[rohrpost] Widerstand | Ästhetik & Neue Technologien
christian heck
chr at noparts.org
Do Jun 26 21:15:43 CEST 2025
*Widerstand | Ästhetik & Neue Technologien*
/Der folgende Artikel wurde von Christian Heck,
künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter für Ästhetik und neue
Technologien an der KHM verfasst und spiegelt nicht zwangsläufig die
Meinungsvielfalt und die Position der Kunsthochschule für Medien Köln
(KHM) wieder./
Die Kunsthochschule für Medien Köln(KHM) hat im Dezember 2024 eine
Zivilklausel in ihre Grundordnung aufgenommen. Diese Klausel als
friedenspolitische Selbstverpflichtungist die erste, dieseit der
Zeitenwende2022 in der Bundesrepublik Deutschland wieder vereinbart
werden konnte. Zu befürchten ist jedoch, dass sie, zumindest im
Bundesland NRW auch die letzte sein wird. Durch ein neues
Bundeswehrgesetz, das Mona Neubaur (Vize-Ministerpräsidentin NRW,
Bündnis 90/Die Grünen) gerade auf den Weg bringt, sollen alle
Zivilklauseln in Nordrhein-Westfalenabgeschafft werden. Ein Trend, der
derzeit nahezu alle politischen Lager durchzieht. [ ] ground zero @
KHMhat im Mai hierzu einenArtikelveröffentlicht:»Zivilklausel @ KHM -
Kunst- und Medienbildung für den Frieden«^[0], indem argumentiert wird,
dass die Notwendigkeit einer klaren Trennung von militärischer und
ziviler Lehre&Forschung heute weit über die Ingenieur- und
Naturwissenschaften hinaus diskutiert werden muss.
Seit Beginn des Jahrtausends werden zivile Medientechnologien zunehmend
militarisiert und aktiv für hybride Kriegsführungspraxen
weiterentwickelt und genutzt. Sie haben im Laufe der letzten 25 Jahre
maßgeblich dazu beigetragen, gläserne Gefechtsfelder und Hyperkriege zu
gestalten. Computational Propaganda, Deep-Fakes und Fake-News, russische
Bot-Armeen, große KI-Sprachmodelle (LLMs) als Waffentechnologie, um nur
einige Medienphänomene zu nennen.
Insbesondere letztere, durch die eine gänzlich neue Art von
„Künstlichkeit“durch „intelligente“ Systeme mit Chatbot-ähnlichen
Benutzeroberflächen im ISTARKontext (intelligence, surveillance, target
acquisition and reconnaissance) entwickelt hat, wirft neue ethische und
völkerrechtliche Fragen auf. Die mediale Öffentlichkeit erfuhr am 25.
März 2025vom weltlichen Ausmaß dieser Entwicklung, durch eineRecherche
desJournalistenund FilmemachersYuval Abraham im
palästinensisch-israelischen Magazin +972^[1]. Seither müssen wir uns
mit der Tatsache auseinandersetzen, dass KI-gestützte ISTAR-,
Battle-Management (BMS)- und Entscheidungsunterstützungssysteme
(AI-DSS)wie beispielsweise „Lavender” im Gazastreifen auch über
KI-Chatbotszum Einsatz kommen. U.a. da diesetödlichen Chatbotsvon
Soldat*innen im Gefecht auf die gleiche Weisebedient werden, wie
ChatGPTvon der Zivilbevölkerung im jeweiligen Lebens- und Arbeitsalltag,
müssen wir die konkreten Folgen von militärischen Operationen mittles
KIauch aus der Zivilgesellschaft herausanalysieren und kritisieren
lernen. Im April 2024 haben wir, derArbeitskreisgegen bewaffnete
Drohnen, die Informationsstelle Militarisierung(IMI e.V.)und das Forum
Informatiker*innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung(FIfF
e.V.) eine Stellungnahme zu Abrahams vorheriger Recherche und
Publikmachungdes AI-DSS „Lavender“ in +972^[2]veröffentlicht. Wir haben
in dieserargumentativ gefordert,die derzeitigen Praxendes „Targeted
Killing“ mit unterstützenden KI-Systemen als Kriegsverbrechen
einzustufen^[3]. An der Umsetzung dieser Forderung arbeiten wir
seithertransdisziplinär undkontinuierlich.
In den letzten eineinhalb Jahren haben nahezu alle Big
TechUnternehmenihre Nutzungsbedingungen für die lukrative Zusammenarbeit
mit demMilitär und mitRüstungsunternehmen angepasst. Kooperationen, wie
bspw.OpenAImitAnduril; Meta, der Mutterkonzern vonFacebook, WhatsApp,
Insta, u.s.w.,derseineOpen SourceLlama-Modelle inzwischen auch dem
RüstungsunternehmenScaleAIzur Verfügung stellt und diese gemeinsam für
multidomäne Operationspraxen weiterentwickelt; auch Googleänderte nach
Project Maven wieder seine Richtlinien, um im Pentagon-Großprojekt
Thunderforgemit einsteigen zu können; um nur die Beispiele der
mächtigsten Tech-Playerderzeit zu nennen. Diese Unternehmenstellen
hierdurch abernicht nur ihre zivil erforscht und entwickeltenKI-Modelle
für militärische Zwecke zur Verfügung, sondern auch ihr spezifisches
Fachwissen und ihre teils aus öffentlicher Forschung heraus erarbeiteten
Erkenntnisse. Auch die Erfahrungen, die diese Unternehmen durch unsere
Interaktion mit ihren Plattformen und KI-Apps gemacht haben, fließen nun
in die Streitkräfte. Dies wirft einen weiteren Aspekt hinsichtlich der
derzeit politisch vorangetriebenen Forderung zur Öffnung der
Hochschullehre für die Dual-Use-Forschung und -Entwicklung (F&E)auf, die
auch den Bereich der Medien betrifft.
Im Falle der KHM stellt die Implementierung der Zivilklausel somit also
in erster Linie einen politischen Ausgangspunkt dar, der
Bildungseinrichtungen für Kunst und Medien einen Debattenraum eröffnet,
in dem über solch neue Verantwortlichkeiten diskutiert werden kann. Über
gesellschaftliche Verantwortung, die sich auch auf die Schultern von
Kunst-, Kultur- und Medienarbeiter*innen legt. Just auf jene
gesellschaftlichen Akteure, die mediale Inhalte entwerfen und die Medien
und Medientechnologien gestalten, die sie transformieren, transportieren
und die auch unser mediales Selbstbild prägen.
Die Zivilklausel an der KHM bedeutet in diesem Sinne, Hochschulen im
Bereich Kunst und Medien nicht als neutrale Bildungsinstitutionen zu
begreifen. Sondern als aktive Akteure in der Auseinandersetzung um
Kultur, zivile Werte, Gestaltungsmacht und gesellschaftliche
Verantwortung im digitalen Zeitalter. Sie macht nach außen hin deutlich,
dass die KHM sich als eine „transkulturelle Gemeinschaft [versteht], in
der sich Menschen mit ihren vielfältigen Herkünften, Geschichten und
Sprachen respektvoll begegnen und zusammenarbeiten” (Zitat:
Zivilklausel at KHM^[4]). Und dass sie dazu steht: eine klare
antifaschistische Grundhaltung.
_____
[0] Christian Heck, “Zivilklausel at KHM - Kunst- und Medienbildung für den
Frieden”, [ ] ground zero - Poetics of technics and cognition, 13. Mai
2025, https://ground-zero.khm.de/zivilklausel-khm/.
[1] Yuval Abraham, „Israel Developing ChatGPT-like Tool That Weaponizes
Surveillance of Palestinians“, +972 Magazine, 6. März 2025,
https://www.972mag.com/israeli-intelligence-chatgpt-8200-surveillance-ai/.
[2] Yuval Abraham, „‘Lavender’: The AI Machine Directing Israel’s
Bombing Spree in Gaza“, +972 Magazine, 3. April 2024,
https://www.972mag.com/lavender-ai-israeli-army-gaza/.
[3] „Senkung der Hemmschwelle durch den Einsatz von Künstlicher
Intelligenz – Lavender und Co. sind als Kriegsverbrechen einzustufen“,
FIfF e.V., 29. April 2024,
https://blog.fiff.de/warnung-senkung-der-hemmschwelle-durch-kuenstliche-intelligenz/.
[4] „Grundordnung mit Zivilklausel-Beschluss des Senats der
Kunsthochschule“, Kunsthochschule für Medien Köln (KHM), Dezember 2024,
https://www.khm.de/download.67013a287afcaa92c34b6c4108912905_1/
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