[rohrpost] KUNSTMASCHINEN MASCHINENKUNST im Museum Tinguely Basel
cornelia sollfrank
cornelia at snafu.de
Don Feb 28 14:24:40 CET 2008
Das Museum wird zur Produktionshalle
KUNSTMASCHINEN MASCHINENKUNST im Museum Tinguely Basel
5. März – 29. Juni 2008
Allgemein gehen wir davon aus, dass Künstler Kunst machen – was aber
geschieht, wenn Maschinen Kunst produzieren? Werden aus Künstlern
dann Ingenieure? Was bedeutet der scheinbare Rückzug des Künstlers
aus dem kreativen Akt, und welche Konsequenzen resultieren daraus für
Originalität und Einzigartigkeit des Kunstwerks? Was ist dann
überhaupt das Kunstwerk: die Maschine, das Produkt oder der Akt
seiner Herstellung? Beginnend mit Jean Tinguelys Zeichenmaschinen aus
den 1950er Jahren werden in einer von Katharina Dohm, Schirn
Kunsthalle Frankfurt, und Heinz Stahlhut, Museum Tinguely Basel,
gemeinsam konzipierten Ausstellung Kunstmaschinen bis hin zur
Gegenwart gezeigt, die eines gemeinsam haben: Sie produzieren
ihrerseits Kunst. Maschinen von Künstlern wie Angela Bulloch, Olafur
Eliasson, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon Kessler, Tim Lewis, Lia,
Miltos Manetas, Cornelia Sollfrank, Antoine Zgraggen und Andreas
Zybach verwandeln das Museum Tinguely Basel in eine Produktionshalle.
Dem maschinellen Produktionsprozess entsprechend können einige Werke
wie Zeichnungen von Jean Tinguelys Méta-Matics oder durch Stempel
zertifizierte Blätter von Damien Hirsts oder Olafur Eliassons
Maschinen von den Ausstellungsbesuchern mitgenommen werden.
„Das Vertrauen der Menschen in die maschinelle Tätigkeit, Basis der
industriellen Revolution und unseres Wohlstandes, ist dem
künstlerischen Selbstverständnis grundsätzlich fremd, weshalb sich
die Kunst der Maschine zur Herstellung ihrer selbst nur zögerlich
bediente. Die Maschine als Kunstwerk, die wiederum Kunst produziert,
kommt einer Aufgabe der Autonomie des Künstlers und einer
Überantwortung von Kreativität an eine Apparatur gleich und berührt
damit eine Frage, die heute angesichts permanenter
Grenzverschiebungen zwischen Individuum und Technologie hochaktuell
ist.“ (Guido Magnaguagno, Direktor, Museum Tinguely Basel, und Max
Hollein, Direktor, Schirn Kunsthalle Frankfurt)
„Geht man von der allgemeinen Annahme aus, dass Künstler und nicht
Maschinen die Urheber und Schöpfer von Kunstwerken sind, dann könnte
die Diskrepanz zwischen beiden nicht grösser sein. Denn während die
Maschine auf Qualitäten wie die Wiederholbarkeit von
Produktionsabläufen hin konzipiert ist, zeichnet sich Kunst nach
traditionellem Verständnis durch ihre Einzigartigkeit aus. Daran
gekoppelt ist die Vorstellung des künstlerischen Individuums als
eines schöpferischen Genius. Diese Vorstellung wird in der aktuellen
Ausstellung mit Ernst und Ironie hinterfragt.“ (Katharina Dohm und
Heinz Stahlhut, Kuratoren der Ausstellung)
Eine Maschine als Kunstwerk zu schaffen und dieser die Verantwortung
für die Entwicklung weiterer Kunstwerke zu übertragen ist ein
radikaler Schritt. Es ist die Abgabe von Kreativität an eine
Apparatur. Haben solche Kunstmaschinen dann eine „Seele“? Tatsächlich
entwickeln sie eine eigenständige Kraft und lassen ein Werk
entstehen, das auch für sich alleine besteht – ohne es jedoch je
beenden zu können. Der Maschine und ihrem automatisierten Prozess
fehlen die Entscheidungskraft und die Möglichkeit der Selektion. Es
entstehen maschinell gefertigte Kunstwerke, denen ein Moment der
Endgültigkeit fehlt, die aber nichtsdestotrotz ein fundamentales
Zugeständnis an die Souveränität der Maschine und einen grundlegenden
Glauben an die Möglichkeiten der kreativen Schöpfung jenseits der
individuellen Handlung zum Ausdruck bringen.
Die Ausstellung „Kunstmaschinen Maschinenkunst“ setzt im 20.
Jahrhundert mit dem Werk Jean Tinguelys ein, in dem sich die
Auseinandersetzung mit der Maschine als eigenständigem kreativem
Apparat in originärster Weise manifestiert. Seine Méta-Matics, die
erstmals 1959 in Paris ausgestellt wurden und mit denen er
internationales Renommee erwarb, sind motorbetriebene
Zeichenmaschinen, mit denen der Betrachter abstrakte Zeichnungen
herstellen kann. Die Diskrepanz zwischen der Materialität der Méta-
Matics und ihrer Funktion, Kunst zu produzieren, kann durchaus als
ironischer Kommentar auf den damals vorherrschenden Glauben an den
technischen Fortschritt verstanden werden. Zudem zeigt sich darin ein
Reflex auf den Kunstkontext der 1950er Jahre: Die maschinell
erstellten Zeichnungen entsprechen stilistisch der Malerei des
Tachismus und führen so die Vorstellung von gestischer Abstraktion
als unmittelbarem Ausdruck eines künstlerischen Individuums ad
absurdum. Diese Werkgruppe bildet gewissermassen als historischer
Grundstock die Basis der Ausstellung. Hier knüpft eine Auswahl von
Arbeiten an, die eines gemeinsam haben: Der schöpferische Akt wird
vom Künstler an die Maschine delegiert – ein Vorgang, der in letzter
Konsequenz erst ab dem Ende des 2. Weltkriegs möglich war, als eine
Generation junger Künstler antrat, mit einem der bestgehüteten Tabus
der europäischen Kunst zu brechen: der Idee des Originalkunstwerks.
Die Auswahl spiegelt diesen Vorgang in den verschiedenen
künstlerischen Gattungen wie Malerei, Zeichnung, Skulptur, Video
wider und endet offen bei der wohl grössten „Kunstmaschine“, dem
World Wide Web.
Der Besucher begegnet Maschinen, die wie Rebecca Horns Preussische
Brautmaschine und Michael Beutlers Raumskulptur Proper en Droog ihre
Produktion schon vor Ausstellungsbeginn abgeschlossen haben oder die
wie Roxy Paines SCUMAK #2 während der gesamten Dauer der Schau
produzieren, in diesem Fall organisch wirkende Plastiken. Die
Zeichenmaschinen Making Beautiful Drawings von Damien Hirst und The
endless study von Olafur Eliasson erfordern beide das Mitwirken des
Besuchers und hinterfragen das Verhältnis zwischen Betrachter und
Kunstwerk grundsätzlich. Während Eliasson von einem physikalischen
Phänomen ausgeht, interessiert Hirst vielmehr die Frage nach dem
Schöpfer. Andreas Zybachs Sich selbst reproduzierender Sockel
vervielfältig sich im Gegensatz zu seinem Titel nicht von selbst,
sondern empfängt den Impuls hierzu ebenso vom Besucher, wie Angela
Bullochs Wandzeichnungsmaschine Blue Horizon erst auf einen äusseren
Impuls hin ihre Zeichentätigkeit beginnt. Jon Kesslers
Videoinstallation Desert produziert am Laufmeter Sonnenuntergänge,
wie Tim Lewis’ Auto-Dali Prosthetic ununterbrochen signiert. Pawel
Althamers Extrusion Machine (Bottle Machine) stellt blasphemische
Plastikflaschen her, Antoine Zgraggens Grosser Hammer und seine
Zerquetscherin helfen dem Besucher, sich ungeliebter Gegenstände zu
entledigen, und Tue Greenforts Mobile Trinkglaswerkstatt wandelt
Glaseinwegflaschen in Trinkgläser um. Mit den Arbeiten von Lia,
Miltos Manetas und Cornelia Sollfrank schliesslich kommt die
„Métakunstmaschine“ World Wide Web ins Spiel, mit der man – ähnlich
wie mit Tinguelys Werken in den 1950er Jahren – die Hoffnung auf eine
weitere Demokratisierung des Kunstbetriebs verbindet.
Das Verhältnis zwischen Künstler, Kunstwerk und Betrachter wird in
allen Arbeiten thematisiert, ist jedoch nicht immer Ausgangspunkt der
Arbeit. Darüber hinaus erlaubt die Kunstmaschine die Beteiligung des
Publikums und ermöglicht eine massenhafte Kunstproduktion, die
deutlich mit der Aura des unwiederholbaren Kunstwerks bricht. Auch
wenn der Betrachter bei manchen Werken nicht unmittelbar in die
Produktion involviert ist, erhält er Einblick in diese und damit die
Möglichkeit der Reflexion darüber, wo das Kunstwerk beginnt. Nie wird
es dem Künstler jedoch gelingen, endgültig aus dem Werk zu
verschwinden. Die Kunst produzierende Maschine bleibt ein Werkzeug,
solange sie sich in den Parametern des Künstlers bewegt. Erst in dem
Moment, in dem sie eigenständig handelt und auf Situationen autark
reagiert, kann sich die Frage nach der Autorenschaft ändern. Die
Kreativität der Kunstmaschine erweist sich erst in dem Moment, in dem
sie unkontrolliert, dem Zufall überlassen schafft. Die Maschine kann
ohne die Anwesenheit des Künstlers produzieren, aber sie kann nie
ohne die Idee des Künstlers existieren.
Eine Ausstellung des Museum Tinguely, Basel und der Schirn Kunsthalle
Frankfurt. Kuratoren: Dr. des Heinz Stahlhut (Museum Tinguely) /
Katharina Dohm (Schirn).
Künstlerliste: Pawel Althamer, Michael Beutler, Angela Bulloch,
Olafur Eliasson, Tue Greenfort, Damien Hirst, Rebecca Horn, Jon
Kessler, Tim Lewis, Lia, Miltos Manetas, Roxy Paine, Cornelia
Sollfrank, Jean Tinguely, Antoine Zgraggen, Andreas Zybach.
Katalog: Kunstmaschinen Maschinenkunst. Hg. von Katharina Dohm, Heinz
Stahlhut, Max Hollein und Guido Magnaguagno. Mit einem Vorwort von
Max Hollein und Guido Magnaguagno, Texten von Katharina Dohm und
Heinz Stahlhut sowie Justin Hoffmann und ausführlichen
Werkkommentaren. Deutsch-englische Ausgabe, ca. 160 Seiten, ca. 130
farbige und Schwarzweissabbildungen, Festeinband, Kehrer Verlag,
Heidelberg, ISBN 9 783939 583400 (Preis: CHF 49).
Pressetexte und –fotos stehen zum Download bereit auf der
Internetseite www.tinguely.ch
Museum Tinguely Paul Sacher Anlage 1 – CH 4002 BASEL
Für weitere Informationen:
Annja Müller-Alsbach, Kuratorin. DW: 00 41 (0)61 688 26 18. E-mail:
annja_e.mueller-alsbach at roche.com
Laurentia Leon, Presse: DW: 00 41 (0)61 687 46 08. E-mail:
laurentia.leon at roche.com