[rohrpost] 8.12 (Mi), 14-16, Gastvortrag, "Die Körperlichkeit des Rechnens oder Warum die Rechenautomaten Lautsprecher hatten" von Dr. Gerard Alberts (Universiteit van Amsterdam) am Lehrstuhl für Medientheorien HU Berlin

Shintaro Miyazaki miyazaki.shintaro at gmail.com
Mon Nov 29 16:43:35 CET 2010


Einladung für den Gastvortrag "Die Körperlichkeit des Rechnens oder  
Warum die Rechenautomaten Lautsprecher hatten"
von Dr. Gerard Alberts (Universiteit van Amsterdam) am Lehrstuhl für  
Medientheorien HU Berlin.

Zeit: Mittwoch, 8.12 von 14:00 bis 16:00
Ort: Sophienstraße 22a, Berlin, Medientheater [letzter Hof im  
Erdgeschoss]

Die Veranstaltung ist im Rahmen der Vorlesung "Medium und Affekt. Der  
menschliche Zeitsinn in Kopplung an 'audiovisuelle' Technik" von Prof.  
Dr. Wolfgang Ernst (Lehrstuhlinhaber Medientheorien HU Berlin) und in  
Zusammenarbeit mit der Vortragsreihe "oscillation series - sonic  
theories and practices, http://sonictheory.com/ " organisiert von  
Shintaro Miyazaki und Jan Thoben.

-------------------------------------
Abstract:

Die Körperlichkeit des Rechnens,
oder Warum die Rechenautomaten Lautsprecher hatten.

Gerard Alberts
Universiteit van Amsterdam
Instituut voor Informatica; Program in the History of Computing

Die frühesten Computer, schon um 1950, waren mit Lautsprecher  
versehen. Sie hätten still sein können, waren es aber nicht. Dass die  
digitale Elektrizität, die später nur noch als Bits, Nullen und Einsen  
betrachtet wurde, damals auch nochmals durch einen Lautsprecher  
geführt und zum Klingen gebracht wurde, hatte eine besondere  
Bedeutung. Es galt die Beruhigung des Benutzers. Die Lautsprecher  
waren auditive Monitore.

Eine Archäologie der Rechnerkonsole weist darauf hin, dass wohl alle  
frühen Rechner –ausser die Geräte von IBM – Lautsprecher hatten. Die  
BenutzerIn, die menschliche RechnerIn, hatte vormals ihre Rechnungen  
selbst zusammen gekurbelt und war in dem Sinne dadurch unmittelbar auf  
das Rechenverfahren bezogen. Bei den Automaten wurden die  
Rechenaufgaben in sie hineingeführt (über Lochstreifen oder  
Lochkarten) und wenig später kam dabei etwas heraus. Man konnte nur  
hoffen, dass es zwischen den beiden Prozessen eine rationelle  
Beziehung gab. Zur Beruhigung lauschte man dem Prozess ab. Die  
Rechnerin hörte also nicht im allgemeinen dem Funktionieren des Geräts  
zu, sondern ganz präzise dem Rechenablauf, dem Prozess, dem Ablauf der  
programmierten Befehle. Der Lautsprecher bot eine sinnliche  
Bestätigung, dass etwas vernünftiges, etwas nachvollziehbares geschah;  
dass wirklich das Programm ablief. Dies nachzuvollziehen war für den  
Benutzer spannend und von großer Bedeutung.

Kurz nach 1960 verschwand dieses Vorgehen. Nicht nur das Rechnen,  
sondern auch die Zusicht darauf wurde automatisiert. Im allgemeinen  
entwickelte sich eine neue Art von Programmieren, Metaprogramme oder  
Programme die Programme erzeugten, in einem Wort: Software.  
Monitorprogramme bildeten dabei eine wichtige Klasse von Software.

Die Vorlesung wird aus der Archäologie der Konsole einerseits auf die  
Körperlichkeit des Rechnens, andererseits auf der Art des  
Programmierens und der Software schliessen. Ausserdem wird die  
Vorlesung ein Streiflicht auf das Spielen mit dem Computer werfen.  
Dass hier “Musik” gemacht wurde, bezeichnet eben dass in der Technik  
immer auch ein spielerisches Element mitspielt.

Gerard Alberts ist Kulturhistoriker der Informatik und der Mathematik.  
Er promovierte über Rationalisierung und Mathematisierung im  
kulturellen Kontext der Nachkriegszeit. Innerhalb der  
Computergeschichte ist die Softwaregeschichte seine Spezialität. Unter  
seiner Führung wird das ESF Forschungprojekt “Software for  
Europe” (2007-2011) ausgeführt mit Beteiligung von 11 Gruppen in  
Europa und Amerika. Alberts ist Dozent für Geschichte der Informatik  
und Mathematik und für gesellschaftliche Beziehungen der Wissenschaft  
an der Universität Amsterdam.