[rohrpost] "Die Lage der Arbeiterinnen in den IT-Sonderwirtschaftszonen" aus: n0name newsletter #127

Matze Schmidt matze.schmidt at n0name.de
Sam Apr 19 12:17:46 CEST 2008


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Die Lage der Arbeiterinnen in den IT-Sonderwirtschaftszonen

Der Dokumentarfilm _Digitale Handarbeit_


Die Frontispiz der DVD verweist auf ein scheinbares Paradox, naemlich 
die Automatisierung und Rationalisierung weiter Bereiche der 
allgemeinen Produktion unter dem Diktat der Datenverarbeitung bei 
gleichzeitiger Produktion der dafuer notwenigen Produktionsmittel, 
(die auch Konsummittel sein koennen) von Hand. Digitale Handarbeit 
gibt es ebensowenig wie das digitale Bild, wie Medienprofessoren 
feststellen, sondern nur digitale Weisen der Verarbeitung von Daten. 
Der Output hat die sensuelle materielle Form zu haben oder er ist 
nicht. Die immaterielle Wirtschaft existiert nur auf dem Display. 
Aber die Handarbeit ist billiger und das Angebot der billigen 
Abeitskraefte grosz. Die Produktionsweise folgt nicht immer den 
Moeglichkeiten einer erhoehten Produktivitaet.

Es sieht aus wie elektronisches Sticken von Frauenhaenden auf 
Platinen fuer den Profit und ist dennoch ein hocharbeitsteiliger, 
maschineller, das heiszt industrieller Vorgang, der -- wie der Film 
zeigt -- durchschaubares aber wie wahnsinniges Chaos ist. Herstellung 
und Recycling von Computern sind hochgradig irre organisiert, die 
Folgen fuers Oekologische und fuers Oekonomische, so nicht mehr 
einfach zu trennen, sind fatal. Man sieht die Ueberproduktion und 
danach einen Berg von Elektronikschrott, Menschen, die unter dem 
Gesetz der steigenden Produktivkraft und staendig zu erweiternder 
Maerkte mit Giften schutzlos hantieren. Man sieht den Run auf 
billige Notebooks und Polizei, die dieses Eigentum schuetzt.

Stricken, Haekeln, Stricken und Knuepfen galt den Cyberfems als 
frauliches Ur-Skill des Netzwerkens. Ich erinnere mich an 
Sadie Plant's _nullen + einsen_, wo das Weben zum treibenden 
Faktor des Aufkommens der Computer stilisiert wird. Das massenhaft 
manufakturelle Sticken unter Lebensgefahr fuer die Arbeiterinnen 
der untersten aber entscheidenden Ebene der Computerbranche ist 
die ausgemachte Ausbeutung. Das befindet der Film vor allem in 
Interviews mit erzaehlenden, reflektierenden Frauen relativ kuehl. 
Die These aber, welche Pun Ngai vom Chinese Working Woman Network 
aufstellt, naemlich dass der Markt das Bestimmende fuer die Wandlung 
der gesellschaftlichen Strukturen und die Installation einer globalen 
Werkbank in vor allem China sei, ist ein Blick, der sich mit dem 
NGO-strategischen von WEED deckt. Der neue Kapitalismus sei ein 
von alten staatlichen Restriktionen und Kontrollen befreiter und 
basiere auf Konzernen und globalem Geldkapital. Diese Reform moechte 
man mit der Tobin Tax und einer koordinierten Gewerkschaftsbewegung 
re-reformieren.

Ob die miserable Situation der Computer-Handarbeiterinnen am 
Flieszband, mit den Verbesserungen wie Arbeitsschutzrechten und 
hoeheren Loehnen, aber nur _eingehegt_ wird, wie Friedrich Engels 
schreiben wuerde[1], ihren Status jedoch grundsaetzlich nicht 
aendert, bliebe offen. Der IG-Metaller, der die gewerkschaftliche 
Organisation der Arbeiter in China anmahnt, gehoert moeglicherweise 
hierzulande zur Kaste des Co-Managements des Profits in Augenhoehe 
mit dem Kapitalschutz.


"Das Handy muss lebendig sein!" (FONIC)

Das sogenannte Neo-Liberale und die Repression-Debatte haben aber 
zwei Seiten. Die Kapitalisierung noch nicht voll kapitalisierter 
Laender birgt, wie zur Zeit der Kapitalisierung/Industrialisierung 
Europas, moerderische und emanzipative Momente, u.a. fuer Frauen, die 
sich aus den laendlich-familiaeren Strukturen befreien. Der Appell an 
die Macht der Konsumenten, die mit ihrem Einkauf die Preise und so 
bessere Bedingungen fuer die Proletarier diktieren koennten aber 
macht die "Fairglobe Bananen" mit Tastaturen und Joystick nicht 
anders. Sie bleiben Ware, werden fuer die Kaeufer blosz moralisch und 
fuer ihre Erzeuger immerhin monetaer bessere Ware.

Die lebendige Arbeit wird unter das Kapital subsumiert, das stellt 
der Film klar fest. Doch er macht nicht deutlich genug, dass nicht 
die Individuen mehr lebendig sind, sondern die Waren des modernen 
Lebens, welche die Individuen selber bauen und dann auch noch 
bezahlen, haben ihr Eigenleben zu fuehren. Vorgaenge die weder einer 
Republik des Volkes noch einem sog. demokratischen Staat entsprechen. 
Wenn das Kapital dich braucht, kauft es deine Leistung, wenn nicht, 
musst du die Zone verlassen.

Die Lage der Arbeiterinnen in den Sonderwirtschaftszonen ist eher 
kein Ergebnis der Globalisierung, die wenn dann bereits mit 
der kolonialistischen Ausbeutung begann, also kein neues 
weltwirtschaftliches Prinzip ist, und sie ist nicht Resultat einer 
geheimen Wertschoepfungskette oder das einer Preistreiberei durch 
die Firmen auf dem IT-Markt, und sie ist auch kein Ergebnis der 
ungerechten Verteilung der Gewinne, mit den hyperindustriellen 
Laendern als Gewinner und den Nachzueglerstaaten als Verlierer. 
Die 12 Stunden Arbeit pro Tag bei Foxconn, in denen Mainboards fuer 
Intel und Rechner fuer Dell hergestellt werden, gehoeren der 
Arbeiterin ja nicht mehr, sie hat sie verkaufen muessen und wird 
damit unter Schmerzen in den Konsum einsteigen koennen. Das von ihr 
hergestellte Mehrprodukt ist keine reine Ausbeute des globalen 
Konkurrenzkampfs ueber dem Preis, sondern der Arbeiterin enteignet!

Pun Ngai's Frage, ob die Geschichte damit zu den Anfaengen des 
Kapitalismus zurueckkehre, ist insofern zweischneidig. Wenn man die 
Ausgabe "Die Industrielle Revolution" des Magazins _GEO Epoche_ 
durchblaettert, wird darin der Manchester-Kapitalismus in seinen 
toetlichen Auswirkungen auf die damals neuen proletarischen Subjekte 
und in seinen Oberflaechen von Kauf und Tausch und Finanzkapital gut 
beschrieben. Die Darstellung der politischen Struktur seiner 
Profitbildung aber bleibt auf dem Niveau von Charlie Chaplin's 
_Modern Times_. Zu sehen sind die Kettenwirkungen und die Ketten, 
um es leicht pathetisch zu sagen, aber nicht die zur Verkettung 
fuehrenden Verhaeltnisse im Zusammenhang.

Die neue Arbeiterklasse in China musste sich bilden/gebildet werden, 
damit kehrt (so der Vorschlag fuer die andere Sicht der Dinge) nichts 
geschichtlich neuliberal an Anfaenge zurueck sondern setzt sich auf 
Basis der Grundsaetze des Kapitalismus fort. Alle Verguenstigungen 
fuer die Produktiven sind blosze regulatorische Masznahmen auf der 
sympthomatischen Ebene gegen drohenden Kollapse und dazu noch 
erkaempft von den Betroffenen selbst. Die bluehende Landschaft auf 
dem Monitor des ThinkPad, ist somit die doppelte Verheiszung: Sie 
wird da sein, so wie diejenigen aus den kreativen Mittelklassen, die 
das hier lesen, sie antisolidarisch oder solidarisch antizipieren.

Der Film hat im Berliner Kino "Central" heute am Samstag, den 
19. April, um 16:30 Uhr seine Premiere. Er kann bei WEED fuer 
10,00 EURO bestellt werden: http://www.weed-online.org

Matze Schmidt
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[1] Friedrich Engels. _Die Lage der arbeitenden Klasse in England_. 
http://www.mlwerke.de/me/me22/me22_265.htm

aus: n0name newsletter #127 Sa., 19.04.2008