[rohrpost] Not In Our Name, Marke Hamburg!

geert lovink geert at desk.nl
Don Dez 3 09:43:02 CET 2009


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Not In Our Name, Marke Hamburg!
Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida  
vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die  
"kreative Klasse" wohlfühlt. "Cities without gays and rock bands are  
losing the economic development race", schreibt Florida. Viele  
europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum  
Ansiedelungsgebiet für diese "kreative Klasse" zu werden. Für Hamburg  
hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich  
die städtische Politik immer mehr einer "Image City" unterordnet. Es  
geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das  
Bild von der "pulsierenden Metropole", die "ein anregendes Umfeld und  
beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur" bietet. Eine  
stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als "Marke  
Hamburg" in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik  
mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial  
befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance,  
Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley- 
Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in  
der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum  
eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das  
"markenstärkende Funktion" übernehmen soll.

Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns  
nicht für blöd verkaufen. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns,  
über diese Stadt in Marketing- Kategorien zu sprechen. Wir wollen  
weder dabei helfen, den Kiez als "bunten, frechen, vielseitigen  
Stadtteil" zu "positionieren", noch denken wir bei Hamburg an "Wasser,  
Weltoffenheit, Internationalität", oder was euch sonst noch an  
"Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg" einfällt. Wir denken an andere  
Sachen. An über eine Million leerstehender Büroquadratmeter zum  
Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen  
lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der  
westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt,  
kaum mehr Wohnungen unter10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die  
Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird.  
Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand  
ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür  
sorgen. Wir glauben: Eure "wachsende Stadt" ist in Wahrheit die  
segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den  
Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb.

Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die  
"Marke Hamburg". Nicht dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im  
Gegenteil: uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren  
sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische  
Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen  
Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große  
Bergstraße, siehe die Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen  
bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten  
nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren  
oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es  
offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen "bewusst  
für die Stadtentwicklung" und "für das Stadt-Image" einzusetzen.  
Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil  
ihr die die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse garnicht mehr  
abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll kann man in St.  
Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen  
Arbeiterstadtteilen, dann "Szenevierteln", werden binnen kürzester  
Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping  
Kiez, auf dem Franchising-Gastronomie und Ketten wie H&M die  
Amüsierhorde abmelken.

Die Hamburgische Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer  
Eventisierungs- Strategie. Dreissig Millionen Euro gingen an das  
Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten . Über vierzig  
Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die  
"Elbphilharmonie". Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500- 
Millionen-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse  
Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz- 
Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der  
Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt:  
Da lässt die Stadt ein "Leuchtturmprojekt" bauen, das dem Geldadel ein  
Fünf-Sterne-Hotel und 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat  
und dem gemeinen Volk eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was  
für ein Wahrzeichen!

Uns macht es die "wachsende Stadt" indessen zunehmend schwer, halbwegs  
bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und  
Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des  
Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von  
den "pulsierenden Szenen" steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik  
zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden  
geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer  
eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu  
verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine  
Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die "Sahnelagen" auf  
den Immobilienmarkt – zum Höchstgebot und mit einem Minimum an  
Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose  
Investoren-City in Stahl und Beton.

Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und  
Film-Leute, die kleine-geile-Läden –Betreiber und ein-anderes- 
Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur "Stadt der  
Tiefgaragen" (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen,  
für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute  
nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie.  
Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen  
Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in  
Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und  
bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker habt  
ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure  
Lösungsvorschläge bewegen sich tragischer Weise kein Jota außerhalb  
der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache  
etwa kündigt an "die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch  
Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen". Eine  
"Kreativagentur" soll zukünftig u.a. "Anlaufstelle für die Vermittlung  
von Immobilienangeboten" sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann,  
muss sich als "künstlerischer Nachwuchs" einsortieren lassen und bei  
der Kreativagentur um "temporäre Nutzung von Leerständen" ersuchen.  
Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn "die  
Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort  
Hamburg" gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht  
klarstellen, was "Kreativität" hier zu sein hat: Nämlich ein profit  
center für die "wachsende Stadt".

Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von  
Quartiersentwicklern strategisch platzierte "Kreativimmobilien" und  
"Kreativhöfe". Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen  
Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und  
in leerstehenden Kaufhäusern. Unsere Ateliers lagen in aufgegebenen  
Verwaltungsgebäuden, und wir zogen den unsanierten dem sanierten  
Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt  
immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren –  
weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen  
jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage "Wie  
wollen wir leben?" nicht auf Stadtentwicklungs- Workshops diskutieren.  
Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen  
zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von  
Verwertungs- und Standortlogik.

Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein  
Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale  
Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen  
ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben  
in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur  
Zielgruppe der "Wachsenden Stadt" gehören. Wir nehmen uns das Recht  
auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich  
weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den  
Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in  
Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den  
Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek- Kanal und  
entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St.  
Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den  
vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich  
der Stadt der Investoren entgegenstellen.