[rohrpost] (fwd) CFP: Vigia, Vol. 2: "Elektroschrott"

Andreas Broeckmann broeckmann at leuphana.de
Fr Apr 29 08:48:25 CEST 2022


From: Jonas Wenger
Date: Apr 28, 2022
Subject: CFP: Vigia, Vol. 2: "Elektroschrott"

Zürich
Eingabeschluss: 26.06.2022

VIGIA — Zeitschrift für Technologie und Gesellschaft

Liebe Autor:innen,
für die zweite Ausgabe von Vigia, einer Zeitschrift für Technologie und 
Gesellschaft, suchen wir Beiträge zum Thema «Elektroschrott».
Mit der Zeitschrift Vigia möchten wir einen Raum schaffen für 
emanzipatorische und kritische Beträge zu Technologien im Zusammenhang 
mit ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung. Zweimal jährlich 
laden wir Autor:innen, Aktivist:innen und Forscher:innen ein, ihr 
Fachwissen einem interessierten Laien- und Fachpublikum zu vermitteln. 
Vigia erscheint in Print und online.

Die Beiträge sollen eine Länge von 25'000 Zeichen nicht überschreiten 
und dürfen gerne auch kürzer sein. Vigia fokussiert auf unterschiedliche 
Formen schriftlicher Beiträge wie Essays, Berichte, akademische 
Aufsätze, Reportagen, Kommentare etc. Es sind aber auch andere Formen 
wie Statistiken, Grafiken, Illustrationen, Karten, Fotografien etc. 
denkbar. Pro Beitrag bezahlen wir eine Pauschale von 120 CHF.

Bei Interesse sendet uns bis am 26.06.2022 eine Skizze des geplanten 
Beitrags (inklusive des geplanten Umfangs in Zeichen) in der Länge von 
ca. einer halben Seite an: Info at vigia.tech. Wir werden prüfen, ob und in 
welcher Länge der Beitrag ins Heft passt, und uns baldmöglichst melden.

Der Redaktionsschluss für die Beiträge ist der 21.08.2022.
Wir werden die Beiträge redigieren und Überarbeitungsvorschläge 
einbringen. Wir bitten euch diese zu prüfen und die überarbeiteten 
Beiträge bis am 25.09.2022 einzusenden. Das Heft wird Mitte November 
erscheinen.

Elektroschrott

Ist mein altes Handy wertloser Elektroschrott, missachteter 
Datenspeicher oder eine schlummernde Rohstoffmine? Welche Bedeutung 
kommt Objekten in der globalen Warenzirkulation zu, die bezüglich ihrer 
ursprünglichen Nutzung obsolet gewordenen sind? Und welche Narrative 
begleiten diesen Prozess? Solchen und weiteren Fragen widmet sich die 
zweite Ausgabe von Vigia. Dabei möchten wir uns nicht auf die 
Zirkulation, die politische Ökonomie des Elektroschrotts und die damit 
zusammenhängenden Ungerechtigkeiten beschränken, sondern das Heft auch 
für weitere Themenschwerpunkte öffnen. Beispielsweise landen nicht nur 
Unmengen an technischen Geräten auf den Deponien, sondern auch die 
darauf gespeicherten Daten. Komplexe Materialien erfordern wiederum 
komplexe technische Infrastrukturen (oder äusserst ungesunde Praktiken), 
um die Rohstoffe wieder nutzbar zu machen. Ausserdem wollen wir uns auch 
mit den Narrativen und Imaginationen befassen, die Elektroschrott begleiten.

Im Folgenden versuchen wir einige mögliche Themenbereiche anzudenken. 
Die Auflistung ist jedoch keinesfalls abschliessend:

Koloniale Verhältnisse & Elektroschrott im Wandel

In den letzten Jahren wurde immer wieder aufgearbeitet, wie das 
informelle Recycling von oft illegal exportiertem Elektroschrott, z. B. 
von Europa nach Westafrika, unter grauenhaften Bedingungen für Mensch 
und Umwelt praktiziert wird, oder wie Schiffe gleich selbst in Pakistan 
oder Bangladesch auf den Strand aufgelaufen lassen und dort durch 
günstige Arbeitskräfte abgewrackt werden. Womöglich liegt es gerade an 
den kritischen Interventionen, dass sich an den Bedingungen gegenwärtig 
etwas zu ändern scheint. Vielleicht aber liegt die Ursache für den 
(angestrebten) Wandel auch darin, dass ‹Urban Mining› – das heisst die 
Förderung von Rohstoffen aus entsorgten Geräten oder Objekten – 
profitabel ist, und man diesen Profit für gewöhnlich nicht allzu lange 
einem informellen Sektoren überlassen will. Passend dazu entsteht zur 
Zeit an der ETH Zürich eine grössere Studie zum ungemeinen Materialwert 
der geschätzten 6 Millionen Smartphones, die nicht entsorgt in Schweizer 
Haushalten schlummern.

Mit der Geschichte des Elektroschrotts verbunden sind verschiedene 
materielle wie ideologische und diskursive Transformationsprozesse. 
Heute importiert beispielsweise Umicore, ein belgisches 
Bergbauunternehmen, das im kolonisierten Kongo zu Reichtum kam, alte 
Smartphones aus afrikanischen Ländern. Bergbau betreibt die Firma heute 
nicht mehr. Das Unternehmen brüstet sich stattdessen mit ökologischem 
Bewusstsein und Entwicklungshilfe in afrikanischen Ländern. Die 
Recycling-Erzählung vertuscht dabei eine koloniale Kontinuität. So lässt 
sich auch heute eine Akkumulation von Rohstoffen beobachten, bei der den 
informellen Arbeiter:innen – z. B. in der berüchtigten 
Elektroschrottverarbeitung in Agbogbloshie in Ghana – die ökonomische 
Lebensgrundlage und einigen Ländern eine bedeutende Rohstoffquelle 
(erneut) entzogen wird. Schliesslich stammen beispielsweise 90% des in 
Bangladesch verwendeten Stahls aus abgewrackten Schiffen.

Technischer Abfall und Abfalltechnologien

Elektroschrott ist komplex zusammengesetzt und enthält sowohl potentiell 
wertvolle als auch potentiell toxische Materialien. Dies bedeutet, dass 
sich technologische Fragestellungen nicht auf den Müll beschränken, 
sondern auch auf die Technologien und Infrastrukturen, mithilfe derer 
die Entsorgung bzw. das Recycling abgewickelt wird. Dabei interessieren 
wir uns auch für die ökologische Bedeutung von elektronischen Geräten, 
die nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Entsorgung eine 
Belastung für Menschen und Umwelt darstellen.

Ein anderes Thema bildet Software als gleichzeitige Ursache wie 
Lösungsansatz von Elektroschrott: Wenn Programme immer leistungsstärkere 
Geräte fordern, sinkt deren Lebensdauer. Zugleich gibt es jedoch 
DIY-Ansätze, in denen Recycling zur Technologieaneignung von unten 
führt, beispielsweise durch Open Source Software für alte Mobiltelefone, 
die diese nach deren Ende wiederbeleben und zugleich unabhängig von 
ihrer Herstellerfirma machen. Offen bleibt auch die Frage nach den 
Daten, die auf den ausrangierten Geräten bleiben. So galten 
beispielsweise die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo als eines der 
meistfotografierten Ereignisse überhaupt. Doch wo sind gut zehn Jahre 
später all diese Amateur-Fotos hin? Was stellen sich für Fragen, wenn 
Daten auf Datenträgern gespeichert sind, die auf einer Müllhalde liegen? 
Welches Potenzial liegt im Recycling von Daten und Software und welches 
Nachleben führen tote Social-Media-Profile?

Müll erzählen

Ebenso interessant sind die Imaginationen und Geschichten, die 
Elektroschrott begleiten, beispielsweise in Form von Literatur, 
Reportagen, Filmen, Fotografie, Musik, Games oder auch 
populärwissenschaftlichen und PR Texten. Schliesslich muss erst einmal 
verhandelt werden, ab wann etwas überhaupt als Müll gilt und in der 
Folge, wie ein sozial erwünschter Umgang damit aussehen kann und soll. 
Dabei gehören Recycling Imperative heute zu den viel verbreiteten 
ökologischen Anforderungen an Staatsbürger:innen, worin sich ökologische 
Motive mit der Stabilisierung von nationaler Gruppenzugehörigkeit und 
der Aufrechterhaltung von Ordnung vermengen. Wie werden emanzipatorische 
Lösungen von Müllproblemen und den dabei ausgestossenen toxischen 
Emissionen imaginiert, was entstehen dabei für Bilder und welche 
gesellschaftspolitische Rolle spielen sie? Gibt es umsetzbare technische 
Vorschläge oder nur technosolutionistische Versprechen?

Müllwirtschaft und Müllproteste

Müll ist stets auch Müllwirtschaft und als solche trotz zahlreicher 
Automatisierungsvorgänge abhängig von menschlicher Arbeit. Daher 
verdichten sich in dem Thema auch vielfältige soziale und politische 
Konflikte. Während der letzten Klimakonferenz in Glasgow streikten 
beispielsweise die gewerkschaftlich organisierten Müllarbeiter:innen und 
als im Libanon 2015 die Müllabfuhr nicht funktionierte, kam es 
landesweit zu sozialen Protesten. Wie wird mit Müll Politik gemacht und 
welche politischen Machtverhältnisse und Widerstandsbewegungen formieren 
sich rund um das Thema Elektroschrott, oder gibt es 
geschlechtsspezifische Fragestellungen, die sich bezüglich Elektroschott 
und seiner Verarbeitung stellen?

Wir freuen uns auf eure Vorschläge, insbesondere auch zu den zahlreichen 
Themen, die wir oben noch nicht erwähnt haben, und hoffen auf ein 
spannendes zweites Heft.

Weitere Infos zum Heft finden sich auf www.vigia.tech

Reference / Quellennachweis:
CFP: Vigia, Vol. 2: "Elektroschrott". In: ArtHist.net, Apr 28, 2022. 
<https://arthist.net/archive/36550>.


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