[rohrpost] endo- und exorasssismus, haidermanagement und der ganze scheiss

Sat, 05 Feb 2000 14:46:51 +0100

hallo,

ich halte die diskussion um die ereignisse fuer zu wichtig, als
dass sie in einzelnen replies und dialogen zerfasern sollte.
deswegen erlaube ich mir ein paar grundsaetzliche anmerkungen
und fragen:

1. so redlich es sein mag, erstmal in sich zu gehen und mit den
eigenen mikrofaschismen ins reine zu kommen, so unbrauchbar=20
ist eine solche taktik, wenn es tatsaechlich um analyse oder
gar die praktische auseinandersetzung mit der sozialen und=20
politischen wirklichkeit gehen sollte.=20

fuer die "verwalter der codes" deswegen zuerst die gute nachricht,=20
die bezeichnenderweise weltweit, aber nicht in deutschland fuer=20
aufsehen gesorgt hat:

mit einem italienweiten aktionstag und zwei grossdemonstrationen
in mailand und florenz, gelang es am vergangenen wochende
die italienische regierung zur schliessung des abschiebegefaengnisses
in der via corelli in mailand zu zwingen. bilder von strassenschlachten=20
und zigtausenden von menschen, die das europaeische grenz- und=20
migrationsregimes in einer seiner widerwaertigsten ausdrucksformen=20
bekaempfen, kamen in den nachrichten von australien bis russland
und fuehrten nach einem jahr zaeher auseinandersetzungen nun zur
schliessung eines der schlimmsten lager des neuen europas.

warum braucht es hier aber ein paar eklige nazi-links von einer=20
gefaketen homepage, um in bester lichterkettenmanier erst abscheu und=20
empoerung auszuloesen, und dann schliesslich wieder dem "einfachen=20
deutschen" beizuspringen, wie Thorsten "teletubbie" Meyer das in seinen=20
kryptischen ausfuehrungen tat? warum wird nach ein paar saetzen sofort=20
ueber die fremdelei der fremden schwadroniert, um dann aus lauter
angst vor dem verlust der eigenen, zwar noch jungen, aber ach so=20
"gewachsenen" (wieder Meyer) identitaet (wozu sonst war der
nationalstaat je nutze und was sonst ginge floeten, wenn wir im
einheitsbrei der medien ploetzlich keine fremden mehr kennen wuerden)=20
mit dem differenz-rassismus zu kokettieren?
[bitte, statt jetzt aufzujaulen, besser balibar, wallerstein:
"rasse, klasse, nation" zur hand nehmen]

2. der wahlkampf der fp.. war unter anderem so erfolgreich, weil auf=20
eine recht geschickte weise der rassismus des mainstream an taktisch
ausgesuchten punkten weiter zugespitzt worden ist. bestes beispiel=20
mag die plakat-kampagne in wien sein, in der asylsuchende aus
afrikanischen laendern pauschal als drogen-dealer dargestellt=20
worden sind. dies ist allerdings vor dem hintergund konkreter=20
geschehnisse passiert: nachdem marcus omofuma aus nigeria ende april bei=20
einer abschiebung von polizeikraeften brutal umgebracht worden ist,
geriet die damalige sp../..vp koalition und ihre abschiebepolitik unter=20
heftigen druck - zum damaligen zeitpunkt vergleichsweise grosse=20
demonstrationenwwaren die folge, ruecktrittsforderungen, proteste von=20
menschenrechtsorganisationen und das wohl gefaehrlichste: ein=20
zusammenschluss von fluechtlingen und migrantInnen aus verschiedenen=20
herkunftslaendern und in prekaerem status, die begannen ihre rechte=20
einzufordern. in dieser zugespitzten situation gelang der regierung ein=20
befreiungsschlag, indem mithilfe einer gewaltigen medieninszenierung=20
und spektakulaeren massenverhaftungen ein angeblicher drogenhaendler
ring in der afrikanischen community ausgehoben wurde.=20
die kampagne der fp.. knuepfte nahtlos an diesen ereignissen an -=20
genauso wie das von rassismus triefende schreiben an alle einwohner=20
bestimmter arbeiterbezirke, in dem ein zuzugsstop fuer "auslaender"=20
gefordert wurde, von der fp.. mit der  offiziellen praxis der=20
sozialdemokratischen behoerden, keine weitere "ueberfremdung" bestimmter=20
viertel zuzulassen, gerechtfertigt wurde, als die sp.. aufschrie.

die parallelen zur bundesrepublikanischen wirklichkeit sind=20
keineswegs zufaellig: nur wenige wochen nach omofumas tod wurde auf=20
einem lufthansa linienflug amir, ageeb, einem sudanesischen fluechtling,=20
von bgs-beamten das genick gebrochen. "auslaenderquoten" gegen=20
angebliche "ueberfremdung" sind seit jahren bestandteil=20
sozialdemokratischer kommunalpolitik, ebenso die weit ins=20
gruen-alternative milieu vorgedrungene verknuepfung des drogen- und=20
"asylanten"-diskurses. die an wahlabenden regelmaessig heuchlerische=20
empoerung ausloesende parole der rechtsradikalen parteien:=20
"arbeitsplaetze zuerst fuer deutsche" ist seit langem, und ohne dass=20
es die zivilgesellschaft mehr als ein achselzucken kosten
wuerde, verordnete praxis der bundesdeutschen arbeitsaemter.

3. in den meisten europaeischen laendern ist es den konservativen
parteien bislang gelungen, diejenigen, die aus sogenanntem
populismus nochmal offen einklagen, was laengst herrschende politik=20
ist, von einer regierungsbeteiligung fernzuhalten, bzw. deren rhetorik=20
in die eigene programmatik zu integrieren (siehe csu in bayern).=20
mit ein paar tricks aus der mottenkiste des parlamentarismus und der=20
repraesentativen demokratie konnten die rivalen am rechten rand leicht=20
als emporkoemmlinge, welche die rechte wortwahl oder entsprechendes=20
benehmen, das dem ruf im ausland nicht schadet, vermissen lassen,=20
ignoriert werden.=20

was haider im gegensatz zu einigen anderen rechtsradikalen
politikern seine momentane staerke verleiht, ist wohl, dass
mit der machtkrise der politischen eliten in europa diese mechanismen=20
ihre wirkung zu verlieren drohen und haider vor diesem hintergund=20
recht aggressiv die heuchelei der sozialdemokraten vorfuehren kann.=20
daran werden all die protestnoten und boykott-drohungen garantiert=20
nichts aendern - im gegenteil.=20

4. "rassismus" oder "faschismus" sind nicht irgendwelche=20
"kampfbegriffe", die kurz mal benutzt und dann wieder zurueckgenommen=20
werden koennten, um niemanden zu kraenken. leichtfertigt oder schlampig=20
mit diesen begriffen zu hantieren, ist verheerend und wasser auf die=20
muehlen der politischen gegner. es handelt sich zwar um=20
recht flexible ideologien, die aber auf bestimmte oekonomische=20
formationen verweisen und die ueberausbeutung von arbeitskraft=20
legitimieren sollen: sklavenarbeit, zwangsarbeit oder aktuell die=20
erschliessung des potentials illegalisierter migrantInnen. haider=20
selbst gibt mit seiner erklaerten bewunderung fuer die=20
ns-beschaeftigungspolitik inklusive der windelweichen ausweichmanoever=20
hierf=FCr ein anschauliches beispiel ab.=20

das europaeische grenz- und migrationsregime funktioniert -
ungeachtet aller von schilly bis haider vorgetragenen bekenntnisse=20
zur null-migration - eben nicht, indem einwanderung verhindert wird,=20
sondern indem migrantInnen *illegalisiert* werden. deswegen ist es=20
wenig hilfreich, von "ausgrenzung" zu sprechen oder einen=20
psycho-kulturellen begriff von rassismus zu propagieren.=20
in diesem sinne ist auch das von michael wolf eingebrachte=20
deleuze-zitat zu verstehen.

"der europaeische rassismus als anmassung des weissen mannes bestand
niemals darin, jemanden auszuschliessen oder als den anderen zu=20
bezeichnen(...). der rassismus besteht in den abweichungsgraden im=20
verhaeltnis zum gesicht des weissen mannes, das abweichende merkmale=20
in immer exzentrischeren und retardierenderen wellenbewegungen=20
auffangen will, um sie entweder an bestimmten orten, unter bestimmten=20
bedingungen, in einem bestimmten getto zu tolerieren, oder sie von=20
der wand zu wischen, die andersartigkeit nicht ertraegt (das ist ein=20
jude, ein araber, ein neger, ein verrueckter... etc)."

lieber michael wolf, daran aber anzuknuepfen mit=20

> man koennte fortsetzen: ein nazi, ein fascho,...

schlaegt dem fass nun wirklich den boden aus. das ist genau das
gewimmere der revisionisten, die sich ploetzlich zu opfern stilisieren.
und dem ist bei abzug aller je gesammelten hipness-punkte wirklich nur=20
noch hinzuzuf=FCgen: zeig mir die wand, wo der weisse mann die=20
andersartigkeit von nazis nicht ertraegt. ich weiss nur eins und da=20
bin ich sicher: dieses land ist es nicht.

florian

--------------------------------------------------
# rohrpost -- http://www.mikro.org/rohrpost
# unabhaengige deutschsprachige Mailingliste fuer Medien- und Netzkultur
# kommerzielle Verwertung nur mit Erlaubnis der AutorInnen
# Info: majordomo@mikrolisten.de; msg: info rohrpost
# Entsubstkribieren: majordomo@mikrolisten.de
# msg: unsubscribe rohrpost ihre@adres.se
# Kontakt: owner-rohrpost@mikrolisten.de