[rohrpost] Literatur im Netz: das Rutenberg-Projekt: Die Quotenmaschine

Heiko Idensen Heiko Idensen <hei+Co@hyperdis.de>
Fri, 11 Feb 2000 10:29:58 +0100


language is a virus! das buch ist tot - es lebe die quotenmaschine

>Hatte heute nacht einen Traum (sic): wurde von 2 Journalisten zu meiner
>Arbeit interviewt, und erst am Ende bekam ich raus, dass sie f=FCr knax
>arbeiten, die Kinderzeitung der Sparkasse, und da wurde ich richtig
>enthusiastisch und bestand darauf, dass sie deutlich machen, dass mein
>"Buch" Die Quotenmaschine das erste Hypertext-Projekt in deutscher Sprache
>war: dass Die Quotenmaschine durchaus als weitreichendes Experiment
>angesehen werden k=F6nnte, Literatur ins Netz zu verfrachten, sowie
>vernetztes Denken zum zentralen Thema der Handlung werden zu lassen -
>
haha: der psycho-analytiker der mailing-list (mit besonderem schwerpunkt:
autorenfiktionen) kann sich des eindrucks nicht erwehren, dass es sich bei
diesem traum um eine (for den autorentyp der ausgehenden gutenberggalaxis
typische?) PROJEKTION handelt: der erste sein zu wollen, von der presse als
interessanter fall angesehen zu werden, fuer die kommende avantgarde zu
schreiben, damit geld zu verdienen ... das maerchen vom sterntaler also?
oder vom avantgarde-schriftsteller, der mit seinem laptopm am strand
posiert?

>Es ist also nicht stimmig, was Florian Cramer in seinem Posting "Literatur
>im Netz" =FCber mein Buch schreibt, wenn er sagt: "Texte erscheinen im Netz=
,
>um einen Verleger zu finden", z.B. Die Quotenmaschine von Norman Ohler. Das
>Gegenteil war mein Ansinnen. Es geht in der Quotenmaschine st=E4ndig darum,
>Hierarchien abzubauen: jene der linearen Erz=E4hlweise, jene der Distributi=
on
>von Literatur etc. Ich habe meinen Hypertext nicht im Netz ver=F6ffentlicht=
,
>um einen Verleger zu finden, sondern um mein Experiment weiterzuf=FChren -
>den Tod des Autors zu beschleunigen, Leser zum Mitschreiben aufzufordern
>etc.
>
auch das haelt der sich jetzt einschaltende *hypertext-kritiker*   -
gelinde gesagt - fuer eine wunschprojektion des schreibenden norman ohler
alias maxx rutenberg alias paul (?):
ein produktiver zusammenhang zwischen der webseite
(http://www.icf.de/qm/online/inhalt.htm), die lediglich ein in einzelne
text-teile aufgespaltener mit einigen internen querverweisen versehener
und teilweise auf  eine karte von new york gemappter, abgeschlossener
hypertext ist,  und dem gedruckten buch ist nicht zu erkennen.
ich weiss nicht, genau, seit wann die quotenmaschine wieder online ist (der
online-literaturkritiker: muss er wirklich log-dateien,
server-konfigurationen, netzprotokolle etc. untersuchen? der arme!), kann
mich nur erinnern, dass unmittelbar nach erscheinen des romans 1996 (fuer
mindestens ein halbes jahr) kein zugriff auf die online-version der
quotenmaschine moeglich war (ich weiss es deshalb noch so genau, weil ich
in einem seminar zur netzliteratur die aufgabe gestellt hatte, das buch mit
der online-version zu vergleichen und die studentInnen dann immer mit
meiner lokalen kopie arbeiten mussten!).
der (materialistisch-strukturalistische) netzkritiker munkelt und vermutet:
hier handelt es sich wiederum um ein angstgebahren der verlage, ihrer
agenten, angestellten und akteure, die besonders im europaeischen festland
weit verbreitet ist, eine online-publikation koenne den verkauf der
entsprechenden buch.hardware behindern.
(selbiger seltsamer effekt findet sich z.b. derzeit mit rainald Goetz
*abfall fuer alle*, dessen doch auch so hoch gerpriesenen online-version
(http://www.rainaldgoetz.de) oder auch  unter
http://www.jlfrontpage.de/a-z/AbfallFuerAlle.html ) nur ein *Not Found*
oder sogar einen *server error* vermeldet. net.art. gehackt von
enttaeuschten fans? auch hier vermute ich (ist es wirklich nur eine boese
unterstellung meiner vorurteile den klassischen print-autoren gegenueber,
die das netz eben fuer eine klassische promotion ihrer print-texte
benutzen, aber wirklich mit netzliteratur nicht das gerichgste zu tun
haben, wie ich es in einem telepolis artikel weiter ausspinne - aber auch
einige neuere netz-schreib.konzepte nicht unerwaehnt lasse
(http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3462/1.html) dieselben
oekonomisch- maschtpolitischen gruende. (was den klassischen literarischen
qualitaeten der angesprochen texte keinen abbruch tut: als text-fiktion
finde ich (sagen wir als unschuldiger *leser*) die quotenmaschine
phantastisch & abfall fuer alle auch eine adaequate form das tagebuchs
eines armen leidenden subjektes, dessen entstehung im netz zu verfolgen
auch einen gewissen reiz haben kann - als netzprojekt ist jedoch wam kats
kriegstagebuch - und das daraus resultierende schreibprojekt *europaeisches
tagebuch* weitaus interessanter: http://www.zerberus.de/texte/wam_kat/) .
auch nur ansatzweise sehe ich einen solchen *netzprojekt*-charakter nicht
bei der quotenmaschine: die angebotene mitwirkung der leserInnen per email
sehe ich nirgends realisiert - im buch findet sich nicht einmal ein hinweis
auf die netzadresse  - auch erfaehrt der doch ev. so angeregte leser / die
leserin leider keine email-adresse, bei der er seine leseeindruecke
loswerden koennte ...

der autor ist also wieder einmal nicht tot zu kriegen - nicht einmal die
autorenfiktion, von der mitwirkung der leserInnen keine spur ...

ich schlage das buch an der stelle auf, an der ein altes brotmesser als
lesezeichen eingeklemmt ist:

"Buchstaben rasten von rechts nach links, von unten nach oben,
verschwanden, tauchten aus dem nichts auf, verdoppelten, ver=E4nderten ihre
Groesse, Farben explodierten, wuschen ueber den Schrim, seltsam zerhackte
Grafikreste zuckten wie angeschossenen Tiere: Paul katapultierte eine
weitere Ladung von Giftsequenzen in seine digitale Umgebung: baute darauf,
einen genuegend hohen Anteil von LEBENSNETZ-Strukturen verletzt, somit das
System paralysiert zu haben ... hatte ein ersetzbares Subsystem zerstoert,
einen einzelonen Moment  gefrohrener Interkation ... alles ist Bewegung:
Hilflos fixiert er den losgelassenen Punkt, der durch Gespraeche anderer
hindurchbricht, durch Transaktionen von Grafiken, Texten, Programmen: Alles
wird zerstoert: Alles geht so schnell: Pauls Finger haemmern auf die
Tastatur, folgend dem Punkt, von dem er nichts mehr weiss ...der er selbst
geworden ist: ein Virus ..., der nicht stirbt, der uns nicht befaellt, der
wir: ist".
(Norman Ohler: Die Quotenmaschine, Hamburg 1996, 207; 209)

hei&co



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