[rohrpost] Abschaffung der Künstlersozialversicherung

Cornelia Sollfrank cornelia at snafu.de
Mit Sep 10 12:30:25 CEST 2008


liebe alle,

anbei ein protest-schreiben, verfasst von barbara lang, hamburg.
sie stellt es allen zur verfügung, auch als vorlage; es kann je nach  
wunsch und bedarf verändert werden.
bitte schickt es massenweise an die u.g. verantwortlichen.

lg, c.


Hamburg, 10.09.2008


Reaktion freischaffender bildender Künstler und Kulturschaffender
auf die angekündigte Abstimmung zur Abschaffung der
Künstlersozialversicherung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Der auf dem Prinzip der Solidargemeinschaft beruhende Grundsatz, der  
in den
80er Jahren zur Einführung der Künstlersozialversicherung geführt hat,  
gilt
nach wie vor: Geringes Einkommen und ein hohes Berufsrisiko von  
Künstlern
und Kulturschaffenden begründen deren erhöhtes Schutzbedürfnis in  
sozialer
Hinsicht. Daher gilt ebenso: Bis die Honorierung von freischaffenden
Künstlern derart gestaltet ist, dass für verschiedenste Formen der
künstlerischen Produktion, ein angemessenes Honorar vergütet wird, ist  
die
Künstlersozialversicherung schlicht unverzichtbar. Ein komplexes  
Thema, wohl
wahr. Daraus kann man nur schließen, dass es noch viel zu diskutieren  
und zu
tun gibt.

Wie man weiß,  bietet die Künstlersozialversicherung selbstständigen
Künstlern und Publizisten nicht nur Absicherung im Alter und im
Krankheitsfall. Es ist ebenso bekannt, dass sie sich zu einem
unverzichtbaren Instrument der Kulturförderung und einem wichtigen  
Pfeiler
in der Kulturwirtschaft insgesamt entwickelt hat. Dass deren Bedeutung
zunimmt, ist in jüngster Zeit hinlänglich durch Kulturwirtschaftberichte
belegt worden. Doch darum allein kann es nicht gehen.

Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht übernehmen die Künste und somit  
die
Kulturschaffenden selbst eine zunehmend wichtige Rolle. Der Fokus muss  
und
wird sich künftig dahingehend ändern: Der Kultursektor hält,
gesamtgesellschaftlich betrachtet, unzählige für das Überleben einer
demokratie-basierten Gesellschaft essentielle Funktionen inne.  
Künstler und
Kulturschaffende tragen dazu bei, dass sich eine Gesellschaft  
reflektierter,
mündiger und kulturell gebildeter Bürger fortentwickeln kann. Sie bilden
zudem den "Kitt" unserer heutigen Wissensgesellschaft, z.B. indem sie  
sich
spartenübergreifende Fähigkeiten der freien Assoziierung aneignen. Dazu
zählen auch jene "soft skills", die seitens der Wirtschaft verstärkt
nachgefragt werden. Es sind insbesondere diejenigen Künstler, deren
künstlerisches Schaffen tendenziell nicht-kommerziell ist, und die
entsprechend vorrangig immaterielle, nicht verkäufliche Kunst  
produzieren,
die häufig finanziell so schlecht gestellt sind, dass ihre Existenz
gefährdet ist. Doch gerade diese Formen künstlerischer Arbeit,  
übernehmen
durch ihre experimentelle, wissenschaftlich orientierte oder sozial
forschende Ausrichtung grundlegende Bildungsfunktionen. Dennoch wird  
noch
stets klischeeartig davon ausgegangen, dass die betreffenden  
produzierenden
Künstler auf eine leistungsbezogene Vergütung großzügig verzichten – was
sich letztlich am durchschnittlichen Jahreseinkommen von 12.616 Euro  
real
ablesen lässt.

Gerade weil die Künste andere gesellschaftliche Funktionen erfüllen, als
z.B. das leistungsorientierte Wirtschaftssystem, und die Künstler
entsprechend zweckfreie Räume zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten  
benötigen,
sind die Künstlersozialversicherung und die ausführende  
Künstlersozialkasse
zur Unterstützung und Existenzsicherung dieser Menschen unentbehrlich.

Da kommt es schon einer Beleidigung jener Menschen gleich, als  
Begründung
der Abschaffung der Künstlersozialversicherung lapidar von zu hohen
"bürokratischen Hemmnissen" der Unternehmen zu sprechen. In diesem
Zusammenhang sei die Aussage des Deutschen Kulturrates bestätigt, dass  
es in
Wirklichkeit doch darum geht, sowohl die abgabepflichtigen Unternehmen  
als
auch die öffentlichen Körperschaften auf Kosten der Künstler von ihren
Sozialversicherungspflichten zu befreien.

Zwar hat sich die Zahl der Versicherten, also der Leistungsempfänger,
deutlich erhöht. Und in der Tat erlaubt es der zunehmende Kostendruck  
auf
Seiten der  Unternehmen und Kulturinstitutionen nicht, dass die
Künstlersozialabgabe beliebig in die Höhe getrieben wird. Dies gilt
insbesondere für die kleineren Kunst und Kulturinitiativen, die häufig
ebenfalls im Sinne der Kunst und Kultur selbst ums Überleben kämpfen.  
Wie
man weiß, betreffen die Zwänge in den öffentlichen Haushalten sicherlich
auch den Bundeszuschuss für die Künstlersozialversicherung. Allerdings  
wäre
es wohl zu billig, diese Probleme als Vorwand zur Abschaffung des ganzen
Systems zu nehmen. Nein, auch unter dem allerorts zitierten  
Kostendruck ist
das keine intelligente Lösung. Es wäre in der Tat ein "Armutszeichen".

Aufgrund der systematischen Erfassung der abgabepflichtigen  
Unternehmen ist
es ja bereits jetzt gelungen, den Kreis der Zahler zu erhöhen und  
zugleich
die zu erbringenden Künstlersozialabgaben zu senken. Dies dürfte doch
eigentlich als Signal zur Akzeptanz und Stärkung des Systems gewertet
werden.

Wenn es Änderungen am Künstlersozialversicherungsgesetz geben soll,  
dann nur
solche, die Künstlersozialversicherung auf intelligente Art und Weise
stabilisieren und zukunftsfest machen. Anstatt die sie abzuschaffen,  
wäre es
eher zukunftsweisend, zunächst die soziale Absicherung für verschiedene
freiberuflich arbeitende "Kreative" auszuweiten. Wenn, nur als  
Beispiel, im
wachsenden Städtewettbewerb die "Kreativen" parteienübergreifend als
wichtiger Standortfaktor gehandelt werden, dann muss man auch die  
Belange
der freischaffenden "Kreativen" berücksichtigen. Zudem wird es künftig  
nicht
ausbleiben, die Wertschätzung der Künste mitsamt seinen schwer messbaren
gesellschaftlichen Funktionen anders zu definieren, als dies bislang der
Fall ist. Doch zunächst, und zwar dringlichst, sollte die Politik im  
Auftrag
der hierzulande lebenden Bürgern und Bürgerinnen eine Lösung  
erarbeiten, die
vor allem den vielen freiberuflichen Kulturschaffenden sowie denjenigen
Strukturen, die indirekte Kulturförderung leisten, zugute kommt. Dabei  
ist
die Verantwortung "nicht von der öffentlichen Hand" zu weisen!

Nicht zuletzt wird die hiesige Künstlersozialversicherung im  
europäischen
Ausland als vorbildliche kultur- und sozialpolitische Errungenschaft
erachtet. Als solche hat sie bislang jedenfalls gegolten. Machen Sie
weiterhin etwas Sinnvolles daraus!

Mit freundlichem Gruß






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