[rohrpost] Und es gibt sie doch

Florian Cramer fc-rohrpost at plaintext.cc
Die Apr 8 21:25:48 CEST 2008


On Tuesday, April 08 2008, 09:30 (+0100), Armin Medosch wrote:
 
> grobe Vereinfachungen mögen zwar manchmal okay sein aber diese hier
> bricht die Dinge auf eine allzu vereinfachte Scheingegensaetzlichkeit
> herunter. 

Ja, das mag gut sein und auch an meiner mittlerweile stark
niederlaendisch gepraegten Perspektive liegen, wo Politiker und
Chefetagen "MIT Media Lab" bzw. "creative industries" haben wollen, wenn
sie "Fluxus" subventionieren, praktisch alle betrifft, die an der
Schnittstelle von Kunst und digitaler Technologie arbeiten.

> lassen. man merkt halt dass du von der Medienkunst der achtziger Jahre,
> in der sich dieser Begriff eigentlich erst gebildet hat, voellig
> unbeleckt geblieben bist. 

Ich habe noch knapp mitbekommen, wie sich im Umfeld von Infermental,
Minus Delta T/Ponton und Co. die Transformation von Video- zu
"Medien"kunst vollzog, analog z.B. aus dem "Osnabruecker
Experimentalfilmworkshop" das "European Media Art Festival" und aus dem
Berliner "VideoFest" die "transmediale" wurde. Aber in der Beziehung
schien mir Kontinentaleuropa damals den USA hinterherzuhinken, wo "media
art" schon vor 1970 proklamiert wurde.

> Eine solche Unterscheidung laesst sich auch
> wirklich erst im Nachinein, also aus der Sicht von 2008 treffen. Auch
> wundert es mich, dass du als Literaturwissenschaftler einerseits so
> stark mit der Materialitaet argumentierst, andererseits
> historisch-soziologisch. Gutai, Black Mountain und Fluxus sind High-Brow
> Konzepte, auf die sich wohl nur die wenigsten Low-Tech Kuenstler
> explizit bezogen haben. 

Gegenbeispiel ist die gesamte Mail Art-Subkultur, die von dem Black
Mountain-Absolventen Jay Rohnson begruendet wurde und in in der auch der
Gutai-Gruender Shozo Shimamoto aktiv mitmischte. Aus der Mail Art-,
Postpunk- und situationistisch inspirierten Subkultur der 1980er und
fruehen 1990er Jahre gingen zahlreiche spaetere Netz- und
"Medien"kuenstler wie Graham Harwood und Matthew Fuller (IOD/mongrel),
Heath Bunting, 01.org, Surveillance Camera Players, jaromil, Miekal And,
Wilfried Hou Je Bek/socialfiction.org hervor.

> Erst heute im Zeitalter der Historisierung
> werden solche Referenzen hervorgeholt. Das mag in einzelnen Faellen
> stimmen, wirkt aber of aufgepappt. 

Es kann gut sein, dass ich da meinen eigenen Hintergrund zu sehr
verallgemeinere. 

> darum ging, dem 'System' eigene Medieninhalte entgegenzusetzen. Als
> Vertreter dieser Richtung zaehlen etwa Rabotnik TV, Van Gogh TV, Radio
> Subcom u.v.a. Eine zweite Richtung kam von einer ganz anderen Seite und
> arbeitete an einem erweiterten Skulpturbegriff. Zeuge davon ist die
> Videoinstallationskunst zum Unterschied von der Videokunst, mit z.B.
> Graf und Zyx, Brigitte Kowanz, Franz Xaver und anderen. Dabei gab es
> wiederum einen Split naemlich zwischen denen, die bald die Videos sein
> ließen und nur mehr Skulpturen mit neuen Materialien machten und es sich
> im Galerienbetrieb gemuetlich machten (auch nicht schlecht), und
> anderen, die wie Franz Xaver als echte Vorlaeufer eine dezentrale und
> interaktive Echtzeit-Skulptur anstrebten. Beide Richtungen arbeiteten
> mit Low-tech und DIY Methoden, zum Teil als Wahlentscheidung, zum Teil
> einfach weil sie mussten. Low-tech ist also Teil der Methodik und
> vielleicht einfach ein Merkmal unter mehreren aber nicht das einzige. 

Und ich beziehe mich damit eher auf eine Lowtech/DIY-Aesthetik, die aus
der Postpunk- und Fanzinekultur kommt, letztlich aber auf Mail Art,
Fluxus und Dada zurueckgeht.

> einzwaengte. Ein weiterer Ansatz hieß eigentlich eher Multimedia und
> lagerte sich irgendwo zwischen New Wave, New Romantic Pop, Andy Warhol,
> General Idea, Throbbing Gristle's IBM und dem Nam June Paik von ca. 1974
> mit seinem Global Groove Manifesto. Als letzte aktive Vertreter dessen
> kann man Station Rose ansehen. Aber alle diese Stroemungen gehen weiter,
> tauchen wieder auf, geben neue Impulse. Wenn man so will, kann man
> deutlich eine romantische Stroemung in der Medienkunst verorten, eine
> Landschaftsmalerei des Informationszeitalters, aber auch eine
> revolutionaere Romantik und eine emotional affektive Kunst zum
> Unterschied von einer analytischen. Es geht also darum, wenn man
> aufarbeitet, entlang welcher Begrifflichkeiten.

ACK - meine ist wohl etwas verkuerzt, bzw. "biased".

> Mit der Netzkutur und FOSS haben sich die Spielregeln geaendert und
> Innovation kann dezentral erfolgen aber die Referenz zur Kunst faellt
> weg. 

Auch voellig d'accord. Genau davon aber scheint sich aber das Konzept
"medialen Kuenste" abzusetzen, und die besondere Ueberlappung von
Hacker/netzkultur und zeitgenoessischer Kunst, Underground und High
brow, die vielleicht nur ein voruebergehendes, vom Internet ausgeloestes
Erschuetterungs-Symptom war, scheint nun vorbei zu sein.

Florian

-- 
http://cramer.plaintext.cc:70
gopher://cramer.plaintext.cc