[rohrpost] Black Box East · Public Talks · Video-Lectures, Online-Versammlung und mehr

Krystian Woznicki kw at berlinergazette.de
Di Sep 21 10:55:36 CEST 2021


Hallo rohrpostler,

Auch im zweiten Jahr der Covid-19-Pandemie finden die Public Talks der
Berliner Gazette-Jahreskonferenz online statt. Für die diesjährige
Ausgabe mit dem Titel BLACK BOX EAST bieten wir sechs Online-Vorträge in
Form von Videos an (siehe unten) sowie eine Online-Versammlung am
Samstag, den 25. September um 15:00 Uhr MEZ. Hier werden die
Workshop-Gruppen zu Themen wie „New Cold War“ und „Politics of Liberty“
ihre Ergebnisse präsentieren. Dieser Event ist kostenfrei und öffentlich
zugänglich, wir freuen uns, wenn Sie am Samstag dabei sind! Wir
verwenden für dieses digitale Treffen die Open-Source-Software Big Blue
Button (Browserempfehlung: Firefox oder Chrome). Sie finden uns hier:
https://bbb.berlinergazette.de/b/mag-6en-jvx-8kt

In den Video-Lectures stellt Ostdeutschland den Ausgangspunkt für eine
kritische Untersuchung „postkommunistischer“ Räume dar. Hierbei liegt
der Fokus auf intransparent gemachte Prozesse der Privatisierung und
Globalisierung. Die Vorträge zeigen gemeinsame Wege des transnationalen
Diskurses und Kampfes auf. Dabei stellen sie die BLACK BOX EAST als ein
schädliches kapitalistisches System exzessiver ökonomischer und
politischer Enteignung in Frage, die nicht länger verschleiert oder
ignoriert werden kann.

*Das Ellenbogen-Prinzip*
Nach dem Fall der Berliner Mauer sollte „der Osten“ schnell zu einem
funktionierenden Teil der deutschen Volkswirtschaft werden.
Schocktherapien wurden verordnet, darunter die weltweit größte
Ad-hoc-Privatisierung von Staatsbetrieben. Gleichzeitig wurden die
Enteigneten aufgefordert, von bestimmten Körperteilen, vor allem den
Ellenbogen, besonderen Gebrauch zu machen: Diese sollten auffällig
ausgefahren werden, als Zeichen einer erfolgreichen Aneignung des
Individualismus, auf den die freie Marktwirtschaft schwört. Das so
genannte „Ellenbogenprinzip“ sollte überall zum Tragen kommen, sei es in
Jobcentern oder in Kellern, die zu Undercover-Läden umfunktioniert
worden waren. Diesem Aufruf folgend, hatten einige Erfolg, andere
scheiterten. In ihrer BLACK BOX EAST-Video-Lecture lassen die
Theatermacherinnen Johanna-Yasirra Kluhs und Tanja Krone diese Menschen
zu Wort kommen: Es entsteht eine vielstimmige Erzählung der
wirtschaftlichen Realitäten in der Nachwendezeit, die der offiziellen
Geschichtsschreibung zuwiderlaufen, die Kapitalist*innen (aus West und
Ost) zu einer Erfolgsgeschichte des Liberalismus gemacht haben.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/604213507

*Kapital und Erinnerung*
Historische Bilder von jubelnden Menschen angesichts der „deutschen
Einheit“ werden in westlichen Mediendiskursen oftmals den Bildern des
Krieges in Jugoslawien während seines Zerfallsprozesses
gegenübergestellt. Um zu verdeutlichen, dass Nationalismus für „uns“ die
Erfüllung von Sehnsüchten und für „die anderen“ Tod und Verderben
bedeutet, wird mit dieser Gegenüberstellung die Vorstellung von „gutem“
und „schlechtem“ Nationalismus genährt, der für „gute“ bzw. „schlechte“
Nationalstaaten reserviert ist. Dabei wird der gemeinsame Nenner dieser
bildbasierten Erinnerungen ausgeblendet: Nach der Auflösung des
Ostblocks war die Ausbreitung des Neoliberalismus – sei es in
Neu-Deutschland oder Ex-Jugoslawien – nur unter dem Deckmantel eines
völkischen Narrativs möglich, das das Gedenken vereinnahmt hat. Im Zuge
dessen sollten identitäre Geschenke den ökonomischen Raub vergessen
machen. In seiner BLACK BOX EAST-Video-Lecture zeigt der politische
Theoretiker Gal Kirn, dass „der Feind“ emanzipatorischer Politik keine
Grenzen kennt, obwohl er ständig damit beschäftigt ist, (identitäre)
Grenzen zu markieren.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/606483038

*Bürokratisches Bordering*
Auf dem Papier gelten Osteuropäer*innen aus Bulgarien, Kroatien, Polen
oder Rumänien, als EU-Bürger*innen. In der Realität werden sie
systematisch degradiert. In einem perfiden Zusammenspiel von Behörden,
Arbeitgeber*innen und Vermittlungsagenturen wird ein bürokratisches
Bordering in Szene gesetzt, das ein menschenwürdiges Leben praktisch
unmöglich macht – obwohl oder vielleicht gerade weil die degradierten
Migrant*innen für den Arbeitsmarkt, insbesondere in Deutschland,
unverzichtbar sind. In ihrer BLACK BOX EAST-Video-Lecture berichtet die
Sozialtheoretikerin und Aktivistin Polina Manolova aus einer EU, die die
Freizügigkeit feiert, in der aber vor allem Prekarisierung und
Ungerechtigkeit herrschen. Sie erkundet, wie sich diese toxischen
Widersprüche während der Covid-19-Pandemie zugespitzt haben, und fordert
uns auf zu verstehen, dass mobile Arbeiter*innen, etwa aus Bulgarien,
nicht einfach als Opfer eines ausbeuterischen und entmenschlichenden
Regimes dargestellt werden sollten. Vielmehr ist es wichtig zu sehen,
wie es ihnen gelingt, sich in losen Netzwerken der Solidarität und
Fürsorge zu organisieren, ohne die ein Überleben nicht möglich wäre.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/591631518

*Ghost Workers*
Große und kleine Online-Plattformen sind „systemrelevant“ geworden, vor
allem in westlichen Gesellschaften. Diese Plattformen werden – wie große
Teile der digitalen, scheinbar vollautomatisierten Welt – von
Crowdworker*innen am Laufen gehalten, die systematisch unsichtbar
gemacht werden. Um Licht in diese Schattenwelt zu bringen, hat die
Forschung „Ghost Worker“ in den Vordergrund gerückt, die in Ländern des
globalen Südens, etwa Indien, tätig sind. Weniger Beachtung finden die
wachsende Zahl von Crowdworker*innen in Osteuropa sowie das Verhältnis
zwischen dem europäischen „Zentrum“ und der „Peripherie“ in der globalen
digitalen Wirtschaft. Dies ist umso erstaunlicher, als dass eine Studie
der Weltbank aus dem Jahr 2015 Rumänien und Serbien als die weltweit
führenden Online-Outsourcing-Länder einstufte, gemessen an dem Anteil
der Crowdworker*innen an der Gesamtbevölkerung der Länder. Die
Sozialwissenschaftlerin und Ethnologin Mira Wallis zieht in ihrer BLACK
BOX EAST-Video-Lecture eine Bilanz der über Plattformen organisierten
Arbeit zwischen Rumänien und Deutschland.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/607305462

*Infrastrukturkämpfe*
Unter dem Stichwort „Aufbau“ wurden in der ehemaligen Sowjetunion
riesige Infrastrukturprojekte gestemmt, die ein gigantisches Territorium
zusammenhalten sollten, das sich über Osteuropa und den Kaukasus bis
nach Zentral- und ganz Nordasien erstreckte. Heute, Jahrzehnte nach dem
Untergang des zentral gelenkten, föderalen Einparteienstaates, ist das
Infrastrukturnetz im Begriff, zu verfallen. Was eigentlich noch
alarmierender ist: Statt diesen Vorgang aufzuhalten oder nachhaltige
Entwicklungen auf den Weg zu bringen, wird der Zerfallsprozess durch
Privatisierungen beschleunigt – auch oder gerade durch Privatisierungen
unter dem Banner von aus dem Westen importierten „grünen“ Lösungen. Hier
wie auch anderswo stehen die Interessen des privaten Sektors im
Vordergrund, während das Gemeinwohl vernachlässigt wird. Anhand von
Debatten über Infrastrukturprojekte wie Wasserkraftwerke und öffentliche
Verkehrsmittel zeigen die Geographen Lela Rekhviashvili und Wladimir
Sgibnev in ihrer BLACK BOX EAST-Video-Lecture, wie Bilder von
Vergangenheit und Zukunft aktiviert werden, um eine kompromittierte
Gegenwart zu verteidigen.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/591647451

*Disruptive Territory Ostdeutschland*
Indem sie 1989 begannen, die Staatswirtschaft der DDR zu zerstören und
Platz für einen entfesselten kapitalistischen Ausbau der Nation zu
schaffen, schufen die Transformationsmanager*innen Ostdeutschlands
Präzedenzfälle für Ideologien wie „kreative Zerstörung“ und
„Disruption“. So kreierten sie ideale Voraussetzungen für
kapitalistische Akteure wie zuletzt etwa Tesla, Amazon, Google und Red
Bull. Indem sie disruptive Bedingungen als notwendige Grundlage für
zukunftsträchtige Innovationen anpreisen, entfachen sie ein Blendwerk
des Kapitals, das von der Missachtung rechtlicher Rahmenbedingungen,
bürokratischer Verfahren, Arbeitnehmer*innenrechte uvm ablenkt. Die
Radikalisierung exzessiver und ausbeuterischer Ökonomien im „Osten“
nicht zuletzt deshalb möglich, weil der mediale Diskurs die Region
zwischen „Rückständigkeit“ und „Avantgarde“ in der Schwebe hält – dem
Stigma einer dunklen Vergangenheit und dem Versprechen einer strahlenden
Zukunft. In seiner BLACK BOX EAST-Video-Lecture zeigt der
Politikwissenschaftler und Kurator Stefan Kausch: Indem „der Osten“ als
eine derart ambivalente Normalitätsklasse konstruiert wird, können die
Interessen des Kapitals quasi nach Belieben bedient werden.

Sehen Sie sich die Video-Lecture hier an: https://vimeo.com/607330400

Alle Video-Lectures finden sich auf der BLACK BOX EAST-Webseite
gebündelt: https://blackboxeast.berlinergazette.de

Falls Sie auf Twitter sind, freuen wir uns einen Re-tweet dieses Tweets:
https://twitter.com/berlinergazette/status/1439860724541558785

Gruss, Krystian Woznicki

PS: In diesem Zusammenhang ist auch die Kooperation mit dem
Transnational Institute Amsterdam und den Herausgeber*innen des Buches
„The Political Economy of Eastern Europe 30 years into the 'Transition':
New Left Perspectives from the Region“ entstanden. Wir veranstalten
gemeinsam eine Reihe von vier Webinaren auf dem Big-Blue-Button-Server
der Berliner Gazette. Das erste trägt den Titel „Class, geopolitics, and
civil society in post-soviet political protests“ und findet am 23.
September um 18 Uhr Amsterdamer Zeit statt. Hier ist der Link zu
weiteren Informationen und zur Anmeldung:
https://www.tni.org/en/webinar/class-geopolitics-and-civil-society-in-post-soviet-political-protests


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BLACK BOX EAST – "Post-Communist" Laboratories of Globalization
BG Project 2021: Workshops, Texts + Artworks
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SILENT WORKS – The Hidden Labor in AI-Capitalism  
BG Project 2020: Exhibition, Conference + Texts
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MORE WORLD – How Can We Cooperate Across Borders to Tackle Climate Change?
Results from BG’s 20th Anniversary Event: Videos, Audios, Projects + Texts 
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