[WOS] Re: [rohrpost] Digital, illegal, egal

Volker Grassmuck wos@mikrolisten.de
Tue, 23 May 2000 20:30:48 +0200


On 18 May 00 at 17:05, Andreas A. Milles wrote:

> ich sehe keine andere l=F6sung, ausser platten zu vertreiben, weil die e=
infach
> schlecht zu kopieren sind, oder eine schnelle l=F6sung mit einer gema-ab=
gabe
> von leer-CDs.
> Der Schutz von geistigen Eigentum kann meiner Ansicht nach sowieso nur d=
urch
> massive diskreditierung des diebes gemindert werden. dass das bei User X=
,
> der napster verwendet, nicht funktioniert, geschieht einer Gilde von
> Ideendieben nur recht. 

Einen Weg zur=FCck zum Vinyl sehe ich zwar nicht, aber bei der 
Pauschalabgabe gebe ich Dir recht. 

Was haben wir f=FCr Alternativen f=FCr's private, nicht-kommerzielle 
Kopieren?

1. das US-amerikanische Copyright-System: Lizenzierung + Fair Use. Im 
Prinzip mu=DF f=FCr jede Nutzung, z.B. eine Fotokopie aus einer 
Zeitschrift, der Rechteinhaber ausfindig gemacht und eine Lizenz mit 
ihm ausgehandelt werden. Wo das unverh=E4ltnism=E4=DFig w=E4re, z.B. eine =
Fotokopie aus einer 
Zeitschrift f=FCr private, nicht-kommerzielle Nutzung, die den 
Marktwert des Originals nicht schm=E4lert, kommt die Fair Use Defense 
zum Tragen.

2. die gerade entstehenden Rechte-Kontroll-Systeme: kryptographische 
Umschl=E4ge, 'trusted' black boxes, Wasserzeichen, 
Circumvention-Verbot, die ganze Nummer. Nach Ansicht des 
IP-Industrie-nahen Lagers unter den US-amerikanischen Rechtsgelehrten 
machen sie Fair Use =FCberfl=FCssig, da sie noch die geringste Nutzung 
per Mausklick zu lizenzieren -- und per digital payment zu bezahlen 
-- erlauben. 

3. das kontinental-europ=E4ische Urheberrechts-Prinzip: 
Zwangslizenzierung + Pauschalabgabe. Wurde in Dland in der 
UrhRs-Novelle von 1965 angesichts der Xerox-Kopiertechnologie 
etabliert. Besagt, da=DF f=FCr ver=F6ffentlichte Werke automatisch 
(zwangsweise, ohne den Rechteinhaber um Erlaubnis bitten zu m=FCssen) 
eine Kopierlizenz erteilt ist, allerdings (bis auf engumrissene 
Ausnahmen in Bildung, Kirche, Gef=E4ngnis) eben nicht kostenlos. Eine 
gesetzlich festgelegte Pauschale (z.B. 2 Pfg/A4-Fotokopie) ist an die 
zust=E4ndige Verwertungsgesellschaft abzuf=FChren. VGs sind als 
Interessenvertretungen der AutorInnen gegen=FCber f=FCr 
den Einzelnen un=FCberschaubaren Verwertungen in Rundfunk, Musikspiel- 
und Abspielorten entstanden und haben ebenfalls einen gesetzlichen 
Status. (Da=DF z.B. die GEMA oft eine einseitige, ignorante Politik 
f=E4hrt, ist ein Problem der GEMA, nicht des VG-Systems.) Die von den 
VGs bei Copy-Shops, f=FCr Aufnahmeger=E4te und Leermedien eingesammelten 
Pauschalen werden dann einmal im Jahr je nach den angemeldeten Werken 
statistisch auf die Autoren umverteilt. Beiden Interessen ist 
gedient: jede ist frei, Kopien anzufertigen, ohne Angst haben zu 
m=FCssen, als 'Piratin' inkriminiert zu werden, und die Autoren 
erhalten einen Bonus f=FCr die Werke, die sie in den gro=DFen Pool des 
Wissens geben. Bei der GEMA werden Nutzungen punktgenau (mit 
Playlists) erfasst, bei der VG-Wort geschieht die Umverteilung 
statistisch. 

Wenn man nicht jede Form von Schutz geistiger Wert verneint (wof=FCr 
man schwere Gesch=FCtze auffahren m=FCsste, der hat n=E4mlich in den 
meisten L=E4ndern Verfassungsstatus und steht in der Universellen 
Menschenrechtsdeklaration), scheint mir (3) die beste L=F6sung.

Problem ist nur, da=DF sie nicht wirklich auf die Bedingungen des 
Internet skaliert. Da=DF es eine Pauschalabgabe auf CD-Brenner und 
Rohlinge gibt, finde ich OK, wobei nat=FCrlich ber=FCcksichtigt werden 
mu=DF, da=DF auch eigene, nicht UrhRs-relevante Daten gebrannt werden. 
Aber lieber eine solche Unsch=E4rfe als irgendeine Form von Kontrolle 
=FCber die tats=E4chlich gebrannten Inhalte. 

Aber bei Napster funktioniert's halt nicht, es sei denn, man w=FCrde 
ein Payment-System dranh=E4ngen, das f=FCr jeden Transfer ein paar 
Pfennige an die GEMA =FCberweist. 

Faktisch ist es ja ohnehin so, da=DF die Rechteindustrie mit einer 
gewissen Durchl=E4=DFigkeit rechnet. Wer als Studi mit der Kopie von 
Web-Authoring-Tool X von einem Freund gebastelt hat, wird ob seiner 
so erworbenen F=E4higkeiten bei Firma Y eingestellt, wo er f=FCr den Kauf 
des Updates sorgt. Microsoft z.B. beliefert den indischen 
Schwarzmarkt selbst mit NFR (Not For Resale)-Kopien. W=E4hrend bei 
Firmen, also bei profit-orientierten Nutzern, immer mal wieder 
Durchsuchungen nach 'Raubkopien' durchgef=FChrt werden, l=E4=DFt die 
Industrie private Nutzer weitgehend in Ruhe (obwohl auch da 
gelegentlich ein Exempel statuiert wird). 

Wie w=E4re es also, wenn man diese de facto-Situation, in einen de 
jure-Status erheben w=FCrde? Will sagen, Kopien f=FCr private, 
nicht-kommerzielle, Bildungs-bezogene Nutzung sind erlaubt, wobei f=FCr
Aufzeichnungsger=E4te und Leermedien eine Umverteilungspauschale f=FCr 
AutorInnen zu entrichten ist. Kopien f=FCr profitorientierte Nutzungen 
(Weiterverkauf der Kopie, Integration in andere Produkte, Verwendung 
bei der Produktion von Produkten oder Dienstleistungen) werden 
lizenziert. 

Dazu hier zwei Passagen aus dem "Thesenpapier 
Informationsgesellschaft", das Andy M=FCller-Maguhn (CCC) im Februar 
1995 im Europarlament vorgetragen hat:

"- Umgang mit Kommunikationsmitteln

Sch=FCler, Jugendliche und Arbeitslose k=F6nnen aufgrund ihrer
wirtschaftlichen Lage den Umgang mit Computern - als Zugangswerkzeugen
zu Netzwerken - meist nur =FCber die Benutzung illegaler Kopien
urheberrechtlich gesch=FCtzter Programme ("Raubkopien") erlangen.
Unberechtiger Besitz urheberrechlich gesch=FCtzter Software ist durch
EU-Novellierung nicht mehr Zivil-, sondern Strafrecht. Das heisst, 
die meisten Computerbesitzer sind dadurch Straft=E4ter. Eine
Qualifikation im Umgang mit Computern ist aber schon auf dem heutigen
Arbeitsmarkt ein wesentlicher Faktor; dem technischen Nachwuchs werden
dadurch Weiterbildungsm=F6glichkeiten erschwert.

- Urheberrecht und Recht auf Bildung

Software muss f=FCr nicht-kommerzielle Anwendungen kostenlos nutzbar
sein; insbesondere Sch=FCler, Studenten, Arbeits- und Mittellose m=FCssen
die M=F6glichkeit haben, sich Qualifikation am Computer anzueignen, um
=FCberhaupt eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Die Verfolgung
von Urheberechtsdelikten sollte von der Art der Nutzung abh=E4ngig
gemacht werden. Produktionsmittel d=FCrfen Geld kosten, Lernmittel
nicht."

M=FC=DFte man nat=FCrlich alles differenziert betrachten. Bei ner CD von 
Whitney Houston w=E4r's nicht so einfach, einen Bildungszweck geltend 
zu machen. Und das grunds=E4tzliche Problem, da=DF im Netz eine einzige 
private Kopie potentiell die gesamte Weltbev=F6lkerung versorgt, bliebe 
noch zu l=F6sen. Dazu m=FCssten sich doch die digitalen Bibliothekare 
schon informationsfreiheitliche Gedanken gemacht haben. Wei=DF jemand 
was dazu?

Bei einer grundlegenden Urheberrechtsreform k=E4men noch andere Aspekte 
dazu: Verk=FCrzung der Schutzfristen, Neudefinition von 
'Erstver=F6ffentlichung', Reform der VGs, Access etc., aber eine 
Entkriminalisierung des privaten Kopierens ist wohl das Dringeste. 
Die Grundsatzentscheidungen =FCber diese Fragen fallen jetzt. W=E4r nicht 
schlecht, wenn sich darin neben den Lobbies der Rechteindustrie auch 
die Bef=FCrworter einer freien und offenen Informationsumwelt Geh=F6r 
verschaffen w=FCrden. Jemand Lust auf ne Kampagne?

Gru=DF
Volker

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