[rohrpost] Re: m-identities

Till Nikolaus von Heiseler till.n.v.heiseler at googlemail.com
Fre Apr 11 18:09:21 CEST 2008


Am 11.04.08 schrieb t <t at c-base.org>:
>
>  On Thu, 2008-04-10 at 20:17 +0200, Till Nikolaus von Heiseler wrote:
>  > Ich habe noch mal drüber nachgedacht, was wir am Stammtisch
>  > (=>http://www.formatlabor.net/blog/?page_id=212) besprochen haben.
>  >
>  > Ich erinnere mich an ein Theaterstück, in dem vielen Frauen und ein
>  > Mann vorkamen. Alle Frauen sollten von der gleiche Schauspielerin
>  > gespielt werden und der Mann von drei Schauspielern: Dem Ersten
>  > Darsteller des Dichters, dem Zweiten Darsteller des Dichters und dem
>  > Dritten Darsteller des Dichters
.
> weisst du noch wie dass hiess?

Das Stück heißt Gladiatoren/Liebende ist 91 erschienen und 96 hat das
Deutschland Radio es als Hörspiel produziert. Ein anderer wichtiger
Punkt: die Frauen und der Mann imaginierten sich gegenseitig. Man
wusste also nicht sind die Frauen Phantasien des Mannes oder der Mann
eine Phantasie der Frauen. Zwei sich gegenseitig malende Hände.

> >
>  > Das veranschaulicht einerseits das Konzept fiktiver Künstler (einer
>  > ist mehrere) und anderseits mech identities (viele sind einer).

> unter mesh identies wurde ich beides verstehen.

Ich denke für die fiktiven Künstler ist noch etwas anderes wichtig.
Sie arbeiten ja im Gegensatz zu den mech idenetities wie Luther
Blissett (=> http://de.wikipedia.org/wiki/Luther_Blissett) verdeckt.

Es gibt Open Source Identitäten oder aber geschlossene mech
identities, die nicht unbedingt als solche transparent werden müssen.
Erhellend hierzu das Konzept Janus von Abaton, das er vor einer Zeit
auf Rohrpost gemailt hat: Reich durch Kunst
(http://www.mail-archive.com/rohrpost@mikrolisten.de/msg01287.html)

=> Da geht es darum, Kunst mit einem Profiteam aufzuziehen. Profis für
die Konzeption, für die Produktion, für die Narration des Künstlers,
für die PR, für die Hängung, für die Abrechnung und eben eine
Künstlerdarstellerin (beispielsweise eine Frau mit der sich ein
Geschäftsmann gern in der Paris Bar sehen lässt). Das gleiche Team
kann in varierender Besetzung natürlich mehrere fikive Künstler
kreieren. Mehr dazu kann Janus bestimmt erzählen => jv-abaton AT
gmx.net.

Im Gegensatz zu offenen Mech Identities kommen fiktive Künstler als
Realität daher. Ich denke, dass dies der Struktur des Netzes
geschuldet ist. Ein Buch ist geschlossen durch die Buchdeckel.
Fiktionalität entspricht dieser Geschlossenheit. Im Internet dagegen
lässt sich jeder Punkt mit jedem anderen verbinden. Narrativ
anschließen kann man aber immer nur an die "Realität". Die
Netznarrration, die immer auch eine Netzperformance ist, bedarf also
der Vermischung von Realität und Fiktion. (Man muss sich vor Augen
führen, dass Fiktionalität [im Selbstverständnis] ja erst mit dem
Buchdruck enstand.) Eine andere Möglichkeit: man nimmt einfach wahre
Geschichten in der Tradition von Truman Capote. =>
http://de.wikipedia.org/wiki/Truman_Capote

Eine derartige Geschichte im Netz zu erzählen bedeutet eben ein
dezentrales Netzwerk zu organisieren, Knotenpunkte, (beispielsweise:
http://fade-to-black.styx.org/) die man selbst organisiert und die der
Kontrolle unterliegen und Reaktionen und Weiterspinnen der Geschichte,
die nicht mehr der Kontrolle unterliegen. PLANUNG UND KONTINGENZ - das
hat dann auch wiederum mit der Ästhetik von Performances im
öffentlichen Raum zu tun.

Wenn wir nun diese Figuren, die als wahr behauptet werden, damit sie
strukturell zum Netz passen und viral erzählbar sind ("reale
Geschichten" sind nun mal attraktiver für Nacherzähler), wieder zurück
in die Realität bringen, dann brauchen Sie plötzlich einen Körper. Sie
sind dann nicht mehr imaginär, sondern fiktiv.

Es sind Figuren, die zwischen den Bücherdeckeln hervor gekrabbelt
sind, die von der Bühne oder der Leinwand hinunter steigenn und
plötzlich durch unsere Welt gehen. Die Texte die sie sprechen und
schreiben sind Rollenprosa. Eine klassische Aufgabe für einen
Dramatiker ...

Glück zu allen!
tvnh

-- 
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