[wos] TCG-Thesen fuer BMWA

Volker Grassmuck vgrass at rz.hu-berlin.de
Thu Jun 19 16:45:16 CEST 2003


hier mein Vorabtext für das TCG-Symposium des 
Bundeswirtschaftsministeriums. Jegliche Reaktionen willkommen. 
Abgabefrist ist morgen 12:00. 

Volker


1. Man kann über TCG keine Diskussion führen, wenn man sie -- wie die 
Konsortiumsvertreter es gerne hätten -- auf einen Chip beschränkt. 
Hier wird nicht einfach ein neues Bauteil in den PC eingefügt, 
sondern das Fundament für eine völlig neue Architektur des Cyberspace 
gelegt, das sich auf unsere grundlegenden Wissenoperationen und 
Kommunikationsweisen auswirkt. DRM ist ein zentrales Element dieser 
neuen Architektur.

2. „Trusted Computing" ist Orwellscher Newspeak. Es ist das in 
Technologie gegossene Mißtrauen gegenüber den Nutzern. „Trusted 
systems presume that the consumer is dishonest." (Mark Stefik, Xerox 
PARC) „Wir können nicht weiter vertrauen, dass die Technik von den 
Konsumenten fair benutzt wird." (Intel-Vizepräsident Don Whiteside). 
Wer den Kunden als Dieb hinstellt, kann nicht mit seiner Kooperation 
rechnen. 

3. TC und DRM zielen erklärtermaßen auf ubiquitären Einsatz. Eine 
gesetzliche Erzwingung scheint derzeit nicht opportun. Konsortien mit 
Kopplungsverträgen sind das Mittel der Wahl. In ohnehin hochgradig 
konzentrierten Märkten für Inhalte und Technologien werden 
Wettbewerbsverzerrungen zementiert, vor- und nachgelagert Märkte 
kontrolliert, freie Plattformen ausgeschlossen, Innovationen 
blockiert und der Markteintritt von Konkurrenten verhindert. 
Mediennutzer werden ärmer dran sein.

4. Die Revolution des Cyberspace beruht auf den offenen Architekturen 
von PC und Internet. Die Konterrevolution von TC-gestütztem DRM soll 
den Allzweckrechner zu einer dedizierten Unternehmens- und eCommerce-
Plattform schließen. Im partikularen Interesse der Medienindustrie 
wird eine einzigartige Kommunikations- und Wissensumgebung 
vernichtet. NGSCB zeigt, dass es nicht um die Anwender geht, denn die 
gewinnen für das weiterhin ungesicherte Betriebssystem erklärtermaßen 
gar nichts.

5. DRM zielt auf die Erzwingung von Nutzungsbedingungen für Inhalte 
auf den Systemen der Nutzer. Dies und besonders die Mechanismen für 
DRM-Systemerneuerung und Widerrufung widersprechen der 
Unverletzlichkeit der Wohnung. Nutzer verlieren die alleinige 
Kontrolle über ihre Geräte. Sie werden der Medienwirtschaft kein 
Hausrecht über ihre Rechner gewähren.

6. DRM-Systeme werden der Content-Industrie damit angepriesen, dass 
sie hochpräzise Profile aus Personen-, Werk- und Nutzungsdaten 
erzeugen. Die Politik verweist nur auf bestehendes Datenschutzrecht. 
Nutzern bleibt somit nichts, als auf die Vertrauenswürdigkeit der 
Technologien und ihrer Betreiber zu vertrauen. Das Recht, anonym zu 
lesen, wir der analogen Vergangenheit angehören

7. Die Fernkontrolle über veröffentlichte Dokumente ermöglicht 
Zensur. Kryptografischer Verschluß und gesetzliches Umgehungsverbot 
verhindern informationelle Nachhaltigkeit. Die kurzfristige 
Profitorientierung der Medienindustrie widerspricht dem öffentlichen 
Interesse an freiem Meinungsaustausch und  der Langzeitarchivierung 
von Kulturgütern. 

8. DRM soll die grundgesetzlich verankerten zustimmungsfreien, 
pauschalvergüteten Schrankennutzungen des Urheberrechts durch 
individuell lizenzierte Nutzungen ersetzen. Die Sozialbindung des 
geistigen Eigentums würde abgeschafft. Statt Grundrechte zu 
beschneiden, kann mit Pauschalvergütungen im Internet die bestehende 
Balance des Urheberrechts ins Digitalzeitalter fortgeschrieben 
werden.

9. Die Unterhaltungsindustrie ist nur ein Fünftel so groß wie die 
Telko- und 
IT-Industrie, dennoch beansprucht sie, die Architektur eines jeden 
neuen 
Mediums zu bestimmen. Sie versucht so, dem Gesetz von Evolution und 
Markt zu 
entgehen: sich anpassen oder aussterben.




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