[rohrpost] (fwd) call 2. Medienwiss. Symposion SOZIALE MEDIEN -
NEUE MASSEN
Andreas Broeckmann
ab at dortmunder-u.de
Don Mai 26 18:12:58 CEST 2011
call for papers
2. Medienwissenschaftliches Symposion der DFG
SOZIALE MEDIEN - NEUE MASSEN
Lüneburg, 2. - 4. Februar 2012
2012 wird zum zweiten Mal das
»Medienwissenschaftliche Symposium« der DFG statt
finden. Seine Aufgabe ist es, die Entwicklung der
Medienwissenschaft in Deutschland durch die
Diskussion zentraler, gemeinsam interessierender
Themen voranzubringen. Unter dem Titel »Soziale
Medien - Neue Massen« widmet sich das Symposion
daher dem Zusammenhang von Medien und
Öffentlichkeiten.
Mit dem Motiv einer brüchig werdenden
Beschreibungsmacht hergebrachter
Konzeptualisierungen von Massen und Massenmedien,
mit den schon länger kursierenden Diagnosen
zerstreuter Öffentlichkeiten, den kaum mehr
vorhersagbaren Dynamiken und Effekten digitaler
Technologien, dem Entstehen neuer
Massenvorstellungen (Schwärme, flashmobs,
Netzwerke, etc.) und ihren gesellschaftlichen und
politischen Implikationen ist ein Forschungsfeld
aufgerufen, auf dem die Medienwissenschaft zwar
prominent angesprochen ist, aber nicht alleine
steht. Sie ist vielmehr umgeben von anderen
Beobachtern wie Soziologie, Geschichte,
Informatik, Philosophie oder Publizistik, die
sich ebenfalls mit solchen Phänomenen
beschäftigen und ebenso von ihnen heraus
gefordert sind. Umso mehr gilt es daher, im
Dialog mit anderen Disziplinen die originäre
Leistung einer medienwissenschaftlichen Episteme
hervorzutreiben und ihren spezifischen Beitrag
zur Deutung einer medialisierten Lebenswelt zu
konturieren.
Die Vielfalt dieses Themas soll durch vier Schwerpunkte gebündelt werden:
Welche Massen? (Inge Baxmann, Stefan Rieger)
Massen sind offensichtlich nicht mehr das, was
sie einmal waren. Massen als reale Massierungen
von Körpern auf öffentlichen Plätzen wurden
bereits ebenso emphatisch verabschiedet wie die
Konsumenten der gleichnamigen Medien und deren
Theoretisierungen als unmündig und
aufklärungsresistent, als gelenkt, manipulierbar
und im Uneigentlichen verfangen. Bereits seit
Autoren wie Riesman, Bell, Toffler oder Tourraine
wird das Verschwinden der Massen zelebriert. Doch
die Lage scheint komplizierter: Einerseits
erleben ganz materielle Massen mit all ihren
Dynamiken (von Paraden, Staus und Public Viewings
bis hin zu Massenpaniken im religiös-rituellen
Raum) allerorts ein comeback, andereseits ist
nicht ausgemacht, ob sich die durch das Netz
formierenden »Neuen Massen« angesichts der
Vielfalt ihrer Ausprägungen überhaupt noch
sinnvoll als Massen beschreiben lassen. Denn von
Jeti-Fans über World of Warcraft-Spieler bis zu
Bildungsreformgegnern zeigt sich, dass
prinzipiell kein Gegenstand und keine Wissensform
dieser Welt nicht dazu taugte, neue Sozialformen
im Virtuellen zu stiften - digitale Biotope,
deren Artenschutz schon allein deswegen einen
schweren Stand aufweist, weil man sie ob ihrer
schieren Masse nicht kennen kann. Inwiefern ist
dabei die Wahrnehmung von Massen selbst immer
schon ein Effekt von (Massen-)Medientechnologien
gewesen? Und wo fängt eine Masse an, sich von
einer Gruppe oder Menge zu unterscheiden? Zu
diskutieren wäre daher, von welchen Massen wir
über haupt als je »alten« und »neuen« Massen
sprechen, welche (Dis)Kontinuitäten von Massen-
und Massenmedien-Konzepten (LeBon, Canetti, y
Gasset, Freud, Broch, »New Masses«; kritische
Theorie, Birmingham School etc.) dabei
vorausgesetzt werden, und welche historischen und
systematischen Differenzierungen zu machen wären.
Welche Medien? (Ute Holl, Claus Pias)
Medien bringen ihre geschichtlich je
eigentümlichen Massen und Massen(medien)theorien
hervor. Während beispielsweise die öffentliche
Rede ein physisch-akustisches Hier und Jetzt
evozierte, brachten Radio und Fernsehen ein
räumlich verstreutes, aber zeitlich vereintes
Massenpublikum hervor. Dem Internet mit seiner
Möglichkeit, sich zu unter schiedlichen Zeiten
einzuklinken und auf Inhalte zuzugreifen, eignet
eine zeitliche »Verstreutheit«, die dem
(Massenmedium?) Buch zwar näher ist, dabei jedoch
von einer Speicher- zu einer Produktionslogik
übergeht, die vielfach als »participatory turn«
oder »user generated content« diskutiert wurde.
Spekulieren mag man, ob Massen möglicherweise
dort auftreten, wo ein angemessener Speicher
fehlt und wo entsprechende Speicherdispositive
Massenauftritte und -auftriebe ersetzen.
Offensichtlich scheint dagegen, daß historisch
jeweils neue Massen den Plan immer zugleich mit
neuen medientechnischen Gegebenheiten betreten
haben, weil auch die Forschung ihrer
Mediengeschichte nicht entkommt, sobald sie
Massen erforscht und konzeptualisiert. Eine
vordringliche Aufgabe ist daher die Diskussion
der Rolle, die Apparate, Formate, Protokolle und
Standards für das einnehmen, was durch Massen und
was von Massen gedacht, gewusst, gesagt und getan
werden kann.
Welche Forschung? (Wolfgang Hagen, Timon Beyes)
Massenmedienforschung will etwas über
massenmediale Nutzungen erfahren. Solange diese
Nutzung noch auf Geräteexklusivität basierte,
konnte dabei einfach Gerätenutzung mit
Inhaltsnutzung gleichgesetzt werden. Dies hat
sich grundlegend verändert, denn gleichwohl z.B.
das angeblich ausgediente Massenmedium Fernsehen
so viel genutzt wird wie noch nie, sind Faktoren
wie Plattformindifferenz (austauschbare Screens
wie TV, PC, Laptop, Smartphone etc.),
Contentorientierung (Inhalte werden auf
verschiedensten Wegen geliefert), Nichtlinearität
(zeitsouveräne Nutzung durch Recording, On
Demand, Time-Shift, Download etc.) oder
Crossmedialität (gleichzeitige Nutzung anderer
Medien wie Internet, Handy etc.) wirksam
geworden. Medienforschung als empirische
Sozialforschung, die eine Zufallswahl aus einer
gleichverteilten Erreichbarkeit voraussetzen und
treffen muß, um daraus »repräsentative« Aussagen
abzuleiten, ist unter solchen Umständen an ihre
Grenzen gestoßen. Wo Massenmedienforschung haupt
sächlich Werbeforschung im Markt der elektronisch
linearen Medien war, wurde sie durch die
algorithmische Auswertung von Massendaten aus
Social Networks, Suchmaschinen oder Onlinekäufen
ersetzt. Diese Algorithmik erzeugt jedoch ihre
ganz eigenen Artefakte von Hits und Stars,
Ballungs räumen und Unsichtbarkeiten, Feedbacks
und Inszenierungs strategien (z.B. astro
turfing). Mit solchen Stichworten ist die
grundlegende Frage aufgerufen, mit welchen
Methoden das historisch wechselnde Verhältnis von
Massen und Medien beobachtet wurde und beobachtet
werden kann. Damit sind zugleich notorische
Differenzen verschiedener Medien-Wissenschaften
adressiert (quantitativ, qualitativ,
kulturwissenschaftlich), die es - in ihrer
historischen Genese und systematischen Differenz
- zu diskutieren gilt.
Welche Öffentlichkeiten? (Wolfgang Coy, Geert Lovink)
Es ist offensichtlich, daß Revolutionen nicht
mehr (wie einst noch in Rumänien) mit der Video
kamera gemacht werden, und daß Ministerämter
nicht mehr durch Untersuchungskommissionen ins
Wanken gebracht werden. Klassische
Interessenvertretungen wie Vereine, Verbände oder
auch akademische Fächer mit ihren tradierten
Formen der Jahres treffen, ihren Haupt- und
Mitgliederversammlungen, ihren Kassenwarten und
Rechenschaftsberichten weichen zunehmend anderen
Organisationsweisen. Ob »Weisheit der Massen«,
crowdsourcing oder crowd funding, ob
»Blogospähre« oder WikiLeaks: Das Netz generiert
nicht nur seine eigenen technischen Standards,
sondern mit diesen auch solche der Gesellschaft.
Wenn »die« Öffentlichkeit bislang in der
selbstreflexiven Diskussion der sogenannten
Leitmedien entstanden ist, stellt sich die Frage,
wie und welche neuen Öffentlichkeiten aus den
disparaten Strängen der Internetmedien entstehen.
Wie formieren sie diese Öffentlichkeiten, welche
Formen der Kritik sind in und an ihnen möglich
und wo liegen ihre Grenzen (»net delusion«)?
Zugleich haben jene »Neuen Massen«, die mit dem
Selbstverständnis einer egalitären und selbst
bestimmten Unverbindlichkeit auftreten
(»organizing without organi zations«), durchaus
auch einen historischen Index: Phantasmen von
kollektiver oder distribuierter Intelligenz und
nichthierarchischer Selbstorganisation haben (zum
Guten oder Schlechten) ihren Vorlauf über das
gesamte 20. Jahr hundert hinweg. Vorrangig zu
diskutieren gilt es jedoch ein gegenwärtiges
»technological unconscious« (Nigel Thrift) das
nicht auf technische Neuerungen reduzierbar ist,
sondern einen Knoten aus technischen,
ästhetischen und sozialen Entwicklungen
bezeichnet, die in den Überbegriff der Sozialen
Medien eingehen und dabei neue politische
Subjekte und neue Regulierungsformen menschlichen
Erlebens und Handelns hervorbringen.
Teilnahmebedingungen:
Die Teilnahme am Symposium setzt voraus:
- die Zusendung eines ausführlichen Abstracts (1-2 Seiten)
- die vorherige schriftliche
Einreichung des Beitrags (nicht mehr als 12
Seiten)
- die Bereitschaft, ein kurzes
Korreferat zu einem der anderen vorgelegten
Beiträge zu übernehmen
- die Bereitschaft, während der
gesamten Zeit des Symposiums an den Diskussionen
teilzunehmen
Termine:
- Einsendeschluß für Titelvorschläge:
1. August 2011 (bitte mit Angabe der bevorzugten
Sektion)
- Einsendeschluß für Abstracts (1-2 Seiten): 31. August 2011
- Benachrichtigung über die Annahme: September 2011
- Einsendeschluß für ausformulierte Papers: 1. Dezember 2011
Programmkomitee:
Inge Baxmann (Universität Leipzig)
Timon Beyes (Leuphana Universität Lüneburg)
Wolfgang Coy (HU Berlin)
Wolfgang Hagen (Deutschlandradio Kultur / HU Berlin)
Ute Holl (Universität Basel)
Geert Lovink (Amsterdam)
Claus Pias (Leuphana Universität Lüneburg)
Stefan Rieger (Ruhr-Universität Bochum)
Kontakt:
neuemassen at googlemail.com