[rohrpost] Die Autoren werden gestärkt! VON MATTHIAS SPIELKAMP UND FLORIAN CRAMER

geert lovink geert at desk.nl
Die Apr 21 12:06:17 CEST 2009


http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/1726814_Open-Access-Die-Autoren-werden-gestaerkt.html

(In ihrer Erwiderung stellen Matthias Spielkamp und Florian Cramer die  
Frage, wem die Beschränkung des Zugangs dient. Spielkamp ist Publizist  
in Berlin und Projektleiter bei iRights.info. Cramer ist  
Literaturwissenschaftler und leitet in Rotterdam einen Mediendesign- 
Studiengang.)

Können mehr als 1200 Unterzeichner eines Appells "Für  
Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte" irren? Können  
unzählige "public intellectuals", die diesen Aufruf unterzeichnet  
haben, darunter Hans Magnus Enzensberger, Adrienne Goehler, Alexander  
Kluge, Christina von Braun und Klaus Theweleit, irren, wenn sie den  
Schutz der "Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft" fordern?  
Zu ihrem Vorteil ist genau das zu hoffen. Denn wenn sie nicht irren,  
plädieren sie dafür, dass der Zugang zu "Kunst und Wissen" auf dem  
Stand der 1980er Jahre zementiert wird, und dass die geforderte  
Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt wird, indem insbesondere  
naturwissenschaftliche Forschung weiterhin an Großverlage verschenkt  
und mit Steuermillionen zurückgekauft wird.

Der Aufruf stammt von Roland Reuß, Literaturwissenschaftler in  
Heidelberg. Unterstützt haben dürfte ihn beim Verfassen Uwe Jochum,  
Bibliothekar an der Universität Konstanz, auf dessen  
Veröffentlichungen sich Reuß in seinen Artikeln bezieht. Beide haben  
nicht nur im Appell, sondern auch in der FR den Standpunkt vertreten,  
das so genannte "Open Access" bedrohe die im Grundgesetz verbürgte  
Freiheit der Presse, von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre.  
Das Gegenteil ist der Fall.

Was ist Open Access? Nichts anderes als eine Selbsthilfebewegung von  
Wissenschaftlern, die sich von den großen Wissenschaftsverlagen  
enteignet fühlten. Nachdem Verlage über eine lange Zeit den Austausch  
wissenschaftlicher Erkenntnisse erst möglich gemacht haben, begannen  
einige von ihnen, ihre Position als Gatekeeper auszunutzen. Allen  
voran die Großverlage der STM-Disziplinen (Science, Technology,  
Medicine) haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Oligopolstellung  
dazu genutzt, die Preise der Zeitschriften, in denen Wissenschaftler  
Erkenntnisse austauschen, so drastisch zu erhöhen, dass es zur so  
genannten "Zeitschriftenkrise" kam: immer mehr Bibliotheken mussten  
Zeitschriften abbestellen, weil sie die Abonnements nicht mehr  
bezahlen konnten.

Open Access ist eine Internet-Plattform, die wissenschaftliche  
Informationen frei zugänglich macht, und die von der Max-Planck-, der  
Fraunhofer- und der Helmholtz-Gesellschaft unterstützt wird. Es gibt  
aber auch Kritik: In der FR äußerten sich am 12. März und am 7. April  
Roland Reuß und Uwe Jochum (www.open-access.net/de/)

Was sich aber kaum vorstellen kann, wer mit diesem  
Publikatio.nsbetrieb nicht vertraut ist: Wissenschaftler bekommen für  
ihre Artikel von den Verlagen keinen Cent, werden aber in vielen  
Fällen gezwungen, alle Rechte an ihren Beiträgen abzutreten. Die  
Steuerzahler zahlen so (mindestens) dreimal: einmal, indem sie die  
Wissenschaftler an Universitäten und anderen öffentlichen  
Forschungseinrichtungen finanzieren, dann noch einmal, wenn sie für  
die Bibliotheksetats aufkommen, aus denen die Abonnements bezahlt  
werden müssen. Zum dritten, weil Wissenschaftler die  
Qualitätskontrolle durch den so genannten Peer Review, also die  
Begutachtung der Artikel, ebenso übernehmen wie in inzwischen fast  
allen Fällen das Setzen und Layouten ihrer Artikel.

Zur gleichen Zeit entwickelte sich mit dem Internet eine Technologie,  
die die Wissenschaftler von den Verlagen unabhängiger machte. Denn nun  
war es möglich, ohne deren Hilfe zu publizieren. Open Access definiert  
Qualitätsstandards dafür, dies jenseits improvisierter Homepage- 
Publikationen wissenschaftlich und editorisch professionell zu tun.  
Autoren werden dabei gestärkt, denn sie entkommen dem Zwang, ihre  
Rechte an einen Verlag abzutreten.

Entgegen den Darstellungen von Reuß und Jochum wurde die Bewegung hin  
zu Open Access nicht von anonymen Wissenschaftsorganisationen ins  
Leben gerufen, um ihnen vorzuschreiben, wie und wo sie zu publizieren  
haben. Im Gegenteil: die Wissenschaftler selber haben zu Beginn bei  
ihren Organisationen für Open Access werben müssen, darunter  
Spitzenvertreter ihres Fachs wie der Mathematiker Donald Knuth, der  
Medizin-Nobelpreisträger Harold Varmus und der Linguist Stevan Harnad.  
Nur ihrer Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass der Zugang zu - vor  
allem: naturwissenschaftlichen - Informationen immer weniger von  
Verlagskonzernen wie ReedElsevier oder Springer Wissenschaft abhängig  
ist.

In den Geisteswissenschaften herrscht eine andere  
Publikationstradition. Wenn Verleger wie KD Wolff mit großem  
persönlichen und finanziellen Einsatz Projekte wie Reuß' Kafka-Edition  
möglich machen, hat das mit dem Schröpfen der öffentlichen Hand nichts  
zu tun. In manchen Fällen ist es eher Mäzenatentum. Aber im  
"Heidelberger Appell" werfen Wolff und viele andere Verleger Open  
Access in einen Topf mit Google Books, einem Projekt, bei dem ohne  
Zustimmung der Autoren Millionen Bücher gescannt und verwertet werden.  
Google Books hat aber mit Open Access etwa so viel zu tun wie eine  
Buchclub-Drückerkolonne mit einer öffentlichen Bibliothek.

Vielleicht ist all das nur ein Missverständnis. Doch da Reuß und  
Jochum auf ihm, aller sachlichen Entgegnungen zum Trotz, beharren und  
sogar YouTube und Musik-Tauschbörsen ins Spiel bringen, wird man den  
Verdacht nicht los, dass Gelehrte und Schriftsteller hier ein diffuses  
allgemeines Unbehagen am Internet artikulieren sowie ihre Panik, von  
der Medienentwicklung überrollt zu werden. Genau solches Beharren auf  
lieb gewonnenen Strukturen wird aber letztlich nur den Global Playern  
nützen, denen das Internet zurzeit die Chance bietet, ihr Oligopol  
auch auf die Geisteswissenschaften, Literatur und Künste auszudehnen.  
Open Access ist jedoch kein "new economy"-Geschäftsmodell, sondern im  
Gegenteil der Versuch von Wissenschaftlern, das Heft des Handelns  
wieder selbst in die Hand zu nehmen und ein Medium für freie Forschung  
zu schaffen. Der "Heidelberger Appell" wird da, philologisch gesehen,  
zur Groteske, mit Potenzial zur Tragödie.