[rohrpost] Geert Lovink und die Suche nach einer aktualisierten
Netzkritik
Krystian Woznicki
kw at berlinergazette.de
Mit Jan 30 13:20:09 CET 2008
Hallo,
aus der aktuellen Ausgabe der springerin
(http://www.springerin.at/de) ein Text über Geert
Lovink und die Suche nach einer aktualisierten Netzkritik
Gruss,
Krystian
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Fuchs unter Igeln
Geert Lovink und die Suche nach einer aktualisierten Netzkritik
Roman Schmidt
Isaiah Berlin wusste im intellektuellen Feld
Füchse von Igeln zu unterscheiden. Dem
griechischen Lyriker Archilochos entwendete er
das obskure Diktum, ein Fuchs kenne viele Dinge,
ein Igel dagegen nur ein großes. Igel sind,
zoologische Einwände hintangestellt, auf Kohärenz
bedachte Reduktionisten, Füchse indes sammelnde,
nomadische Pluralisten. Igel wie Hegel treiben
Geschichtsphilosophie, Füchse wie Montaigne schreiben Essays.
Isaiah Berlins Essays lagen auf Geert Lovinks
Schreibtisch, als ich den Internettheoretiker am
Berliner Wissenschaftskolleg interviewte, wo er
gerade an seinem neuen Buch schrieb. Nun ist es
erschienen, und wen wundert es, dass es sich wie
das Arbeitstagebuch eines Fuchses liest?
Lovink setzt mit »Zero Comments« seine »studies
into critical internet culture« fort, wie er die
routinierten Streifzüge durch die Szene der
»Netzkritik« nennt, an deren Herausbildung er
seit den späten 1980er Jahren wesentlich
beteiligt war. Bereits in »Dark Fiber«, 2001
veröffentlicht, kollagierte Lovink
Mailinglisten-Diskussionen, verstreut
veröffentlichte Interventionen, Reisenotizen,
Lektüreberichte und Theoriefragmente aus zehn
Jahren. Damit war der Stil gefunden, der sich in
»My First Recession« (2003) und nun in »Zero
Comments« fortsetzt: Als teilnehmender Beobachter
sucht der »Net-Squatter turned
Institutsgründer«[1] im Rauschen der Listen und
Kongresse nach »Kristallen der Netzkritik«
(Lovink), die er für ein dankbares Publikum in
Academia, Kunstbetrieb und interessierter
Öffentlichkeit in Buchform aufbereitet.
Von seinem letzten Buch aus zurückblickend wird
deutlich, welche Verschiebungen des politischen
und technologischen Kontexts sich in den letzten
zehn Jahren, etwa gegenüber der Gründung von
Next5Minutes und nettime, ereignet haben. Der
Diskursmix aus taktischem Mediengebrauch,
»Economy of Friendship« und partizipativer
Radiotheorie, der das junge Medium ins
messianische Licht tauchte, ist längst
Business-Modell. Hinter dem Rücken der virtuellen
Intellektuellen beziehungsweise abseits ihrer
Klickpfade wurde das Internet zu einem
Alltagsmedium, das mehr als eine Milliarde
Menschen nutzen und kostenlos mit Content füllen.
Mit dem Erfolg großer »Social Internet-Dienste«
wie Facebook, YouTube oder Blogspot werden fast
beiläufig zwei Pfeiler der großen Netzerzählung
unterspült: statt ambitionierter DIY-Ästhetik
sind die NutzerInnen glücklich über Wordpress’
5-Minuten-Installation, wählen zwischen blumig
oder minimal, zwei oder drei Spalten, und starten
ihren neuen Blog; der entsteht in der Regel in
der Muttersprache, und überhaupt erscheint, trotz
fortbestehender digitaler Spaltung, inzwischen
deutlich weniger als ein Drittel des online
Veröffentlichten auf Englisch. Von wegen lingua
franca. Dass solche Transformationen Konsequenzen
für Theorie und Praxis kritischer Netzkultur
haben müssen, ist die wichtigste Botschaft von
»Zero Comments«, gerade auch an Geeks.
Für Lovink ist es Zeit, die Nischen der
Internetsubkultur zu verlassen. Das gilt auch für
die gegenwärtige Medien- und Netzkunst, die in
»Zero Comments« ebenso schlecht wegkommt wie zur
Zeit überall. Sie sei, meint Lovink, unkritisch,
maschinistisch und in ihren ewigen Betastadien
isoliert. Während die Medienkunst noch an
»heiligen, barocken 3D-Installationen« bastelte,
zogen die Menschen und ihre Bedürfnisse, säkular
und mobil, mit Web 2.0, Handy und iPod an ihr
vorbei. Was bleibt? Lovink empfiehlt der
Medienkunst, ihr Label aufzugeben, die Festivals
wie transmediale und Ars Electronica
zurückzulassen und sich starke, lokale Partner zu
suchen, in die sie sich als kritisches
»Materialbewusstsein« einbringen kann.
Medienkunst hatte als transitorisches Genre ihre
Zeit, sie wird unter der Feder des radikalen
Pragmatisten Lovink zur Propädeutik über die Tücke des digitalen Objekts.
»Zero Comments« widmet sich auch dem Zusammenhang
von Entwicklungszusammenarbeit und digitaler
Kultur: Ein langer Arbeitsbericht rekonstruiert
die konkreten Erfahrungen und Probleme mit
Sarai.net in Delhi, dem äußerst erfolgreichen
Liebling vieler NetzkritikerInnen. Ein anderer
Aufsatz nimmt dann den Weltgipfel der
Informationsgesellschaft 2005 zum Anlass für eine
NGO-Kritik aus »Bewegungsperspektive«. Hier wie
auffällig oft in Lovinks neuem Buch stehen
letztlich Fragen der Organisation und
Interessenvertretung prekarisierter
KulturarbeiterInnen zur Debatte. Gerade weil
Lovink des Leninismus völlig unverdächtig ist,
darf es als Indikator gelten, wenn er zur
Revision der lange angesagten taktischen
Medientheorie aufruft und an die Stelle ihrer
ephemeren Allianzen Ned Rossiters Theorie
»organisierter Netzwerke«[2] setzt, der das
Abschlusskapitel von »Zero Comments« gilt. Auf
dem Spiel steht dabei nicht weniger als die
Frage, wie Netzwerkstrukturen zu denken sind, die
postrepräsentative, postidentitäre Gesellschaften
zu tragen vermögen. Dass dies nicht nur ein
demokratietheoretisches, sondern auch ein
ästhetisches Problem bedeutet, verdeutlicht
Lovink, indem er auf die Kartierung und
Darstellbarkeit von sozialer Komplexität eingeht
und sich für eine »gestreute Ästhetik« (distributed aesthetics) einsetzt.
So vage Geert Lovinks Gedanken in diesen Fragen
bleiben (müssen), so bestimmt rüttelt er an den
Fundamenten des techno-libertären Internetmythos.
Die »Ideologie des free« zu demaskieren, ohne in
die Logik der Gutenberg-Ökonomie zurückzufallen,
ist die konkrete Aufgabe, die für eine Kritik der
Kritik, wie Lovink sie leistet, nun ansteht,
denn: »Die Internet-Ideologie macht uns blind
dafür, was wir eigentlich zahlen, während wir uns
überglücklich der Geschenk-Ökonomie des ›free‹
anschließen«. Es müssten zunächst ökonomische
Modelle entwickelt werden, die »ambitionierten
Amateuren« erlauben, von ihrer Arbeit im Web zu
leben. Allein, was tun? Google vergesellschaften?
Verwertungsgemeinschaften für YouTube? Das bleibt
einstweilen des Internettheoretikers Geheimnis.
Denn seine problemeröffnenden Essays hören immer
dann auf, wenn die virulenten Meme
zusammengetragen und die richtigen Fragen
gestellt sind. »Zero Comment« macht dabei keine
Ausnahme. So ist das mit den Füchsen.
P.S. Im Übrigen geht es in »Zero Comments«, dem
Titel nach sogar hauptsächlich, um Blogs. Lovink
beschreibt deren AutorInnen als »digitale
NihilistInnen«, radikale PluralistInnen, die den
Glauben an die Medien verloren haben und mit
ihren mikro-heroischen Akten am Untergang der
Rundfunkmedien mitschreiben. Die Diskussion dazu
findet sich natürlich im Netz.[3]
1 Krystian Woznicki, Zur Sache an sich jetzt, in: springerin 1/2007, S. 14.
2 Ned Rossiter, Organized Networks. Media Theory,
Creative Labour, New Institutions, Rotterdam 2006.
3 Vgl. http://www.technorati.com/search/Lovink+Blogging
Geert Lovink, Zero Comments. Blogging and
Critical Internet Culture, New York/London 2007.
Das Buch erscheint Anfang 2008 auf Deutsch bei Transcript, Bielefeld