Antw: [rohrpost] Not In Our Name, Marke Hamburg!
Oliver Grau
oliver.grau at donau-uni.ac.at
Don Dez 3 11:22:46 CET 2009
Alle Staedte und Regionen werden Marken, wenn sie nicht
den Kuerzeren ziehen wollen, nur war Hamburg immer schon eine
unverwechselbare Marke, an der sich die anderen orientiert haben -
Klaus Stoertebecker, die Beatles im Starclub, Hoenes wenn es um
Leidenschaft
geht an St. Pauli, der normale Otto, der Verbraucher, an Helmut Schmidt
und Sylt an Blankenese natuerlich, selten umgekehrt...
Welche Stadt kommt da schon mit?
Natuerlich hat es Hamburg gar nicht noetig sich als Marke zu
positionieren
und die Komplexitaet auf Wiedererkennbarkeit herunterzuschrauben, weil
jeder,
der kein Depp ist, den Labskaus, der sich Hamburg nennt, eh liebt,
denn wie steht es doch geschrieben: Die schoenste Stadt der Welt ist
Siena und dann,
dann gleich kommt Hamburg..
Oder wie sagte Rainald Goetz 1984 im Schoene Aussichten:
Himmel Hamburg
Vorhoelle Muenchen
Hoelle Wien
Gruesse aus Sydney,
oliver
>>> geert lovink 03.12.09 9.58 Uhr >>>
http://nionhh.wordpress.com/ & http://buback.de/nion/
Not In Our Name, Marke Hamburg!
Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida
vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die
"kreative Klasse" wohlfühlt. "Cities without gays and rock bands are
losing the economic development race", schreibt Florida. Viele
europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum
Ansiedelungsgebiet für diese "kreative Klasse" zu werden. Für Hamburg
hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich
die städtische Politik immer mehr einer "Image City" unterordnet. Es
geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das
Bild von der "pulsierenden Metropole", die "ein anregendes Umfeld und
beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur" bietet. Eine
stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als "Marke
Hamburg" in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik
mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial
befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance,
Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-
Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in
der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum
eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das
"markenstärkende Funktion" übernehmen soll.
Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns
nicht für blöd verkaufen. Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns,
über diese Stadt in Marketing- Kategorien zu sprechen. Wir wollen
weder dabei helfen, den Kiez als "bunten, frechen, vielseitigen
Stadtteil" zu "positionieren", noch denken wir bei Hamburg an "Wasser,
Weltoffenheit, Internationalität", oder was euch sonst noch an
"Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg" einfällt. Wir denken an andere
Sachen. An über eine Million leerstehender Büroquadratmeter zum
Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen
lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der
westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt,
kaum mehr Wohnungen unter10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die
Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird.
Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand
ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür
sorgen. Wir glauben: Eure "wachsende Stadt" ist in Wahrheit die
segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den
Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb.
Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die
"Marke Hamburg". Nicht dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im
Gegenteil: uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren
sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische
Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen
Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große
Bergstraße, siehe die Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen
bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs-Gelegenheiten
nachlaufen * dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren
oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es
offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen "bewusst
für die Stadtentwicklung" und "für das Stadt-Image" einzusetzen.
Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil
ihr die die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse garnicht mehr
abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll kann man in St.
Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen
Arbeiterstadtteilen, dann "Szenevierteln", werden binnen kürzester
Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping
Kiez, auf dem Franchising-Gastronomie und Ketten wie H&M die
Amüsierhorde abmelken.
Die Hamburgische Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer
Eventisierungs- Strategie. Dreissig Millionen Euro gingen an das
Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten . Über vierzig
Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die
"Elbphilharmonie". Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500-
Millionen-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse
Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-
Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der
Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt:
Da lässt die Stadt ein "Leuchtturmprojekt" bauen, das dem Geldadel ein
Fünf-Sterne-Hotel und 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat
und dem gemeinen Volk eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was
für ein Wahrzeichen!
Uns macht es die "wachsende Stadt" indessen zunehmend schwer, halbwegs
bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und
Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des
Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von
den "pulsierenden Szenen" steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik
zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden
geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer
eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu
verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine
Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die "Sahnelagen" auf
den Immobilienmarkt * zum Höchstgebot und mit einem Minimum an
Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose
Investoren-City in Stahl und Beton.
Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und
Film-Leute, die kleine-geile-Läden *Betreiber und ein-anderes-
Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur "Stadt der
Tiefgaragen" (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen,
für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute
nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie.
Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen
Raumes zur Folge, dass wir * die wir doch Lockvögel sein sollen * in
Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und
bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker habt
ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure
Lösungsvorschläge bewegen sich tragischer Weise kein Jota außerhalb
der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache
etwa kündigt an "die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch
Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen". Eine
"Kreativagentur" soll zukünftig u.a. "Anlaufstelle für die Vermittlung
von Immobilienangeboten" sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann,
muss sich als "künstlerischer Nachwuchs" einsortieren lassen und bei
der Kreativagentur um "temporäre Nutzung von Leerständen" ersuchen.
Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn "die
Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort
Hamburg" gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht
klarstellen, was "Kreativität" hier zu sein hat: Nämlich ein profit
center für die "wachsende Stadt".
Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von
Quartiersentwicklern strategisch platzierte "Kreativimmobilien" und
"Kreativhöfe". Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen
Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und
in leerstehenden Kaufhäusern. Unsere Ateliers lagen in aufgegebenen
Verwaltungsgebäuden, und wir zogen den unsanierten dem sanierten
Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt
immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren *
weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen
jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage "Wie
wollen wir leben?" nicht auf Stadtentwicklungs- Workshops diskutieren.
Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen
zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von
Verwertungs- und Standortlogik.
Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein
Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale
Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen
ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben
in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur
Zielgruppe der "Wachsenden Stadt" gehören. Wir nehmen uns das Recht
auf Stadt * mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich
weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den
Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in
Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den
Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek- Kanal und
entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St.
Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den
vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich
der Stadt der Investoren entgegenstellen.