[rohrpost] "Maschine brennt -- Stellungnahme der Freien Szene zur aktuellen kulturpolitischen Situation in Linz" (fwd)

Maschine brennt emonk at eliot.priv.at
Mon Apr 14 14:17:26 CEST 2008


Presseaussendung des Offenen Forums Freie Szene Linz, 14. April 2008

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Maschine brennt -- Stellungnahme der Freien Szene zur aktuellen
kulturpolitischen Situation in Linz

Was braucht die Kultur?

Um eine Kultur zu fördern, in der Kunst und Kultur gemacht, rezipiert, gelebt,
angeregt und anregend werden können, bedarf es bestimmter Bedingungen. Zu
diesen Bedingungen gehören Zeit -- frei von Produktionszwängen, um sich
auszutauschen, nachzudenken, Gedanken weiter zu spinnen -- und Raum, wo
Menschen zusammen kommen, etwas ausprobieren, Ideen umsetzen und diese  
und sich
weiter entfalten können. Das Kulturhauptstadtjahr wäre eine Chance, die
Schaffung solcher Bedingungen zu erproben, aber diese Chance schwindet
mittlerweile zunehmend. Die Verantwortlichen von Linz09 zeigen sich wenig an
strukturellen Lösungen interessiert und die politisch Verantwortlichen nehmen
in diesem Zusammenhang ihre Verantwortung nur ungenügend wahr.

STIMMUNG

Linz geht mit großen Schritten dem Kulturhauptstadtjahr 2009 entgegen. Die zu
erwartende positive Stimmung vor dem Kulturhauptstadtjahr läßt sich allerdings
nicht bei der Politik und noch viel weniger bei den Linzer Kunst- und
Kulturschaffenden vorfinden. Linz09 läuft aus dem Ruder, die Stimmung ist
gekippt. Insbesonders im Feld freier Kunst- und Kulturarbeit tritt die Skepsis
und auch Ablehnung mittlerweile deutlich zu Tage.

FREIE SZENE

Sowohl im Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz, als auch im Entwurf zum
Kulturleitbild OÖ und vor allem im Bewerbungspapier zur Kulturhauptstadt wird
der Stellenwert der Freien Szene besonders betont. Davon ist weder in der
aktuellen Ausrichtung des Programmes für Linz09 noch im Rahmen einer
kulturpolitischen Schwerpunktsetzung etwas spürbar. Vielmehr wird der Freien
Szene Internationalität abgesprochen und pauschal mangelnde Qualität
attestiert. Die mediale Antwort seitens der Intendanz ist gezielte
Diskreditierung und Ignoranz. Das Erhitzen der Gemüter mit bewußt provokanten
Meldungen, wie z.B. rassistische Vergleiche mit einfachen "Eingeborenen",
welche die Funktionsweise eines Photoapparates nicht verstehen würden, dürfte
zwar den von Linz09 vermutlich erhofften Werbezweck erfüllen, aber  
"Reibereien"
an sich erwirken noch keine Änderungen. Genauso wenig besteht ein vitales
Kulturleben ausschließlich aus fertigen "Produkten", ob in der Form von
greifbaren Kunstwerken und veranstaltungen, oder als "Projekte", die in einem
überschaubaren Prozeß von Einreichen, Budgetieren, Durchführen und Evaluieren
dargeboten werden. Gerade beim Setzen auf kritische, kritikfähige, innovative,
experimentell erprobte und bewährte Potentiale der lokalen Szene  
zeigen sich in
der Programmierung von Linz09 große Lücken. Von Seiten der Politik  
gibt es hier
keine Reaktion.

Die Freie Szene wird von der Linz09-Intendanz vorrangig nach neoliberalen,
quantifizierbaren, kunstmarktfähigen Kriterien bewertet. Dadurch wird die
kontinuierliche Aufbauarbeit, welche die Szene seit Jahrzehnten unter prekären
Arbeitsbedingungen leistet, negiert. Mit dem Abzielen auf (wieder)verwertbare
Produkte und tourismusfördernde Events wird der prozesshafte Charakter freier,
autonomer Kulturarbeit verkannt. Freie Kulturarbeit leistet  
Reflexionsarbeit an
der Gesellschaft und setzt kontinuierlich Akzente für eine Weiterentwicklung
derselben. Die neoliberale Produktfixiertheit der Linz09-Macher widerspricht
den Anliegen und dem Selbstverständnis der Freien Szene.

Die Rolle und die große Bedeutung der Freien Szene läßt sich in diesem
Zusammenhang nicht durch einfaches Stadtmarketing festschreiben. Durch die
kontinuierliche kulturelle und künstlerische Arbeit in den letzten Jahrzehnten
hat die Freie Szene wichtige Impulse für die Entwicklung der Stadt Linz
geleistet, die weit über bloß oberflächliche Repräsentanz und Imageeffekte
hinausgehen. Ohne diese qualitativ hochwertige Arbeit der Linzer Kulturszene
hätte auch die Bewerbung für Linz als Europäische Kulturhauptstadt mit
Sicherheit viel von ihrer Schlagkraft verloren.

Der Stellenwert der Freien Szene wurde nicht zuletzt aus diesen  
Gründen auch im
Kulturentwicklungsplan der Stadt Linz (KEP) entsprechend verankert:

- "Die Stadt Linz bekennt sich als Kulturstadt für alle und zu
kulturpolitischen Schwerpunktsetzungen in den Bereichen Technologie und Neue
Medien, Offene Räume und Freie Szene." (KEP, S. 9)

- "Die Stadt Linz bekennt sich als Kulturstadt zu einer materiellen  
Absicherung
von Kunst und Kultur durch eine entsprechende, den jeweiligen  
Rahmenbedingungen
angepasste Erhöhung des Kulturbudgets." (KEP, S. 20)

- "Um das große künstlerische Potenzial der Freien Szene auch in Zukunft in
Linz zu halten, muss die Förderung der Freien Szene konsequent und nachhaltig
wirksam weitergeführt und ausgebaut werden." (KEP, S. 10)

- "Die Stadt Linz sieht die Schaffung von Freiräumen und effektiven, offenen
Strukturen im Bereich der Kunst- und Kulturszene als ein wichtiges Ziel ihrer
Förderpolitik." (KEP, S. 17)

- "Bereitstellung von 'Risikokapital' für innovative Kunst- und Kulturprojekte
(Ermöglichung von Experimenten und kreativen Weiterentwicklungen)." (KEP, S.
17)

- "Als Ergänzung zu den bereits bestehenden Förderstellen wird vorgeschlagen,
dass von der Stadt Linz und dem Land OÖ gemeinsam ein Fond zur Förderung von
besonders innovativen und experimentellen Kunstprojekten eingerichtet wird."
(KEP, S. 18)

- "Ausbau von Artists- und Scientists-in-Residence-Programmen" (KEP, S. 18)

- "Konsequente und nachhaltige Förderung der kulturellen Schwerpunkte
Technologie und Neue Medien, Offene Räume und Kultur für alle und  
Freie Szene."
(KEP, S. 9)

Es geht also nicht zuletzt um:

NACHHALTIGKEIT
"Nachhaltigkeit heißt im Konkreten, dass die Kulturpolitik und die  
Gesellschaft
in Strukturen für Kultur investieren, in Bildung für Menschen, die  
Kulturarbeit
leisten und auch in Kultur- und Kunstvermittlung sowie Know-How investieren,
dass auch die Bereitschaft in der Bevölkerung gefördert wird, sich damit
auseinander zu setzen." (Klemens Pilsl, KAPU, 28.11.07)

Von der Hoffnung einer nachhaltigen Ausrichtung von Linz09 haben sich große
Teile der in Linz aktiven Kunst- und Kulturschaffenden verabschiedet.  
Freilich:
Spuren von Linz09 sind 2010 im ganzen Stadtgebiet zu finden -- die Baustellen
und Bauten. Es hat den Anschein, dass die Linzer Politik das Jahr 2009 als
singuläres, aus der Zeit gekipptes Jahr betrachtet, das kein Vorher und kein
Nachher kennt. Nur so kann erklärt werden, dass Nachhaltigkeit offenbar durch
Bauten hergestellt werden soll: Kulturpolitik wird in Linz in Kubikmeter Beton
gemessen. Die Politik erfüllt (sich) damit einen Gutteil der im
Kulturentwicklungsplan verankerten Neubauten. Abgesehen davon, dass von Seiten
der Politik klare Nutzungs- und Finanzierungskonzepte für die "Bespielung" der
Kultursarkophage nach 2009 nicht vorliegen, wird eine weitere Säule des
Kulturentwicklungsplanes, die Freie Szene, weder als tragend noch
unterstützenswert anerkannt.

Linz09 könnte demnach auch als strukturell nachhaltiges
Stadtentwicklungsprojekt gesehen werden. Der Rahmen, der jedoch von seiten der
Politik gesetzt und sowohl im Bewerbungspapier zur Kulturhauptstadt  
als auch im
Kulturentwicklungsplan festgeschrieben wurde, ist durch die Entwicklung der
letzten Jahre verfehlt worden. Sowohl in der Ausrichtung von Linz09  
als auch in
der kulturpolitischen Entwicklung finden sich klare Verfehlungen dieses
Rahmens. Dies stellt einen Affront gegenüber den lokalen Kunst- und
Kulturschaffenden dar, aber auch gegenüber dem Linzer Gemeinderat  
selbst, wurde
doch der Kulturentwicklungsplan einstimmig durch dieses Gremium beschlossen.
Es sind zur Zeit keine Anzeichen sichtbar, dass die Linzer Kulturpolitik das
Kulturhauptstadtjahr dafür nutzt, die prekäre Situation der lokalen  
Kultur- und
KunstarbeiterInnen strukturell abzusichern, geschweige denn zu verbessern. Im
Vorfeld der Kulturhauptstadt ist das schon gänzlich mißlungen. Wie sich das
Jahr 2010 gestalten wird, ist nicht absehbar. Anhand der  
Fehlentwicklungen wird
aber deutlich, dass das Kulturhauptstadtjahr die Situation der Linzer Szene
nachhaltig schädigt anstatt sie zu stärken.

VERANTWORTUNG

Hieß es vor der Bestellung von Martin Heller, dass den Entscheidungen des
Intendanten nicht vorgegriffen wird, so heißt es jetzt, dass in die
Entscheidungen des Intendanten nicht "hineinregiert" werden darf. Damit
signalisiert die Politik eine Entscheidungsschwäche, die für die Linzer Kunst-
und Kulturschaffenden bedrohlich wirkt. Wenn der Linz09-Intendant immer wieder
betont, daß er für das Jahr 2009 zuständig ist, stellt sich ein
Verantwortungsvakuum für die Jahre davor und danach ein. Die Freie Szene ist
sich ihrer politischen Verantwortung bewußt, aber um die Auseinandersetzung
führen zu können, braucht es ein Gegenüber, das auch "ansprechbar" ist.
Immerhin geht es um eine zukunftsfähige Entwicklung und Sicherung bestehender
und künftiger künstlerischer und kultureller Potenziale in der Stadt. Hierfür
wird die Verantwortung der Politik eingefordert.

FORDERUNGEN:

Eine Basis für ernst zu nehmendes Schaffen besteht bereits in den motivierten
und talentierten Menschen mit kreativen und guten Ideen. Doch die
erforderlichen Mittel, um auf dieser Basis aufzubauen und Ideen verwirklichen
zu können, fehlen. Dazu gehören:

-- Absicherung des Budgets für die Freie Szene in den Jahren 2010ff
-- Strukturfinanzierung statt Projektförderung
-- Verdoppelung der Dotierung des Förderprogramms "LINZimPULS"
-- Verdoppelung der Dotierung des Förderprogramms "LinzEXPOrt"
-- Schaffung eines neuen Förderprogramms "LinzIMPORT"
-- Eruierung der Projekteinreichungen zu Linz09 nach paritätischen Kriterien

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Linz, April 2008

Ergeht an:
Bgm. Dr. Franz Dobusch
Vzbgm. Stadtrat Dr. Erich Watzl
Stadtsenat und Gemeinderat der Stadt Linz
Büro Linz Kultur
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer
Mitglieder der Landesregierung Oberösterreich
Landeskulturabteilung
Linz 2009 -- Kulturhauptstadt Europas OrganisationsGmbH
Mitglieder des Aufsichtsrats der Linz 2009 GmbH

Zur Information an:
Stadtkulturbeirat Linz
Landeskulturbeirat Oberösterreich

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Diese Stellungnahme wurde vom Offenen Forum Freie Szene verfasst und wird von
folgenden Initiativen mitgetragen:

Art Base M
Bühne04
Crossing Europe Filmfestival
Donauschule Linz
FIFTITU% - Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur OÖ
IFEK - Institut für erweiterte Kunst
KAPU
Kulturplattform OÖ
KV sunnseitn
KV Treibsand
lin_c
Linzer Frühling - Literatur und so
maiz - Autonomes Zentrum von & für Migrantinnen
Medea
Moviemento
Pangea
qujOchÖ
Radio FRO
servus.at
Social Impact
SPACEfemFM Frauenradio
Stadtwerkstatt
Theater Phönix
Time's Up
Transpublic
Wunderkinder KG

Neben den genannten Initiativen und den in ihnen tätigen, zahlreichen Personen
unterstützen auch noch weitere einzelne Kunst- und Kulturschaffende diese
Stellungnahme. Stellvertretend hierfür werden angeführt: Franz Fend, Gerhard
Dirmoser, Astrid Esslinger, Andi Wahl, Petar Radisavljevic, Rudolf Pointinger.