudiVZ, 
einer erfolgreichen Imitation des amerikanischen Facebook. Oder Felix 
Petersen von Plazes, ebenfalls in Berlin.Warum gibt die Website der 
Transmediale nicht den Hauch eines Hinweises drauf, was im Netz auf 
Youtube, Flickr, bei Digg oder bei Technorati über das Festival 
berichtet wird? Warum riskiert man nicht einen Blick nach vorne?

Der Wechsel der Leitung könnte eine gute Gelegenheit sein, das Festival 
mit einer programmatischen Neuausrichtung wieder zu beleben. So 
unterschiedliche Konferenzen wie das jährliche Treffen des Chaos 
Computer Clubs, die Serie der Barcamp-Unconferences, der Digital 
Lifestyle Day in München oder Reboot in Kopenhagen zeigen, was sich zur 
Gegenwart und Zukunft der digitalen Kultur sagen lässt. So stellte sich 
etwa beim Digital Lifestyle Day vor zwei Wochen eine überraschende 
gemeinsame Ansicht heraus. Die Mehrzahl der Beteiligten geht davon aus, 
dass das Netz zerfallen wird, in Module, gerätespezifische Oberflächen 
und situationsbezogene Anwendungen. Hoffentlich dauert es nicht wieder 
Jahre, bis dieser Aspekt der digitalen Kultur im Rückspiegel von 
Medienkunst- und theorie die Transmediale erreicht.