[spectre] [syndicate] Moratorium to Battisti | D+1/ 2. more weekly | Wu Min1 translated in German |

Louise Desrenards louise.desrenards at free.fr
Thu Apr 8 18:02:27 CEST 2004


Moratorium to Battisti Cesare -> Day +1/ 2.
2 issues today
then weekly demand of the following texts and events
till May 8th then again daily till 12th

The matter is the new file from Italian Government presenting
800 pages long -hope to exhaust Judge and avocados?-
the fence of the lawsuit in fact is postponed till May 12...

And two other refugees asked by Italy: Roberta and Enrico.


////////
Soutiens/ Thanks :

Ligue des Droits de l'Homme, Mixité, CEDETIM,
Assemblée européenne des citoyens, Les Verts, LCR,
élus communistes de la région parisienne,
Syndicat de la Magistrature,
Syndicat des Avocats de France.

//////
If you agree this content,
please to follow copy-paste to preserves links,
more abstracts or translations from your own but respecting our cause
and send Cci (that keeps secret the adresses) to your own list

Remerciements

(si vous êtes d'accord,
merci de faire suivre en copiant-collant
pour la validité des liens
et en adresses par Cci)


Multilingual
1. German,

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:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
Wenesday April 8th
A DAY MORE...


::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::

//////
TODAY GERMAN
Quote indymedia (Switzerland)


Cesare Battisti und die Freiheiten in Italien
Wu Ming 1, 20.02.2004 16:42


In zwei Tage hat Wu Ming 1 diesen interessanten Beitrag verfasst, der auf
die Hintergründe der Verhaftung des Schriftsteller Cesare Battisti in Paris
eingeht. Wu Ming 1 hat ihn innerhalb von zwei Tagen geschrieben, die
Übersetzung hat mehr Zeit beansprucht. Am Ende des Beitrag ist die
Möglichkeit gegeben, den italienischen oder französischen Appell zu
unterschreiben. Mittlerweile gibt es mehr als 10000 Unterzeichnungen bei
verschiedenen Initiativen und in Paris haben sich aus verständlichen
Gründen -wenn man den Beitrag liest- mehrere Initativen gebildet, die sich
um Freilassung Cesares bemühen.

www.mauvais.genres.com
Cesare Battisti und die Freiheiten in Italien

Wu Ming 1

"Die wahre Frage der Politik an den Terrorismus ist zu wissen wie man dort
eintritt und v.a. wie man wieder herauskommt." (Francois Mitterand)

"Es ist bekannt, dass ich für die Begnadigung bin. Es ist eine aktenkundige
Sache. Ich werde auch für die Amnestie sein." (Francesco Cossiga, 31.7.1997)

"Leider ist jeder Versuch von mir und anderen Kollegen der Rechten oder der
Linken, ein Gesetz zur Amnestie und Begnadigung zu verabschieden, auf die
Opposition jener politischen Welt gestoßen, die der Leitung der ehemaligen
kommunistischen Partei zuzuordnen sind." (Francesco Cossiga, Brief an Paolo
Persichetti, 2002).

Der Appell zur Freilassung von Cesare Battisti, der am vergangenen 10.
Februar in Paris verhaftet wurde, erhielt in wenigen Tagen eine
beachtenswerte Anzahl an Unterzeichnern. Am Sonntagabend, den 15., waren es
1360 Unterschriften. Schriftsteller, Regisseure, Filmproduzenten,
Abgeordnete, Universitätsdozenten, Journalisten, auch Missionare und
"einfache" Bürger und alle wollten sie ihre Solidarität bekunden. (1)

Außer diesem, gibt es noch weitere Appelle auf italienisch und französisch,
einer von ihnen hat mehrere tausend Unterschriften gesammelt. Weiterhin
existiert ein offener Brief an Jacques Chirac, den einige Schriftsteller
unterzeichneten. In Paris wirbelt es nur so an Initiativen, Versammlungen,
Pressekonferenzen, und heute, am 16., gab es eine unangemeldete
Demonstration vor der Santé (Gefängnis in Paris. D.Ü.). Vier Abgeordnete
(drei Grüne und der Trotzkist Alain Krivine) sind hineingegangen und haben
verlangt, mit Cesare Battisti zu sprechen. Der Justizminister Dominique
Perben hat die Anweisung gegeben, dies zu untersagen - ein Akt, der illegal
scheint.

Um auf Italien zu kommen, da hat das Verlagshaus Derive Approdi, Battistis
Roman "L'Ultimo sparo", (Der letzte Schuss. D.Ü.), 1998, in Nachdruck
gegeben, und alle Einkünfte daraus, sollen der Verteidigung zufließen. Ich
denke, dass alle mit Cesare solidarischen Verleger die Rechte an seinen
Büchern, die noch nicht in Italien publiziert wurden oder außerhalb des
Katalogs publiziert wurden, erwerben sollten. Sie sollten dann die Bücher
mit der gleichen Klausel in die Buchhandlungen geben.

Die Prüfung der Situation Cesares von Seiten des französischen Gerichts
gestaltet sich langwieriger als angenommen. Das hauptsächliche Problem ist,
dass wenn am 3. März der Forderung seiner Rechtsanwälte nach provisorischer
Freilassung nicht stattgegeben wird, er die ganze Zeit über im Gefängnis
verbringen wird . Am Ende dieses Artikels ist die Adresse angegeben, an die
Beiträge überwiesen werden können, um seine Situation zu erleichtern.

In den vergangenen Tagen gab es einige, die ihre legitimen Zweifel und ihre
Unschlüssigkeit zum Fall Battisti und an dem Appell ausdrückten. Manch einer
hat aber auch wahrhaftige und wirkliche Dummheiten von sich gegeben,
Ausdruck der ideologischen Verkrebsung und/oder der Desinformation zu Themen
wie Ausnahmezustand und Justiz. Mit diesem Artikel möchte ich die Dinge
soweit zurechtrücken wie es mir möglich ist. Ich möchte dazu beitragen,
Klarheit zu schaffen, ohne die schwere ideologische Sprache zu verwenden,
die für gewöhnlich die Diskussion solcher Themen begleitet.

Zunächst werde ich eine Zusammenfassung der "Mitterand-Doktrin", sowie einen
Überblick über die Situation der italienischen Flüchtlingen in Frankreich
geben. Nach einigen Klarstellungen zum Kontext der Verhaftung und
Verurteilung von Cesare Battisti, werde ich den Kontext von heute
beschreiben, den des neuen "Terrorismusalarms", indem ich kurz einige der
Haltlosigkeiten, die uns nach dem 11. September präsentiert wurden, streife.
Im anschließenden Kapitel werde ich versuchen, auf die am Appell geäußerten
Zweifel einzugehen und schließlich beende ich mit einem ganz persönlichen
Kommentar zum Stand der Freiheiten in unserem Land. Das ist eine Aufgabe die
ich als dringlich erachte, die aber nicht sehr leicht ist. Ich hoffe, dass
mir die Grobschlächtigkeiten und die unvermeidlichen Abschweifungen
verziehen werden.

1. Die "Mitterand-Doktrin" bis zur Verhaftung von Persichetti

Im Jahr 1984 wurde die so genannte "Mitterand-Doktrin" (ein unpräziser
Terminus, aber in breitem Rahmen gebraucht) auf die italienischen
Flüchtlinge angewandt. Mehr als hundert Rückkehrer aus den "bleiernen
Jahren" erhielten die Aufenthaltserlaubnis in Frankreich. Dafür müssen sie
sich den Behörden gegenüber transparent zeigen und eindeutig auf politische
Gewalt verzichten. Die explizite Absicht des französischen Staates war es,
ihnen einen Ausweg aus der Illegalität zu ermöglichen, aber ausschlaggebend
ist auch, dass die italienischen Behörden zusammengeflickte und lückenhafte
Dossiers vorlegten. Fall für Fall wurde offensichtlich, dass diesen Menschen
Prozesse gemacht wurden (sie basierten auf den Notstandsgesetzen der Zeit
1975-1982), die nach französischem Recht als Unrecht galten. Für die
Gemeinde der Flüchtlinge wurde dieser Unterschied an Rechtskultur zu einer
zweiten Ebene des Schutzes, wenn man von der "Mitterand-Doktrin" absieht.

Frankreich, das ist klar, soll nicht idealisiert werden, aber dort
existieren keine bizarren Tatbestände wie "moralischer Verfall" oder
"geistige Mittäterschaft". Hingegen sind die Italiener an die Beugung eines
der ältesten Rechtsprinzipien gewöhnt: "Cogitationis poenam nemo patitur"
(Niemand kann für sein Denken bestraft werden).

Das französische Strafrecht kennt im Unterschied zum italienischen keine
assoziativen Straftatbestände, die sich nur durch semantische Tricks
voneinander unterscheiden und je nachdem zu einigen Jahren mehr an Gefängnis
führen. Eklatantes Beispiel sind die Artikel 270ff, "kriminelle Vereinigung"
und "kriminelle Vereinigung mit terroristischem Ziel zum Umsturz der
demokratischen Ordnung". Die Beschreibung ist praktisch identisch, nur dass
im ersten Fall 5-12 Jahre und im zweiten 7-15 Jahre riskiert werden. Dies
ist ein Vermächtnis des Gesetzes N°15, 6.2.1980, besser bekannt unter der
Bezeichnung "Legge Cossiga" (Legge = Gesetz, Regierung Cossiga).

In Frankreich geschieht es sehr selten, dass ein Beschuldigter auf der Basis
der Aussagen nur eines Zeugen verurteilt wird. In Italien dagegen wurde es
zur Gewohnheit: Alle Prozesse im Fall 7. April wurden auf den Aussagen des
Zeugen Carlo Fiorino aufgebaut; die Verurteilungen von Sofri, Bompressi und
Pietrostefani basierten auf der herbeizitierten Mitschuld durch den Zeugen
Leonardo Marino. Eine einzige Person, die beschuldigt, wird als
glaubwürdiger erachtet als Dutzende Entlastungszeugen. (2)

Schließlich ist in Frankreich, wie in allen europäischen Ländern und wie es
auch die europäische Menschenrechtskonvention von 1954 beinhaltet,
festgelegt, dass eine Verurteilung in Abwesenheit nicht definitiv sein kann.
Wenn ein in Abwesenheit Verurteilter sich stellt oder gestellt wurde, gilt
das Urteil als nichtig und der Prozess wird neu aufgerollt. Hingegen ist die
juristische Praxis in Italien diesbezüglich eine völlige Missachtung des
römischen Rechtsprinzips: "Ne absens damnetur" (Ein Abwesender kann nicht
verurteilt werden.) Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg, das italienische Verfassungsgericht, der italienische
Kassationsgerichtshof haben die Gerichte aufgefordert, die europäische
Konvention einzuhalten, die der italienische Staat mit dem Gesetz N°848, vom
4.8.1955, in der Theorie anerkannt hat. Die italienischen Gerichte kümmern
sich aber einen Dreck darum und fahren in der Praxis fort, definitive
Urteile in Abwesenheit zu fällen. Nach Meinung des Journalisten Stefano
Surace, der selbst ein Opfer dieser Praxis ist, gibt es in Italien 5000
Gefangene, die auf diese Art verurteilt wurden. (3)

Kehren wir zu Frankreich zurück: Seit achtzehn Jahren gab es keine
Auslieferungen, bis zum August 2002, als Paolo Persichetti verhaftet und
ausgewiesen wurde. Die Basis dafür war ein Dekret über Auslieferungen,
unterzeichnet 1994 vom damaligen Premierminister Edouardo Balladour . Es
markiert die Wende. Der Siegelverwalter Perben erklärt, dass von jetzt an
die Angelegenheiten der Flüchtlinge Fall für Fall überprüft würden.

2. Cesare das geben, was Cesare gehört

Der durch das italienische Strafrecht ausgeübte Druck auf die assoziativen
Tatbestände (besonders der Straftatbestand "Terrorismus"), hat die PM
(Pubblico Ministero = Staatsanwalt) oft zum Selbstbetrug bei ihrer
individuellen Verantwortung für konkrete Fakten verführt. Letztere haben
nach und nach ihre Bedeutung zu Gunsten des "Endziels" eingebüßt. Häufig
wurde zuerst über die Ideologie der Beschuldigten, der wirkliche
"terroristische Strafttabestand", verhandelt und erst in zweiter Linie kamen
die spezifischen Vergehen, derer sie angeklagt waren, zur Sprache. Dieser
Tendenz zum Angedenken, sollte die Erklärung eines Untersuchungsrichters im
Prozess 7. April (die römischen Prozesse) in Marmor gemeißelt werden. Er
meinte gegenüber dem Corriere della Sera am 27.5.1979: "Wir versuchen die
ideologische Entwicklung zu rekonstruieren, die den Beschuldigten dazu
gebracht hat, die schwerwiegenden Verbrechen zu begehen, derer er angeklagt
ist... Der Beschuldigte ist sich darüber noch nicht im Klaren und beharrt
weiterhin darauf, dass ihm präzise Fakten nachgewiesen werden."

Am 5. Juli des gleichen Jahres, war in der gleichen Tageszeitung ein
Interview mit Pietro Calogero, dessen Name für den venezianischen Teil des
gleichen Prozesses steht, in dem der Richter die Erwartung "konkreter
terroristischer Beweise" als naiv und verfehlt bezeichnete. Das hat unter
anderem zum progressiven Verschwinden der mittleren Straftaten wie z.B.
"Begünstigung" geführt: Es sind alles Terroristen und fertig.

In solch einem Klima war es tägliche Praxis, dass einem Beschuldigten alle
Verbrechen angelastet wurden, die seine Organisation verübte, selbst dann,
wenn objektive Umstände Anwesenheit und Beteiligung unmöglich machten.

So geschah es auch Cesare Battisti, der wegen verschiedener Morde verurteilt
wurde, wovon zwei sich am gleichen Tag in Mailand und Venedig ereigneten und
dies in einer zeitlichen Differenz von weniger als einer halben Stunde.

Für diese Verbrechen, für die er sich als unschuldig bezeichnete, wurde er
in Abwesenheit verurteilt und dies mit einem definitiven Urteilsspruch.
Gerade deswegen hat sich die Chambre de Accusation von Paris am 29. Mai 1991
gegen die Auslieferung gestellt, auch weil diese Praxis gegen die
europäische Menschenrechtskonvention verstößt.

Da die italienische Regierung kein neues Dokument präsentiert hat, verletzt
die Verhaftung, die Einkerkerung und Neuprüfung der Situation Battistis ein
Prinzip, das vielen Franzosen am Herzen liegt: Man kann nicht zweimal für
das gleiche Vergehen verurteilt werden, eine Angelegenheit, die in diesen
Tagen auch die Richtergewerkschaft und die Gewerkschaft der Rechtsanwälte
aufhorchen ließ.

3. Von den Paket-Bomben zu den Bombenattentätern, Streifzug zu "Mama, die
Türken!"

Der italienische Innenminister Pisanu hat die Verhaftung Battistis als
"einen erneuten bezeichnenden Schritt nach vorn im Kampf gegen den
Terrorismus" bezeichnet.

Gesprochen wird von einem Mann, der dem bewaffneten Kampf abgeschworen hat
und der seit mehr als zwanzig Jahren keine Straftat mehr beging. Zur
gleichen Zeit ist er nicht nur perfekt transparent geblieben und für
jedermann auffindbar. Er lebte im Licht der Sonne und arbeitete als Pförtner
in einem Wohnhaus. Er wurde auch zu einer öffentlichen Persönlichkeit, zu
einem Schriftsteller, der mit wertvollen kulturellen Einrichtungen
zusammenarbeitet und dessen Bücher von renommierten Verlegern publiziert
wurden. Wir sprechen von einem Menschen, dessen Auslieferung überhaupt
nichts mit unserem Verständnis vom bewaffneten Kampf in den sechziger Jahren
zu tun hat.

Die Hände auf diese Person zu legen, wird uns als brillante
antiterroristische Operation verkauft. Auch die Auslieferung von Persichetti
wurde dem Publikum als ein heroischer Blitz im Maßstab 007 präsentiert. Die
Realität war etwas unterschiedlicher: Persichetti war Universitätsdozent mit
Zeitvertrag an der Universität Paris III. Seine Unterrichts- und
Sprechstunden waren im Aushang und auf der Website des Athenäum einsehbar.
Es war also nicht schwierig, ihn ausfindig zu machen.

Leider, nach dem 11. September und der verhängnisvollen Rückkehr der "neuen
Brigate Rosse", kann im Namen des Terrorismusalarms die öffentliche Meinung
auf irgendeine, enorme Schweinerei abgerichtet werden.

In den USA hat die Terrorismushysterie zu abnormen Willkürgesetzen wie den
Patriot Act oder den Homeland Security Act geführt. Diese Hyterie hat
beispielsweise die Bevölkerung zu solch lächerlichen Verhaltensweisen
gebracht, wie Risse ihrer Häuser mit Klebeband abzudichten, um sich gegen
chemische Attentate zu schützen. (4)

In Italien ist, außer einer medialen Farce und den Geschichten über zu
schnelle Handschellen, eine große spiritistische Sitzung über die Geister
der Vergangenheit herausgekommen. Den sozialen Bewegungen wurde eine
Debatte, ohne Anfang und Ende, zur Frage der Gewalt und Gewaltlosigkeit
aufgezwungen, über die Nähe von sozialen Kämpfen und Terrorismus, zur
Distanzierung von den Paketbomben (so als wäre die Distanz nicht schon
objektiv vorhanden und klar ersichtlich). Rhetorische Fallen, bei denen die
politische "No-Global" Elite gehörig auf die Nase fiel, wenn sie sich nicht
direkt mit einem Stein am Hals ertränkte.

Der schon zitierte Paragraph 270ff spielt in den Haftbefehlen, die von den
Alpen bis nach Sizilien an die Hausbesetzer, Basisgewerkschafter,
Antikriegsgegner und Heimkehrer von der Anti-G8 Demonstration in Genua
verteilt wurden, ein Rolle. (5) Auf dem Abhang der Jagd nach dem islamischen
Terrorismus, haben wir manch allarmierender Kampagne über angeblich große
Attentate assistiert, um dann zu entdecken, dass sie jeglicher Grundlage
entbehrten. (6) Ebenfalls erschreckend sind die zahlreichen Fälle der
"Verteufelung" der Muslime , Leute, die es kalt erwischt und die dann - den
Abendnachrichten nach - auf der Basis nicht haltbarer Indizien ohne Aufsehen
und Entschuldigung wieder freigelassen werden. So am 20. August 2002 in
Bologna. Fünf Personen werden in der Basilika San Petronio an der Piazza
Maggiore verhaftet. Laut Staatsanwaltschaft hatten sie eine Zusammenkunft,
um ein Attentat vorzubereiten. Das Verbrechen, dessen sie angeklagt sind,
ist der übliche 270ff. Unkritisch verbreiten die Medien die Nachricht. Der
Corriere della Sera kümmert sich einen Dreck um ihre wahrscheinliche
Unschuld und schreibt: "Al Qaeda wollte Bologna treffen! Plan eines
Attentates in der Basilika San Petronio durch eine Operation der Carabinieri
vereitelt. Ziel war das Fresko mit Mohamed in der Hölle!"

Wer sind aber die Verhafteten? Es handelt sich um einen italienischen Lehrer
und vier marokkanische Staatsbürger, die als Touristen Bologna besuchten.
Sie besichtigten San Petronio. Mit sich führten sie eine Videokamera. Als
sie das berühmte Fresko sahen, waren sie überrascht und begannen auf
arabisch zu sprechen - über eine Darstellung, die für einen Muslim höchst
blasphemisch wirkt. Übrigens, wie würde Baget Bozzo (reaktionärer
politischer Theologe des Katholizismus in Italien, d.Ü.) reagieren, wenn die
Araber auf die Wände ihrer Moscheen in riesigen Buchstaben "Schweinegott"
schreiben würden.

In weniger als 24 Stunden ist die Angelegenheit glücklicherweise zu Ende.
Das Missverständnis ist geklärt und die fünf werden wieder freigelassen. Die
Staatsanwaltschaft von Bologna und die Medien (lokale wie nationale) haben
eine äußerst miserable Figur gemacht und dennoch wird alles innerhalb
weniger Tage vergessen werden. Das war lediglich ein kleines Vorspiel auf
die große Dämonisierung der Muslime in Italien.

In den kommenden zwei Jahren wird zur Orientierung der antiterroristischen
Fahndungen der Mythos der schlafenden Terrorzellen erfunden; also nicht
aktive Gruppen, die aber jederzeit aktiv werden können (der berühmte
Straftatbestand zum vorzeitigen Eingreifen, von dem Calogero gesprochen
hat).

Die Untersuchungen werden von einer Kultur der Verdächtigungen und
kapriziösen Interpretationen begleitet, die an Paranoia grenzen. So wurde in
den Tagen des 7. April ein Telefongespräch auf arabisch, das sich um ein
Fußballspiel drehte, zu einer kodierten Botschaft über die Vorbereitung
eines Attentates in Deutschland. Allgemeine idiomatische Ausdrücke auf
arabisch werden zu beunruhigenden Hinweisen über Untergrundgruppen. Bei der
ganzen Konfusion um Worte werden riesige Kartenhäuser errichtet. All das
ergab der Prozess in Milano gegen die Mitglieder der Moschee in der Viale
Jenner. Sie wurden der Verbindung mit Al Qaeda verdächtigt.

Sicher, es handelte sich bei ihnen um Anhänger des radikalen Islam, was für
sich aber kein Verbrechen ist. Der zweischneidigen Frage widmen Carlo Bonini
und Giuseppe D'Avanzo einen Beitrag, der in "La Repubblica am vergangenen
27. Januar erschienen ist. Er trug den Titel: "Wenn die Jagd auf Al Qaeda
zur Gefahr für den Rechtsstaat wird." Der Beitrag ist eine bedeutende
Stellungnahme auch in Anbetracht dessen, dass in der gleichen Zeitung Magdi
Allam schrieb, dessen kriminalisierende Artikel und Bücher nicht
unwesentlich dazu beigetragen haben, die Kultur der Verdächtigungen zu
verbreiten. (7) Der eben erwähnte Beitrag enthielt folgendes Zitat des
Wissenschaftlers für den zeitgenössischen Fundamentalismus, Renzo Guolo: "Es
ist schwierig nachzuweisen, dass Proselitismus und ideologische Propaganda
automatisch zur Unterstützung terroristischer Organisationen führen. Die
Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit zum radikalen Islam oder zu seinem
Jihad-Flügel ist oft hauchdünn, aber paradoxerweise deckt sie sich mit dem
Unterschied, der ideelle Verbrechen von denen des Terrorismus trennt." (8)
Cogitationis poenam nemo patitur!

Vor wenigen Tagen, am 12. Februar, wurde auf dem Flughafen von Venedig der
Abflug nach Rom gestoppt. Motiv? An Bord befindet sich ein Passagier mit
irakischer Nationalität. Ein irakischer Terrorist? Nein, ein Iraker und
basta. Der Flug verspätete sich um zwei Stunden, alle mussten aussteigen,
der Metalldetektor wird passiert und die Polizei verhört den Verdächtigen.
Verdächtig? Auf welcher Grundlage? Sie untersucht die Koffer, die ja schon
ohne Problem den Check-in durchliefen. Ergebnis: Dieser irgendwer stellt
sich als politischer Flüchtling, Wohnsitz Norwegen, heraus. Er hat einen
Termin in der türkischen Botschaft in Rom, wo er ein Visum beantragt hat.
(9)

Dass der Terrorismusalarm mehr als nur einmal übertrieben wurde, scheint ein
neueres Ereignis zu bestätigen: die berühmten Antiimperialistischen
Territorialen Zellen (eine aktive und bewaffnete Bande im Nordosten, über
die Mitte der Neunziger Untersuchungen geführt wurden). Es hat sie in der
Realität nie gegeben. Alles war nur Bluff, verbreitet durch einen
ehemaligen, etwas mythomanischen Journalisten der Rechten. Es war Luca
Razza, 36 Jahre alt, 1998 Kandidat der Kommunalwahlen von Udine für die
Liste SOS-Italia. Bei der Liste handelt es sich um eine kleine Gruppe, die
mit Haider sympathisiert. Sie erhielt eine einzige Stimme, vermutlich die
seine.

Und die Dokumente der antiimperialistischen Zellen (NTA)? Eine Kopie und ein
Zusammenschnitt aus Zeitungsartikeln und alten "strategischen Resolutionen"
der Brigate Rosse (Brigate Rosse = italienisches Pendant zur Roten Armee
Fraktion, d.Ü.), die im WEB stehen. Und die Attentate? Schnee von gestern:
einige angezündete Autos mehr. Der Journalist Razza hätte sich auch zu
Aktionen bekannt, die er nicht begangen hat, z.B. das Telefonat nach der
Ermordung von Biagi. (Biagi Wirtschaftsberater von Berlusconi, im März 2002
durch ein Attentat ermordet, d.Ü.) Aussage des Journalisten Luca Razza: "Ich
habe mit dem Schreiben dieser Dokumente begonnen, um meine Verachtung und
meine Wut herauszulassen. Es ist auch professionell: Schreiben gefällt mir
sehr, es ist meine Leidenschaft. 1992 wurde ich bei der Zeitung gekündigt,
für die ich als Journalist arbeitete...[Ich] habe all dies ohne Intention
getan, jemanden zu töten und auch ohne Absicht, die öffentliche Ordnung
umzustürzen." Das ganze war also eine schöne Sequenz an "Scherzen", bei dem
ihm zwei weitere befreundete Spaßvögel behilflich waren.

Und mitten in all dem wird die Verhaftung von Battisti als "ein weiterer
bezeichnender Schritt nach vorn..." etc., etc., bezeichnet.

4. Appell, Reaktionen, die "politische Lösung"

Nach der Meinung einiger, die sich als begabte Strategen in der Realpolitik
fühlen, sei jetzt nicht der Augenblick, die Justiz zu kritisieren, da es in
erster Linie darauf ankommt, sich von Berlusconi zu befreien und heute der
"Garantismo" (= Staatsprinzip, das zum Schutz seiner Bürger im bestehenden
Recht, die Einhaltung der konstitutionellen Rechte garantiert.) von der
Regierung wird instrumentalisiert, dass wir uns in dieser Hinsicht
unterscheiden müssen, etc.

Als allererstes, die Regierung kennt keinen Garantismo. Sicher, diese
politische Rechte versucht eine begrenzte Anzahl von Straftatbeständen für
straffrei zu erklären, die aber nur von den Reichen begangen werden. Sie
versteckt das Klassenprivileg und ihre putschistische Veranlagung hinter
einer Karikatur des Garantismo. Zur gleichen Zeit verschärft sie alle
anderen Gesetze, z.B. die über Drogen, zur Immigration, zu den Rechten der
Arbeiter, zur künstlichen Befruchtung, zur Psychiatrie, zu den
Öffnungszeiten öffentlicher Einrichtungen. Sie möchte den Kindern unter 11
Jahren verbieten, an Manifestationen teilzunehmen (Ausnahme: die
Veranstaltungen des Papstes). (10) Es wird nicht vergessen, dass diese
Majestäten mit eiserner Hand gegen die Gerichte vorgingen, wenn sie direkt
betroffen waren, und dass sie nie damit aufgehört haben, sich als
Ordnungspartei zu benehmen: Es kümmert sie einen Dreck, ob die Gefängnisse
überquellen (bei Wojtila reiten sie auf der "Linken" herum: vielleicht
sollte den Kindern auch die Audienzen des Papstes verboten werden), sie
wollen niemanden begnadigen lassen, und sie lassen auf Demonstranten
schießen...

An der Zwangsrückführung der Flüchtlinge in Paris scheint besonders
Justizminister Castelli, ein besonders schönes Exemplar eines "Garantisten",
interessiert zu sein. Er hat mehrmals darüber mit seinem französischen
Kollegen Perben konferiert. Er besteht darauf, weil er die Ausweisungen zur
Aufrechterhaltung des Klimas benötigt, das im vorangegangen Kapitel
beschrieben wurde. Es gibt also überhaupt keinen Widerspruch zwischen dem
Kampf gegen die Ausweisung und für die Überwindung des Notstandes und dem
Kampf gegen diese Regierung, welche die Ängste der Leute instrumentalisiert,
um die Grundrechte zu negieren.

Zweitens, es ist richtig, dass die Priorität darin besteht, den "heiligen
Thron" zu entmachten. Aber wenn man, um dies zu tun, den Gerichten einen
neuen "Einzigen Gedanken" aufzwingt, sie als eine Kaste von Heroen begreift,
die es zu verehren gilt und der man immer Recht geben muss, so wird von
einem Autoritarismus zum anderen gegangen. Man schreitet vom Messianismus
der ForzaItaliota (gemeint ist der idiotische Messianismus von Berlusconis
Partei Forza Italia, d.Ü.) zum Messianismus des Rechts, ohne den Notstand zu
überwinden und weit davon entfernt, die Probleme unserer Ordnung zu
überwinden. Im Gegenteil, sie werden verschärft.

Ich möchte ergänzen: Wenn ich von den "Leggi Speciali" (Notstandsgesetze)
spreche, will ich nicht zur Verantwortlichkeit der PCI (Kommunistische
Partei Italien, d.Ü.) schweigen. Sie unterstützte enthusiastisch -und
empfahl damals sogar- die autoritärsten Maßnahmen. Gleichwohl kann man nicht
zur Verantwortung ihrer Nachfolger schweigen, zuerst die PDS und dann die DS
(Partito della Sinistra, Democratici di Sinistra = beides Nachfolgeparteien
der Mehrheitsströmung bei der Auflösung der Kommunistischen Partei Italiens;
die Umbenennung von Partei der Linken zu Demokraten der Linken, kennzeichnet
auch den raschen Prozess der Umwandlung in eine sozialdemokratische Partei,
d.Ü.). In den vergangenen zwanzig Jahren haben diese Leute keinen einzigen
Schritt getan, um aus der Kultur des Notstandes herauszukommen, um diese
Seite der Geschichte abzuschließen. Im Gegenteil zu vielen Fragen und Themen
hat die DS sich als Champion der Ordnungsparteien präsentiert. Sie war
"realistischer als der König" selbst und dies alles aus Angst, den Anschluss
an die Modernität zu verlieren. Brrrr.....

Der Kampf gegen die Rechte heißt also nicht, sich den Maulkorb umzuhängen
und darauf zu verzichten, die institutionelle Linke und die Gerichte zu
kritisieren.

Francesco Cossiga, einer der hauptsächlichen Protagonisten der Repression,
ist heute der Vertreter einer politischen Lösung des Notstandes. Seit seiner
Präsidentschaft unterstützt er die Notwendigkeit, des Straferlasses, der
Amnestie - ein Akt also, der von einer Neubewertung des bewaffneten Kampfes
ausgeht und ihn auf seine politische Dimension (im guten oder schlechten)
zurückführt. Er erklärte gegenüber der Zeitschrift "Sette" in einem
Interview: "Wir hatten nichts vor mit den gewöhnlichen Kriminellen. Amnestie
heißt nicht vergeben der Schuld. Sie ist ein politisches Instrument: d.h.
sie schließt eine historische Periode ab. Die von 68 und 77 waren eine
militante Generation. Und auch ich bin ein Militanter." Mit Erklärungen wie
dieser hat sich Cossiga einen Regen an Tadel eingehandelt, es scheint ihn
jedoch zu amüsieren.

Wenn derselbe Cossiga - dessen Name eines der herausragenden Gesetze des
Notstandes trägt - unterstreicht, dass die Lösung des Problems nicht im
Rahmen des Strafrechts oder individueller Bemühungen gefunden werden kann,
wird klar wie derlei Ansichten außerhalb des Kontextes liegen: "Warum kehrt
Battisti nicht nach Italien zurück und stellt sich der Justiz, anstatt sich
wie Craxi zu verhalten?" oder: "Warum geht er nicht ins Gefängnis und reicht
ein Gnadengesuch ein?" oder auch gerade heraus: "Warum ist er eigentlich
geflohen? Konnte er er sich nicht wie Adriano Sofri verhalten?" Alles sind
integere Leute, wenn es sich um die Gefängnisstrafe der anderen handelt.

Vor allem soll der Vergleich mit Craxi durchleuchtet werden. Cesare Battisti
wurde der Status eines politischen Flüchtlings - und das aus gutem Grund -
zuerkannt. Abgesehen von jeglicher Wertung der juristischen und
existenziellen Angelegenheit des ehemaligen sozialistischen Parteichefs,
sind beide Situationen in jeglicher Hinsicht unterschiedlich. Wer solche
Optionen vorschlägt, besitzt eine völlig platte Sichtweise in Bezug auf eine
Gegenwart, die er für ewig hält, die kein Anfang und kein Ende hat. Er weiß
nichts über den Kontext Ende der sechziger Jahre und weiß deshalb auch
nicht, warum einige geflohen sind: Es waren groteske Prozesse wegen ihrer
Negierung des Rechts auf Verteidigung. Die Beschuldigten wurden in Käfige
gesperrt, befanden sich oft in schwierigen psychischen und physischen
Situationen, waren Monate oder auch Jahre in Vorbeugehaft am Arsch der Welt,
in den Sondergefängnissen. Dort gab es auch die so genannten "Bracetti della
Morte" (Umarmungen des Todes, d.Ü.), Bereiche der vollständigen Isolation.
Dort überwogen die Schikanen des Wachpersonals, Tag für Tag die intimen
körperlichen Durchsuchungen etc... Gleichzeitig taten die Chefs der Anklage
alles, um die Zeit der Vorbeugehaft unverhältnismäßig zu verlängern. Die
Medien schließlich trugen zu deiner "Entmenschlichung" bei, machten aus dir
das Monster und entdeckten dann, dass du existierst. Es sind alles Dinge,
die Amnesty International in ihren Berichten aus dieser Zeit dokumentiert
hat.

Völlig ohne Grundlage ist der Vergleich mit Adriano Sofri. Es ist eine
andere Zeit, eine andere Prozessführung und völlig andere Haftbedingungen.
Sofri schreibt für zwei, drei Tageszeitungen und eine Illustrierte, er
erscheint im Fernsehen, schreibt Bücher und hat um sich herum ein sehr
breites Netz an Solidarität . Der Kampf für seine Begnadigung wurde durch
eine politische Allianz mit vielen Querverbindungen geführt. Darüber hinaus
hat er ein anderes Alter. Es ist eine völlig andere Situation in Bezug auf
einen Zwanzigjährigen, der Ende der sechziger Jahre in ein Sondergefängnis
geschickt wird. Aber auch Pietrostefani, der Mitangeklagte von Sofri hat den
gleichen Entschluss wie Cesare Battisti zur Flucht gefasst. Niemand hat ihm
deswegen Vorwürfe gemacht, am wenigsten Sofri, der nie verlangt hat, dass
seine Entscheidungen allgemeingültigen Wert besitzen. Aber entschuldigt, aus
welcher Welt kommt ihr? Schließlich gilt nur in Italien die Verurteilung in
Abwesenheit als Beweis der Schuld.

Die Begnadigung: Sofri hat nicht einmal persönlich darum gebeten und er
assistiert heute dem Delirium, das ein diesbezüglicher Vorschlag
verursachte. Massimo Carlotto (damals bei Lotta Continua und wegen Mord an
einer Studentin angeklagt; d.Ü.) trieb seinen verrückt gewordenen
Stoffwechsel auf über 140 Kilo und an die Schwelle des Todes, bevor er
begnadigt wurde. Curcio (Mitbegründer der Brigate Rosse) bekam sie nicht,
auch wenn sie der damalige Staatschef Cossiga vorschlug. Battisti hat im
Unterschied zu Sofri keine großen politischen Verbindungen. Im Unterschied
zu Carlotto erfreut er sich bester Gesundheit und im Unterschied zu Curcio
ist er wegen einiger Bluttaten angeklagt. Es ist also das tödlichste aller
Abstellgleise.

Eine weitere Kritik am Appell ganz anderer Art ist folgende: "Zuviel Gewicht
wurde auf die Tatsache gelegt, dass Battisti Schriftsteller ist." Kann
möglich sein. Es ist ein Appell, der sehr schnell (nicht von uns, von den
Freunden Cesares) geschrieben werden musste und ist v.a. an die
Öffentlichkeit in Frankreich gerichtet, wo die fragliche Person nicht als
ein Schlächter, ein Folterknecht, eine blutverschmierte Bestie bekannt ist,
sondern als Schriftsteller. In wenigen Worten: Dieser Tage ist nicht Cesare
Battisti von 1980 im Gefängnis, sondern der von 2004 und der wird in dem
Appell beschrieben.

Der Appell ist an die Franzosen gerichtet, weil beim aktuellen Stand der
Dinge und aus den oben beschriebenen Motiven, eine Meinungskampagne in
Italien keinerlei Wirkung zeigen würde.

Ich beende dieses Kapitel mit einer Anmerkung als Cineast: In England wurde
ein Film mit Titel "Im Namen des Vaters" zu den Verirrungen ihrer
Antiterrorismusgesetze gedreht. In Italien haben wir solche Ereignisse wie
die von Gerry Conlon zu hunderten, vielleicht noch etwas gespenstischer. Wo
zum Teufel sind die Filme? (11) Wenn ihr einen guten kennt, schickt mir den
Titel.

5. Der Stand der Freiheiten in Italien

Mit knappen Worten hat dieses Land eine große Lust, seinem nächsten die
Suppe zu versalzen. Man will seinen Schnabel in die freie Entscheidung einer
Person stecken, die sich nicht das Bein amputieren lassen will; man
entrüstet sich, weil die Zeugen von Genua Bluttransfusionen ablehnen; man
will komplizierte bioethische Fragen mit einer kurzen Formel wie
"stillschweigende Zustimmung" lösen; in die Reihen der Ratgeber schleichen
sich Priester, welche die Mädchen davon überzeugen wollen, nicht
abzutreiben; den Pädophilen wird die "chemische Kastration" empfohlen. Die
AN (Alleanza Nazionale = neofaschistische Regierungspartei) machte einen
Gesetzentwurf gegen satanische Sekten...

1998 schrieben einige Mitglieder des damaligen Luther Blisset Projekts ein
umfangreiches Essay mit dem Titel: "Feinde des Staates - Kriminelle, Monster
und Sondergesetze in der kontrollierten Gesellschaft". Es wurde bei Derive
Approdi verlegt. In ihm wird von der "Atomisierung" des Notstandes
gesprochen, d.h. das Verlagern von der Res pubblica auf die sozialen
Mikrobindungen , von der öffentlichen Ordnung zur Privatsphäre, bis hin zu
den Differenzen in den individuellen Schlupfwinkeln. Mit anderen Worten: vom
Politischen (ein schon völlig kolonisiertes und strukturiertes Gelände) zum
Kulturellen (in weitestem Sinne, anthropologisch) bis hin ... zum Geistigen.

Ich werde hier keines der im Essay zahlreich vorhandenen Beispiele anführen.
Ich beschränke mich darauf festzustellen, dass sich die Situation ganz klar
verschlechtert hat. Und es ist nicht nur mehr eine Frage von politisch
Rechts oder Links oder eine Frage der verzerrten medialen Kommunikation im
Konflikt der Interessen. Die Frage stellt sich grundsätzlicher: Es ist
tatsächlich eine Offensive gegen die Meinungsfreiheit in all ihren
Bedeutungen, von der Freiheit des Kultes bis hin hin zur Freiheit der
therapeutischen Entscheidung.

Oft hat uns der unterstellte "Maximalismus" zu diesen Themen (der nun der
gleiche Maximalismus eines Voltaire ist) sehr viele Kritiken eingebracht
(italienischer Terminus "Oltranzismo", 1942, Strömung der absoluten
politischen Unversöhnlichkeit, d.Ü.) wie auch Verleumdungen und Versuche der
Zensur. Einige von uns haben Partei genommen für die Freiheit des Wortes der
revisionistischen Historiker gegen das Gesetz Fabius-Gayssot (12), für die
Neofaschisten gegen das Gesetz Mancini (Strafgesetz in Bezug auf
rassistisch, nationalistisch und religiös motivierte Diskriminierungen,
d.Ü.), für die Dissidenten in Sachen HIV/AIDS (Ihre These: Aids ist eines
der größten Skandale der Medizin. Die Wissenschaftler lehnen eine offene
Debatte aus Angst darüber ab, ihre Finanzierungen zu verlieren. Niemand hat
nachgewiesen, dass das Virus Aids verursacht; d.Ü.). Für uns gibt es keinen
Kompromiss: den Ideen, so rebellisch oder unbequem sie auch sein mögen,
können nur andere Ideen entgegengesetzt werden und nicht die Macht des
bewaffneten Staates. Und deshalb noch einmal: cogitationis poenam nemo
patitur!

Und es interessieren uns die "Grenzfälle", denn bei ihnen wird mit der
Restriktion der Freiheit aller experimentiert.

Dies konnte kein ausführlicher Beitrag sein. So konnte ich z.B. nicht alle
Fälle des falschen Terrorismusalarms zitieren. Ich hoffe jedoch, einige
Missverständnisse ausgeräumt zu haben. Arbeit gibt es noch viel zu tun, und
man glaube nicht, dass mit dem Verschwinden von Berlusconi, der Status der
Freiheiten in Italien, der Status "dieser" Freiheiten eine spürbare
Besserung verzeichnen wird. Es gilt zu kämpfen, sich nicht einlullen zu
lassen und so gut wie möglich den Erpressungen der Realpolitik zu
widerstehen.

15. - 16. Februar 2004

Um zur Solidaritätskampagne mit Cesare Battisti beizutragen:

Valentine Battisti BNP Paribas 30004 01861 00001268951 84

Verrechnungsschecks zur Unterstützung können an folgende Adresse gesandt
werden:

Valentine Battisti - 1, rue Bleue - 75009 Paris

Unterzeichnung der italienischen Version des Appels:
http://www.miserabili.com/archives/012064.html#012064

Webseite von Cesare Battisti:
 http://www.cesarebattisti.net/

Unterzeichnung der französischen Petition:
 http://www.mauvaisgenres.com/arrestation_battisti.htm



Fußnoten

[1] Dieses Mal kann wirklich nichts gegen Giuseppe Genna gesagt werden. Er
hat sich Tag und Nacht um die Ohren gehauen, um den Appell unterzeichnen zu
lassen, sowie über den Fall Cesare zu informieren. Das soll ihm ohne wenn
und aber anerkannt werden.

[2] Hier zwei weitere typische Charaktermerkmale unseres Rechtssystems/der
Massenmedien: das erste bezieht sich auf die Umkehrung der Glaubwürdigkeit
von Beweisen, so ist es nicht mehr der Staat, der in der Pflicht steht deine
Schuld zu beweisen, sondern du bist es, der seine Unschuld zu beweisen hat;
das zweite bezieht sich auf das Auswuchern der Pentitismen ( = Gnadenerlass
bei Zusammenarbeit mit den Justizbehörden), der Denunziationen, des
Herbeizitierens von Mitschuld, der "Kronzeugen". Die Untersuchungsarbeit
wird quasi vollständig durch die Enthüllungen des einen oder anderen
ersetzt, dies wurde zum System mit dem Gesetz zu den Pentiti ( = Reumütigen)
von 1982, das heute als natürlich angesehen wird.

[3] 2002 wurde Stefano Surace, 69 Jahre, verhaftet und auf Grund dreier
Urteile wegen Obszönität hinter Gitter gebracht. Dies alles liegt dreißig
Jahre zurück als er noch die Zeitschrift "Le Ore" leitete. Surace wusste von
diesen Prozessen nichts, da er nach Frankreich gezogen ist und in
Abwesenheit verurteilt wurde. Bei seiner Rückkehr nach Italien wurde er dann
inhaftiert. Der Vorfall erregte einiges Aufsehen und um seine Freilassung
bemühten sich der FNSI und Reporters Sans Frontièrs. Siehe auch:
http://lists.peacelink.it/pcknews/msg02604.html

[4] Die Geschichte mit dem Klebeband ging von der Bush-Administration aus.
Dann wurde entdeckt, dass die größte Firma, die Klebeband in den USA
produziert, zur Wahlkampagne der Republikaner beigetragen hat. Siehe auch:
http://www.thenation.com/doc.mhtml?i=20030331&s=drmarc

[5] z.B. die Verhaftung einiger Aktivisten der Südrebellen aus Cosenza und
Taranto im November 2002, deren Geschichte Claudio Dionesalvi in seinem Buch
Mammagialla, Rubbettino, Cosenza 2003, erzählt.
Siehe auch:  http://www.filiarmonici.org/mammagialla.html

[6]
http://www.repubblica.it/2003/k/sezioni/cronaca/terroita/bodava/bodava.html

[7] Die einzigen Werke der Controinformation zu Magdi Allam ist die
denkwürdige Serie an Artikeln "Il Pinocchio d'Egitto" (Pinocchio aus
Ägypten), die Valerio Evangelisti in der ersten Phase des Irakkrieges
geschrieben hat und die bei carmillaonline.com publiziert wurde.
Siehe:
http://www.carmillaonline.com/cgi-bin/mt-search.cgi?IncludeBlogs=2&search=Magdi+Allam

[8] Der Artikel von Carlo Bonini und Giuseppe D'Avanzo:
 http://www.difesa.it/ministro/rassegna/2004/gennaio/040127/56dq0.pdf

[9] Siehe:
http://www.repubblica.it/2004/b/sezioni/cronaca/islammilano2/venezia/venezia.html

[10] Aus Panorama v. 4.2.2004: Die Abgeordnete Alessandra Mussolini ist
grundsätzlich gegen einen Gesetzentwurf, der "das minderwertige Bild der
Politik fördert". "Die Politik ist wichtig, schon als kleines Kind habe ich
anstatt Micky Maus, Tageszeitung gelesen."

[11] Außer der lobenswerten Ausnahme von "Il fuggiasco" (der Flüchtige,
d.Ü.) von Andrea Manni, der über die Geschichte von Massimo Carlotto
berichtet.

[12] Das Gesetz Fabius-Gayssot (benannt nach dem damaligen sozialistischen
Vorsitzenden der »Assemblée nationale« - Nationalversammlung -, Laurent
Fabius, sowie dem kommunistischen Abgeordneten Jean-Claude Gayssot) wurde im
Juli 1990 erlassen. Es belegt das »Bestreiten von einem oder mehreren
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie im Artikel 6 des
Internationalen Militärgerichts definiert wurde«, mit Strafen von bis zu
300.000 Francs Buße und bis zu einem Jahr Haft. Bis Anfang 1994 sind in
Frankreich rund 40 Gerichtsverfahren aufgrund dieses Gesetzes eingeleitet
worden.

Übersetzung Günter Melle
e-Mail:: postmasteer at melles.de
Homepage:: http://www.megraphics.de

thanks
http://switzerland.indymedia.org/demix/2004/02/19214.shtml

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