Antw: Re: Antw: Re: [rohrpost] 5.2.16, Podiumsdiskussion "Wie - Gegenwartskunst?" am ZfL Berlin

Oliver Grau Oliver.Grau at donau-uni.ac.at
Die Jan 19 11:25:19 CET 2016


Lieber Fausto,


hier geht es doch nicht um die Frage des Kunstmarktes, sondern darum ob 


a.) die digitale Kunst/Medienkunst Gegenwartskunst ist oder ob sie nicht
vielmehr die eigentliche Gegenwartskunst ist? und in einer so betitelten
Diskussionsrunde, die sich ernst nimmt und als auf der Höhe der Zeit
versteht, nicht angemessen vertreten sein sollte?


b.) ob die Instititutionen, deren gesetzlicher Auftrag lautet:
"Erschliessung, Erforschung und Erhaltung der Gegenwartskunst", nicht
beginnen sollten, ihrer Verpflichtung nachzukommen?


Schon allein die Zahlen belegen, dass die digitale Kunst/Medienkunst in
unserer Zeit eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Das Biennale-Projekt
des ZKM ermittelte weltweit 200 Biennalen, die (auch) Medienkunst
ausstellen, zudem existieren über 100 Festivals, die ausschließlich
digitaler Kunst gewidmet sind. 


Das Festival ist das Medium der Medienkunst.


Diese gelangt aber nicht in die 6500 Museen der Bundesrepublik, da diese
bislang keine konzertierte Erhaltungsstrategie/Netzwerke etabliert haben
und die Sammlung aufwendiger Medienkunst mithin scheuen. Der Kunstmarkt
wird gern vom Museumssektor als Ausrede angeführt, dies kann aber weder
die Nichterfüllung des gesetzlichen Auftrags entschuldigen noch die
Ausklammerung der gesellschaftlichen Dimension der Digitalen
Kunst/Medienkunst begründen.


Obgleich die Digitale Kunst, so läßt sich empirisch leicht nachweisen,
die "großen Themen" unserer Zeit verhandelt (Klimawandel, Posthumane
Kondition, Medien-/Bildrevolution, Überwachung, Virtualisierung der
Finanzmärkte etc.) und zwar in einer komplexen Weise, die tradierten
Kunstmedien (Malerei/Plastik/Installation) so nicht verfügbar ist,
gelangt die Digitale Kunst nicht in die von uns steuerfinanzierten
Sammlungen zur Dauerausstellung (nach dem Festival oder der
Einmal-Ausstellung ist idR Schluss). 


Dieses Versagen der tradierten Erhalter (Museum, Science Center,
Bibliothek, Archiv) sollte zumindest in einer Diskussion zur
Gegenwartskunst nicht auch noch perpetuiert werden, denn Theoretiker,
die das Ausdruckspotential der Digitalen Kunst aussparen, können
natürlich nicht glaubhaft über "die Gegenwartskunst" verhandeln. 


Beste Grüße, Oliver


>>> Fausto Maijstral  19.01.16 10.18 Uhr >>>
Liebe Liste,

als langjähriger Betrachter von beiden vormals getrennten, nun aber
schon lange nicht mehr zu trennenden Künsten und ihren jeweiligen
Marktansichten (es gibt ja noch mehr, aber verkürzen wir hier auf
"offizielle" Galerien-/Museums-/Kunstvereinskunst und so genannte
Medienkunst/technisch basierte Kunst) möchte ich sowohl gegen Oliver als
auch Geert argumentieren. Es sind nicht die Seilschaften, die etwa den
Markt für technizistische Kunst sperren, denn um diese geht es nicht
mehr, die gibt es auch nicht mehr. Diese Kunst ist längst im Markt
angekommen. Siehe etwa als plakativstes Beispiel Leute aus der
Post-Internet-Art (die Portland-Schiene etwa oder meinetwegen auch
Rafaël Rozendaal [RR] e.a.). Ich denke ferner an die "Unpainted" als
Fachmesse, an Bitforms und Postmasters als Fachgalerien etc. Es gibt
dieses Marktsegment schon längst (Liesers DAM etwa existiert seit
wann?), das auf der anderen Seite immer stärker in Ausstellungskontexte
drängt, in denen Medienkunst alter Prägung scheinbar (oder anscheinend?)
nie gewesen ist. Warum?

Ein anderes Beispiel für die Antiquiertheit der Gegenwart, wenn man
nicht alte Gedankenmuster in den Ruhestand verabschiedet: RR, der seine
HP http://www.newrafael.com/ nennt. Der neue Raffael, der wahrscheinlich
gar nicht so genau kunsthistorisch weiß was die innovative Leistung des
Malers der "Sistina" oder der "Schule von Athen" gewesen ist, außer
vielleicht, dass er der jüngste, hochgelobteste Malerstar seiner Zeit
war. Fame rules? Allein diese rhetorische Geste, die eigene Domain nach
einem derartigen Oberhero der Hochrenaissance zu benennen, belegt, dass,
ganz gleich welche "Kunstsparte" man beschaut, dieselben Mechanismen der
Oldschool auch dort wirken. Mit einer kleinen Novelle. Zwischen BYOB
(http://www.byobworldwide.com/) als performativer, partizipativer
Grenzgängerei zwischen Kunst, Club und Rausch, und derart spießigen
Arbeiten wie etwa den "Lenticular prints"
(http://www.upstreamgallery.nl/artists/15/rafael-rozendaal) offenabrt
sich der Gestus des antiquiert Frühneuzeitlichen (RR signiert sogar!!!).
Hat RR gar eine Art Aemulatio im Kopf? Well. Ich mag jetzt kein
RR-Bashing betreiben, nur kenne ich ihn und habe so meine Zweifel... Zum
Glück gibt es diese Positionen, anhand derer nun endlich ganz deutlich
wird, dass es Leute in der Szene gibt, die zwar massiven digital
basierten Kitsch herstellen, aber im direkten Anschluss an ein
allgemeines Kunstschaffen stehen. Selbst wenn desöfteren einfältig die
Gedankenfiguren der scheinbar getrennten Gattungen künstlich am Leben
erhalten werden. Jedoch, es bleibt beim Versuch. Damit laufen viele
"Medienkünstler" alter Schule ins offene Messer ihrer eigenen scharf
gestellten, aber leider altmodischen Ansprüche, und sie  sperren sich
nach wie vor selbst in eine eigens errichtete "gated community", die vor
allem eines auszeichnet: eben jene hoffnungslose Antiquiertheit und
vielleicht die naive Vorstellung, durch Lötworkshops den Lebensunterhalt
sichern zu können - sorry, aber man kann doch nach wie vielen Jahren ZKM
oder Rhizome nicht mehr so denken! Anderseits, positiv gewendet, lächelt
man über die entblößende Naivität mit der komplette protofeudalistische
Kunstmarkt auch dort aufscheint.

Leider, leider kann ich die Veranstaltung mit Rebentisch und Düttmann
nicht besuchen, aber sie steht aus meiner Sicht pars pro toto. Es macht
heute keinen Sinn mehr, wie damals in der Moderne, zwischen den
Gattungen zu trennen. Die Debatte ist fast schon zehn Jahre alt, als
Stefan Heidenreich und Inke Arns für einen expansiven Medienkunstbegriff
in der kostenlosen Publikumsgazette namens Kunstzeitung, die in beinahe
jedem Ausstellungsinstitut ausliegt, argumentierten. Also wie viel
Publizität und Mainstream braucht es eigentlich noch, um in der
Gegenwart anzukommen? So what, meine Damen und Herren. Diese Debatte ist
durch. Es gibt kein Alleinstellungsmerkmal für Medienkunst. Es gibt nur
noch intelligente, herausragende, aufregende Kunst, und alles andere ist
alles andere. Die eingesetzte Technik spielt dabei keine Rolle mehr.

In diesem Sinne, Glückauf

Euer Fausto

Am 14.01.2016 um 14:16 schrieb Oliver Grau:
> Nun, bei diesen Personen sind es wohl Seilschaften, Galerie-Netzwerke
> auch Unkenntnis..
> 
> ... aus unserer Konferenz "Challenges of Digital Arts for our
> Societies" im Museum für Moderne Kunst, Wien, MUMOK, vom letzten Monat
> hier der Vortrag von Christiane Paul zum Thema: 
> https://www.youtube.com/watch?v=283LtZNmy5M
> 
> Beste Grüße,
> Oliver
> 
>  
>>>> Geert Lovink  14.1.2016 13:50 >>> 
> 
>> On 14 Jan 2016, at 12:02 pm, Margarete Vöhringer
>  wrote:
>>
>> Fr, 05.02.2016 
>> 18.00 Uhr
>>
>> Öffentliche Podiumsdiskussion
>>
>> Wie – Gegenwartskunst?
>>
>> ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum
>> Programm
>>
>> mit Alexander García Düttmann (UdK Berlin) und Juliane Rebentisch
> (HfG Offenbach).
>> Moderation: Eva Geulen (ZfL/HU Berlin) und Peter Geimer (FU Berlin)
>>
>> Ist nicht jede Kunst immer auch Gegenwartskunst? Oder mindestens
> einmal gewesen? Nein, behaupten Juliane Rebentisch und Alexander
Garcia
> Düttmann, Gegenwartskunst ist ein besonderer Name, mit dem sich die
> Kunst unserer Zeit von der modernen Kunst und ihren vergangenen
> Gegenwarten unterscheidet. Darüber herrscht Einigkeit zwischen der
> Kunstphilosophin und dem Kunstphilosoph. Aber weit auseinander gehen
> ihre Meinungen bei der anschließenden Frage nach den Kriterien, der
> Bedeutung und Bewertung der Unterschiede zwischen dieser
Gegenwartskunst
> und der Kunst, die ihr voranging. Während Rebentisch eine kritische
> Selbstüberwindung der Moderne am Werk sieht, befürchtet Dütt> sich die Gegenwartskunst in ein Abseits manövriert hat und dort
> feststeckt. 
> 
> OK… Aber sogar hier wird das Digitale, neue Medienkunst, Internet,
> Post-Internetkunst, new aesthetics, post-digitale Kunst und so weiter
> nicht mal erwaehnt… Warum? Was ist daran so schwer? Welche Hemmungen
und
> Tabus gibt es da, bei Alexander und Juliane, die Organisatoren usw.?
> Denkverbote? Schuldkomplexe? Komputerängste?
Verblendungszusammehaenge?
> Was, um Gotteswillen, macht es so schwer die durchdigitalisierte und
> vernetzte Techno-Gegenwart zu betrachten—und die Negation
> voranzutreiben, statt immer nur so zu tun alsob es ganze gar nicht
> gibt.
> 
> Geert
> 
> 
> 
> 
> 
>