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:°| n0name nachrichten #150 Do., 02.12.2010 07:35 CET

*Inhalt/Contents*

1. Buchbesprechung von _Ein halbes Leben_ in Form eines Interviews
2. Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 46

34 KB, ca. 10 DIN A4-Seiten

---------------------- Wieviele qm brauchst Du ? -----------------------

"Dealstadt"

Das Bauministerium und Technovaeter brachten es fertig, Villenbauer
und Hochamtarchitekten, sowie Protestler gegen die "Vermarktung" des
Urbanen, unter der Behauptung Staedte, seien aus Wuenschen gebaut,
unter einem Dach des stillgelegten Berliner Kraftwerks in Mitte zu
versammeln. Diese sogenannte "Realstadt" ist aber die ausgestellte
Dealstadt der "New Patrons", die Widerstand und "staedtbauliche
Loesungen" vermengend veraesthetisieren. Es war kalt, es war windig.

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1.

Buchbesprechung von _Ein halbes Leben_ in Form eines Interviews

von und mit Yelena Simc und Matze Schmidt


Yelena Simc: Wenn wir hier eine Art Live-Rezension machen, dann hat 
das etwas von einem inszenierten literarischen Duo ... 
Nichtsdestotrotz bietet diese Form die Moeglichkeit, eben jene Form, 
also die des Interviews, nochmal zu beleuchten. Die Frage ist nur, 
wie tief man in Formfragen "versinken" will, um zu dem zu kommen, 
was gesagt werden sollte. Ist das nicht auch der Anspruch des Buches, 
um das es uns hier geht?

Matze Schmidt: Zunaechst muss man sagen, dass dieses Interview 
vollstaendig nicht als Gespraech oder Chat, sondern ja an der 
Computer-Schreibmaschine entsteht. Das macht einen kleinen 
Unterschied. Das Authentische der Interviews im Buch _Ein halbes 
Leben_ liegt in den, wenn auch transkribierten, Mitschnitten, also 
audiomaeszig aufgenommenen Gespraechen. Wir beide muessen am Monitor 
und an der Tastatur nun nicht das eventuell Druckreife der Rede 
herausstellen, wir muessen das Reden herausarbeiten.

Yelena Simc: Du hast mir vor diesem Tipp-Interview gesagt, dass Dich 
das Buch darauf gebracht hat, wieder mehr Interviews zu machen. Den 
Herausgebern des dicken, dicken Bandes, der biografische Zeugnisse 
versammelt, erging es ebenso mit dem Buch _Das Elend der Welt_ von 
Bourdieu aus den 190er Jahren. Sie wenden das Gespraech, das 
Interview als Form ebenfalls an, zur Reflektion ihrer eigenen Arbeit. 
Jetzt kommt mein Hakenschlag: Ist diese Arbeit der Soziologen mit 
der Arbeit, die sich als Faktum und Begrifflichkeit im Buch ueber 
etwa 760 Seiten erstreckt, ist diese Arbeit gleich der Lohnarbeit, 
um die es in den Interviews mit Lehrern, Fabrikarbeitern, 
Musikerinnen, Arbeiterinnen geht? Welche Distanz geht da vor sich?

Matze Schmidt: Das ist gut, Distanz als Vorgang, und nicht als rein 
schon vorhandenes, messbares -- . Ja, die Arbeit einer Soziologin ist 
sicher keine Lohnarbeit. Sie ist, und das dokumentieren die 
Herausgeber auch selbst, eine privilegierte Arbeit, also 
gesellschaftlich bessergestellte Arbeit, die mit Geldern aus Steuern, 
das heisst aus dem Topf der Lohnarbeiterinnen und Angestellten, um 
die es hier wiederum geht, bezahlt wird. Das Interview bietet aber, 
glaube ich, zweierlei. Es zielt einerseits darauf, diese Distanz, des 
Beobachters und Deuters zum "Objekt" aufzuheben. Es ist also ein 
wissenschaftliches Subjektivierungsapparaetchen, koennte man sagen. 
Andererseits bietet es, die eigene Denke, die ohnehin akademisch ist, 
zu ueberdenken. Denn waehrend wir beide hier tippen, werden meine 
kleinen Notizen und Anstreichungen in den Texten des Buchs relativ. 
Und das Gespraech nimmt einen Verlauf, den ich als Rezensent zwar 
fingieren koennte, der aber dann eben nicht faktisch dialogisch ist, 
sondern fiktiv dialogisch waere. Die Aussage, das Zeugnis, das 
Gespraech und die Aufzeichnung sind die beiden Grundbedingungen, 
natuerlich innerhalb eines Settings. Im Interview, so reflektieren 
das auch die Herausgeber Schultheis, Vogel und Gemperle, werden 
Sachverhalte zur Sprache gebracht, die im Formblatt, im Fragebogen, 
im Abfragen nicht oder so nicht aufkommen. Ihre Inspriration dafuer 
beziehen diese aus dem Verstehensbegriff nach Bourdieu. Was mich 
aber immer wundert, soetwas.

Yelena Simc: Interview das Mittel und Medium -- was verwundert dabei?

Matze Schmidt: Mich wundert, dass Verstehen, beziehungsweise wundert 
es mich nicht, dass das Verstehen des Gegenuebers im Gepraech als 
Technik und Methode und nicht die Verbegrifflichung der Situationen 
der Arbeiterinnen in der Soziologie ploetzlich so wichtig wurde. Ohne 
Kenner zu sein wird doch schnell klar, dass die Wissenschaft, in 
ihrer Zerzettelung der Geisteswissenschaftlichkeiten, den Kontakt zur 
Klasse der Arbeiter verloren hat, aber ueber sie raesoniert, 
raesonieren muss. Da das vielleicht ihre Aufgabe ist, als buergerliche 
Wissenschaft. Da koennte man Lukács folgen. Nur wurde dann mal klar, 
nicht nur weil Sozialisten ihre Professorenstellen innehatten, dass 
die Begriffe der Soziologie nicht greifen, wenn man nicht oder nicht 
mehr weiss, wie die Selbstdarstellung des Sozialen aussieht, zu der 
man eine Lehre verfasst und diskutiert.

Yelena Simc: Aber, dass sich eine Wissenschaft das Verstehen, 
genaugenommen die epistemologische, das heisst die auf die Bedingungen 
von Erkenntnis gerichtete Grundproblematik, aber auch als die 
Grundvoraussetzung der Kommunikation, dass dieses sich diese 
Wissenschaft von der Gesellschaft erst wieder erarbeiten muss, oder 
eben erarbeiten will, ist doch signifkant und ein guter Ansatz.

Matze Schmidt: Fragt sich nur, was daran signifikant ist, was daran 
symptomatisch ist fuer eine Wissenschaft, die abgehoben nun 
Erdung sucht. Schultheis war damals einer der Autoren in _La misère 
du monde_ und hat auch bei Bourdieu habilitiert, sich auf seine Rolle 
als Professor vorbereitet. Ich meine, man darf den Apparat der 
Wissenschaft nicht verkennen. Die Formulierung eines neutralen oder 
objektiv-subjektiven, in diesem Wechselverhaeltnis durchdachten 
Verstaendnisses macht noch keine Abkehr vorm buergerlichen Niveau 
der Theorie aus, welches immer davon ausgeht, zu spaet zu kommen.

Yelena Simc: Du kritisierst quasi die Institutionaille. Im Englischen 
gibt es den Ausdruck righting the wrongs. Ueber Eva Valesh, die als 
Aktivistin, wuerde man heute sagen, und Gewerkschafterin, soweit ich 
weiss, Arbeiterjournalismus betrieben hat, gibt es ein Buch...,

Matze Schmidt: Ich ergaenze mal kurz und schlau: Das Buch heisst 
_Writing the wrongs: Eva Valesh and the rise of labor journalism_.

Yelena Simc: ... muesste man dem nachgehend eher den Anschluss suchen 
an die Arbeiter-Reportagen, bei denen nicht die universitaer 
Geschulten das Wort erteilen, sondern Arbeiter selbst reden und 
formulieren und publizieren? Wenn man herausfinden will, wie es in 
der gesellschaftlichen Struktur der Industriearbeit und im 
Dienstleistungssektor aussieht, ist doch eher an die verschuettete 
und zurueckgedraengte Selbstaufgabenstellung der Arbeiter, naemlich 
ueber sich selbst und ihre Situation zu berichten, anzuknuepfen.

Matze Schmidt: Ja. Ich habe das eben genannte Buch ueber Eva 
Valesh noch nicht durchgelesen. Und da liegt auch schon der Mangel. 
Ich treffe Dozenten, Geisteswissenschaftler, Philosophen, die mir 
gestehen was jeder weiss -- . Die gar nicht mehr die Zeit haben, die 
Texte zu lesen, ueber die gesprochen werde muesste. Der ganze Berg 
der Sekundaerliteratur bestimmt scheinbar die Lage und Texte sind nur 
noch Sample-Material fuer den selbstgefaelligen Akademismus und nicht 
mehr Erkenntnismedium. Samples koennten ja auch spielerisch 
angewendet werden, experimentell. Das wird aber schnell 
Romanschreiberei und gehoert dann umgehend in die Bestsellerlisten 
der Populaerwissenschaft. Aber was ist die Aufgabe einer Rezension? 
Ist die Aufgabe, das Buch bekannter zu machen? Wer, den es anginge, 
kauft ausserdem ein Buch fuer knapp 40 Euro? In dem Buch, welches wir 
hier bereden, wird das von den Machern auch klar geaeussert, dass sie 
sozusagen die Arbeit der Journalisten uebernommen haben, also ueber 
die Arbeitswelt jetzt aktuell zu schreiben, die man so nicht findet 
in den Zeitungen. Ich kann das nicht voll beurteilen. Momentan 
scheint der Fernsehsender arte und die daran haengenden VJs das zu 
machen, was man als Berichte ueber Lohnarbeit nennen koennte. Man 
sieht etwas ueber die moerderischen Bedingungen der Goldgraeber in 
Guinea, oder ueber die Ausbeutung in einem 24 Stunden-Spaetkauf, 
etwas ueber Konzerne im le monde diplomatique-Stil. Die Bilder aber 
sind wiederum nicht selbstrepraesentativisch. Das sind nicht 
Artikulationen der sogenannten Betroffenen. Die Bilder, die Montage 
sind der Rahmen innerhalb dessen Arbeiterinnen zu Wort kommen. 
Sicher ist die Leistung der Gesellschaftsforscher und 
Gesellschaftstheoretiker, seien sie mit der Kamera oder dem 
Diktiergeraet unterwegs, den Zeugnissen eine ueberhaupt mal Rahmung 
zu geben oder Hintergrundinformationen beizumischen, wichtig. Aber 
auch das koennte ja von Arbeiterinnen selbst geleistet werden. Da 
sich die Teilungen der Arbeit der Gesellschaft aber auch im Buch 
darstellen wie sie sind -- hier die Theorie, da die Produzentinnen, 
hier die Fragenden, da die Erzaehlenden -- kommt den Interviews in 
diesem Buch hier auf Metaebene, sozusagen als Statement, auch eine 
aufbrechende Stellung zu, die diese Arbeitsteilung des Wissens 
problematisch macht.

Yelena Simc: Doch auf die beruehmte "reflexive Distanz", die von den 
Herausgebern zitiert wird, kann man sich doch nicht zurueckziehen, 
wenn damit gemeint ist, sich als Fragende an die Stelle der Befragten 
zu versetzen ohne in ihr aufzugehen. Wenn man das Dialogische, das 
gemeinsame Reden stark macht, dann ist dieser Abstand zur anderen 
Person immer wichtig, weil nicht alles Gesagte einfach unbefragt 
uebernommen werden kann. Andererseits ist aber klar, dass die 
Fragende nie die Situation der Befragten einnehmen kann, dadurch aber 
auch die Reflektion in der befragten Person in Gang kommen kann.

Matze Schmidt: Wenn die Befragung selbst befragt wird, ja. Wenn nicht, 
kommt man wieder zu interpretierbarem Material fuer Interpreten, die 
dann wieder von anderen Interpreten interpretiert werden. Diesen 
Regress kann man nicht aufloesen, nur unterbrechen. Man muesste also 
zweierlei haben. Etwas von dem, das du bereits erwaehnt hast, die 
Reportage ohne journalistischen Sensationswillen, folglich den Bericht 
der Arbeiterin selber, und die Befragung dieses Berichts. Das kann man 
nicht alleine leisten. Auch das Buch- beziehungsweise Autorenteam war 
wohl sehr gross und half sich in der Selbstkritik. Von der Soziologie 
kann man aber vielleicht nicht mehr erwarten, denn die Form des 
Gespraechs zu nutzen, um das Gesagte wieder in den eigenen 
disziplinierten Diskussionszusammenhang zu stellen. Dass alle 
Autorinnen oder Expertinnen ihrer eigenen Sache waeren, ist zur Zeit 
nicht einloesbar. Warum das so ist, auch daruer gibt das Buch, 
vielleicht auf einer weiteren Metaebene oder versteckt Hinweise.

Yelena Simc: Ja, die Konfrontation Arbeit und Kapital bleibt da 
merklich unbedacht, ist aber letztlich praesent. Auf Seite 35 gibt es 
einen Druckfehler, "Es faellt der Mittelstand" haette offenbar lauten 
muessen "Es fehlt der Mittelstand", darauf erkennt die 
Lagerarbeiterin, das ist ihr Befund. Der Mittelstand schrumpft, muss 
aber zugleich die massenhafte Stuetze des Kapitals bleiben.

Matze Schmidt: Ja, wenn es sich wirklich um ein instruktives Buch 
handelt, ein lehrreiches, gemeint wie eine Zustandsbeschreibung, 
fallen -- wenn wir schon beim Fallen und Fehlen sind -- dann fallen 
die Berichte von dem ab, was das bildungsmaechtige Kleinbuergertum 
mit Doktortitel will. Denn dieses will, wie z.B. Frigga Haug, morgens 
in Ruhe vier Stunden schreiben und dann den Winter auf La Palma 
verbringen. Es ist schon auf einer anderen Seite. Die Interviews 
wurden zwar mit Apothekerinnen, Postbeamten, Software-Entwicklern und 
LKW-Fahrern und auch Rechtsanwaelten, gefuehrt, aber nicht mit 
Akademikerinnen im Hochschulbetrieb. Die sogenannte Generation 
Praktikum, die Volontaere an den Unis haetten da sicher einiges zu 
sagen.

Yelena Simc: Ja, das steht hier nicht drin. Aber diese Angriffe finde 
ich auf Dauer etwas unproduktiv, da sie beim Vorwurf der 
Diskreditierung bleiben. Zum Aufstieg im Betrieb, der sich als 
permanenter Fall darstellt ist ja doch einiges herauslesbar im Buch. 
Die Arbeitsverhaeltnisse bespielsweise der Lagerarbeiterin sind gut 
beschrieben, da sie zeigen, wie der Druck steigt, wie Mehrarbeit und 
Lohnkuerzung im Zusammenhang stehen.

Matze Schmidt: Aber nur punktuell. Der Zusammenhang der brutalen 
Lohndrueckerei wird nur fuer den einzelnen Betrieb, die Branche 
angerissen.

Yelena Simc: Muesste man sagen: das halbe Leben, das da zur Sprache 
kommt, sagt nicht, dass dieses Leben eben halbiert wurde, dass 
Lebenszeit, naemlich im Verkauf der Arbeitskraft, gestohlen wird vom 
Kapital?

Matze Schmidt: Klingt wie eine Phrase, waere aber der Zusammenhang, 
den ich hier vermisse. Die Musikerin sagt irgendwo etwas vom 
Oekonomischen. Das Oekonomische zwinge einen, so und so zu handeln, 
zwinge einen vereinzelt wiederum seine genuin oekonomischen 
Interessen zu vertreten. An einer anderen Stelle sagt sie, dass 
ihr Tun wie Arbeit sei. Sie erkennt, dass sie, Kennerin von Musik 
und Produzentin von Erkenntnissen ueber Musik, diese nur 
warenfoermig verbreiten kann. Diese Illusion, das eigene Tun sei 
doch bisher vielleicht nicht Arbeit gegen Geld gewesen und es sei 
besser, wenn es nicht Arbeit gegen Geld waere, ist die Artikulation, 
dass es auch anders sein koennte. Doch es ist auch die Einsicht, es 
kann unter den hier noch unbestimmten Voraussetzungen nicht anders 
sein. Eine Desillusionierung an der eigenen Person und das Manko 
von Wissen ueber die eigene Stellung, ja Stellung als Posten 
hinaus.

Yelena Simc: Also wenn diese individuellen Geschichten dazu 
dienen, die eigene Klasse an den Tag zu legen, wie es im Interview 
mit der Bankerin bezogen auf ihren elitaeren Habitus gemeint war, 
ihr sicheres Auftreten, ihren Stil, ist das fruchtbar.

Matze Schmidt: Sicher, nur wie die BBC sagt, "stories behind the 
headlines"..., diese Geschichten hinter der Kulisse der Sensation, 
finden eben immer erst hinter den Titelzeilen statt. Sie kommen 
zeitlich und strukturell immer erst danach, werden von der 
Verkuerzung bedingt. Alle Hoffnungen, demokratisierte Autorenschaften 
eines Internet wuerden das aufheben, sind vorbei, weil sich die 
sozialen Netzwerke moeglicherweise polyphon und wie im Fall 
Wikipedia koordiniert geben, dennoch die Verfassheit von Einzelwesen 
in der Arbeitswelt nicht ausraeumen koennen. Da hilft wohl auch 
kein kultureller Kapitalbegriff weiter.

Yelena Simc: Man sieht, die organisatorischen "Tools" sind da, aber 
die Organisation fehlt.

Matze Schmidt: Solange solche Texte im Netz, und zwar ohne 
Micropayment, nicht zugaenglich sind, wird die Soziologie weiter 
ihre Verstehensprobleme alleine waelzen. Man sollte auch an dieser 
Stelle die vielleicht mittlerweile klischeehafte Frage stellen, 
warum das Buch nicht auch zum Download angeboten wird, unentgeltlich! 
Ob Vermittlungsversuche, zum Beispiel per Theater, wie fuer _La misère 
du monde_ geschehen, noch dazu mit Musik von Bach, jemanden erreichen, 
mag dahingestellt sein. Wenn Rimini Protokoll uebernimmt und die Rede 
ueber Verwertung inszeniert, muss das kein schlechter Ansatz sein. Ich 
sehe da aber leider nur das schlechte Gewissen der "wissenden Klasse", 
die damit ihre eigene Klasse gerade nicht bewusst an den Tag legen 
will und sich stattdessen selbst die Ehre gibt.

Yelena Simc: Indem sie aesthetisches Zeug aus Realexistierendem 
baut?

Matze Schmidt: Ja, das ist immer noch die Frage der Repraesentation. 
Dass Theater sich in seinem Unbehagen dennoch gewissermassen outet, 
zeigt zugleich die herrschende Hilfslosigkeit, welche Zweifel und 
Trauer, aber nicht Programm in Szene setzt. Schau, die sich 
klassenlos waehnt und doch Angestelltenlevel besitzt.

Yelena Simc: Bands wie Egotronic leisten das wahrscheinlich auch 
nicht, eine Repraesentation der Verhaeltnisse.

Matze Schmidt: Ich denke, diese Bands und Banden dokumentieren ihr 
Unbehagen, kokettieren mit Kommunismus, Sozialismus, koennen aber 
ihren sozialen Abstand zur Lohnarbeit, zur Produktion nicht 
kritikabel zeigen. Man bastelt dokumentarisch, Agitation ist 
unmoeglich oder sofort wider ein roter Stern.

Yelena Simc: Obwohl sie doch ebenso prekaer leben -- das allerdings 
unter ganz anderen Bedingungen, ungleichzusetzen mit der Fabrik. 
Wird nicht auch im "halben Leben" Prekaritaet zu einer neuartigen 
Herrschaftsform erklaert? Darin folgen Franz Schultheis und die 
anderen wiederum Pierre Bourdieu, der diese neue Unsicherheit im 
Band _Gegenfeuer_, auch unter anderen von Schultheis herausgegeben, 
so fuer diesen "neuen Geist des Kapitalismus" -- ein anderes Zitat, 
diesmal von Luc Boltanski -- definiert. Es tauchen Begrifflichkeiten 
auf wie "kognitive Dissonanz", fuer gegen die Ausbeutung 
widerstaendige Verhaltensweisen, und noch einmal jetzt, der Anspruch 
der Autoren, "bottom up" zu agieren. Ich sehe darin einige 
Widerspruechlichkeiten. 
Oder ist es einfach nur der Jargon, der manifestiert, wie 
geschichtslos und kontextlos die Sicht aufs Soziale seitens der 
Soziologen ist? Der angeblich neue Geist, der neo-liberal heisst, 
kann doch sehr einfach als der alte identifiziert werden, da 
Kapitalien immer um die Maiximierung von Profit bemueht sein mussten 
und muessen, ganz wie vor hundert Jahren auch. Zwar kann man sagen, 
dass die Nachkriegszeit einen, selbstverstaendlich falschen 
Klassenkompromiss zeitigte und damit Kapitalismus irgendwie, 
zumindest im Westen, humaner aussah, das aber eine Analyse, 
orientiert an einer Ethik darstellt. Wenn sich die Lebens- und 
Arbeitsbedingungen mit steigenden Loehnen und stetig gesteigerter 
Produktivitaet auch verbesserten, so sind doch die Grundbedigungen, 
die Konditionen der Produktionsweise keine anderen geworden, nur weil 
es eine Phase des vermeintlich allgemeinen Wohlstands gab.

Matze Schmidt: Und auch die Sicht des ideologischen "Geistes", des 
neuen, ist bereits problematisch, da die Triebe im System nicht allein 
Bewusstheitsgrad besitzen, so als waere das alles nur der boese 
Wille arroganter Multis, haette man frueher gesagt, oder 
die Zerstoerungswut und der Technologiewahn transnationaler 
Unternehmen. So, als koenne die kapitalistische Welt doch auch 
wieder gerecht sein.

Yelena Simc: Da schwingt einiges an Nostalgie mit. Die geradezu 
ueberbildhafte Vorstellung, es gaebe eine Flugbahn des Individuums 
durch die Verhaeltnisse, die man nachvollziehen koenne, klingt wie 
eine poetisierte quantitative Wissenschaftsmethodik, die nun 
qualitativ geworden ist, und der nichts anders bleibt als 
deskriptiv fast-romantisch zu reden.

Matze Schmidt: Diese von-unten-Haltung finde ich aber auch 
symphatisch, da sie zumindest zeigt wie anti-kapitalistisch man 
sein moechte. Das ist meines erachtens als Signal zu werten, wie 
weit man innerhalb einer gesellschaftlichen Positionierung auf der 
sozilogischen Seite bereit sein koennte zu gehen.

Yelena Simc: Gut, da koennte man diesen Satz mal auseinandernehmen, 
um zu sehen, wie was getarnt oder verzerrt wird. Ich zitiere die 
Herausgeber aus ihrer Einfuehrung, die Herleitung und ihres Credo 
und seine ethologische Bestimmung, wenn man so will -- es geht 
nochmal um das Verstehen oder die Verstehensleistung der Soziologie: 
"Nachvollzug der Gruende ihres 'Andersseins'," das bedeutet der 
anderen Person, die nicht Soziologie betreibt, demnach lohnarbeitet, 
"angelegt im Ensemble der mit ihrem im Sozialraum eingenommenen Ort 
und der dort hinfuehrenden Flugbahn verknuepften gesellschaftlichen 
Bedingungen und Bestimmungen." Die Autoren sehen darin einen Akt der 
Solidaritaet.

Matze Schmidt: Genaugenommen sehen sie darin eine (Zitat): "Quelle 
gesellschaftlicher Solidaritaet". Das ist vom Akt zu unterscheiden. 
Mehr als Studien kann Wissenschaft auf diese Weise wohl ersteinmal 
nicht bereitstellen.

Yelena Simc: Aber die Bedingungen und Bestimmungen als Ensemble 
erinnert an den staedteplanerischen Gestus in der Sprache der 
Historiker, der Kunsthistoriker. Ein objektives Zusammenspiel von 
Kraeften wird mehr als unbestimmt gelassen und wie ein neutrales 
Zusammenwirken gedacht, wobei das Wort Gesamtheit vermieden bleibt.
Das wirkt abstrakt und tut keinem weh. Die portraetartigen oder 
selbstprotraetartigen Interviews sind da etwas krasser. 
Klassenanalyse ist das aber sicher noch nicht.

Matze Schmidt: Sehe ich aehnlich. Bleiben noch die bibliografischen 
Angaben: Das Buch _Ein halbes Leben: Biografische Zeugnisse aus 
einer Arbeitswelt im Umbruch_, herausgegeben von Franz Schultheis, 
Berthold Vogel und Michael Gemperle, ist erschienen bei der 
UVK Verlagsgesellschaft in Konstanz und kostet 39,90 deutsche Euro 
Es enthaelt 37 Interviews mit Lohn- beziehungsweise Gehaltabhaengigen 
aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz. Auf der Webseite des 
Universitaetsverlags Konstanz www.uvk.de/buch.asp?ISBN=9783867642446 
gibt es eine Leseprobe und einen Link zu einer vollstaendigen aber 
kostenpflichtigen Onlineversion.

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2.

Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 46


Anmerkung: Die Zitierung setzt Anfuehrungszeichen an den Anfang und 
das Ende des Zitats. Die bereits im Originaltext gesetzten 
doppelten Anfuehrungszeichen (") werden der redaktionellen 
Faulheit wegen nicht durch einfache (') ersetzt. Daher kann ein Zitat 
folgendermaszen aussehen: ""Wesen des Menschen"". Zitierte man immer 
weiter in weitere Originaltexte zurueck- bzw. vorgehend, koennten auf 
diese Weise auch Monster aus geschachtelten Zitaten wie etwa 
""Wesen des "kapitalistischen" Menschen"" entstehen. Zeichensetzung 
und Form/Inhalt bedingen so einen irgendwann surrealistische 
Dimensionen. Siehe auch "Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & 
Copyriot_ 1" (n0name newsletter #95), wo von einer Hierarchie der 
Zeichen die Rede war:

"Das Copyright-Zeichen erscheint als das einzige sakrosankte Zeichen.
Es kann nicht mit einem Copyright belegt werden, da es selbst
universal symbolische Funktion fuer alle Copyrights und Urheberrechte
uebernimmt." (http://www.n0name.de/news/news95.txt)

Ist es ein Glueck, dass der Smiley "Allgemeingut" bleibt, weil das 
Patentamt 2008 den Antrag des Managers Oleg Teterin ablehnte, das 
Symbol, zum Beispiel mit der Zeichenfolge ;-) , als Warenzeichen 
eintragen zu lassen? Warum gilt dann der markenrechtliche Schutz fuer 
Zeichenfolgen wie (Zitat) "Nike"?
Diese Ebene der Kritik muesste, um den unter dem Schutz des 
Nationalstaates stehenden Zeichenverkehr, der diesen von den 
irrsten Blockaden freihaelt, verstehen zu koennen eine allgemeine 
Theorie der Ware der Zeichen ansetzen. Was bestimmt denn die 
_differentia specifica_ einer Folge von Zeichen im Gegensatz oder 
Vergleich zu einer anderen Folge von Zeichen? Wenn die Gerichte die 
eine frei halten, um den Warenverkehr ueberhaupt zu gewaehrleisten 
-- waeren alle moeglichen Zeichenfolgen markenverrechtlicht, waere 
der Handel mit Zeichen nicht mehr moeglich oder stuende zumindest 
unter staendigem Zoll und der Warencharakter der Symbole selbst 
gefaehrdet -- und die andere Zeichenfolge aber privatisiert, dann 
wird der oeffentliche Charakter des Privateigentums offensichtlich. 
Bis in die kleinsten Zeichen ueber Zeichen hinein (Zeichen ueber 
Zeichen erlaeutern die Funktion von Zeichen, etwa das (c), oder 
das ") wirkt dieser fuer die Bildung von Kapital noetige Privatismus.

Ferruccio Rossi-Landi versuchte Kapital und Privateigentum in der 
Sprache zu behandeln und verallgemeinerte dabei den Tausch-Wert. Er 
zog, wie knapp 40 Jahre spaeter spaeter Hartmut Winkler (siehe 
sein Buch _Diskursoekonomie_, 2004) den Wert einer Ware, seine 
Entstehung auf die Tausch-Seite, hier das hergestellte Wort, 
beziehungsweise auf die Konsumentenseite, womit dieser Wert rein 
relational wurde. Warum, weil die Produktion der Zeichen so abstrakt 
und immateriell erscheint? Der Wert eines Zeichens kann nach 
Rossi-Landi nur vom Tauschwert her bestimmt werden. Er wird demnach 
nicht in der Warenproduktion bestimmt. Rossi-Landi, obwohl sich in 
seinem Artikel "Kapital und Privateigentum in der Sprache" 
(_Aesthetik und Kommunikation, Maerz 1972) S. 36) dessen noch 
bewusst, dass auch die Sprache in menschlicher Arbeit ensteht, 
spricht dann von einem sprachlichen Gesamtkapital und, dass "die 
herrschende Klasse das Privateigentum an der Sprache ausuebt". 
Dennoch, warum muss der Sprache und einem seiner Medien, eine 
besondere Stellung zukommen, welche es als besonderes Kapital neben 
dem Geld- und Bodenbesitz- und dem industriellen Kapital -- das 
alles sind bereits Verhaeltnisse und keine Substanzen -- 
auszeichnet? Und warum ist Sprache, mit allen seinen Codes, 
Codierungsfunktionen, Zeichen- und Symbolebenen, dann auch noch 
eine besondere Ware, deren Wert erst und nur in der Konsumption 
entstuende? Weil fuer die Sprache Produktion und Konsumption eins, 
also untrennbare Vorgaenge sind?

Nochmal tief in die Tasche gegriffen:

"Der kapitalistische Produktionsprozess bzw. das kapitalistische 
Privateigentum trennt den Menschen aber von der Natur. Die Dinge, 
die der Arbeiter produziert, schafft er nicht für sich und seinen 
Bedarf, sondern für den Kapitalisten, den Privateigentümer der 
Produktionsbedingungen."

Das kann nach Marx und Engels, hier folgt Nuss den beiden im Stil 
der Theoretikerin, die zitiert aber nicht Stellung bezieht, dass das 
Wesen des Menschen aus den Verhaeltnissen 'gemacht' ist, die 
geschichtsam sind und daher veraenderbar. Bei Schneefall sieht man 
ein spurenhaftes simples Abbild dieser Formen des Verkehrs der 
Besitzverhaeltnisse IM Verkehr verkehrt: Die Schneeraeumungsmaschine 
macht immer genau da halt, wo nicht bezahlt wurde und die Leute 
selber raeumen muessen.

"Menschen". Demnach sei dies eine Verselbständigung und unzulässige 
Verallge-meinerung von Vorstellungen über den Menschen, die erst aus 
einer bestimmten Gesellschaft mit einer spezifischen Produktions- und 
Verkehrsform resultieren: „Diese Summe von Produktionskräften, 
Kapitalien und sozialen Verkehrsformen, die jedes Individuum und jede 
Generation als etwas Gegebenes vorfindet, ist der reale Grund dessen, 
was sich die Philosophen als `Substanz' und `Wesen des Menschen' 
vorgestellt, was sie apotheosiert und bekämpft haben" (Marx/Engels 
1845/46, 1969: 38). Die Wesensbestimmungen der Menschen sind 
demgegenüber aber selbst Produkte bestimmter gesellschaftlicher 
Verhältnisse,2 sie können diese Verhältnisse nicht als 
„Objektivierung" des Wesens erklären.
   Unabhängig davon, ob Marx nun von einem Menschenbild ausgeht oder 
nicht, seine frühe Eigentumskonzeption spielt in den späteren 
Schriften und vor allem im „Kapital" keine Rolle mehr. So spricht Marx 
in den „ökonomisch-philosophi-schen Manuskripten" noch davon, das 
„allgemeine Wesen des Privateigentums, wie es sich als Resultat der 
entfremdeten Arbeit ergeben hat, in seinem Verhältnis zum wahrhaft 
menschlichen und sozialen Eigentum zu bestimmen" (Marx 1844, 1977: 
521). Selbstkritisch bemerkt er später, dass die von ihm ehemals 
vertretene These von einem „wahren Eigentum" das bisherige wirkliche 
Privateigentum nur als Schein fasse und die aus diesem wirklichen 
Eigentum abstrahierte Vorstellung als Wahrheit und Wirklichkeit 
dieses Scheins, sie ist „also durch und durch ide-ologisch" 
(Marx/Engels 1845/46, 1969: 457).3
   Auch beim Marxschen „Kapital" gibt es erhebliche 
Interpretationsunterschiede. In der Literatur gibt es bereits 
divergierende Meinungen darüber, worauf die Marx'sche Analyse abzielt, 
so wird das „Kapital" beispielsweise mitunter verstan-den als Analyse 
des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts oder als Beschreibung der 
historischen Entwicklung des Kapitalismus. In vorliegender Arbeit wird 
dagegen die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Analyse des 
Kapitalismus in seinen wesentlichen Bestimmungen, die auch bei 
historischen Veränderungen noch gel-
________________________
2 In der sechsten der Feuerbachthesen formuliert Marx die Kritik an 
  der wesensphiloso-phischen Konzeption folgendermaßen: „Feuerbach 
  löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das 
  menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individu-um innewohnendes 
  Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesell-
  schaftlichen Verhältnisse" (Marx/Engels 1845/46, 1969: 5-7).
3 Im Vorwort zur „Kritik der Politischen Ökonomie" von 1859 schreibt 
  Marx in der Retrospektive schließlich über sein und Friedrich 
  Engels Ansinnen, welches sie mit der Deutschen Ideologie verfolgten: 
  „(...) beschlossen wir, den Gegensatz unserer Ansicht gegen die 
  ideologische der Deutschen Philosophie gemeinschaftlich 
  auszuarbeiten, in der That mit unserm ehemaligen philosophischen 
  Gewissen abzurechnen" (Marx 1857, 1961b: 10).

156"

ten, handelt. Es geht daher nicht um Kapitalismus einer spezifischen 
Phase oder eines bestimmten Landes, sondern es geht um, wie Marx es 
selbst geschrieben hat, „die innere Organisation der kapitalistischen 
Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt" (Marx 1894, 
1973: 839). Dabei steht die in der bür-gerlichen Ökonomie und im 
Alltagsverstand anzufindende Anschauung der kapi-talistischen 
Vergesellschaftung im Focus, was bereits am Untertitel des „Kapital": 
„Kritik der Politischen Ökonomie" zum Ausdruck kommt. In einem Brief 
an Lassalle macht Marx das folgend deutlich:

„Die Arbeit, um die es sich beim `Kapital' zunächst handelt, ist 
Kritik der ökonomischen Kategorien oder, if you like, das System der 
bürgerlichen Ökonomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich 
Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben" 
(Marx 1858, 1963: 550).

Allerdings ging es Marx dabei nicht um bestimmte theorieimmanente 
Ungereimt-heiten oder Widersprüche, sondern es ging vielmehr um eine 
Kritik des zugrunde liegenden Paradigmas bzw. der theoretischen 
Vorannahmen, welche der Politischen Ökonomie stillschweigend 
vorausgesetzt sind (vgl. dazu ausführlich Heinrich 2004).
   In diesem Kontext kann auch Marx' Eigentumskonzeption begriffen 
werden. Marx untersucht nicht das bürgerliche oder kapitalistische 
Privateigentum direkt, sondern über einen Umweg: Er liefert eine 
Eigentumskonzeption, indem er kriti-siert, wie das bürgerliche 
Privateigentum in der Politischen Ökonomie und im bürgerlichen 
Alltagsverstand vorkommt. Den entscheidenden Punkt seiner solcher-
maßen verfassten Eigentumsanalyse macht Marx im „Kapital" unter dem 
Titel „Umschlag der Aneignungsgesetze" (Marx 1867, 1989: 605) und 
etwas ausführli-cher im Urtext von 1858 „Erscheinung des 
Appropriationsgesetzes in der einfa-chen Cirkulation" (Marx 1858, 
1980: 47) deutlich. Im Mittelpunkt steht hier die Dekonstruktion 
der seit Locke üblichen rechtsphilosophischen Legitimation des 
Eigentums durch Arbeit, das heißt die bürgerliche Arbeitstheorie 
des Eigentums (s.o.). Nach Marx ist dieses Theorem, wonach Arbeit 
das Recht auf Eigentum begründe bzw. Eigentum auf eigener Arbeit 
beruhe, auch in der ökonomischen Theorie und dem bürgerlichen 
Alltagsverstand nicht widerspruchsfrei, „da bei Betrachtung 
concreterer ökonomischer Verhältnisse als die einfache Circulation 
sie darstellt, widersprechende Gesetze sich zu ergeben scheinen 
(Marx 1858, 1980: 49). Dass Arbeit Eigentum begründet, gilt dem 
bürgerlichen Alltagsverstand aber dennoch als Norm, als 
„allgemeines Gesetz" (Marx 1858, 1980: 49). Dies, so Marx, ist 
aber ein Schein, der sich der Perspektive der einfachen 
Zirkulation verdankt. Als „einfache Zirkulation" bezeichnet Marx 
den Tausch von Ware gegen Geld, als allgemeine Form der 
Vermittlung des gesellschaftlichen Stoffwechsels, wobei von dem 
zugrunde liegenden Prozess der kapitalistischen Produktion noch 
abs-trahiert wird.

157"

Die Konzeption der Sprache bei Rossi-Landi, als erst im Tausch 
enstehende Ware, scheint der einfachen Zirkulation geschuldet zu 
sein. Und so kann er seinen universitaeren Kredit auch nur in der 
Sprache zurueckzahlen, die im Gebrauch die Produktion von Wert 
sieht, Sprache nur in einer Sprache sieht, die literarisch und 
sinnhaft sei. Wobei sie doch nicht nur in Codes und Kanaelen 
existiert, man denke an das gesamte "Bildungswesen". Obwohl 
Rossi-Landi weiss und sagt, dass die Produktion dem Konsum 
vorausgeht, Beamer, Druckereien, Monitore, Computerchips, 
Tastaturen, Software, Kaffee, Bibliotheken, Heizung, kann die 
Sprache fuer ihn nur mit Kategorien des Oekonomischen _verglichen_ 
werden, nimmt die Sprache einen Extraraum ein. Wozu diese 
Konstruktion einer Kategorie wie "sprachliches Geld"? Was eroeffnet 
sie zum Verstaendnis der 'Kapitalisierung' von Kommunikation? Wenn 
Rossi-Landi eine Homologie behauptet, die sich im Vergleich von 
Geld und Sprache auftue, also Sprache (bei ihm im Vergleich zu den 
Einheiten des Geldes verkuerzt auf Woerter) ein universales 
Aequivalent als Wort sei, das in der Kommunikation mit allen anderen 
Wortfolgen tauschbar waere, verpasst er zu sagen, dass es das noch 
'universellere' allgemeine Aequivalent gibt, das Geld mit dem sich 
jedes Wort kaufen laesst. Die Produktionsseite wird aber dabei 
laengst verlassen.

Susi Meyer/Ali Emas/Matze Schmidt

Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot: Aneignungskonflikte um geistiges
Eigentum im informationellen Kapitalismus_. Muenster: Westfaelisches
Dampfboot, 2006. 269 S. - EURO 19,90. Erschienen: Oktober 2006

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