[rohrpost] So. 10.6. 20 Uhr: Cul de sac + The Bridge
sebastian at rolux.org
sebastian at rolux.org
Fre Jun 8 13:36:20 CEST 2007
On Jun 7, 2007, at 23:05, cornelia sollfrank wrote:
> liebes pirate cinema,
>
> die bilder sind echt süß! danke dafür!
>
> und euren einschätzungen stimme ich weitgehend zu,
> umso weniger verstehe ich, warum ihr überhaupt dort wart...
> welche überlegungen verlassten das pirate cinema dazu, sich mit
> rostock, heiligendamm, g8 und dem kunstevent, von dem ihr euch
> schon an anderer stelle distanziert habt, in verbindung zu bringen?
>
> c.
hallo cornelia,
ganz kurz gesagt: freundschaften.
also mit ein paar leuten, die ich nicht jeden tag sehe,
mich dort fuer ein paar tage unterhalten zu koennen.
geld wurde keins verdient, ausser von dem hotel, dass
mir bezahlt wurde. zugfahrt aus eigener tasche, hin
erster klasse fuer null euro, zurueck zweiter klasse
fuer sechzig. grundsaetzlich hast du natuerlich recht:
dass man auf dem ast, an dem man saegt, nicht allzu
lange herumsitzen sollte.
all the best, sebastian
> Am 07.06.2007 um 21:27 schrieb pirate cinema berlin:
>
>> Wir bedanken uns für die zahlreichen Nachrichten, die uns in
>> Rostock erreichten.
>> Zurück in Berlin, passenderweise via Bad Kleinen, bleibt
>> nachzureichen, dass,
>> während in Rostock 100 mal dasselbe Auto brannte, 400 mal derselbe
>> Polizist sich
>> am eigenen Tränengas verletzte und 200.000 mal derselbe Rostocker
>> Bürger vor den
>> "Scherben seiner Existenz", im Grunde ein sehr schönes und völlig
>> zutreffendes
>> Bild für den Alltag dort, stand, in Delhi bei Strassenschlachten
>> mit der Polizei
>> mindestens 25 Menschen ums Leben gekommen sind, und der
>> eigentliche und einzige
>> Grundkonsens, der die jugendliche Euphorie der Gipfel-Camper, die
>> kompromisslose
>> Professionalität der Greenpeace-Aktivisten und den debilen Hochmut
>> von Herbert
>> Grönemeyer befeuert, darin besteht, dass keine und keiner dieser
>> 25 es verdient
>> hat, dass es von ihr oder ihm auch ein Bild gibt. "Der G8" ist ein
>> gigantisches
>> Ablenkungsmanöver zur Aufrechterhaltung durch Bilder wie durch
>> deren Abwesenheit
>> vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Personen.
>>
>> Den klügsten Text über Heiligendamm, also über Globalisierung,
>> Umweltzerstörung,
>> Klimawandel, Abgashandel, Öko-Reformismus, NGO-Bürokratismus und
>> die missliche
>> Lage von Staatschefs und Wissenschaftlern, die bei der
>> Beschleunigung von
>> kapitalistischer Warenproduktion und technischem Fortschritt an
>> eine planetare
>> Grenze stossen, hat, und zwar schon vor 36 Jahren, Guy Debord
>> geschrieben <1>;
>> das schönste Bild von Heiligendamm, das bisher einzige, auf dem
>> Tote zu sehen
>> sind, insgesamt vier, immerhin, deren legitimer Anspruch auf
>> Abbildung eingelöst
>> wird, hat, aus Spiegel Online <2> und Monet <3>, Peter Grabher
>> hergestellt <4>.
>> Ansonsten gibt es für uns "vom G8" eigentlich nicht mehr viel zu
>> berichten.
>>
>> <1> http://piratecinema.org/textz/guy_debord_the_sick_planet.html
>> <2> http://piratecinema.org/images/spiegel.jpg
>> <3> http://piratecinema.org/images/monet.jpg
>> <4> http://piratecinema.org/images/
>> les_coquelicots_de_heiligendamm.jpg
>>
>> ---------------------------------------------------------------------
>> -----------
>>
>> Sunday,
>> June 10, 8 pm
>> Pirate
>> Cinema Berlin
>>
>> Tucholskystr 6, 2nd floor
>>
>> 8.30
>> pm: Cul de sac
>>
>> Garrett Scott, 2002
>>
>> 57 min, 699 MB
>>
>> 9.30
>> pm: The Bridge
>>
>> Eric Steel, 2006
>>
>> 91 min, 703 MB
>>
>>
>> Free entry
>> C
>> heap drinks
>> C
>> opies to go
>>
>> ---------------------------------------------------------------------
>> -----------
>>
>> "In May of 1995, Shawn Nelson, a 35 year old plumber from a suburb
>> of San Diego,
>> California, emerged from a mineshaft he had constructed in his
>> backyard. After
>> months spent mining for gold behind his Clairemont home, Nelson,
>> an Army
>> veteran, drove a mile down the road to a nearby National Guard
>> Armory and stole
>> a 60 ton tank. For nearly half an hour, Shawn Nelson continued
>> unhindered down
>> surface streets and freeways until he was finally stopped [and
>> killed, A.d.P.C.]
>> by police. No one else was hurt."
>>
>> -- Opening titles
>> of "Cul de sac"
>>
>> "So... I got there, stood there for like 40 minutes on that spot,
>> just crying my
>> eyes out. Joggers, bikers, runners, tourists, whatever, running
>> by, walking by,
>> looking at me, didn't say anything. It's not their problem, but...
>> anyway. And
>> this woman, she came up to me, she said, in a German accent: Will
>> you take my
>> picture? And I was like: Your picture? Well, I'm gonna kill
>> myself, what's wrong
>> with you? Can't you see the tears pouring out of my face? But she
>> couldn't, she
>> was on her own hype. So I took her camera, took her picture, said:
>> Miss, have a
>> nice day... turned back to the traffic, turned back to the bay,
>> said: Fuck it,
>> nobody cares... and I hurdled over the bridge."
>>
>> -- Kevin Hines, Golden Gate Bridge jumper (and survivor),
>> in "The Bridge"
>>
>> ---------------------------------------------------------------------
>> -----------
>>
>> Im Süden oder Westen ist es natürlich auch nicht besser. Zumindest
>> nicht in
>> Kalifornien, in San Diego und in San Francisco, wo "Cul de Sac"
>> und "The Bridge"
>> spielen, die zusammen zu zeigen uns zunächst einmal der Titel
>> wegen, Sackgasse
>> und Goldenes Tor, in beiden Fällen Dead End, in den Sinn kam, die
>> aber auch aus
>> anderen Gründen, vielleicht vor allem als zwei selbst ziemlich
>> prekäre Filme
>> über aussichtslos prekäre Verhältnisse, zusammenpassen.
>>
>> Garrett Scott erzählt die Geschichte von Shawn Nelson, dem, für
>> die letzten 23
>> Minuten seines Lebens, Panzer-Amokfahrer von San Diego, spricht
>> mit dem
>> zahnlosen Bruder, den White Trash und Latino Trash Freunden, den
>> sprachlosen
>> Anwohnern und den ratlosen Cops, und zeichnet dabei ein derart
>> bizarres Panorama
>> völlig plausiblen Wahnsinns - Armut, Drogen, Paranoia, gepaart mit
>> einem
>> Galgenhumor von der luzidesten Sorte - dass man schon nach ein
>> paar Minuten den
>> Eindruck hat, in einer Doku-Fiction, und zwar einer, die selbst
>> die "Trailer
>> Park Boys" noch in den Schatten stellt, gelandet zu sein.
>>
>> Eric Steel hat ein Jahr lang die Golden Gate Bridge, und dabei die
>> meisten der
>> 24 Menschen, die sich in diesem Zeitraum von der Brücke in den Tod
>> gestürzt
>> haben, wozu später Angehörige und Bekannte Stellung nehmen,
>> gefilmt, was auf
>> einigen Filmfestivals für einiges Aufsehen gesorgt hat (wenn auch,
>> nach kurzer
>> Recherche, es so aussieht, als wäre unser Screening eine
>> Deutschlandpremiere),
>> weil das Ergebnis, trotz routinemässiger Anrufe des Filmteams bei
>> der Polizei,
>> sobald jemand länger als üblich am Geländer verweilte, und
>> atemberaubend
>> gutaussehender Bilder von einem genauso weltbekannten wie
>> sagenumwobenen Bauwerk
>> (Kim Novak sprang, da James Stewart nicht schwindelfrei war, nur,
>> genau dort, wo
>> Eric Steel 50 Jahre später seine Kamera aufbauen sollte, von der
>> Uferböschung,
>> und wurde, wie wir wissen, gerettet), eben doch ein Snuff Movie
>> ist, was dem
>> Film durch die Bank als "verstörende" Qualität, Rezensionen bitte
>> selber
>> googlen, attestiert wurde.
>>
>> Am verstörendsten aber, und wenn wir "The Bridge" zuletzt zeigen,
>> dann weil man
>> danach möglicherweise erstmal keinen amerikanischen Dokumentarfilm
>> mehr sehen
>> möchte, ist die fast völlige Abwesenheit irgendeiner Erklärung für
>> die
>> beobachteten Selbstmorde, die über eine Rekonstruktion eines rein
>> persönlichen
>> Schicksals hinausginge. Garrett Scott nennt seinen Film eine
>> "Suburban War
>> Story" und zeigt Shawn Nelsons Amokfahrt als Symptom des
>> Niedergangs der in San
>> Diego einst, im Kalten Krieg wie im Vietnamkrieg, blühenden
>> Militärindustrie;
>> sich vorzustellen, was in der Kommunikationstechnologie-
>> Musterboomtown San
>> Francisco das Problem sein mag, bleibt den Zuschauern überlassen,
>> die sich das,
>> selbst wenn sie es sich vielleicht würden vorstellen können,
>> wahrscheinlich doch
>> lieber nicht würden vorstellen wollen oder gar, wie in diesem
>> Fall, müssen. Die
>> Kritik von durch amerikanische Dokumentarfilme vermittelten
>> gesellschaftlichen
>> Verhältnissen zwischen Personen könnte "The Bridge" um die ja auch
>> ganz oben
>> schon angedeutete Einsicht bereichern, dass noch perverser als das
>> perverseste
>> Bild das Unterschlagen des im Grunde einfachsten sein kann.
>>
>> ---------------------------------------------------------------------
>> -----------
>>
>>
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