[rohrpost] KUNSTMASCHINEN – MASCHINENKUNST
cornelia sollfrank
cornelia at snafu.de
Son Okt 14 10:52:32 CEST 2007
DIE SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT PRÄSENTIERT KUNSTMASCHINEN UND DEREN
„KÜNSTLERISCHE“ ERZEUGNISSE
KUNSTMASCHINEN MASCHINENKUNST
18. OKTOBER 2007 – 27. JANUAR 2008
PRESSEPREVIEW: MITTWOCH, 17. OKTOBER 2007, 11 UHR
Allgemein gehen wir davon aus, dass Künstler Kunst machen – was aber
geschieht, wenn Maschinen Kunst produzieren? Werden aus Künstlern
dann Ingenieure? Was bedeutet der scheinbare Rückzug des Künstlers
aus dem kreativen Akt, und welche Konsequenzen resultieren daraus für
Originalität und Einzigartigkeit des Kunstwerks? Was ist dann
überhaupt das Kunstwerk: die Maschine, das Produkt oder der Akt
seiner Herstellung? Beginnend mit Jean Tinguelys Zeichenmaschinen aus
den 1950er Jahren werden in einer von der Schirn und dem Museum
Tinguely in Basel gemeinsam konzipierten Ausstellung Kunstmaschinen
bis hin zur Gegenwart gezeigt, die eines gemeinsam haben: sie
produzieren ihrerseits Kunst. Maschinen von Künstlern wie Angela
Bulloch, Olafur Eliasson, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon Kessler,
Tim Lewis, Lia, Miltos Manetas, Steven Pippin, Cornelia Sollfrank,
Antoine Zgraggen und Andreas Zybach verwandeln die Kunsthalle in eine
Produktionshalle. Dem maschinellen Produktionsprozess entsprechend
können einige Werke wie Tinguely-Maschinen-Zeichnungen oder durch
Stempel zertifizierte Blätter von Damien Hirst oder Olafur Eilasson
von den Ausstellungsbesuchern mitgenommen werden. Andere, digitale
Werke können von den Besuchern in der Ausstellung und im Internet z.
B. auf den Websites von Lia oder von Miltos Manetas selbst
hergestellt werden.
Die Ausstellung „Kunstmaschinen Maschinenkunst“ wird durch die Škoda
Auto Deutschland GmbH sowie die Art Mentor Foundation Lucerne gefördert.
Max Hollein, Direktor der Schirn: „Das Vertrauen der Menschen in die
maschinelle Tätigkeit, Basis der industriellen Revolution und unseres
Wohlstandes, ist dem künstlerischen Selbstverständnis grundsätzlich
fremd, weshalb sich die Kunst der Maschine zur Herstellung ihrer
selbst nur zögerlich bediente. Die Maschine als Kunstwerk, die
wiederum Kunst produziert, kommt einer Aufgabe der Autonomie des
Künstlers und einer Überantwortung von Kreativität an eine Apparatur
gleich und berührt damit eine Frage, die heute angesichts permanenter
Grenzverschiebungen zwischen Individuum und Technologie hochaktuell
ist.“
Katharina Dohm und Heinz Stahlhut, Kuratoren der Ausstellung: „Geht
man von der allgemeinen Annahme aus, dass Künstler und nicht
Maschinen die Urheber und Schöpfer von Kunstwerken sind, dann könnte
die Diskrepanz zwischen beiden nicht größer sein. Denn während die
Maschine auf Qualitäten wie die Wiederholbarkeit von
Produktionsabläufen hin konzipiert ist, zeichnet sich Kunst nach
traditionellem Verständnis durch ihre Einzigartigkeit aus. Daran
gekoppelt ist die Vorstellung des künstlerischen Individuums als
eines schöpferischen Genius. Diese Vorstellung wird in der aktuellen
Ausstellung mit Ernst und Ironie hinterfragt.“
Eine Maschine als Kunstwerk zu schaffen und dieser die Verantwortung
für die Entwicklung weiterer Kunstwerke zu übertragen ist ein
radikaler Schritt. Es ist die Abgabe von Kreativität an eine
Apparatur. Haben solche Kunstmaschinen dann eine „Seele“? Tatsächlich
entwickeln sie eine eigenständige Kraft und lassen ein Werk
entstehen, das auch für sich alleine besteht – ohne es jedoch je
beenden zu können. Der Maschine und ihrem automatisierten Prozess
fehlen die Entscheidungskraft und die Möglichkeit der Selektion. Es
entstehen maschinell gefertigte Kunstwerke, denen ein Moment der
Endgültigkeit fehlt, die aber nichtsdestotrotz ein fundamentales
Zugeständnis an die Souveränität der Maschine und einen grundlegenden
Glauben an die Möglichkeiten der kreativen Schöpfung jenseits der
individuellen Handlung zum Ausdruck bringen.
Die Ausstellung „Kunstmaschinen Maschinenkunst“ setzt im 20.
Jahrhundert mit dem Werk Jean Tinguelys ein, in dem sich die
Auseinandersetzung mit der Maschine als eigenständigem kreativem
Apparat in originärster Weise manifestiert. Seine „Méta-Matics“, die
erstmals 1959 in Paris ausgestellt wurden und mit denen er
internationales Renommee erwarb, sind motorbetriebene
Zeichenmaschinen, mit denen der Betrachter abstrakte Zeichnungen
herstellen kann. Die Diskrepanz zwischen der Materialität der „Méta-
Matics“ und ihrer Funktion, Kunst zu produzieren, kann durchaus als
ironischer Kommentar auf den damals vorherrschenden Glauben an den
technischen Fortschritt verstanden werden. Zudem zeigt sich darin ein
Reflex auf den Kunstkontext der 1950er Jahre: Die maschinell
erstellten Zeichnungen entsprechen stilistisch der Malerei des
Tachismus und führen so die Vorstellung von gestischer Abstraktion
als unmittelbarem Ausdruck eines künstlerischen Individuums ad
absurdum. Diese Werkgruppe bildet gewissermaßen als historischer
Grundstock die Basis der Ausstellung. Hier knüpft eine Auswahl von
Arbeiten an, die eines gemeinsam haben: Der schöpferische Akt wird
vom Künstler an die Maschine delegiert – ein Vorgang, der in letzter
Konsequenz erst ab dem Ende des 2. Weltkriegs möglich war, als eine
Generation junger Künstler antrat, mit einem der bestgehüteten Tabus
der europäischen Kunst zu brechen: der Idee des Originalkunstwerks.
Die Auswahl spiegelt diesen Vorgang in den verschiedenen
künstlerischen Gattungen wie Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video
wider und endet offen bei der wohl größten „Kunstmaschine“, dem World
Wide Web.
Der Besucher begegnet Maschinen, die wie in Michael Beutlers
Raumskulptur Proper en Droog ihre Produktion schon vor
Ausstellungsbeginn abgeschlossen haben oder die wie Roxy Paines
SCUMAK No. 2 während der gesamten Dauer der Schau produzieren, in
diesem Fall organisch wirkende Skulpturen aus einer Art Knetmasse,
die sich, nachdem sie aus der Maschine herausgedrückt worden ist,
verfestigt. Die Zeichenmaschinen Making Beautiful Drawings von Damien
Hirst und The endless study von Olafur Eliasson erfordern beide das
Mitwirken des Besuchers und hinterfragen das Verhältnis zwischen
Betrachter und Kunstwerk grundsätzlich. Während Eliasson von einem
physikalischen Phänomen ausgeht, interessiert Hirst vielmehr die
Frage nach dem Schöpfer. Malt Andreas Zybachs Tunnelkonstrukt 0–6,5
PS durch die unwillkürliche Beteiligung des Betrachters, beginnt bei
Angela Bullochs Blue Horizon die Maschine erst auf einen äußeren
Impuls hin ihre Zeichentätigkeit, produzieren die beiden von Steven
Pippin in Carbon Copier (Anyway) kombinierten Kopierer ihre
„Zeichnungen“ in delikaten Graustufen, wenn der Benutzer gleichzeitig
beide Knöpfe drückt. Jon Kesslers Videoinstallation Desert
konfrontiert uns hingegen ebenso ohne Unterlass mit
Sonnenuntergängen, wie Tim Lewis’ Auto-Dali Prosthetic am laufenden
Meter signiert. Pawel Althamers Extrusion Machine (Bottle Machine)
stellt blasphemische Plastikflaschen her, Antoine Zgraggens
Zerquetscherin hilft dem Besucher, sich ungeliebter Gegenstände zu
entledigen, Tue Greenforts Mobile Trinkglaswerkstatt wandelt
Glaseinwegflaschen in Trinkgläser um. Mit den Arbeiten von Lia,
Miltos Manetas und Cornelia Sollfrank schließlich kommt die
„Metakunstmaschine“ World Wide Web ins Spiel, mit der man – ähnlich
wie mit Tinguelys Werken in den 1950er Jahren – die Hoffnung auf eine
weitere Demokratisierung des Kunstbetriebs verbindet.
Das Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter wird in
allen Arbeiten thematisiert, ist jedoch nicht immer Ausgangspunkt der
Arbeit. Darüber hinaus erlaubt die Kunstmaschine die Beteiligung des
Publikums und ermöglicht eine massenhafte Kunstproduktion, die
deutlich mit der Aura des unwiederholbaren Kunstwerks bricht. Auch
wenn der Betrachter bei manchen Werken nicht unmittelbar in die
Produktion involviert ist, erhält er Einblick in diese und damit die
Möglichkeit der Reflexion darüber, wo das Kunstwerk beginnt. Nie wird
es dem Künstler jedoch gelingen, endgültig aus dem Werk zu
verschwinden. Die Kunst produzierende Maschine bleibt ein Werkzeug,
solange sie sich in den Parametern des Künstlers bewegt. Erst in dem
Moment, in dem sie eigenständig handelt und auf Situationen autark
reagiert, kann sich die Frage nach der Autorschaft ändern. Die
Kreativität der Kunstmaschine erweist sich erst in dem Moment, in dem
sie unkontrolliert, dem Zufall überlassen schafft. Die Maschine kann
ohne die Anwesenheit des Künstlers produzieren, aber sie kann nie
ohne die Idee des Künstlers existieren.
Eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt und des Museum
Tinguely, Basel. Vom 5. März bis 29. Juni 2008 wird „Kunstmaschinen
Maschinenkunst“ im Museum Tinguely, Basel, gezeigt.
KÜNSTLERLISTE: Pawel Althamer, Michael Beutler, Angela Bulloch,
Olafur Eliasson, Tue Greenfort, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon
Kessler, Tim Lewis, Lia, Miltos Manetas, Roxy Paine, Steven Pippin,
Cornelia Sollfrank, Jean Tinguely, Antoine Zgraggen, Andreas Zybach.
KATALOG: „Kunstmaschinen Maschinenkunst“. Hg. von Katharina Dohm,
Heinz Stahlhut, Max Hollein und Guido Magnaguagno. Mit einem Vorwort
von Max Hollein und Guido Magnaguagno, Texten von Katharina Dohm und
Heinz Stahlhut sowie Justin Hoffmann und ausführlichen
Werkkommentaren. Deutsch-englische Ausgabe, ca. 160 Seiten, ca. 130
farbige und Schwarzweißabbildungen, Festeinband, Kehrer Verlag,
Heidelberg, ISBN 9 783939 583400, 24,– €.
ORT: SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt.
DAUER: 18. Oktober 2007 – 27. Januar 2008. ÖFFNUNGSZEITEN: Di., Fr. –
So. 10–19 Uhr,
Mi. und Do. 10–22 Uhr. INFORMATION: www.schirn.de, E-Mail: welcome at
schirn.de,
Telefon: (+49-69) 29 98 82-0, Fax: (+49-69) 29 98 82-240. EINTRITT:
8 €, ermäßigt 6 €,
Familienticket 16 €, Kombiticket 14 €, ermäßigt 10 €. KURATOREN:
Katharina Dohm (Schirn), Dr. des. Heinz Stahlhut (Museum Tinguely,
Basel). MEDIENPARTNER: Prinz, hr2.
PRESSE: Dorothea Apovnik (Leitung), Gesa Pölert.
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, Telefon:
(+49-69) 29 98 82-118, Fax: (+49-69) 29 98 82-240,
E-Mail: presse at schirn.de, www.schirn.de
(Texte und Bilder zum Download unter PRESSE).