[spectre] Handke
Heiko Recktenwald
uzs106 at uni-bonn.de
Wed May 31 23:30:33 CEST 2006
I think this is still an interesting text, just found in on the
harddrive. He is essentially right, allthough I didnt follow him
politically. The interventions came much to late and an early clear word
would have been -- maybe -- enough. Clear words, thats what he is
fighting for too, Heine is about language, maybe language is the reason
why Handke is hated so much now, maybe he asks an ugly question.
Schon die Ueberschrift, wer immer sie geschrieben hat, ist doch sehr wahr:
<<
*Moral ist ein anderes Wort für Willkür *
Der Schriftsteller Peter Handke über die Nato-Bomben auf Serbien und die
Frage, warum Amerika umerzogen werden muß
Aus der Süddeutschen Zeitung, 15.05.99, Feuilleton
/Der ewige Frieden ist möglich", verkündet die Nova am Ende Ihres
//dramatischen Gedichts ?Über die Dörfer". Das war 1981. Jetzt ist nicht
Frieden, sondern Krieg./
Handke: Ich bin immer noch im Zustand des Schocks vom 24. März. Als die
Bomber und die Raketen losgingen, dachte ich zuerst, die Welt würde
aufwachen, aber dann fing die Propaganda der Nato an.
/Sie haben dann einen Aufruf veröffentlicht, in dem es heißt, der Mars
//greife die Erde an. /
Handke: Ich habe in meinem Entsetzensruf nicht den Kriegsgott Mars
gemeint, sondern den Film ?Mars Attacks!" von Tim Burton. In Le monde
hat der albanische Schriftsteller Ismael Kadaré auf der ersten Seite
verkündet: ?Kosovo ist albanisch, denn wir waren die ersten." Schmutzige
Propaganda (es gibt ja auch reine Propaganda im Sinn von Propaganda
Fidei, Verbreitung des Glaubens, der Schönheit, Propaganda zum Beispiel
durch Melodie). Auch wenn ein Serbe sagte, wir Serben waren die ersten,
würde ich mich dagegen wenden. Die Marsmenschen exekutieren bekanntlich
eine humanitäre Aktion. Die Nato sagt, es geht uns nicht um Geld oder
Macht, es geht uns um die Sache. Wir wollen ein neues Auschwitz
verhindern. Gut, jetzt hat die Nato ein neues Auschwitz erreicht.
/Auschwitz ist aber doch etwas anderes? /
Handke: Der Horror der Geschichte wiederholt sich nicht seitengleich
oder spiegelbildlich. Dieser Krieg zeigt auf fürchterlich unvermutete
Weise die ewige Barbarei: Nur bricht die im Jugoslawien-Krieg in
grundanderer Gestalt aus als in der planen Wiederholung. Damals waren es
Gashähne und Genickschußkammern; heute sind es Computer-Killer aus 5000
Meter Höhe.
/Jürgen Habermas rechtfertigt den Krieg als Ausnahme./
Handke: Habermas will ein Weltbürgerrecht, aber bevor es formuliert ist,
fingiert er es mit einem Krieg. Rundherum schreibt er einen entsetzlich
rechtfertigenden Schrieb zum Krieg gegen Jugoslawien. Das kommt schon in
seinen Adverbien zum Ausdruck: Wenn er zum Beispiel sagt, Serbien pocht
?neurotisch" auf seine Souveränität. Wieso neurotisch? Wie kann ein
Philosoph sowas schreiben? Das ist stilistisch-gedanklich auf dem Hund.
Oder wenn er schreibt, dieser Krieg werde von 19 demokratischen Staaten
geführt. Hätte man ja sagen können. Aber was sagt er vor dem
?demokratisch"? Von 19 ?zweifellos" demokratischen Staaten. Der ganze
Aufsatz ist eine Apologie der blindwütigen Gewalt. Ein Philosoph, der im
gegebenen Moment die Empörung verfehlt oder versäumt, hat seinen Beruf
verfehlt. Man sagt immer, das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit.
Für mich ist immer eins der ersten Opfer die Sprache.
/Die Nato und selbst Habermas haben die Moral auf ihrer Seite. /
Handke: Was soll ich darauf antworten?
/Ich frage Sie nach der Legitimation. Sie haben doch Jura studiert./
Handke: Moral ist für mich in diesem Krieg ein anderes Wort für Willkür
geworden. Dagegen sage ich: Recht muß Recht bleiben. Recht ist das
Gegenteil von Willkür. Recht regelt das Minimum der Beziehung unter den
Menschen, damit einem nicht Unrecht geschieht.
/Der nächste Satz lautet unweigerlich: ?Summum ius, summa iniuria"./
Handke: Was soll ich dazu sagen? Da müssen wir anfangen zu politisieren,
und das ist nicht meine Rolle. In Rambouillet waren beide Seiten mit der
größtmöglichen Autonomie für das Kosovo einverstanden. Nur: Den Zusatz,
wie nämlich die Autonomie exekutiert hätte werden sollen, konnte kein
serbischer Verhandler oder Machthaber unterschreiben. In dem Sinn war
Rambouillet kein Vertrag, sondern ein brutales Diktat. Als ich in
Rambouillet war, kam der österreichische Unterhändler Wolfgang Petritsch
auf mich zu und sagte: ?Das wird unheimlich schwer sein für die Serben."
Ich dachte, die Serben sind doch einverstanden mit einer Erweiterung und
fast staatengleichen Autonomie für das Kosovo. Erst im nachhinein kam
das Zusatzprotokoll heraus. Es war ein grausamer Schwindel. Ich habe
mich übertölpelt gefühlt, weil ich dachte, es geht um Frieden und nicht
um ein Diktat.
/Warum waren Sie in Rambouillet? /
Handke: Warum nicht? Rambouillet ist nah, da nehme ich den Zug. Ich
wollte sehen, was man im Fernsehen nicht sieht: die Diplomaten, die
Journalisten, die Geheimdienstleute. Ich wollte es spüren, so wie ich in
den letzten Jahren immer wieder auch nach Jugoslawien gefahren bin. Ich
habe mich verpflichtet gefühlt.
/Wem?/
Handke: Dem Problem, dem Schmerz, der Lösung.
/Darum sind Sie auch während der Bombenangriffe nach Serbien gefahren? /
Handke: Ich war Ende März/Anfang April vier Tage dort und Ende
Aprilnochmal eine Woche.
/Wie kommt man nach Serbien hinein? Es herrscht doch Kriegsrecht. /
Handke:) Wir waren für eine bestimmte Stunde angekündigt, sonst hätte
man uns nicht hineingelassen. Ich hatte ein Geleitschreiben dabei, aber
doch Angst, mich vor den herumschweifenden Banden ausweisen zu müssen.
Alles Offizielle, auch wenn es die eigene Seite ist, stachelt sie nur an.
/Sonst hatten Sie keine Angst?/
Handke: Es war eher Nervosität oder Gereiztheit. Ich kann Ihnen keine
Ernst-Jünger-Erlebnisse berichten. Unten im Tal schlagen die
Nachtigallen, hoch oben sind die Flugzeuge. Aber die Flugzeuge sind
jetzt Bomber. Und der blaue Himmel heißt Bombenwetter. Auf dem Rückweg
habe ich in Belgrad eine zünftige Bombennacht erlebt. Es ist, als käme
der Himmel herunter, eine Faust haut auf die Zwei-Millionen-Stadt. Die
militärischen Ziele sind längst verlassen, die Soldaten nicht mehr in
den Garnisonen. Aber die Kriegshelden wissen das ja; der Sinn der
Bombardierung besteht in den sogenannten Kollateralschäden. Das heißt,
in den Krankenhäusern müssen Krebskranke die scheußlichsten Leiden
ertragen, weil sie vielleicht Milosevic gewählt haben. Aber vielleicht
haben die Bomben die Sterbenden zum Leben erweckt. Die Todkranken werden
wie in der Bibel geheilt, wenigstens ein Erfolg der Nato-Gewalt: Steh
auf, nimm dein Bett und wandle.
/In Ihrem Roman ?Der kurze Brief zum langen Abschied" (1972) heißt es am
//Anfang: ?So weit ich mich zurückerinnern kann, bin ich wie geboren für
Entsetzen und Erschrecken gewesen. Holzscheite lagen weit verstreut,
still von der Sonne beschienen, draußen im Hof, nachdem ich vor den
amerikanischen Bombern ins Haus getragen worden war." /
Handke: Hier erklärt sich gar nichts mit meiner Herkunft und meiner
Geschichte. Ich bin schlicht fassungslos. Das gibt's doch nicht, daß die
ganze Welt gegen jedes Recht dieses Land angreift. Diese Menschen in
Serbien, im Kosovo, in Montenegro, denke ich bei der Erinnerung an die
Kinder auf dem Chor während der orthodoxen Sonntagsmesse von Srebrenica,
sind unschuldig, fast alle. Sie sind so unschuldig, wie man nur sein
kann, sie sind die verkörperte Unschuld. Sie sind so unschuldig, wie
hier auf dem Kriegs- und Feindesplaneten fast alle schuldig sind,
finster-ahnungslos schuldig. Vielleicht weiß ich zu Jugoslawien nichts,
oder zu wenig. Aber ich weiß: Ich bin kompetent.
/Warum? /
Handke: Weil mich die Macht nie fasziniert hat. Weder die Macht eines
Slobodan Milosevic noch die des Papstes und nicht die eines
Indianerhäuptlings &endash; höchstens vielleicht die Macht eines Kindes,
eines Heiligen, eines Ohnmächtigen oder Sterbenden.
/Sie sind immerhin bei Bruno Kreisky gewesen./
Handke: Ich war heilfroh, als ich wieder draußen war. Ich kann mich noch
erinnern, wie hoch die Türgriffe in der Hofburg waren. Ich zähle mich
allerdings noch immer zur sozialistischen Tradition in Österreich. Und
wenn es in diesem Jahrhundert in Europa für mich Helden gegeben hat,
dann waren das die jugoslawischen Partisanen. Was Jugoslawien betrifft,
bin ich gern ewiggestrig oder meinetwegen nostalgisch. In Jugoslawien
ist der Reformkommunismus, die Arbeiterselbstverwaltung, tragisch
gescheitert, und hier ist das Wort ?tragisch" angemessen. Auf den
Nato-Pressekonferenzen hingegen wird ein Wort wie ?tragischer Irrtum"
jedesmal fällig, wenn die Bevölkerung abgeknallt wird. Selten sind die
beiden Wörter so mißbraucht worden. Tragik ist etwas anders, Tragik ist
die Situation Jugoslawiens in der Geschichte, die Geschichte Serbiens,
im Kosovo.
/Worin besteht diese Tragik?/
Handke: Die Serben haben durch den Zerfall Jugoslawiens als einziges
Volk dort nur verlieren können und dann verloren. Deshalb Milosevic zu
dämonisieren, hilft doch nichts. Was hätte ein anderer Präsident
Serbiens im Interesse Jugoslawiens anders machen können als Milosevic?
Ich möchte sehen, was passiert, wenn ein junger französischer Soldat aus
dem Hinterhalt von einem korsischen Nationalisten getötet wird. Aber im
Kosovo wurde wieder nur ein dicker, wahrscheinlich slibowitzsaufender
serbischer Polizist weggehauen. Aber ich will nicht als Politiker reden.
Hans Magnus Enzensberger redet wie ein Politiker und möchte die UÇK
bewaffnen. Der weiß immer, wo's lang geht, ein grinsender höhnischer
Zuschauer, der menschgewordene Hohn. Der islamische Sufi Djalâl-ud-Dîn
Rûmî sagt: ?Sie tragen bedruckte Seiden nicht als Ornament, sondern um
ihre Schönheit zu bewahren." Enzensbergers Sachen sind das Gegenteil,
Ornament zur Verhöhnung der Schönheit.
/Mit ihrer pro-serbischen Haltung stehen Sie ziemlich allein da in der
//deutschen Literatur. /
Handke: Ich bin mit dem serbischen Volk, nicht mit Milosevic. Wer nicht
prononciert antiserbisch ist, der hat als ?Pro-Serbe" verschmäht zu
werden. Wer bei ?Milosevic" nicht unverzüglich hinzufügt: ?Schlächter",
?Hitler des Balkan", ?Gottseibeiuns", der ergreift Partei für
?Milosevic" &endash; Pro-Serbe ist für mich heute ein Ehrentitel. Die
sprachliche Kumpanei zwischen der Macht und den Journalisten hat Karl
Kraus schon vor achtzig Jarhen in den ?Letzten Tagen der Menschheit"
beschrieben. Die meisten Journalisten und Politiker sind ohne
Sprachgewissen, und eine ärgere Gewissenlosigkeit gibt es nicht. Es
bräuchte einen neuen, einen noch besseren Karl Kraus, um zu beschreiben,
was geschieht. Ihr erbombt und erkillt eure Minister- und
Journalistenpenisonen, und ich zahle die Steuern für eure Bomben und
eure Pensionen. Der deutsche Minister wird von der Frankfurter Zeitung
dafür gelobt, ?weil er im Kriege bereit ist, auf eine Auseinandersetzung
mit Schriftstellern zu reagieren". Das ist für mich schmutzigste
Pornographie, weil sie auch noch vornehm tut. Es war wohl eher töricht,
was die serbischen Schriftsteller gegen Günter Grass angezettelt haben,
als sie ihm seine Bücher zurückschicken wollten, weil er den Nato-Krieg
befürwortet hat. Etwas Analoges würde ich bei den Leuten begrüßen, die
einmal meine Sachen gelesen haben und jetzt als Kriegsgesellen
auftreten. Der deutsche Tötungsminister zum Beispiel, der mir einst mit
einem Telegramm zum Geburtstag gratuliert hat, möge mir meine Bücher
zurückschicken. Rührt nicht alles Kriegsunglück daher, daß in der ganzen
westlichen Welt die 68er an der Macht sind? Viele der Killer, die sich
durch den Staat beglaubigen, erfüllten sich einen Kindheitstraum. Sie
wollten immer gegen irgendwas kämpfen. Für die Nazis war's zu spät. Fürs
Zerschlagen des Sowjetkommunismus war's auch zu spät. Da hat der
frömmlerische protestantische Kapitalismus gesiegt und siegt weiter.
Jetzt bekommen sie endlich die Gelegenheit, den Helden zu spielen. Und
was machen diese Turnlehrer des Grauens? Mit der einen Hand tätscheln
sie, mit der anderen töten sie, und das ist das neue Auschwitz, das sie
doch verlogen verhindern wollten. Gegen diese Leute, die jetzt Macht
ausüben, ist der beste Strang der Vor-68er aufgetreten, Herbert Marcuse
zum Beispiel, der gegen den ?Eindimensionalen Menschen" schrieb. Der
Eindimensionale Mensch ist überall an der Macht und Gewalt.
/Daniel Goldhagen möchte die Serben ?umerziehen". /
Handke: Seit Vietnam werden die Amerikaner nur noch zum Beten, Boomen
und Bomben erzogen. Seitdem sind die Marsmenschen da, und sie tragen
eine Clinton-Maske. Serbien umerziehen? Nein, Amerika umerziehen, samt
seinem Vorsteher und dem Pimpf Goldhagen.
/In Ihrem neuen Stück ?Die Fahrt im Einbaum" tritt der amerikanische
//Filmregisseur John O'Hara auf und sagt: ?Wir Menschen sind, und das
ist endgültig, untereinander an die Falschen geraten." Gibt es noch ein
richtiges Leben für die falschen Menschen? /
Handke: ?Wer aus einer weißen Kuh eine schwarze Kuh ziehen kann, der
kann auch aus einer schwarzen Kuh eine weiße ziehen", sagt Rûmî. Photos
vom Allkrieg gegen Jugoslawien geben das Weltgrauen nicht einmal
andeutungsweise wieder. Die Bombenschäden lassen sich so wenig
photographieren wie die serbischen und albanischen Toten, die
Flüchtlinge aber schon. Für diese Bilder gibt es nur Großaufnahme und
Totale; die Wahrheit finge dazwischen an. Die Bilder zeigen eine
schmerzhaft verlogene Dreiecksgeschichte: die Flüchtlinge, die leiden,
wie nur ein Mensch und ein Tier leiden kann; die Leute, die eine
Inszenierung draus machen samt abgeschnittenen Ohren und
Massenvergewaltigungen; und die Bildreporter. Es ist eine
heillos-schmerzlich-schmutzige Dreiecksgeschichte. Bitte, und einmal
ohne drei Ecken, die Geschichte der Serben in den letzten zehn
Kosovo-Jahren erzählen. Nicht der führenden Politiker oder der Banden,
sondern die Geschichten des bedrängten Volkes dort in Stadt und Land.
Die Bedrängung ?gipfelnd" mit den sechs ermordeten Schülern in Pec im
Dezember 1998 und den fünf ermordeten Polizisten in Pristina im März
1999. Denn damit, mit dem Einbruch des Terrors in die Städte, begann
erst der deutliche, sichtbare, nachweisbare Krieg im Kosovo. Natürlich
kann man sagen, es sei sinnlos, in den Koflikt in Jugoslawien
einzugreifen, genauso sinnlos, wie wenn man in Kafkas ?Prozeß"
eingreifen würde. Vielleicht aber ist es das so offenbar Sinnlose, das
einen auf den Weg bringt. Credo, quia absurdum.
/Die Fragen stellte Willi Winkler. /
H.
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