[rohrpost] Ich und mein Medium, SZ

Tilman Baumgaertel tilman_baumgaertel@csi.com
Wed, 14 Aug 2002 11:49:29 +0200


http://sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel2730.php

Ich und mein Medium=20

Zeitl=F6cher: Die =84black cubes=93 der documenta und die neuen H=F6hlenbild=
er der
Videokunst / Von Walter Grasskamp=20



Manchem Besucher mag die documenta 11 wie ein verkapptes
Filmfestival vorkommen, bei dem die Anfangszeiten geheim gehalten werden.
Aber schon seit langem ger=E4t man immer h=E4ufiger in Kunstausstellungen mi=
t
reichlich eingestreuten Videos, die so unkoordiniert parallel laufen, dass
man stets mittendrin ankommt. Dann hat man die Wahl, bei der n=E4chsten
Umdrehung den fehlenden Teil nachzuholen, von dem man freilich meist nicht
wei=DF, wie lang er ist, oder gleich zum n=E4chsten Werk =FCberzugehen, mit =
dem
schlechtem Gewissen, sich nicht die n=F6tige Zeit genommen zu haben.

Wer in den f=FCnfziger Jahren in Kinopal=E4sten namens =84Gloria=93 oder =84=
Apollo=93
sozialisiert worden ist und mit einem Fernsehger=E4t, das nur einen Kanal
kannte, hat einen gro=DFen Respekt vor dem Filmformat erworben und kann sich
eigentlich nur vorstellen, dass auch bei Kunstausstellungen Filme
hintereinander laufen und die Anfangszeiten bekannt gegeben werden.

Ich sehe was ...=20

So war das noch anl=E4sslich der Ausstellung =84jetzt. K=FCnste in Deutschla=
nd
heute=93, die Helmut R. Leppien 1970 in der K=F6lner Kunsthalle zeigte =96=
 es ist
ja nicht so, dass bildende K=FCnstler erst seit gestern mit dem arbeiten, wa=
s
man damals noch audiovisuelle Medien nannte. Das von Birgit Hein
zusammengestellte Programm zeigte neben Wenders, Schr=F6ter, Straub und
Farocki auch K=FCnstlerfilme von Sigmar Polke, G=FCnther Uecker, Wolf Vostel=
l
und Lambert Maria Wintersberger, und zwar abends in einem regelrechten
Projektionsraum. Das geschieht gegenw=E4rtig ja auch in Kassel, wo im=84Bali=
=93 =96
auch so eine Namensperle =96 einige Filme das Privileg einer regelrechten
Kinovorf=FChrung genie=DFen. Aber in den Ausstellungsr=E4umen flimmert es au=
ch
allerorten. Unterscheidet man inzwischen K=FCnstlerfilme f=FCr Kinos von
solchen f=FCr Ausstellungen? Hat sich seit den siebziger Jahren ein solcher
Wandel der Wahrnehmung eingeschlichen, dass die Erwartung einer
medienspezifischen Trennung der Seh-Veranstaltungen l=E4ngst altmodisch
geworden ist?

Selbst Museen kommen ihr nicht mehr entgegen, wie man gerade in der
=84Galerie der Gegenwart=93 der Hamburger Kunsthalle studieren kann.
Etagenweise laufen nebeneinander Videofilme und Medienprojektionen nach
Ma=DFgabe ihrer verschiedenen Spiell=E4ngen und damit im Zustand einer
vollendeten Entropie. Aus den offenen Kojen ergibt sich eine akustische
=DCberlagerung, so dass der Besuch zum Wandelgang durch Ger=E4uschzonen mit
wechselnden Quellen wird, eine postmoderne Folterversion des H=F6rspiels. Da
war die Stuttgarter Staatsgalerie, wo in den neunziger Jahren eine TV-Wand
von Nam June Paik die lange Enfilade der Gem=E4lde in vorauseilender
L=E4rmigkeit entwertete, geradezu ein lauschiger Ort. Damals stellte sich
allenfalls die Frage, ob bewegte Bilder in einem Kunstmuseum nicht die
=84stehenden=93 irreversibel entwerten, die Gem=E4lde und Skulpturen, die im
medialen Durchzug erstarren (SZ vom 19. November 1996). Heute entwerten
sich dagegen auch die bewegten Bilder gegenseitig und lassen selbst in
Museen das Medien-Crossover eskalieren.

Gro=DFveranstaltungen wie die documenta 11 haben nat=FCrlich keine andere Wa=
hl.
In K=F6ln hatte man sich 1970 noch einen geschlagenen Monat aufhalten m=FCss=
en,
um alle acht Filmprogramme mitzubekommen; mit ihren Zweitagesbesuchern muss
die documenta die meisten ihrer K=FCnstlerfilme der Ausstellung um den Preis
unterschmuggeln, dass keiner sie als solche wahrnimmt. Aber das scheint
immer weniger Besucher zu irritieren. So wie es Leute gibt, die den
Fernseher laufen lassen, wenn sie das Haus verlassen, damit jemand da ist,
wenn sie wiederkommen, erwarten die Besucher von Kunstausstellungen
offenbar inzwischen, dass die Bilder schon vorgew=E4rmt sind, wenn sie
eintreffen.

In Kassel sorgt immerhin eine angenehm professionelle Inszenierung f=FCr
Entspannung an der Medienfront: An den T=FCren erf=E4hrt man die Laufzeit de=
r
Filme, und eine ebenso unauff=E4llige wie seri=F6se Ausstellungsarchitektur
trennt die stummen Bilder von den Tonspuren der bewegten. Doch anderswo,
etwa bei der Karlsruher Ausstellung =84Iconoclash=93 im ZKM, scheint man es
l=E4ngst auf das Gegenteil angelegt zu haben, auf den Effekt eines
Medienrummels, der sein Thema, den Dauerbrenner Bilderstreit, l=E4ngst als
selbsterzeugten =84Mediaclash=93 ausgeben m=FCsste.

Die vorgeblichen Orte der kritischen Sichtung der Medienkultur fungieren in
Wahrheit l=E4ngst als Fitnesszentren f=FCr einen neuen, robusten Typus des
Kunstkonsumenten. Diesem m=FCsste das =84Prinzip der =DCberschwemmung=93,=
 mit dem
Fischli/Weiss einst ihre legend=E4re Ausstellung =84Pl=F6tzlich diese =DCber=
sicht=93
und Kippenberger seine =84Peter=93-Installationen eingerichtet haben, im
R=FCckblick schon als asketische Maxime erscheinen.

Der =84Paragone-Streit=93, mit dem die Renaissance den Vorrang von Malerei u=
nd
Bildhauerei diskutierte, ist angesichts der zeitgen=F6ssischen
Medienindifferenz in seiner Gattungssensibilit=E4t jedenfalls kaum mehr zu
vermitteln. Und wer kann sich noch vorstellen, welche Souver=E4nit=E4tskrise
ein Paul Val=E9ry heute auf einer durchschnittlichen Gro=DFausstellung erlei=
den
m=FCsste, wo ihm doch schon die gedr=E4ngte Vielzahl der stummen Bilder im
Museum als Durcheinanderschreien vorkam? Wird es bald Kurorte geben, die
ihre Kunden mit als Kunstausstellungen annoncierten Medienkreuzfeuern erst
behandlungsreif schie=DFen, ist das wom=F6glich schon die diskrete Marktnisc=
he
von Bad Wilhelmsh=F6he mit seiner Gem=E4ldegalerie und dem einzigartigen=
 Park?

Solche und andere Ressentiments hegte ich, bevor ich nach Stuttgart zu
einer Tagung =FCber die Gegenwart des Museums fuhr, die gemeinsam vom
Kunsthistorischen Institut der TU und der dortigen Kunstakademie
veranstaltet wurde. Dort wusch Boris Groys den Teilnehmern die
medienverwirrten K=F6pfe. Groys=92 These ist, dass es sich bei den allf=E4ll=
igen
Filmen in Kunstausstellungen nicht um fehlplatzierte Medien, sondern um
Werke handelt, die vors=E4tzlich unausgelotet, n=E4mlich Kunst jenseits eine=
r
bildhaften Erinnerung bleiben wollen. Dass man diese Filme eben nie ganz zu
sehen bekommt, ist demnach nicht der Unf=E4higkeit der Planer anzulasten,
sondern Absicht der K=FCnstler, die nun den Werkbegriff auch im Filmformat
aufl=F6sen wollen. Nat=FCrlich erntete diese These Widerspruch. Aber immerhi=
n
kann sie sich auf eine Generation von K=FCnstlern berufen, f=FCr die Douglas
Gordon mit seinen ins Unendliche gedehnten Filmvorf=FChrungen emblematisch
ist. Und nat=FCrlich passt sie auch r=FCckblickend auf Filme von Andy Warhol
und andere historische Zeitl=F6cher aus K=FCnstlerhand.

Selbst f=FCr den h=E4ufig beklagten Umstand, dass Video- =84Vorf=FChrungen=
=93 in
ihren Dunkelkammern bisweilen so unprofessionell eingerichtet sind, dass
man, aus der Helligkeit kommend, =FCber sitzende Zuschauer stolpert und
anschlie=DFend selber auf der Hut sein muss, fand Groys eine Legitimation:
Filme, die nicht als ganze in Erinnerung bleiben wollen, finden in R=E4umen
statt, die man ebenfalls nicht sehen soll. In der Tat k=F6nnten die black
cubes der documenta bei den Besuchern nicht nur wegen der Sitzpl=E4tze
beliebt sein, sondern auch, weil man sich dort von der traditionell
klinischen Ausleuchtung der angrenzenden white cubes erholen kann.

Unerinnerbarkeit und Un=FCbersichtlichkeit der neuen H=F6hlenbilder summiere=
n
sich demnach zu einer neuen Version der Aura im Zeitalter ihrer technischen
Produzierbarkeit, aber das ist f=FCr Groys nur ein Nebenprodukt. Denn
haupts=E4chlich soll es um die D=FCpierung des Betrachters gehen, der ein
weiteres Mal, in bester Avantgarde-Tradition, sein Versagen als Rezipient
an der Kunst abzuarbeiten hat. Dem Kunstbetrachter klar zu machen, dass er
ihr =96 sei es aus politischen, sei es aus =E4sthetischen Gr=FCnden =96 nich=
t
gewachsen ist, war in der Tat das Erfolgsrezept der Avantgardekunst; mit
ihrer Medienversion entzieht sie sich ihm heute auf wahrhaft
zeitgen=F6ssische Weise, n=E4mlich aus Termingr=FCnden.

Aber hat der Besucher der zeitgen=F6ssischen Bildermeere noch ein schlechtes
Gewissen, wenn er sich vor einem =DCberangebot ins andere fl=FCchtet? Er ist
l=E4ngst nicht mehr der auftrumpfende Bourgeois, den die Avantgarde einst al=
s
Kunde umwarb, indem sie ihn als Betrachter d=FCpierte, sondern Teilnehmer
einer Invasion der Bilderfresser und Repr=E4sentant des Massenfeudalismus de=
r
Konsumgesellschaft, in der jeder mehr sehen will, als er behalten, und mehr
Angebote erhalten will, als er nutzen kann.

... was du nicht siehst=20

Wie ver=E4ndert die Wahrnehmungskultur inzwischen ist, zeigt sich allerdings
weniger in den Gro=DFausstellungen als vielmehr dort, wo Zeit noch knapper
ist, n=E4mlich bei Gremiensitzungen. 1982 betrachtete man im Rheinland die
ehrenamtlichen Juroren eines ansehnlichen Videopreises noch mit am=FCsiertem
Respekt, weil sie etwas taten, was man von ihnen nicht erwartet h=E4tte: Die
viel besch=E4ftigten Wirtschaftsbosse sahen sich alle Videos von Anfang bis
Ende an. Nach genau zwanzig Jahren ist jetzt, aus einer anderen Region, der
umgekehrte Rekord verb=FCrgt: Angesichts einer =DCberf=FClle von Videos ents=
chied
sich eine Preis- Jury, jedem Film in der Vorauswahl nur eine Minute
Betrachtungszeit einzur=E4umen. Da h=E4tte auch Warhol kaum eine Chance geha=
bt.
Dieser Juryakkord mag unverzeihlich sein, nachvollziehbar ist er jedoch
leicht, denn er unterbietet das Zeitmanagement des durchschnittlichen
Ausstellungsbesuchers nur wenig.

Die Kunst hat sich in der Moderne freilich immer schon geweigert, ihr
Angebot von der Nachfrage bestimmen zu lassen. Daran h=E4lt sie offenbar
fest, auch wenn sie mit Grandezza ins Leere geht. In Kunstausstellungen
n=E4hert sich die Betrachtungszeit von Filmen denen der Gem=E4lde an, bei de=
nen
es ja auch schon immer ein Irrtum war, zu glauben, man habe sie in wenigen
Minuten, inklusive der Schildchen-Lekt=FCre, gesehen. Nun verk=FCrzen sich d=
ie
Betrachtungszeiten der Medien und Gattungen gegenseitig: Das ist der
aktuelle Stand des =84Paragone- Streits=93.

Der Autor lehrt Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden K=FCnste=
 M=FCnchen.


Aktuelles Lexikon
Wochenchronik
Kontakt
Impressum









=20




zur=FCck









Seitenanfang=20
sueddeutsche.de