[rohrpost] Kunst für 3 Sekunden

Ursula Damm ursuladamm at onlinehome.de
Don Mar 27 12:28:11 CET 2008


noch eine späte Replik auf Stefan Heidenreichs Artikel:

Die Debatte über das Verschwinden der „Medienkunst“ brachte mich zur  
Überlegung, dass möglicherweise die klassischen Künstler mit der  
intensiven Arbeit an der Ausprägung der eigenen Unverwechselbarkeit/ 
Individualität eine gültigere Antwort auf die Herausforderungen des  
Internets geben als es die Medienkunst/Netzkunst alter Machart  
könnte. Während die Netzkunst sich formalisierter, also abstrahierter  
und verallgemeinerter Formen des Ausdrucks bedient, haben wir auf dem  
Kunstmarkt in den letzten Jahren das Aufblühen des „Handwerks“, also  
der bewußt einzigartigen Handschrift und Bildwelt (ob in der Malerei  
oder der Handzeichnung) der Künstlerpersönlichkeit verfolgen können.  
Gesucht ist das Nicht-Kopierbare, das Einzigartige. Meine These ist  
es, dass gerade die Vernetzung der Welt zu einem Druck auf die  
Individuen geführt hat, sich weiter zu differenzieren, um nicht als   
beliebige Variante eines Typus von Mensch im globalen Brei der  
funktionierenden, angepassten Business-Menschen unterzugehen. Und da  
gelten Künstler alter Machart weiterhin als Vorbilder und Heroen  
(nicht aber Medienkünstler, die sich der Werkzeuge bedienen, die  
gerade zur Verflachung der eigenen Selbstwahrnehmung führen).
Brauchen wir also wirklich keine Medienkunst mehr?
Nun, so einfach kann es nicht sein. Die Kompetenz der klassischen  
Künstler hört eben auch dort auf, wo Ihr Arbeitsgebiet zu Ende ist.  
Dort wo es um Lebensbedingungen im Zeitalter der Vernetztheit geht,  
sind sie zumindest nicht als aktiv Handelnde erfahren. Konzepte, wie  
und zu welchen Bedingungen Vernetzung erfolgen muß, welche  
Lebensformen (Hierarchien / Heterarchien / bottom-up Verfahren) durch  
mediale Apparate und Anordnungen entstehen, liefern sie nicht. Sie  
können allemal für eine „Verlustmeldung“ gut sein und erfahrbar  
machen, was klassische Kunst zu leisten in der Lage war und mediale  
Kunst oder mediale Lebensformen (noch oder scheinbar) nicht können.  
Aber woher sollten sie ihre Visionen für eine moderne Gesellschaft  
nehmen, die ohne Internet nicht mehr denkbar ist?

Heute hatte ich mit einer befreundeten Kunsthistorikerin ein Gespräch  
über Anna und Bernhard Johannes Blume und später noch über das  
Glasfenster von Gerhard Richter in Kölner Dom.
Sie fragte mich, wie ich das sähe: Möglicherweise - sie wußte es  
nicht mit Bestimmtheit - haben A. und B. Blume auch früher sich schon  
der analogen Foto-Montage bedient, um ihre Bilder zu machen. Der Witz  
der Situationen entsteht aus einem Spannungsverhältnis, dass die  
Raumphysik, in welchen sich die beiden bewegen, nicht ihrer Lebensart  
entspricht und sie entweder an der Wirklichkeit scheitern oder  
vielmehr die Wirklichkeit scheitert am Witz der beiden Performer. Und  
genau in dieser Balance liegt die Qualität der Arbeiten der beiden.  
Dass sie es unverdrossen mit einer sperrigen Realität aufnehmen.
Was aber ist, wenn es heute Fotos gibt, bei denen deutlich erkennbar  
ist, dass der Raum oder eine Architektur montiert ist, also die  
beiden Protagonisten wie Avatare in einer virtuellen Realität sich  
bewegen?
Nun sind definitiv es nicht mehr die Beiden, die die Realität  
herausfordern, sondern die Fotos sind eine virtuelle Konstruktion  
geworden. Das aber ist ist eine andere Erzählung mit anderen  
Randbedingungen als die der alten Fotos. Virtuelle Realitäten  
implizieren einen veränderten Realitätsbegriff, dessen Schwerpunkt  
sich bewusst in Richtung subjektiver Wahrnehmung des Autors  
verschiebt und eben damit auch eine andere Strategie um Umgang mit  
dem Zuschauer fordert.
Parallel zu diesem Gespräch wurde ich schon mehrfach angesprochen  
darauf, wie ich das denn fände, dass Gursky den Rechner benutzt und  
seine Szenen digital bearbeitet.
Auch bei Gursky lag das Bestechende seiner frühen Fotos in der  
Tatsache, dass er die Szenen gefunden hatte und die Bilder von  
Organisationsformen beispielsweise von Menschenansammlungen auch  
jenseits des Bildrahmens existierten. Per copy/paste diese Bilder zu  
„erweitern“ führt eine neue Imaginationsebene ein, die den Rückbezug  
zur wirklichen Situation zwar nicht abschneidet, aber doch in  
individueller und interpretierter Form vornimmt. Dieser Eingriff  
nivelliert die Aussage in ihrer ursprünglichen Form. Auch er hätte  
sich einen großen Gefallen getan, vom copy/paste die Finger zu lassen.
Nächstes Beispiel: Gerhard Richter
Vielleicht tue ich ihm Unrecht, vielleicht hat er sich ja Gedanken  
gemacht über den Einsatz eines Zufallsgenerators, den er zur  
Bestimmung der Platzierung der Kacheln seines Kirchenfensters  
eingesetzt hat. Denn Zufall ist ja in diesem Falle (der Konzeption  
der Arbeit mit einem technischen Apparat) keine Wahrnehmungsgrenze  
(zwischen erkennbarer Ordnung und Chaos), sondern etwas  
Hochsynthetisches. Aber es wäre schön, wenn man dieses  
Hochsynthetische als Wahrnehmungsgrenze erfahren würde, und zwar  
insofern man diese Unsicherheit hat, ob denn hinter der scheinbaren  
Ungeordnetheit der Anordnung doch noch eine Ordnung höherer Art  
steckt oder nicht. Aber genau diese Wirkung, diese Verunsicherung,  
findet nicht statt. Möglicherweise war es für seine Farbtafeln in den  
60ern ein zentrales Anliegen, der strengen Anordnung die malerische  
Ausführung selbst in der Hand zu behalten. Den Zufall nun auf die  
Anordnung der Kacheln zu beschränken und das Farbspektrum dem  
Kirchenraum zu entnehmen gleicht einem konzeptuellen Potpourri, bei  
welchem ein Konzept gegenläufig ist zum anderen. Es stellt sich die  
Frage, ob die Informationstiefe der zufälligen Ordnung aus dem  
Zufallsgenerator, gebrochen durch einen so logischen Akt wie eine  
Spiegelung, als Komplexitätsmerkmal ausreicht und nicht doch wieder  
ein individuell gestaltetes Muster - sei es das der Auswahl der  
Farben oder eine subtile Ordnung der Kacheln als Aussage erkennbar  
ist und ihn zurückwirft vor die Freiheit, die aus seinen alten  
Farbtafeln spricht?
Meine These ist also:
Es gibt viele Beispiele von Kunstwerken, die von Künstlern des  
klassischen Betriebs ausgeführt werden unter zu Hilfenahme von  
Computern, die mediale Kompetenz vermissen lassen und dadurch die  
Aussage der Arbeit verändern, ohne dass die Autoren sich dessen  
bewußt zu sein scheinen. Oft sind es aber gerade diese Beispiele, die  
der Medienkunst dann als Beleg vorgehalten werden, dass der Einsatz  
vom Rechner bedenkliche Konsequenzen für die Kunst habe.
Ich glaube mittlerweile, dass eben es gerade die klassischen Künstler  
sind, die die Auseinandersetzung mit den Medien notwendig hätten.

Es gibt in den Galerien immer wieder Kunstwerke, die versuchten, sich  
der Medien zu bedienen und Inhaltlichkeit unberührt vom medialen  
Prozess zu behandeln, der sie erzeugt und den Computer schlicht als  
Handwerkzeug zu betrachten. Beispiel: die computergenerierten  
Skulpturen von Tony Cragg. Als sog. Medienkünstlerin und ehemalige  
Schülerin von ihm frage ich mich sofort nach der Ursache der  
scheinbar aufs Material wirkenden Kräfte, ihrer Rückbezüglichkeit zum  
Umraum und vor allem der Bedeutung des rechnerinternen Prozesses und  
des Aussagegehalts der entstandenen Form. Alleine die Skulpturen  
geben darüber keine Auskunft.

Ich glaube nicht, dass es ein inhaltliches Defizit war, das die  
Medienkunst zu Scheitern gebracht hat, sondern die Fehleinschätzung  
des Wirkungsmechanismus von symbolverarbeitenden Prozessen. Wir  
dachten immer, wir erzählen etwas über die Wirklichkeit, wenn wir sie  
abstrahieren und das dann als Programm im Computer laufen lassen,  
dabei haben wir nur etwas von unserer Art, Wirklichkeit in formale  
Abläufe umzusetzen, erzählt. Und das war sehr oft schmalbrüstig in  
der Reflexionstiefe und sensuell sehr arm. Wir haben mehr gelernt  
über unsere Einschätzung dessen, was Wirklichkeit ausmacht denn über  
die sog. „Wirklichkeit“ selbst.
Deshalb sollte man den Künstlern, die keine Formalisierungen in  
dieser radikalen Form vornehmen, nicht unterstellen, sie könnten „das  
mit der Abstraktion“ viel besser als wir. Sie sparen es nur aus oder  
betreiben es weit weniger radikal oder konsequent.
Die Konzeptkunst hatte es noch gut, sie hat die Formeln und Regeln  
analog aufgezeichnet und sich an der klaren Form der Regeln erfreuen  
können. Die prozessuale Kunst muß sich ja am Ergebnis messen, an  
einer Wirkung, die nicht immer in Form eines Bildes/Klanges  
erschöpfend zu beschreiben wäre. Auch sind diese Resultate so  
geartet, dass sie über die Qualität der medialen Verarbeitung  
Rechenschaft ablegen sollten, und genau an diesem Punkt steigen viele  
Betrachter oder Konsumenten aus.
Ein Galerist sagt einmal zu einer wunderbaren Arbeit eines ehemaligen  
Studenten (Yunchul Kims „Hello World“), als er sie auf der Art  
Cologne präsentierte: Sie wäre sicherlich gut, aber für eine Messe  
ungeeignet, da man sie nicht in 3 Sekunden verstehen kann.
Daraus könnte man ableiten:
1. Es macht keinen Sinn, dass Medienkünstler nun lernen, Arbeiten zu  
machen, die Galeristen oder Kuratoren in 3 Sekunden verstehen, weil
2. man auch warten kann, denn vielleicht ist in absehbarer Zeit auch  
für Messebesucher eine mediale Installation schneller lesbar infolge  
steigender allgemeiner Medienkompetenz.
Danach aber stellt sich wiederholt die Frage, was wir „mit Medien  
arbeitende“ Künstler dem Publikum vermitteln wollen? Eine kompetente  
Analyse der gegenwärtigen Situation alleine - so notwendig sie ist -  
verstärkt erst einmal den Fatalismus. Als Antwort auf die oben  
angeführte Feststellung ginge es um Möglichkeiten der Emanzipation  
des Individuums innerhalb einer (digital) vernetzten Welt, in welche  
wir mittlerweile zwangsläufig verwoben sind.
Ursula Damm

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