[rohrpost] havenCo auf sealand

kuhn kuhn <kuhn@pop.agri.ch>
Tue, 9 Jan 2001 17:45:04 +0100


sch=F6nen abend,

f=FCr das magazin des z=FCrcher tagesanzeigers war es mir verg=F6nnt, in new
orleans sean hastings zu treffen, CEO von http://www.havenCo.com . havenCo
ist eine firma, die auf http://www.sealandgov.com garantiert
unkontrollierbare server betreiben, und dies f=FCr so gemixte kundschaft wie
TibetOnline, ETOY, banken und allerlei business.

die aussicht ins informationszeitalter, die mir sean hastings in der stunde
zwischen webbersfishplacebetreten und mundabwischen bot, war ziemlich
exklusive und einigermassen  ersch=FCtternd. mein artikel erschien letzten
samstag. die havenco-site bietet unter online presskit auch den
wired-artikel von simson garfinkel, wo die bilder der sealand-plattform zu
sehen sind, welche auch meinen text zieren.

cheers: albert kuhn

- - - - - - - - - - - -


(Aufrissbild: Sealandplattform in der Nordsee)

(Titel)

D i e   F e s t p l a t t e


(Lead)
Sealand ist das kleinste Land der Welt. Auf der rostigen Plattform aus dem
Zweiten Weltkrieg planen ein paar Amerikaner die Abschaffung von
Machtmonopolen und Nationen. Legal und digital


(Text)
In einem dunklen Restaurant in New Orleans sitzen in der hintersten Ecke
zwei M=E4nner an einem Tisch. Der eine bin ich. Der andere heisst Sean
Hastings und l=E4sst mich von seinem Alligator kosten. =ABEs wird schmecken =
wie
fettiges Huhn=BB warnt er, =ABwom=F6glich ist es sogar Huhn.=BB Hastings=
 lacht, der
Tisch bebt, die Kellnerin kommt zum dritten Mal und fragt, ob die Gentlemen
allright seien.

Allright? Sean Hastings ist der Mann, der die New Yorker Freiheitsstatue
demontieren und in der Nordsee wieder aufstellen will. Er erkl=E4rt auch
gern, wie und warum er das tut. Nat=FCrlich klaut er von der Liberty nur das
Prinzip - die hoch erhobene Fackel, das Versprechen, der Ort auf der Welt
zu sein, wo die Freiheit am h=F6chsten geachtet wird. =ABWir Amerikaner=BB s=
agt
Hastings und schiebt sich ein St=FCck Alligator ein, =ABsind ja die Jungs, d=
ie
vor zweihundert Jahren aus Europa abhauten - weil es uns da n=E4mlich zu eng
wurde. Wir wollten Freiheit von Vorschriften. Heute ist es auch in den USA
enger geworden, es wird Zeit f=FCr einen n=E4chsten Schritt. Was wir auf der
Insel Sealand tun, ist genau dies: Wir erf=FCllen nichts andere als den
allerersten Artikel der amerikanischen Verfassung, das sogenannte First
Amendment. Es lautet: =ABDer Kongress darf keine Gesetze erlassen, die
Meinungs- und Pressefreiheit behindern.'=BB

Sealand ist eine unansehnliche, dreizehn auf siebenundvierzig Meter grosse
Plattform, die die Engl=E4nder im zweiten Weltkrieg als
=46lugzeugabwehrst=FCtzpunkt gegen deutsche Flugzeuge erbauten und Roughs
Towers nannten. Sie steht sechs Meilen =F6stlich von Felixstowe, einem
englischen Industriehafen. Zwei m=E4chtige Betons=E4ulen stecken bei Ebbe se=
chs
Meter im Salzwasser, ragen  einundzwanzig Meter aus der See und
pr=E4sentieren eine rostige Stahlplatte mit einer sch=E4bigen Baracke drauf.
Nach dem Krieg wurde Roughs Towers bis auf eine festmontierte Kanone
entwaffnet und gut 20 Jahre den Nordseest=FCrmen =FCberlassen. Am 2. Septemb=
er
1967  besetzte der englische Offizier und Kriegsveteran Roy Bates die
Plattform und rief das K=F6nigreich Sealand aus, schuf eine schwarzweissrote
=46lagge und ernannte sich zum Prinzen, seine Frau Joan zur Prinzessin und
auch Sohn Michael wurde Prinz.

Im K=F6nigreich Sealand war aber nicht viel los. F=FCr ein paar Jahre war ei=
n
Piratenradio zu Gast, ein geplantes Kasino kam nicht zustande und es gibt
dauernd =C4rger mit irgendwelchen Kriminellen, die sich selbst Sealand-P=E4s=
se
ausstellten und damit ungest=F6rt in der Halbwelt herumreisen, einer davon
ist der M=F6rder von Modezar ....... Die Sealand-Plattform rostete vor sich
hin und die betagten Royals zogen sich, weil das Klima f=FCr die alten
Knochen zu rauh wurde, auf ihren Festlandsitz zur=FCck.

Sealand gilt in Juristenkreisen als Modellfall eines Ministaates,
Generationen von Rechtsstudenten erhielten den Fall schon als Seminararbeit
aufgebrummt. Das Land mit den drei Einwohnern behielt selbst dann seine
quasiselbst=E4ndige Stellung, als England die Territorialgrenze 1987 von dre=
i
auf zw=F6lf Meilen erh=F6hte. Da Grossbritannien ausser einem kleinen
Scharm=FCtzel 19.., wo die Sealand-Kanone zu ihrem letzten Schuss kam, seine
Territorialrechte nicht wirklich durchsetzte und die K=F6nigsfamilie Bates
gew=E4hren liess, w=FCrde es heute Schwierigkeiten haben, etwaige Anspr=FCch=
e
durchzusetzen. Genau dies steht in einem Buch mit dem h=FCbschen Namen =ABHo=
w
To Build Your Own Country=BB, auf dem Titel ein Bild von Sealand. Sean
Hastings las das Buch 1997.

Sein Plan f=FCr Sealand heisst HavenCo. Das ist eine Firma, die die Plattfor=
m
von der K=F6nigsfamilie Bates mietet, um dort  einen sogenannten Datenhafen
einzurichten. Im Innern der Betons=E4ulen werden Dutzende oder Hundert der
leistungsf=E4higsten Internet-Server laufen, welche von Firmen, Institutione=
n
oder Einzelpersonen gekauft oder gemietet werden k=F6nnen. Via diese Server
k=F6nnen dann die Kunden tun, was ihnen beliebt. HavenCo verbietet lediglich
Kinderpornographie und Spam, der Internet-Ausdruck f=FCr das massenhafte
Versenden von e-Mails, =E4hnlich der unadressierten Briefkastenwerbung. Zur
eigenen  Sicherheit beh=E4lt sich HavenCo noch vor, jede Website und jede
Dienstleistung abzuschalten, die den Zugang zum Netz gef=E4hrden w=FCrde. Im
Unterschied zu andern Offshore-L=E4ndern gibt es also bei HavenCo gar keine
Steuern und fast keine Gesetze - und die wenigen d=FCrfen nicht ge=E4ndert
werden.

Sind Amerikaner per Erbgut und Verfassung dazu berufen, die
Informationsfreiheit zu verteidigen und weiter zu entwickeln,
Sean Hastings? =ABNun=BB meint Hastings, =ABdies war immer ein Thema der
Menschheitsgeschichte. Seit jeher versuchten Regierungen oder M=E4chtige, de=
n
freien Informationsfluss zu kontrollieren und seit jeher gab es Versuche,
Orte zu schaffen, wo freier Austausch m=F6glich war. Plato schuf den Garten
des Academus, in dem frei diskutiert und philosophiert werden durfte, ohne
Angst, daf=FCr verfolgt zu werden. Auch die USA waren so ein Ort.=BB

Waren? Sind es nicht mehr? =ABGem=E4ss Verfassung immer noch=BB meint Hastin=
gs.
=ABWeil Sprache und Schrift die damals einzige Form der Kommunikation war,
bezieht sich das wichtige erste Amendment der US-Verfassung eben darauf. Es
ist ja klar, dass damit auch alle moderneren Kommunikationstechnologien
gemeint sind. Aber die Politiker sahen hier eine M=F6glichkeit, die Macht de=
s
Zentralstaates zu vergr=F6ssern und einen Unterschied zu machen. Telephon,
Radio, Fernsehen und jetzt das Internet sind der Federal Communications
Kommission (FCC) unterworfen und die tut nun genau das, was die Verfassung
verbietet: Sie reguliert.=BB

Hinsetzen zur Zweiminuten-Geschichtslektion. Thema: Wer hat eigentlich den
Nationalstaat erfunden? Die mittelalterliche (500 - 1500) Arbeitsteilung
zwischen Kirche und Reich, zwischen Papst und Kaiser hat zuweilen
funktioniert - aber meistens eben nicht. Kirchenf=FChrer wollten weltliche
Macht, die F=FCrsten der Welt Kontrolle =FCber Kopf und Herz der Untertanen.
Indem beide =FCber den Hag frassen kamen sie sich in die Quere und in die
Haare, es kam schliesslich zu sovielen Kriegen, dass sich Kaisertum und
Papsttum gegenseitig massiv schw=E4chten. Auf beiden Seiten profitierten
Leute aus dem zweiten Glied: Die innerkatholische Opposition kam mit Luther
zu einer Figur, die dem Papsttum offen entgegentrat. Gleichzeitig schnitten
K=F6nige und Herz=F6ge ihre Gebiete mittels Grenzen und Z=F6llen nach und na=
ch
aus dem Reich heraus. Reformation und F=FCrstent=FCmer st=FCtzten sich
gegenseitig, was schliesslich zum Nationalstaat f=FChrte.

Die Nation ist nicht Natur. Und sehr selten ist sie das Abbild der W=FCnsche
ihrer Mitglieder - im besten Fall der r=FChrende Versuch dazu. Der
Nationalstaat ist eine Form, die es erst seit etwa zweihundert Jahren gibt,
sie ist die Verwaltungsform des Industriezeitalters und wird mit ihm enden
oder mindestens stark mutieren.

Was die Nationalstaaten untereinander nicht aufteilten, war das Meer - es
wurde als nahezu unendliche Weite sich selbst =FCberlassen, die Menschen
naschten bloss von seinem unendlichen Reichtum und die Schwierigkeiten, es
zu =FCberqueren, erh=F6hten den Respekt vor der See. Erst im Laufe des 20.
Jahrhunderts - Bev=F6lkerungsexplosion, Welthandel, Distanzbew=E4ltigung mit
=46lugzeugen - wurde sogar das Meer zur endlichen Gr=F6sse, zum misshandelte=
n
Teich: Fische raus, Abfall rein.

Meereswellen, Zivilisationswellen. Was ist eigentlich das
Informationszeitalter? Es ist nach immer =FCbereinstimmenderen Ansichten die
dritte Zivilisationswelle der Menschheit. Die erste ist das Agrar-, die
zweite das Industriezeitalter. Der Ausdruck Wellen stammt vom US-Soziologen
Alvin Toffler und legt nahe, dass diese Zivilisationsformen nicht =FCberall
gleich heftig und gleichzeitig eintreffen, dass sie sich =FCberlagern k=F6nn=
en
und dass sie jeweils die n=E4chste Form geb=E4ren. Toffler prophezeit f=FCrs
Informationszeitalter: Den Untergang der Nation, der Massenschule, der
Massenfabrikation und der heutigen Geldform. Sie alle sind Elemente des
Industriezeitalters und waren davor unbekannt.

Sealand wird, wenn alles klappt, zu einer Ikone des Informationszeitalters
werden - und der CEO von Havenco w=E4re dann der Martin Luther, der dem
Nationalstaat erfolgreich die Z=E4hne zeigt. Sean Hastings hat dazu die
grosse Statur, die kr=E4ftige Stimme, die Intelligenz, das rhetorische Talen=
t
und den selbstbewussten Habitus. Durchs winterlich kalte New Orleans
marschiert er, ganz Rebellenf=FChrer, in wehend schwarzem Ledermantel,
weissem Polo Shirt und schwarzen Lederhandschuhen.

Der Martin Luther des Informationszeitalter ist ein 68er Jahrgang und wurde
in eine Computerwelt hineingeboren. Seine Eltern waren Lehrer in Ann Arbor,
der Universit=E4tsstadt bei Detroit, die Mutter lehrte Computer Science, und
das Haus war voll mit Rechnern, Bildschirmen und Telephonmodems, die die
Maschinen mit dem Uni-Mainframe-Netz verbanden. Kaum konnte Sean lesen,
lernte er auch schon, kleine Programme zu schreiben - das war f=FCr ihn nich=
t
Lernen, sondern Spiel. Sp=E4ter studierte er Mathematik, spezialisierte sich
in Wahrscheinlichkeitsrechung, verliess aber die Uni kurz vor dem
Abschluss. Er stellte n=E4mlich  fest, dass h=F6here Mathematik nur in den
Lehrberuf f=FChre, zog nach New York und spielte Karten, =ABfor a living=BB,=
 wie
er sagt, also beruflich. Dann erinnerte sich Hastings, dass er ja mit
Computern umgehen konnte, verdingte sich als Computer Consultant und
siedelte bald nach Kalifornien =FCber, wo er Jo, seine Frau kennenlernte.
Zusammen zogen sie nach New Orleans.

New Orleans liegt am Meer. Dort, weit draussen, =03liegt die Karibik mit all
ihren Offshore-Inseln und Finanzparadiesen. Sean begann, f=FCr
Offshore-Casinos zu programmieren und zog f=FCr ein Jahr auf die Insel
Anguilla. Dort traf er den Amerikaner Brian Lackey und den Inder Sameer
Parekh, zusammen arbeiten sie an verschiedenen Finanzsystemen. Weil Sean
auf Dauer keine Arbeitsbewilligung erhielt, musste er zur=FCck in die USA -
und zu jener Zeit entstand die Idee eines Datenhafens. Heute geh=F6rt
Ingenieur Lackey zum HavenCo-Team, Jo Hastings macht Marketing und Presse,
der japanische Internet-Guru Joichi Ito ist Berater - und der Unternehmer
Avi Freeman hat gleich zwei wichtige Funktionen: Er ist ein Router Guru,
zust=E4ndig daf=FCr, dass alle Daten von HavenCo auf dem richtigen Weg an de=
n
richtigen Ort gelangen. Dazu ist er Angel Investor - ein schnuckeliger
neuer Ausdruck f=FCr Hauptgeldgeber. Das Finanzwesen hat auch seine
religi=F6sen Seiten.

Sean Hastings ist nur deshalb in New Orleans, weil er in den USA noch die
letzten Millionen auftreiben will, um HavenCo auf Sealand anfangs 2001
starten zu k=F6nnen. Dass die zu hoch bewerteten Internetaktien und deren
Index Nasdaq im letzten Sommer  zusammenbrachen, hat den Start von HavenCo
etwas verz=F6gert. Sean Hastings k=E4mpft, f=FChrt Gespr=E4ch um Gespr=E4ch =
mit
m=F6glichen Geldgebern.

Wer investiert in HavenCo und wen sprechen Sie daf=FCr an? =ABEs gibt zwei
Haupt-Zielgruppen. Einerseits jene, die viel Geld machen m=F6chten. Und
andererseits jene, die viel Geld haben und denen die Freiheit der
Information etwas wert ist. Bis jetzt muss ich feststellen, dass
diejenigen, die viel Geld machen wollen, weniger f=FCr Neues zu haben sind.
Hauptkundschaft sind also die risikofreudigeren Besitzenden.=BB

Es gibt eine dritte Kategorie, von der Sean Hastings nicht spricht: Auf
Sealand werden auch Server f=FCr Etoy und Tibet Online laufen. Letzteres ist
die Stimme der von China unabh=E4ngigen Tibeter, sie sind auf HavenCo
kostenlos daheim, keine Massnahme der chinesischen Regierung wird der
Tibeter-Homepage etwas anhaben k=F6nnen. Und Etoy ist die bekannteste und
gleichzeitig am schwierigsten zu definierende K=FCnstlergruppe aus der
Schweiz. Die urspr=FCnglich =FCber Europa verstreute Gruppe begann 1992 mit
geb=FChrenpflichtigen Telefonnummern zu experimentieren, hat 1996 die
Internet-Suchdienste mit der Aktion "Digital Hijack" ausgetrickst und seit
1998 ist die New Economy ihr Terrain: Anstatt sich vom Kunstbetrieb
vermarkten zu lassen, hat sich etoy als Start-Up-Unternehmen lanciert und
gibt Aktien aus. Es handelt sich um Kunst-Aktien, die an keiner offiziellen
B=F6rse gehandelt werden, keine Wertpapiere sind - und trotzdem gekauft
werden; der k=FChne Versuch von K=FCnstlern, sich durch Verschmelzung von Ne=
w
Economy und Kunstmarkt selbst zu finanzieren. Statt die Machtstr=F6me der
Welt von aussen zu erahnen und nachzuzeichnen, wirft sich Etoy unverfroren
rein schwimmt zuvorderst mit. Damit macht Etoy Unsichtbares sichtbar. Wo
immer Etoy ist, geht  kurz darauf irgendwie die Post ab. Also n=E4chstes Jah=
r
auf Sealand.

Im Fr=FChsommer 2000 ging HavenCo an die =D6ffentlichkeit und von Mai bis
September erschien in der Weltpresse tausend mal derselbe Artikel: Wie
sch=E4big dieses Sealand und wie kurios dagegen seine Royals seien, wie sch=
=F6n
nun, dass ihnen diese verr=FCckten Internet-Amerikaner gerade rechtzeitig de=
n
Lebensabend aufhellen und wie schwer sich England und das ebenfalls
benachbarte Frankreich tun werden, dem unheimlichen Treiben vor ihren
K=FCsten tatenlos zuzusehen. Aber die Konsequenzen von HavenCo, der
Zusammenhang mit Geschichte und Zukunft, blieben h=FCbsch ausgespart - obwoh=
l
Sean Hastings versichert, dass er in allen Interviews auch dar=FCber sprach.

Ob HavenCo der Shooting Star des Jahres 2001 ist oder aus rechtlichen
Gr=FCnden nur mit halbem Dampf fahren darf, ist noch nicht ausgeb=FCxt.
Schiessen Sie auf Sealand aus der H=FCfte, Sean Hastings? =ABSagen wir's so:
ich habe nichts gegen etwas Risiko. Ich finde sogar, wenn alle etwas mehr
riskieren w=FCrden, h=E4tten wir eine sichere Welt, verstehen Sie das?=BB Ne=
in.
Aber es t=F6nt gut.

Wie erkl=E4ren sie jemandem auf der Strasse, was HavenCo will? Hastings
z=F6gert keinen Moment: =ABDas Internet ist ein globales Medium, die Gesetze=
,
die die Kommunikation kontrollieren, sind aber landesabh=E4ngig. Dies f=FChr=
t
dazu, dass Leute, die =FCbers Internet Gesch=E4fte machen, tendenziell in ei=
n
Land ausweichen, welches die wenigsten Vorschriften macht. Wir offerieren
also einen Ort, wo die freie Kommunikation so  wenig eingeschr=E4nkt wird wi=
e
nur m=F6glich.=BB

Wer sind Ihre Kunden? =ABIdealerweise jedermann, der =FCbers Internet global=
e
Gesch=E4fte machen will - weil er dann am wenigsten Regeln zu befolgen hat.
Im Moment versuchen die Regierungen wie Grossbritannien und die USA, mit
der Informationstechnologie zurande zu kommen, dabei kommt es zu ziemlich
schlechten Gesetzen. Zum Beispiel soll erlaubt werden, die Computer einer
=46irma abzustellen, solange zum Beispiel eine Untersuchung in Sachen
Copyrightverletzung l=E4uft. Was heisst: ob die Firma schuldig ist oder
nicht, sie wird wochenlang vom Netz genommen und damit faktisch liquidiert.
Oder etwa das britische GAK-Gesetz, die Abk=FCrzung f=FCr =ABgovernment=
 access to
keys=BB. Wer Verschl=FCsselungen anwendet, muss der Regierung den Schl=FCsse=
l zur
Verf=FCgung stellen. Nun - selbst wenn man der Regierung traut: Kann man
sicher sein, dass der Schl=FCssel nie weitergegeben wird oder durch ein
Sicherheitsleck in andere H=E4nde kommt? Dies kann niemand garantiert
ausschliessen.=BB

HavenCo wird wohl auch Banken beherbergen, die Kunden anbieten k=F6nnen, da
ihr Geld zu verstecken? =ABDas wird wohl so sein - und es ist nicht
zwingenderweise eine schlechte Sache. Ich finde nicht, dass es die
Regierung etwas angeht, wieviel Geld jemand hat, sie wollen es einem ja
sowieso nur wegnehmen. Wer die Guns hat, nimmt das Geld von denen, die
keine Guns haben - das ist die ganze Logik des Steuersystems.=BB Der Tisch
bebt erneut.

Also wird in Zukunft nichts mehr versteuert? =ABDie zunehmende digitale
Verschl=FCsselung und die M=F6glichkeiten, Informationen aufzuteilen und
un=FCberblickbar breit zu streuen, wird es immer schwieriger machen,
herauszufinden, wer Geld hat und wer nicht. Da werden die Regierungen von
Einkommens- auf Konsumsteuern einschwenken m=FCssen, wo die Leute bezahlen,
was sie benutzen - Strassen, Kultur, Gesundheitsdienste. Das Geld w=FCrde
somit genau dort bezahlt, wo es auch gebraucht wird, was wiederum viel
B=FCrokratie erspart.=BB

Dann werden wir in Zukunft nicht mehr wissen, wie reich jemand ist? =ABJa,
genau. Die Unsichtbarkeit von Geld beginnt nicht etwa mit unserem
HavenCo-Angebot auf Sealand - es hat vielmehr damit zu tun, dass Menschen
verschl=FCsselt und daher gesch=FCtzt miteinander kommunizieren k=F6nnen. Ge=
ld
ist ja nur ein Zahlungsversprechen, eine Best=E4tigung, wer wem wieviel
schuldet. Nur ein St=FCck Papier oder eben Zahlen in irgendeiner Maschine.
Heute ist es sehr einfach, digitale Zahlungsversprechen zwischen zwei
Einzelpersonen oder innerhalb einer begrenzten Gemeinschaft durchzuf=FChren,
ohne dass irgendjemand anderer davon etwas mitbekommt.=BB

Hier gefriert mir doch der Alligator im Mund. Wie war das? Es ist also
nicht genug damit, dass ein verschwindend kleiner Teil der Menschheit immer
reicher wird - die k=F6nnen nun auch seelenruhig herumspazieren und
behaupten, ihnen geh=F6re bloss das Polohemd und die Golfhose, die sie
tragen?  =ABWas=BB unterbricht Hastings, =ABf=FCrchten Sie denn, was das Gel=
d
Schlimmes anstellen k=F6nnte?=BB

Ein Beispiel f=FCr Machtmissbrauch mittels Milliarden? 50 bis 80 Prozent der
Weltbank-Grossprojekte - also D=E4mme, Kraftwerke, Pipelines -  gelten gem=
=E4ss
Untersuchungen des US-Kongresses als gescheitert und hinterlassen halb
umstrukturierte und verschuldete Entwicklungsl=E4nder. Etwa das Kernkraftwer=
k
Bataan nahe Manila: Es wurde von der US-Firma  Westinghouse viel zu teuer
gebaut, die Pr=E4sidenten-Familie Marcos liess sich bestechen, die
Phillipinen bezahlen den Kredit bis im Jahr 2018 - aber das AKW lief gar
nie. Es stand n=E4mlich auf mehren Erdbegenfalten und in der N=E4he eines
Vulkans.

Hastings lacht. =ABSehen Sie? Diese Dinge passieren immer dann, wenn
Zentralregierungen viel Geld in die Hand nehmen. Wenn einmal die Leute ihr
Geld selbst kontrollieren und es nicht mehr aus ihren Taschen
herausgesteuert wird, kann sowas nicht so leicht geschehen. Es ist klar,
dass immer versucht wird, Leute und ganze L=E4nder =FCbern Tisch zu ziehen.
Zentralgewalten und Regierungen sind daf=FCr besonders geeignet, weil da nur
wenige Leute, im Idealfall ein einzelner Diktator, betrogen oder bestochen
werden muss - und schon l=E4uft die Sache. Diese Geschichte aus den
Philippinen ist ein typisches Beispiel f=FCr die alte Art, Dinge zu tun. Was
ich mit HavenCo auch erreichen m=F6chte, ist den kleinen und armen L=E4ndern=
 zu
zeigen: Hey, im Informationszeitalter habt ihr wesentlich mehr
wirtschaftliche Macht als ihr denkt. Die Internet-Branche der ganzen Welt
w=FCrde auf Eure Insel passen, alle Server dieser Welt haben in einem
einzigen grossen Haus Platz. Die Server werden immer dorthin gehen, wo sie
die besten Bedingungen finden.=BB

Die finden sie n=E4chstes Jahr vermutlich auf Sealand. Ich frage noch einmal=
:
Wer auf Sealand eine Bank betreibt, kann ganz anders rechnen, also k=F6nnen
riesige Geldbetr=E4ge dorthinfliessen und, da keinerlei Einblick besteht,
allenfalls gewaschen werden. Fazit: Mit Unrecht Geld machen wird wesentlich
praktischer.

Sean Hastings findet das offensichtlich nicht. Trotzdem sucht er nach einer
Erwiderung. =ABNehmen Sie den schlimmsten Fall, wo eine Firma ihre Fabriken
in einem hungergeplagten Drittweltland aufstellt, mit Billigstl=F6hnen und
schlechten Arbeitsbedingungen operiert und die Umwelt massiv verschmutzt.
Wenn nun der globale Informationsfluss weiter zunimmt, wird Folgendes
passieren: Erstens erhalten die Arbeiter eine globale Perspektive, einen
Vergleich mit andern L=E4ndern und der Druck nimmt zu, die Arbeitbedingungen
zu verbessern. Gleichzeitig nimmt ihr Informationsstand und damit ihr
Selbstbewusstsein zu. Zweitens: Auch die Konsumenten erhalten immer klarere
Vorstellungen davon, wie und wo ihre Produkte hergestellt werden. Wenn
diese Informationen eine Firma als ausn=FCtzerisch ausweisen, hat sie ein
Problem. Und wenn nicht die Presse diesen Informationsfluss nicht
herstellt, dann geschieht er sicher auf dem Internet.=BB

Sch=F6n w=E4rs, denke ich, aber gleichzeitig wird mir gewahr, dass ich in
anderem Zusammenhang auch schon blau=E4ugig optimistisch geplaudert habe.
=ABWas man sich vergegenw=E4rtigen muss ist=BB f=E4hrt Hastings weiter,=
 =ABdass die
Welt aussergew=F6hnlich reich an gesammelten Informationen wird. Kameras
werden immer billiger und kleiner, es gibt immer mehr Verwendungszwecke f=FC=
r
sie. Der Datentransfer wird billiger und schneller. Bald werden die meisten
unserer Schritte in der =D6ffentlichkeit irgendwie aufgezeichnet, irgendwo
gespeichert und von irgendjemandem irgendwo abrufbar - via Handy oder
Computer. Wir haben in Zukunft mehr Zeugen und weniger Geheimnisse.

Sean Hastings sieht darin Vorteile. =ABIch verspreche niemandem eine v=F6lli=
g
sichere Welt, aber ich mache eine Prophezeiung: Mit =FCblen Taten grosse
Summen zu machen, wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Je perfekter und
allgemeiner der Informationsaustausch, desto wahrscheinlicher wird, dass
Geld nur der verdient, der wirklich etwas bietet. Du wirst reich, wenn das,
was Du kannst, vielen n=FCtzt. Wer an den Leuten vorbeiproduziert, wirst du
verarmen.=BB Ist das nun das Paradies oder die populistische Phase des
Kapitalismus?

In seinem  Buch =ABPowershift=BB (Machtwechsel) schrieb Alvin Toffler Ende d=
er
80er Jahre: =ABSchon heute ist die Rate des Technologiewechsels weissgl=FChe=
nd,
die Unternehmen h=E4ngen mehr denn je von der Telekommunikation ab. Es
entbrennt ein Kampf  um die Kontrolle des Kommunikationssystems.=BB Die
darauffolgende Passage ist geradezu prophetisch: =ABWissen, Information oder
Daten k=F6nnen heute andere Ressourcen ersetzen. Geld wird bald der
Information und die Information dem Geld =E4hnlicher, beide werden in
elektronische Impulse verwandelt und als solche immer schneller =FCbertragen=
=2E
Die historische Fusion von Telekommunikation und Finanzwesen erh=F6ht die
Macht jener, die die Netzwerke kontrollieren, exponentiell.=BB

Es ist nicht m=F6glich, das Internet zu =FCbersch=E4tzen, denn die meisten s=
einer
=DCberraschungen haben wir gar noch nicht ausgepackt. Dass e-Commerce nicht
so automatisch abgeht wie sich die Firmen das gedacht haben, spricht f=FCr
und nicht gegen das Netz. Die  Menschen sind online so unberechenbar wie
offline.

Auseinandersetzungen gibt es neu auch im Netz. Dass unabh=E4ngige
Netzwerk-Gruppen st=E4rker als E-Commerce-Unternehmen  sein k=F6nnen, bewies=
 im
=46r=FChling 2000 die Auseinandersetzung zwischen der K=FCnstler-Businessgru=
ppe
Etoy und dem milliardenschweren Online-Spielwarenverk=E4ufer E-Toys. Der
schaffte es mit US-Gerichtsunterst=FCtzung, Etoy wegen =E4hnlichem Namen und
andern Anschuldigungen aus dem Netz zu kippen (obwohl Etoy zuerst da war).
Darauf gelang es Etoy, in einer spektakul=E4ren Aktion namens Toywar nicht
nur internationale Unterst=FCtzung zu organisieren, sondern mittels
exzellenten B=F6rsen- und Anlegerpsychologie-Kenntnissen auch die
E-Toys-Aktien auf einen Bruchteil ihres Wertes herunterzufahren. Geknickt
lenkten die Anw=E4lte des E-Toys-Konzern ein. "Die teuerste Performance der
Kunstgeschichte" meint Etoy selbst und der Konstanzer Netzwissenschafter
Reinhold Grether bezeichnet den Vorfall als =ABdas Brent Spar des
E-Commerce=BB. Damit sei es klar, dass die E-Commerce-Firmen sich auf dem
Internet nicht so auff=FChren k=F6nnen, als geh=F6re es ihnen. Fazit: Auf de=
m
Internet herrscht ausser allgemeinem Austausch niemand. Niemand ausser die
=46reiheitsstatue.

Sean Hastings, der Umplatzierer der Liberty, l=E4sst sich =FCberreden, eine
Prophezeiung f=FCr die Fortschritte des Informationszeitalters in den
n=E4chsten Jahrzehnten  abzugeben. Weil die Musik in Webber's Restaurant nun
lauter wird - dies ist schliesslich New Orleans - verl=E4uft der Schluss des
Interviews schreiend. DIES ALSO UNSERE ZUKUNFT NACH SEAN HASTINGS: =AB2001
starten wir HavenCo auf Sealand, 2002 entstehen weitere HavenCo-Datencenter
auf der ganzen Welt und erste Konkurrenz tauchen auf. Im Jahr 2005 werden
Datenh=E4fen die wichtigsten Einkommensanteile von Kleinstaaten. Das Interne=
t
wird durch Eternity-Systeme wie etwa Freenet ver=E4ndert, sie laufen bereits
jetzt und werden ab 2005 im grossen Umfang verwendet.  Eternity ist eine
Internet-Software =E4hnlich einem WWW-Programm. Man nennt die Technologie
auch Peer-to-Peer, Kumpel zu Kumpel, weil hier die einzelnen Computer nicht
via Provider und deren Server miteinander verbunden werden, sondern direkt.
Dokumente werden auf verschiedene Computer verteilt gelagert. Der
Gesamteffekt von Eternity ist, dass niemand mehr herausfinden kann, wo ein
Dokument liegt und wo es herkommt.=BB

Kampf und =DCbergang wohin man schaut? =ABDie bisherigen M=E4chte werden noc=
h
lange einen gewissen Marktanteil behalten=BB meint Hastings gelassen. =ABDen
Nationen etwa wird die massive Dezentralisierung und Individualisierung
bald auf den Wecker gehen - sie werden schon 2001 beginnen, die
Datenhafen-Nationen mit Sanktionen einzudecken. Weil Copyright-Rechte nicht
mehr durchzusetzen sind, werden sie 2010 aufgegeben. Die Steuergesetze
konzentrieren sich auf Konsumabgaben, vor allem auf staatliche
Dienstleistungen, welche daf=FCr umso besser sein m=FCssen. Die meisten
Landesgrenzen werden ge=F6ffnet, Nationalit=E4t wird  unwichtig. Dann,
vielleicht etwa 2025, sehe ich Massenflucht aus den letzten L=E4ndern, die
den Informationsfluss immer noch regulieren wollen. Eine weitere
Grossentwicklung ist schliesslich das digitale Geld. In abgeschlossenen
Gemeinschaften schon heute existent, wird es 2005 wichtiger sein als
L=E4nderw=E4hrungen und ungef=E4hr 2010 schwenken auch die Regierungen auf
digitale W=E4hrungen ein.=BB

Digitales Geld? frage ich Sean Hastings. Wie soll das funktionieren? =ABOh,=
=BB
meint der und schaut auf die Uhr, =ABdas ist eine andere  Sache, an der ich
arbeite - ein anderer Aspekt des Informationszeitalters, wenn Sie so
wollen. Mein Projekt nennt sich Distributed Barter System und ist ein
Versuch, das digitale Geld anwenderfreundlich zu machen. Die Technik ist ja
da, bald steht in jedem Laden und in jedem Haus ein Computer, es geht jetzt
nur noch um die Akzeptanz.=BB Barter sind Gutscheine, die Tauschhandel
erm=F6glichen, also das Geldsystem links liegen lassen. Fluggesellschaften
zum Beispiel benutzen Fluggutscheine als Geldersatz.  Hastings: =ABUnd
Distributed Barter sind h=F6her entwickelte Gutscheine, die an vielen Orten
eingel=F6st werden und mit vielen W=E4hrungen umgehen k=F6nnen. Wegen ihrer
Komplexit=E4t sind sie auf Computerunterst=FCtzung angewiesen.=BB

Was soll digitales Geld, wo wir noch nicht mal den Euro verstehen? Sean
Hastings rundet die kleine Einf=FChrung ins Informationszeitalter, zu der
dieses Interview nun definitiv geraten ist, glorios utopisch ab: =ABDas
heutige Geldsystem=BB sagt er, =ABst=FCtzt sich auf Goldreserven und die sin=
d
begrenzt. Dies f=FChrt zu einem Nullsummenspiel - wenn ich mehr Geld habe,
hat vermutlich jemand anderer weniger. Dies macht Reichtum moralisch
fragw=FCrdig. Wenn man aber das Geldsystem auf vermehrbare Werte wie Arbeit
und G=FCter abst=FCtzt, sieht alles anders aus. In meinem Barter-Projekt hat
jeder seine eigene W=E4hrung. Sie sind Journalist, also ist Ihre W=E4hrung I=
hre
Arbeit, die sie marktgerecht einsch=E4tzen m=FCssen. Wenn Sie nun ein TV-Ger=
=E4t
kaufen, bucht Ihnen der Verk=E4ufer soviele Albertkuhntext-Punkte ab, wie
eben f=FCr einen Fernseher n=F6tig sind. Wieviele Ihre W=E4hrung wert ist,
erf=E4hrt er objektiv via Computer. Dies f=FChrt dazu, dass Reichtum unter d=
em
Strich vermehrbar ist, weil sich nat=FCrlich alle anstrengen m=FCssen, etwas
f=FCr die Gesellschaft N=FCtzliches zu tun. Im Idealfall werden alle reich -
wogegen in einem von oben regulierten Sozialstaat die meisten arm werden
oder bleiben.=BB

Die Kellnerin r=E4umt Hastings Alligator und meinen Catfish weg.

Auf dem Flug in die Schweiz liegt Sealand links unter einer Wolkendecke.
K=F6nnte alles so einfach sein?  F=F6rdert die digitale Revolution das Gute =
in
uns? Bin ich Check Guevara begegnet? K=F6nnen wir von Amerika lernen? Mein
R=FCckflug dauert noch an.




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