[rohrpost] Fw: hundemusik - diederichsen bei suppose

supposé geert@xs4all.nl
Thu, 8 Nov 2001 10:25:51 +0200


am montag, 5. november erschien im berliner tagesspiegel die angehängte
schöne rezension unserer hunde-cd von diedrich diederichsen...

mit herzlichem gruss,
klaus
 

Tagesspiegel, Berlin, 05/11/01

Hundemusik

Diedrich Diederichsen über den bezaubernden Gesang frierender Felltiere

Junge Leute orientieren sich an Älteren, denen sie Glauben schenken. So
konnte ich mich zwischen zwölf und 15 fast uneingeschränkt auf die
Rezensionen Rainer Blomes verlassen. Sprach er mir nicht sowieso aus der
schon für eine Platte gewonnenen Seele, so zeigte er mir Neues und pflanzte
oft lebenslange Vorlieben und Abneigungen  (wie etwa gegen den Pianisten
Joe Zawinul).
1971 lobte er eine Platte über den Klee, bei der ich ihm erstmals nicht
mehr zu folgen vermochte. "Songs Of The Humpback Whales" war die erste von
mittlerweile Dutzenden Platten mit dem Gesang der Buckelwale, wie sie der
spirituell gefährdete Kalifornier seitdem hört. Walgesänge sind nach
Jahrzehnten von sich ungehindert ausbreitendem New-Age-Fundamentalismus
sowas wie der Blues für Körnerfresser: alte und daher legitime unverdorbene
Musik. Von der Skepsis gegenüber Tiermusik hat mich auch der schönste
Vogelmusik-Wahnsinn von Olivier Messiaen nicht heilen können. Nicht
Vogelstimmen sind schön, sondern die menschliche Idee, sie auf dem Klavier
nachzuspielen. Alles, was ich höre, ja, was mich rührt, ist dieser
Übertragung geschuldet. Höre ich hingegen echte Vögel, bleibt es
bestenfalls bei einem Sounderlebnis, wie es auch Motorräder, Walzwerke oder
Triebwerkeauslösen können.
Um so überraschter war ich daher von der Wirkung, die die Musik der Hunde
des Jeremy Roht auf mich haben sollte. Hier gab es einen Faktor, der die
Möglichkeit kitschiger Projektionen durchkreuzte: Die Schönheit dieser
kanadischen Hundegesänge liegt nicht in der Fremdheit eines absoluten
Anderen, dem wir gleichzeitig vertraute Subjektivitätsvorstellungen
zuschanzen, sondern in der Vertrautheit, mit der hier Stimmen sich
artikulieren, auf einander reagieren und sich beschweren. Insbesondere die
kollektiven Anstrengungen, das Einfallen in das Singen und Heulen eines
Anderen, das Punktieren und Perforieren durch etwas, das wie
handelsübliches Bellen beginnt und sich dann als eine Art
Stimmband-Percussion entpuppt - all das regt nicht nur die Fantasie an,
sondern lässt den Hörer mit der Zeit selbst zum Hund werden, der sich
imaginär in diese Gemeinschaft vermutlich frierender Felltiere
eingegliedert hat.
Oswald Wiener hat dieses Ensemble gemeinsam mit Helmut Schoener
aufgenommen. Von den 35 Tracks in normaler Single-Länge empfehle ich vor
allem Nr. 5 und 13, aber auch die kurze süß-fragile Nr. 2 ist wunderschön
oder Nr. 14, wo plötzlich ein Vogel zu stören versucht. Aber neben der
Bandbreite des Gebotenen überrascht vor allem die Zartheit, zu der das
Rudel fähig ist. Immer wieder darf einer ganz alleine vor den anderen
brillieren, dann steigern sich wieder alle in ein anschwellendes Gekläffe,
aus dem dann in Nr. 19 wieder eine zarte Einzelstimme hervortreten darf.
Wiener erzählt im Beiheft, dass es mehr oder minder begabte Hunde gäbe und
letztere sich freiwillig ins hintere Glied des Chores verfügen. Sogar das
Alpha-Tier macht Platz für den weniger Kräftigen, aber des Gesanges
Mächtigeren. Kultur, könnte man schließen, beginnt mit der Anerkennung von
Begabungshierarchien. Vielleicht. Aber wenn diese Analogie zu menschlichen
Musikern stimmen sollte, stimmt auch diese: dass nämlich die Emanzipation
der Rhythmusgruppe Schlittenhunden genauso gut tut wie anderen Bassisten
und Schlagzeugern. Dafür spricht, dass es zuweilen, etwa im
Free-Jazz-Mittelteil von Nr. 22, zu genau solchen Entwicklungen zu kommen
scheint. Die Begabungshierarchie wird also nur produktiv, weil sie auch von
der offenen Form des Zusammenspiels so schön prinzipiell infrage gestellt
wird. Ja, nur wegen dieser offenkundig ständig neu ausgehandelten Frage,
wer jetzt wie lange und wie laut singen darf, gestehe der Hörer den Hunden
die Subjektivität zu, die ich den Vögeln vielleicht ungerechterweise
verweigere.
Wiener weiß auch, dass Hunde nicht "über die konkreten Verhältnisse, die
Ketten, den Hunger" klagen, sondern über die Schöpfung selbst. Aber ist
nicht das Schlimmste an der Schöpfung gerade, dass sie Ketten, Hunger und
andere konkrete Verhältnisse zulässt? Vielleicht ist aber auch das, was wie
Klagen klingt, eine Hundekonvention, aus früheren Klagen gegen Hunger und
Ketten entstanden, aber im Laufe der Hundemusikgeschichte längst Gattung
geworden. Die Künstler hier beeindrucken durch ihre ungezwungen
selbstvergessene Ausdauer, durch ein Gefühl von Aufgehobensein in der Form.
Je länger sie sich ihr widmen, desto mehr hört die Realität dessen, was zum
Klagen Anlass gibt, zu drängen auf (Edition supposé, Köln).

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neue cds:
team of jeremy roht, recorded by oswald wiener
bst (berger/schaeffer/theweleit): viosilence
klaus theweleit: das  raf-gespenst
klaus theweleit: ekstasen der zeitenmischung
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