[rohrpost] radi0.tv auf CoLaboRadio: (Tonality) entkernen

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Son Mar 31 21:00:16 CEST 2013


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"entkernen"

und

"Egal auf welchem Plakat, ich lese immer nur David Bowie"

von tzboy und bänd.org

Mi., 03.04. und 10.04.2013 02:00-03:00 (morgens, nachts)
In Berlin auf 88,4 MHz und Potsdam auf 90,7 MHz
http://senderberlin.org

STREAM
MP3: High http://ice.rosebud-media.de:8000/88vier.m3u

OGG: High http://ice.rosebud-media.de:8000/88vier-ogg1.ogg

Download
entkernenplakatbowie.mp3 (00:58:46 Min., 107 MB)
https://www.dropbox.com/s/qshkjh3gqy31lr8/entkernenplakatbowie.mp3







(Tonality) entkernen



Relationismen, Uebertragungen und Mimesis[1] bilden ein "Kernland" der
Musik. Programmmusik und Vogelzwitschern aus Synthesizern aber auch
"Naturgraeusche zur Entspannung" wie Aktienkurse zu Tonhoehen koennten
das belegen. Eine Kulturstiftung behauptet jedoch, Deutschland sei ein
Kernland der, zum 'Begriff' gemachten, Neuen Musik.[2] Wobei die
Staats-Stiftung mit privaten Stiftungen zusammenarbeitet, womoeglich,
um das Land gegenueber Fruchtfleisch und Schale noch fruchtbarer zu
machen, denn auch Vertreter der Kapitalseite (z.B. Clemens Boersig)
sitzen mit im (Bei)Rat. Klar wird gesagt, was das grosse N im Namen zu 
bedeuten hat[3]:


      "Die stetige Akkumulation an neuen musikalischen 
      Erfindungen und das Anwachsen archaeologischer Funde
      erforderten eine staendige Ausdehnung und Vernetzung
      des Territoriums bis hin zu den Peripherien."[4]


Das bedeutet, Kultur als geschichtlich territoriale Frage von
Expansion zu behandeln (frei nach Haydn: Meine Musik versteht man
ueberall), innerhalb (!) derer tautologisch von der Kunst zur Kunst
ein Mehrwert generiert wird:


      "Neue Musik laesst sich am ehesten als eine
      nicht-normative, offene musikalische Praxis
      beschreiben: Eine kuenstlerische Praxis, die
      bislang Nebensaechliches, Unbeachtetes, Wertloses
      und Profanes zum Gegenstand kuenstlerischer Formung
      werden laesst und ihm so den Status von etwas
      Wertvollem verleiht, ihm Kunstcharakter gibt."[4]


Diese so herausgestellte Erhoehungs- und Erbauungsthese, welche das
Ausserkuenstlerische in das Innerkuenstlerische holt, ist seit
Baumgarten Standard. Die Landkarte der Musik hing ueber dem Klavier.
Mit Bergen, Suempfen, Meeren, Inseln, Untiefen, jedenfalls
kartografierbarem Terrain -- welches im Weltmasztab aktivistisch
bevorzugt de-kolonialisiert werden muss, oder gewerkschaftlich als
lebendiger "Organismus" (dem bewussten) Tarifverhandlungen unterzogen
werden muss, wo Bereichsleiter Orte der Kultur sortieren.[5] Die
Erhoehung dieser nicht-normativen, offenen musikalischen Praxis durch
die Kunst der praktischen Werbetheorie nun steht im Gegensatz zum
realen Tarif von Lehrkraeften, die oft Honorarkraefte sind (im
Vergleich zu anderen deutschen Bundeslaendern in Berlin zu 90
Prozent). Das Ergebnis von Werbetheorie, z.B. der Neuen Musik als
Netzwerk, oft Unternehmensphilosophie genannt, nennt die Fachsprache
manchmal Copy-Strategie. Sie bildet die Grundlage fuer die
Verbalisierung und so weiter der Botschaft. Sie legt den Zusatznutzen
(Consumer Benefit) fest, die Begruendung dieses Zusatznutzens und
die Tonality (Grundton) fuer diese Strategie. Hier sollen Briefe an
den Buergermeister, oder "Gute Arbeit fuer Europa" helfen.[6]

Der Versuch, diesen Territorialisierungston zu entkernen (die
geschulte staatliche Stiftung weisz selbstredend auch um die
De-Territorialisierung), geht literarisch bzw. lesetechnisch vor.
'Der Inhalt' der Seite 13[7] einer Broschuere der Kulturstiftung
der BRD wird zerschliert, auch unter Akzentuierung der dort
gesetzten Kernwoerter wie "Kernland", "Gemeinde", "Akteure",
"Netzwerkgedanke", indem der uebliche Vorlese-Sprechrhythmus und
die Betonung des gesprochenen Textes auf unsicher gespielte Akkorde
einer Heimorgel mit Rhythmus- und Akkordbegleitung uebertragen werden,
z.B. Fuenfklaenge, die auch fuer Ungeuebte greifbar sind.

Wir spielen im April auf CoLaboRadio (senderberlin.org) die
Probeaufnahmen fuer diese Textlesen-Akkord-Uebertragung, sowie eine
weitere von einigen Passagen der Seiten 42 und 43 der selben
Broschuere, in denen es u.a. um die Rolle der nicht-staatlichen aber
staatsnahen Stiftung Mercator[8] bei der kulturellen Bildung geht.
Ausserdem die Studie "Egal auf welchem Plakat, ich lese immer nur
David Bowie" von tzboy, bei der ein populaerer Riff Ver-Wendung findet.

"entkernen" ist ein Projekt von tzboy und bänd.org (bänd mit Umlaut
"ae"!). tzboy by 38317.tk thematisiert kritische Musikproduktion,
bänd.org beschaeftigt sich neben-informatisch mit textuellen
Klangkonzepten.
_________________________
[1] Jonny Koenig vertonte die "Transrapid-Rede" von Edmund Stoiber,
    und aesthetisierte damit ein politisches Marketing zum
    A-Rhythmus. Der Besprecher in der Zeitung (FAZ vermutlich) befand
    zusammen mit dem Autor auf ein essentialistisches Gefuege von in
    den Dingen steckenden Rhythmen, die methodisch in einer
    Uebertragung aufs andere Medium generell bezueglich gemacht werden
    koennten, so dass in dieser universellen Relation (einer
    wortwoertlich taktischen Quantifizierung) alles zu Musik gemacht
    werden koenne, was wandelbar und somit hebbar ist.
    Johannes Kreidler -- »Aktienkurse zu Tonhoehen«, Stipendium der
    Kunststiftung Baden-Wuerttemberg, 2013 -- 'unterlief' mit
    "Product Placements" die Logik der Verguetung nach GEMA. Das
    mittels der ordnungsmaeszen Einreichung einer den buerokratischen
    Apparat bloszstellenden Ueberanzahl von als zahlungspflichtig
    konzipierten Samples. Er schlug so das System mit dessen eigenen
    Waffen, ohne es jedoch als solches in Frage zu stellen, sondern
    blosz seine Unanpassungsfaehigkeit 'neuen' produktherstellerischen
    Verfahren (Sampling, Uebernahmen, Appropriation) gegenueber.
    Wo bei Jonny Koenig virtuose Musik relational auf die Rede des
    Politikers und auf stolpernde Rhythmisierung verweist, und wo
    in der Performance Redemitschnitt und Schagzeugspiel parallel
    gefuehrt werden, was in der Mitte mit einem geraden Beat erloest
    wird (Stoiber On Drums - Jonny Koenig, http://www.youtube.com/watch?
    v=9Vg2h_nW0bA), verweist "entkernen" einerseits auf ein
    Un-Vermoegen ohne musikalische Profession, und 'werkimmanent' die
    Musik auf den Text, der nicht parallel gefuehrt wird. Koenig
    strukturalisiert abstrahierend Rede-Abfolge und -Inhalt
    _auf_einander (Schlagzeug wird analog zum Mitschnitt der Rede
    gespielt und danach autonom vom Mitschnitt), "entkernen"
    abstrahiert von einem Text zur Unlesbarkeit und zur Undeutbarkeit
    _von_einander (Akkorde werden so gespielt, dass ihre Setzung an
    Sprechen erinnert, umgedrehter Scat) und nimmt die Trennung von
    Sprache und Klang auf. Man kann sogar soweit gehen, Koenig
    karikiere, tzboy und bänd.org aber misstrauten einer darin
    eingebauten Akzeptanz der Figur (des Politikers, der Rede).
    Eine den Dingen innewohnende Musik, wie sie von einer
    essentialistischen Relationalitaet angespielt wird (vgl. die
    Himmelsharmonie, "sphaira" der Pythagoraeer), wird ziemlich banal
    zur Moeglichkeit, ueberall die Masze fuer beliebigen, auch
    sozial engangierten, Output zu finden. Sie kann als
    zunftorientierte Perspektive von Ordnung behandelt werden. Musik
    dort zu haben, wo die Modellierung von Daten schon ist. Reales
    und Musikreales werden damit nicht nur neu verhandelbar, ihre
    Produktion wird als organistische <macherische> und als Claiming
    <Raumbesetzung> etwas sichtbarer. Die medientheoretische Kategorie
    der Uebertragung handelt somit auch von Verlust in Strategien des
    Analogon, der Proportionen -- hier der Variante "Kulturstiftung
    on Keyboard". Bildhauern und Informationstheorikern als Entropie
    bekannt.
    (Uebrigens wird die Metalltrommel "Sphaira" als Konkurrenzprodukt
    zum "Hang" gehandelt -- "am besten ist ihr Klang, wenn sie
    warmgespielt im Schosz liegt.")
[2] Kulturstiftung des Bundes. _kultur foerdern!_. Broschuere zum
    10jaehrigen Bestehen. Halle, 2013. S. 13.
[3] Vgl. das kleine n der _Kritik der neuen Musik. Entwurf einer Musik
    des 21. Jhdts._ von Claus-Steffen Mahnkopf oder Adornos
    aehnlichnamige Philosophie.
[4] http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/mediathek/magazin/
    magazin11/wasistneuemusik/index.html
[5] https://musik.verdi.de/regionen/berlin_brandenburg/aktuelles/
    elternbrief
[6] https://musik.verdi.de/regionen/berlin_brandenburg/aktuelles/
    rede-1-mai/image/233a6aaa-9dbc-11e1-48ba-001ec9b03e44
[7] "Deutschland ist ein Kernland der Neuen Musik. Kein
    Kulturveranstalter, der etwas auf sich haelt, kommt ohne
    zeitgenoessische Klaenge aus. Und will es auch nicht. Die Szene
    gilt als lebendig und produktiv und ist international bestens
    beleumundet. Gleichwohl hat es die Neue Musik immer noch schwer,
    sich breite Hoererschichten zu erschlieszen, auch wenn die
    Gemeinde derer, die sich auf den Facettenreichtum aktuellen
    Tonsetzens einlassen, groeszer geworden ist. Dafuer hat auch das
    von der Kulturstiftung des Bundes begruendete "Netzwerk Neue
    Musik" gesorgt, das sich seit Jahren fuer die Produktion ebenso
    engangiert wie fuer die Vermittlung. 2006 ins Leben gerufen,
    flossen innerhalb von fuenf Jahren insgesamt 12 Mio. Euro in
    fuenfzehn ausgewaehlte Projekte. Um langfristige Strukturen
    aufzubauen, wurde gleichzeitig ein stabiles, regionales Netzwerk
    mit insgesamt 25 Partnern etabliert. Schaut man nach Kiel, Hamburg
    oder Oldenburg, nach Essen, Moers oder Koeln, nach Niedersachsen
    oder Berlin, nach Rheinland-Pfalz oder ins Saarland, nach Dresden
    oder in den Groszraum Stuttgart, so sind es ueberall dort lokal
    verwurzelte Institutionen, Initiativen, Ensembles und Akteure
    anzutreffen, die sich der neuen Musik verschrieben haben. Dabei
    geht es nicht nur um Auffuehrungen, sondern auch um das Erproben
    neuer Vermittlungswege und um den Austausch der Akteure.
    Bedauerlich waere es, wenn der Effekt verpuffen wuerde. Deshalb
    hat die Nachhaltigkeit fuer die KSB oberste Prioritaet. Der
    Netzwerkgedanke ist erst dann ein fruchtbarer, wenn die Neue Musik
    in der jeweiligen Stadt und Region einen dauerhaften Platz
    beanspruchen kann." Broschuere der Kulturstiftung des Bundes,
    a.a.O.
[8] Die Stiftung Mercator ist eine der Familie Schmidt (Metro Group:
    Media Markt, Saturn, Kaufhof, Metro, real). Weder "Stiftung
    Mercator" noch "kulturelle Bildung" sind hier freilich hoerbar.
    Im Text der Broschuere der "KSB" aber heiszt es u.a.: "[...] dass
    kuenftige Generationen den Reichtum der Kulturnation Deutschland
    erkennen und ihn fuer die eigene Entwicklung zu nutzen wissen."
    Unterhalb des Stichworts der Nachhaltigkeit nationalisierter
    Auspraegung wird, siehe die Tarife der Musiklehrer, aesthetische
    Bildung massenhaft stetig entzogen und zugleich repraesentativ
    gesponsort. Wenn im Klang der Akkorde des Stuecks "entkernen"
    Ausdruecke wie "partizipative Projekte" und "kultureller Reichtum"
    nicht repraesentiert sind, dann auch, weil Vermittlung an dieser
    Stelle aussetzt und einer moderatio <Lenkung und Maszhaltung> die
    inhaltlichen evtl. nicht quantifizierbaren Bezugsgroessen fehlen.

Matze Schmidt, 31. Maerz 2013

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