[rohrpost] Grenzflaechen des Meeres

Guenther Friesinger guenther.friesinger at univie.ac.at
Fre Sep 14 07:47:45 CEST 2007


14.-15. September, Barocke Suiten, quartier21/ MQ/ Wien

Im letzten Kapitel von Marshall McLuhans Buch War and Peace in the Global
Village wird unter dem Titel „A Message to the Fish“, die Frage
verhandelt, was wir über Medien überhaupt wissen können, wenn wir davon
ausgehen, dass diese – einmal installiert – eine homogene,
quasi-natürliche Umwelt ausbilden, die den Menschen einschließt und
kybernetisch reguliert. Für den modernen Menschen sind die technischen
Medien ein ebenso natürlicher Lebensraum geworden, wie das Wasser für
Fische. Nicht zufällig mutiert bei McLuhan im nächsten Schritt der Surfer
zum Modellfall des Medientheoretikers: Er kennt die Gesetze des Mediums
soweit er sie kennen muss, operiert aber elegant an der Wasseroberfläche.

Ein zweiter Klassiker der Medientheorie installiert die Meeresoberfläche
ebenfalls als Ort des Wissens über die Medien. Eine treibende
Sardinenbüchse, die in der Sonne blinkt, setzt bei Jacque Lacan eine
Reflexion über den Blick in Gang. Er gelangt zur Behauptung, dass nicht
nur der Beobachter die Sardinenbüchse anblicke, sondern dass diese
zurückblicke. "[E]lle me regarde", heißt es im französischen Original, das
die Doppeldeutigkeit von 'sie sieht mich an'/'sie geht mich etwas an'
beinhält, die in der deutschen Übersetzung ('was ich sehe, sieht mich an')
verlorengeht. Etwas in diesem Bild, kommt einem Verlangen entgegen, das
ich nicht kenne, dessen Effekte ich bemerke, ohne dass es dem Bewusstsein
zugänglich wäre. Unsere Beschäftigung mit Medien und unser Wissen über sie
wird – so könnte man sagen – durch ein Begehren nach Differenzierung und
Aneignung getrieben, das sich der rationalen Beherrschung entzieht.

Wir möchten diesen beiden Gedanken folgen und daraus weitere Fragen zum
Verhältnis von Wissen und Medien ableiten. Die Motivik der
Begrenzungsflächen des Meeres (Wasseroberfläche, Meeresgrund, Küstenlinie,
Horizont) dient dabei als Sondierungsapparat in epistemologischer wie
historischer Hinsicht.

Regieren/Begrenzen

Die Metaphorik des Meeres grundiert eine spezifische Rede über
elektronische Medien, die diese als diffuse, nicht weiter hierarchisch
kontrollierbare „Umwelt“ ihrer Benutzer begreift. Folglich seien die
elektronischen Medien für Intervention und Partizipation offener als
andere Medien. Dies schließt an Deleuze/Guattaris Konzept des Meeres als
einem „glatten Raum“ an, der weniger durch die Regierungsformen des
Vermessens, Untergliederns, Aufteilens und Begrenzens geprägt ist als er
durch Operationen des Ab- und Einschätzens und durch Intensitäten besetzt
ist. Eine erste Fragerichtung wäre, ob nicht auch im Medium des Meeres
klassische Herrschaftsinstrumente zum Tragen kommen und inwieweit diese
durch „navigierende“ Technologien erst komplettiert werden. Ein Beispiel
für eine solche Ordnung wäre das Schiff, das – obwohl nicht Teil des
Rechtssystem eines Hoheitsgebietes – über eine nicht weniger strenge
(formale wie informelle) Rangordnung verfügt. Das „menschliche Strandgut“,
das die rezente Medienberichterstattung bevölkert, gibt einen Hinweis
darauf, dass das Meer im Zeitalter globalisierter Migration mitnichten
jenseits territorialstaatlicher Ordnungen existiert sondern selbst als
(lebensgefährliche) Grenzfläche zwischen diesen fungiert.

Maritime Medientechniken

Unter maritimen Medientechniken sind solche zu verstehen, die sich des
Meeres als Träger bedienen, z.B. das Sonar aber auch solche, die zur
Beherrschung maritimer Verhältnisse entwickelt wurden (z.B.
Navigationsinstrumente). Durch welche Medientechniken wird das Meer
befahrbar gemacht (Navigation in der Schifffahrt, U-Boot-Technologie,
Kartographie, Flugzeugträger)? Wann tritt das Meer als Hindernis
medientechnischer Durchdringung auf (z.B. bei der Verlegung von
Telegraphenkabeln)? Wann ist es Möglichkeitsbedingung neuer medialer
Operationen?

Die Produktivkraft des Meeres

Das Meer ist nicht nur ein Gegenbild zur „Landordnung“ und sein
Bedrohungsszenario, sondern wird in der Neuzeit weit über den
traditionellen Fischfang hinaus wirtschaftlich produktiv gemacht: Im
kolonialen Handel sind seine Unwägbarkeiten Teil des Kalküls von Mehrwert
und ist seine Bemeisterung Vorbedingung für koloniale Herrschaft. Die
Ingenieurswissenschaft macht darüber hinaus die Eroberung des Meeres
(Deichbau) und die Nutzung der Gezeiten (Tidekraftwerke) möglich. Wie ist
das Verhältnis von elementarer Bedrohung, Bezähmung und Produktivität
politisch und ökonomisch gedacht worden?

Sozial- und Bewegungsformen an der Grenze

Welche Sozialformen generiert das Meer und in welchem Verhältnis stehen
diese zu den Begrenzungsflächen des Meeres? Welche Kategorien werden in
Hinblick auf das Meer gebildet und wie werden sie in Frage gestellt? Von
Interesse sind hier Wesen, die in mehr als einem Medium leben können, bzw.
Medienwechsel brauchen um zu überleben: Wale, Robben, Pinguine, fliegende
Fische, Wasserläufer und Menschen wären hier zu nennen. Hinzuweisen ist
aber auch darauf, dass es die Bewegungsform des Schwimmens war, die Marcel
Mauss 1934 seine Überlegungen zu Körpertechniken anstellen lässt:
Ausgehend vom historischen Vergleich des Schwimmtrainings (wie tief taucht
der Schwimmer, hält er die Augen offen oder geschlossen) kommt er zu der
Schlussfolgerung, dass Bewegungsformen habitualisierte Regierungsformen
sind. Was das Meer metaphorisch für das Verhältnis von Mensch und Technik
leistet, leistet das Schwimmen für die Frage nach der Internalisierung von
Ordnungen.


Freitag 14. September

Grenzflächen
Moderation: Günther Friesinger

10.30-11.00
Turbulenzen oder die Wissenschaften vom Kleinen
Thomas Brandstetter, Karin Harrasser

11.00-11.45
Twixt Land and Sea. Die Grenzfläche des Watts
Burkhardt Wolf

12.00-12.30
Projektpräsentation: Notes on a Coast
Ruth Anderwald und Leonhard Grond


12.30-15.00
Mittagspause


Maritime Medien
Moderation: Thomas Brandstetter

15.00-15.45
Am Meeresgrund vor Helgoland. Maritime Topologien des frühen Radios
Katja Rothe

16.00-16.45
Fish & Chips. Mediale Durchmusterung von Schwärmen
Sebastian Vehlken

17.00-17.45
Unter der Wasserlinie. Mit dem österreichischen Film auf Tauchstation
Thomas Ballhausen

Filmscreening historischer Produktionen

Ab 18.00 im ursula blickle videoarchiv
in Kooperation mit dem Filmarchiv Austria


Samstag 15. September

Uferlosigkeit
Moderation: Karin Harrasser

11.00-11.45
Meereslust bei Jules Verne
Roland Innerhofer

12.00-12.45
Das Meer schreiben: Die Entstehung der Ozeanographie in Wissenschaft und
Roman
Robert Stockhammer

13.00-15.00
Mittagspause

Seekrieg und Landfrieden
Moderation: Antonia von Schöning

15.00-15.45
(Des)Artikulationen des Meeres. Rückkopplungen zwischen Mathematik,
Seekrieg und
Kunst
Bernhard Siegert

16.00-16.45
Das Meer von Versailles
Tobias Nanz

17.00-17.45
Zwischen Fläche und Tiefe. Geopolitische Unterwasserwelten um 1900
Patrick Ramponi

Filmscreening historischer Produktionen

Ab 18.00 im ursula blickle videoarchiv
in Kooperation mit dem Filmarchiv Austria