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Wed, 02 Jan 2002 20:02:02 +0100


Subtropen #9/01 - Januar 2002


deleuze.net not found

Die tausend Plateaus des neuen Kapitalismus | Sebastian L=FCtgert

Im ideologischen Gep=E4ck von Startup-Unternehmern und Apologeten der dig=
italen
vernetzten =D6konomie finden sich zahlreiche Schr=E4ubchen aus der Werkze=
ugkiste von
Gilles Deleuze und F=E9lix Guattari. Die linke Netzkritik hatte dem wenig
entgegenzusetzen, teilte sie doch die Annahme, allein die Beschreibung de=
r
gesellschaftlichen Wirklichkeit mit Konzepten wie Rhizom, Deterritorialis=
ierung
oder organloser K=F6rper w=FCrde sie ver=E4ndern. Jetzt ist das Ende solc=
her
sozialromantischen Vorstellungen zu besichtigen. Und auch dieser Ausgang =
zeigt
sich deleuzianisch: Kapitalismus als globale Kontrollgesellschaft.


Von Zeit zu Zeit wirft die Geschichte ihre leeren Flaschen aus dem Fenste=
r, und
es gibt tausend gute Gr=FCnde, das Ende des dotcom-Booms, das Verschwinde=
n der
digitalen Shopping Malls und das Verstummen des sie begleitenden Geschw=E4=
tzes mit
Schadenfreude zu quittieren. Dass gerade den Kommerzialisierungsgegnern u=
nd
Netzkritikern der ersten Stunde jedoch kein einziger dieser Gr=FCnde mehr
einfallen mag, liegt weniger an ihrer legend=E4r kurzen Aufmerksamkeitssp=
anne, als
vielmehr an einer verborgenen und zugleich umso offensichtlicheren ideolo=
gischen
Verwandtschaft zwischen den Vision=E4ren einer alternativ-autonom-anarchi=
schen
Netzkultur und den Apologeten der neuen digitalen =D6konomien und M=E4rkt=
e.

Wenn es sich beim Zusammenbruch des e-Commerce um das Platzen einer
=BBSpekulationsblase=AB gehandelt hat, dann war die grundlegende Hypothes=
e, der
schlagartig alle hei=DFe Luft entwichen ist, vor allem die Wette, in den =
digitalen
Netzen lasse sich der Kapitalismus an seine Grenze treiben und das Intern=
et
werde eines Tages deleuzianisch gewesen sein. Eine Arch=E4ologie des
vermeintlichen Wissens, das unter den Tr=FCmmern der Startups von gestern=
 und in
den Ruinen der Netzkritik von vorgestern begraben liegt, w=FCrde in beide=
n F=E4llen
auf die gleichen Bruchst=FCcke einer hoffnungslos euphorischen Verwendung=
 jener
Begriffe sto=DFen, in denen Deleuze und Guattari Ende der Sechziger bis E=
nde der
Siebziger den Kapitalismus zu denken versucht haben.


Digitale Deleuzianer

W=E4hrend jeder, der heute noch den Versuch untern=E4hme, mit einem farbi=
gen Badge
am Revers und einem Businessplan in der Tasche ein paar Millionen Euro od=
er
Dollar Risikokapital zu akquirieren, mit schallendem Gel=E4chter zu rechn=
en h=E4tte,
rennt gleichzeitig eine ganze Generation selbst gemachter Netztheoretiker=
 mit
nicht viel mehr als jeweils einem ungelesenen Exemplar der Tausend Platea=
us
unterm Arm bei Kunstinstitutionen, Zeitungsredaktionen und Universit=E4te=
n offene
T=FCren ein. Dass die Rede vom Internet als einer rhizomatischen Wunschma=
schine,
die entlang ihrer Fluchtlinien und Deterritorialisierungsvektoren harte
Identit=E4ten und feste Kapitalanlagen gleicherma=DFen verfl=FCssige, in =
eine neue
Runde zu gehen droht, ist vor allem deshalb so verheerend, weil die dritt=
e Phase
des Internet, deren Anf=E4nge schon vor dem viel zitierten 11. September =
liegen,
die erste zu werden scheint, die nicht mehr von der sozialen und =F6konom=
ischen
Romantik der fr=FChen Siebziger angetrieben wird, sondern von den globale=
n
Kontrollphantasien jener Milit=E4rstrategen, die die Architektur des Netz=
es in den
Sechzigern erfunden haben.

Wer heute den konjunkturellen Verlauf der Mesalliance von Neodeleuzianism=
us und
Netzeuphorie nachzuzeichnen versucht, wird auf einen ersten Boomzyklus st=
o=DFen,
der etwa 1992 zun=E4chst verhalten beginnt, nach einer Serie sprunghafter=
 Anstiege
1995 seinen Gipfelpunkt erreicht und anderthalb Jahre sp=E4ter derart abr=
upt zu
Ende geht, dass sich das nicht allein mit den diskursiven Gewinnmitnahmen
erkl=E4ren l=E4sst, zu denen es immer kommt, wenn auf einmal sehr viele L=
eute das
gleiche reden. Die verbliebenen Zeitzeugen verlegen diese erste Hochphase=
 der
digitalen Deleuzianer gern in eine mythische Vorgeschichte, f=FCr deren
legendenumranktes goldenes Zeitalter sie den Slogan =BBThe Short Summer o=
f the
Internet=AB durchgesetzt haben: sagenhafter Aufstieg und pl=F6tzlicher Fa=
ll einer
theoretischen Str=F6mung, die das Netz als hypertextuelles, antihierarchi=
sches,
graswurzelhaftes und tendenziell organloses Medium benutzt und gefeiert h=
at. Ein
unvoreingenommener R=FCckblick h=E4tte nicht nur zu zeigen, warum all die=
se
Behauptungen sich schon bald als v=F6lliger Unsinn erwiesen haben, sonder=
n er
h=E4tte auch ihren spezifischen Umschlagspunkt zu benennen, n=E4mlich den=
 Moment, an
dem die begriffliche Lebenswelt einer bis dahin nur quantitativ anwachsen=
den
Minderheit so sehr an Trennsch=E4rfe verliert, dass sie qualitativ ins
Mehrheitsf=E4hige kippt. Wir haben es also eher mit einem feuchtwarmen Sp=
=E4tsommer
der Netzkritik zu tun, mit einer Zeit, in der die entsprechenden Buzzword=
s
l=E4ngst =FCberreif von den B=E4umen hingen - und auch das nur, wenn man =
unbedingt der
Mode folgen will, auf historische Entwicklungen ausgerechnet den Lauf der=
 Natur
zu projizieren.


Netzillusionen

Tats=E4chlich konnte man Mitte der Neunziger ganzen literaturwissenschaft=
lichen
Fakult=E4ten dabei zusehen, wie sie, verz=FCckt von der Idee des World Wi=
de Web als
einer wild wuchernden Verweismaschine, riesige G=E4rten hypertextueller T=
heorie
auf ihren Universit=E4tsservern anlegten, w=E4hrend einen Flur weiter die=
 Kollegen
von der BWL bereits breite Schneisen durch den Info-Dschungel schlugen. D=
as Wort
von der Datenautobahn machte die Runde, von einer drohenden Stratifizieru=
ng, der
weniger aus politischen als vielmehr aus =F6kologisch-=E4sthetischen Gr=FC=
nden die
R=FCckkehr zur labyrinthischen Landschaftsarchitektur des Rokoko vorzuzie=
hen sei.

Diese Hoffnung auf das Entstehen gewissenhaft gepflegter netzliterarische=
r
Hypertextrhizome hat sich von all den Verhei=DFungen des deleuzianischen =
Internet
am schnellsten erledigt, zumal die entsprechenden Versuche sich schon aus
strukturellen Gr=FCnden jeder Lekt=FCre entzogen und letztlich nur bewies=
en, dass
nicht lineare Bewegungen zwischen Plateaus sich rein technisch nicht nach=
bilden
lassen, sondern auf die lineare Organisation ihrer faktischen medialen
Grundlagen angewiesen sind. Schon die interaktiven Irrg=E4rten des sp=E4t=
en Barock
haben schlechter =BBfunktioniert=AB und waren weitaus weniger popul=E4r, =
als man
gemeinhin annimmt.

Etwa zur selben Zeit ging auf einem benachbarten Feld, das sich damals ge=
rn als
=BBkulturwissenschaftlich=AB bezeichnete, die Theorie vom Internet als Im=
manenzebene
um, deren Protagonisten einen Sommer lang bis sp=E4t in die Nacht und bis=
 fr=FCh in
den Morgen verkehrtgeschlechtlich in den Chatrooms hingen und =FCber die
antiidentit=E4ren Verhei=DFungen subjektloser Kommunikation - gefolgt vom=
 virtuellen
Ende ihrer vermeintlichen K=F6rper - spekulierten. Auch in diesem Fall ge=
n=FCgte ein
Blick =FCber die Grenze der eigenen Disziplin, um die Doktoranden der Jur=
isterei
dabei zu beobachten, wie sie die handfest transzendentalen Pfeiler von On=
line-
Recht und Ordnung in den Cyberspace einzogen, was die Immanenzverfechter =
jedoch
weder auf die Barrikaden noch zur=FCck zur Kritik, sondern nur umso tiefe=
r in das
Beharren auf der G=FCltigkeit der eigenen Erfahrung trieb.

Der Irrglauben, die Schleier der b=FCrgerlichen Subjektivierung w=FCrden =
sich l=FCften
und die Grenzen des m=E4nnlichen K=F6rpers verschwimmen, begleitet seit d=
em 19.
Jahrhundert die Einf=FChrung jedes neuen Mediums. Die Einf=FChrung des
Kabelfernsehens in den Achtzigern fand ihr Echo in den elegant gescheiter=
ten
medientheoretischen Manifesten und Meditationen der Agentur Bilwet, die K=
inos
der Zwanziger st=FCrzten ihre Besucher in kollektive Delirien, die heute
ihrerseits Kopfsch=FCtteln ausl=F6sen, und bereits 1835, bei der Er=F6ffn=
ung der
Eisenbahnstrecke zwischen N=FCrnberg und F=FCrth wurden die ersten deutsc=
hen Hippies
aktenkundig. Das waren weniger die Kritiker, die warnten, ab 30 km/h werd=
e man
verr=FCckt, als vielmehr diejenigen Passagiere, die darauf bestanden, tat=
s=E4chlich
Farben zu sehen.

Hartn=E4ckiger als im akademischen Milieu hat sich die Rede vom deleuzian=
ischen
Internet an seinen R=E4ndern gehalten, in den so genannten illegalen
Wissenschaften, insbesondere in der autonomen Medien- und Pop-Theorie, vo=
n wo
aus die entsprechenden Lesarten und Begrifflichkeiten mittlerweile =FCber=
all dort
wieder in die Institutionen zur=FCckstr=F6men, wo nur noch die spekulativ=
e
Verzinsung vermeintlich subkulturellen Kapitals betrieben wird.

Die zentrale Figur, auf die die au=DFerakademischen Netzforscher seit jeh=
er ihre
Hoffnungen projizieren, ist die des digitalen Nomaden, der ihrer Vorstell=
ung
nach ziel-, richtungs- und widerstandslos durch die elektronischen Netze =
wandert
und von jeder physischen Territoriali=E4t befreit per Telefon, Kabel und =
Satellit
von Kontinent zu Kontinent driftet. Doch w=E4hrend der Hypertext-Hype imm=
erhin
noch Grundkenntnisse von HTML zu popularisieren half und die Immanenz-Eup=
horie
zumindest indirekt die Bilwetsche Figur des Datendandys hervorbrachte (de=
r
wenigstens noch so sehr Punk - also Materialist - war, um zu wissen, dass=
 es
allem antiidentit=E4ren Eigentlichkeitsgeschw=E4tz zum Trotz die Technike=
n sind, die
die Delirien bestimmen), bearbeitete die rhizomatisch-romantische Rede vo=
m Netz-
Nomaden als neuem Subjekt der Geschichte ihr Feld so gr=FCndlich, dass do=
rt auf
absehbare Zeit kein Gras mehr wachsen wird.


Nomaden surfen nicht

Die theoretischen Verheerungen, die die Verschiebung des Deleuzeschen
Nomadismus-Konzepts ins Digitale hinterlassen hat, kommen insbesondere in=
 der
landl=E4ufigen =DCberzeugung zum Ausdruck, der Nomade sei von einem wie a=
uch immer
gearteten Wunsch nach Bewegung getrieben, obwohl doch selbst die Tausend
Plateaus mehrfach explizit darauf hinweisen, dass es sich beim Nomaden ge=
rade um
jene Gestalt handelt, die bis zuletzt versuchen wird, ihren Ort zu halten=
, die
sich nur im =E4u=DFersten Notfall von der Stelle bewegt, der angesichts d=
er
drohenden Segmentierungen ihres lokalen Territoriums jeder Gedanke an das
Gleiten auf globalen Oberfl=E4chen fremd ist und deren Konzept von Raum d=
as genaue
Gegenteil dessen darstellt, was wir gemeinhin als Mobilit=E4t bezeichnen.=
 Und doch
beharren die Fans des Nomaden auf dem obsz=F6nen Irrglauben, ausgerechnet=
 in den
Surfern der digitalen Netze und elektronischen Wellen f=E4nde der Nomade =
seine
aktuelle Entsprechung - obwohl er doch gerade deshalb W=FCsten und Steppe=
n
bewohnt, weil man dort, wenn =FCberhaupt, am langsamsten vorankommt und d=
ie
Eigenheiten des Gel=E4ndes ihn zudem davor bewahren, von den Protagoniste=
n der
neuen (vom sp=E4ten Deleuze zu Recht als genuin kontrollgesellschaftlich
gedissten) Sportarten - Springen, Gleiten und eben Surfen - heimgesucht z=
u
werden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Nomade zwar immer wie=
der auf
unvorhergesehene Weise von m=E4chtigen, zum Teil weit =FCberlegenen Feind=
en in die
Flucht geschlagen, nie zuvor jedoch so schamlos durch die Gegend gezerrt =
wurde
wie in den Deleuzianischen Neunzigern des Internets, deren Ende noch imme=
r nicht
in Sicht ist, sodass man den Nomaden weiterhin vor allem vor seinen Freun=
den in
Schutz nehmen muss.

Nun herrscht allerdings auch bei Leuten, die nicht gleich jede begrifflic=
he
Verwirrung und jedes konzeptuelle Kn=E4uel als potenzielles Rhizom feiern=
, die
Ansicht vor, all diese hippiesk-esoterischen Ausl=E4ufer der mythischen
Vorgeschichte des Internet h=E4tten sich, wenn nicht erledigt, so doch an=
gesichts
der weitgehenden Kommerzialisierung, Stratifizierung und Transzendentmach=
ung des
World Wide Web so weit zur=FCckgezogen, dass aus dieser Richtung keine er=
nsthafte
Gefahr mehr drohe. Der Deterritorialisierungssommer, so ihre These, sei i=
n den
naturgesetzm=E4=DFig notwendigen Herbst der Reterritorialisierung umgesch=
lagen, und
der abrupte konjunkturelle Einbruch der Netzkritik erkl=E4re sich schlich=
t aus dem
im selben Moment umso pl=F6tzlicher einsetzenden Boom des Neuen Marktes. =
Dabei
verkennen sie jedoch v=F6llig, dass auch das ideologische Gep=E4ck der St=
artup-
Gr=FCnder, e-Entrepreneure und Risikokapitalisten, die zwischen 1996 und =
1997 die
diskursive Vorherrschaft im Internet =FCbernahmen, zu einem nicht geringe=
n Teil
aus =E4hnlichen Versatzst=FCcken eilig quer gelesener, prim=E4rer wie sek=
und=E4rer
Deleuze/Guattari-Texte bestand, die jetzt jedoch auf eine derart irre Wei=
se zu
=F6konomischen Modellen und Businessapplikationen kurzgeschlossen wurden,=
 dass
sich daneben noch die windigsten Theorien von der neorural-nomadischen Zu=
kunft
des Cyberspace wie harte Wissenschaft ausnahmen.

In ihrem grundlegenden, hierzulande weitgehend ignorierten Aufsatz =BBThe
Californian Ideology=AB haben Richard Barbrook und Andy Cameron schon 199=
5 nicht
nur das bizarre theoretische Patchwork beschrieben, auf dessen Grundlage =
die
Apologeten des Online-Business schon bald ihren gleicherma=DFen kurzen wi=
e
triumphalen Siegeszug antreten sollten, sondern auch die kulturellen
Herkunftslinien der neuen unternehmerischen Strategien und Tugenden
zur=FCckverfolgt, die bis heute die Management-Seminare beherrschen: absu=
rde
Fusionen von Slackertum und Technikoptimismus, die allerdings - im Gegens=
atz zur
deutschen Ideologie (Netzkultur als v=F6lkische Einheit von =BBLaptop und
Lederhose=AB) - ohne reaktion=E4ren Ballast auskommen.


Libert=E4r oder liberal

Die Internet-Revolution des e-Commerce war gerade nicht die konservative
Gegenrevolution einer Wirtschaftselite, die die Abenteuerspielpl=E4tze de=
s
Netzanarchismus abr=E4umte, sondern die Fortsetzung dieses Anarchismus mi=
t anderen
Mitteln. Sie ist der sp=E4te Triumph einer in der Hippiebewegung der
amerikanischen Westk=FCste verwurzelten politischen Str=F6mung, die seit =
den
Sechzigern f=FCr einen radikalen Liberalismus eingetreten war, der sich a=
ls Option
auf =BBanalogen=AB sozialen Fortschritt zwar sp=E4testens mit den Achtzig=
ern erledigt
hatte, als grundlegende Ideologie einer neuen digitalen Sozialutopie jedo=
ch
schon seit den fr=FChen Neunzigern eine ungeahnte Renaissance erlebte. Di=
e vor
allem in Wired, dem Zentralorgan der Bewegung, lancierte Wette lautete, d=
ass die
Idee von der radikalen Freiheit der Individuen, die sich als soziale Ford=
erung
nicht hatte durchsetzen lassen, im Zeitalter der globalen Vernetzung sich=
 als
zwangsl=E4ufige Folge des technischen Fortschritts ganz von selbst realis=
ieren
w=FCrde.

Was den umherschweifenden Unternehmern des digitalen Kapitalismus - die s=
ich in
ihrer Hochphase, 1999, sogar unwidersprochen nachsagen lie=DFen, in Wirkl=
ichkeit
an der Errichtung des globalen Cyberkommunismus zu arbeiten - an Deleuze =
gefiel,
war neben der grob verk=FCrzten These, die Funktion des Kapitals bestehe
haupts=E4chlich darin, fortw=E4hrend Grenzen zu verschieben und niederzur=
ei=DFen, vor
allem der (bei Deleuze von Nietzsche her in den Text str=F6mende) Vitalis=
mus, der
sich in Richtung einer biologistischen =DCbermetaphorik verschieben lie=DF=
, in deren
Begriffen fortan das Funktionieren =F6konomischer und sozialer Systeme be=
schrieben
werden sollte.

In Reinform l=E4sst sich dieses Denken in Out of Control, dem Hauptwerk d=
es
ehemaligen Wired-Herausgebers Kevin Kelly, bestaunen, wo Kapital als Natu=
r,
Kapitalismus als Biosph=E4re und das Zirkulieren von Geld, Menschen und I=
deen um
den Globus als nat=FCrliches Flottieren von Schw=E4rmen, Herden und Welle=
n im
organischen Ganzen eines =F6kologisch selbst regulierten freien Marktes g=
edeutet
wird; mit dem Treppenwitz, dass noch das Platzen der Spekulationsblase si=
ch als
finale Ankunft des organlosen K=F6rpers interpretieren l=E4sst. Kellys Na=
chfolger
bei Wired, die ansonsten vor allem damit besch=E4ftigt waren, ihre vulg=E4=
r-
schizoanalytische Kapitalismustheorie - Geldstr=F6me (Venture Capital) ge=
gen
Schei=DFestr=F6me (Content) - als Businessmodell anzupreisen und das nahe=
nde Ende
der Lohnarbeit auszurufen, verk=FCndeten bald darauf, das Internet lebe
tats=E4chlich. Mit sp=FCrbarer Verz=FCckung entwarfen sie bereits das Sze=
nario
pervasiv gewordener, sich real in die Natur aufl=F6sender Netze, deren kl=
einste
organische Knoten wahlweise von Biotech-Startups in den menschlichen K=F6=
rper
versenkt oder von AT&T-Helikoptern fl=E4chendeckend =FCber den Metropolen=
 abgeworfen
w=FCrden.

Einzig die europ=E4ische Linke, die das Studium amerikanischer
Internetzeitschriften in den 90ern fast vollst=E4ndig vers=E4umt hat, hie=
lt solche
Phantasien noch zu einem Zeitpunkt f=FCr irrelevante, gar am=FCsante Ausw=
=FCchse
kalifornischer Science-Fiction, als die IT-Industrie bereits derart
astronomische Werbebudgets in das ohnehin schon achtfarbig gedruckte Maga=
zin
pumpte, dass dieses auf das Format eines mittleren Telefonbuchs anschwoll=
 und
zugleich in v=F6llig neue Regionen des Risikojournalismus vorstie=DF. Der=
 Dow Jones,
so verk=FCndete die Prawda des digitalen Hippietums 1999, werde bis 2008 =
die 40
000-Punkte-Grenze durchbrechen, um sich Mitte des 21. Jahrhunderts zwisch=
en 250
000 und 400 000 einzupegeln - und sp=E4testens dann w=FCrden sich die
Ungerechtigkeiten der Vergangenheit (insbesondere Race, Class und Gender)=
 von
selbst erledigen.


Netz=F6konomie und linke Kritik

Gerade angesichts des offensichtlichen Irrsinns einer solchen
Deterritorialisierungshypothese reicht es nicht aus, von einer blo=DF
ideologischen Blase zu sprechen, wurden doch auf der Grundlage von Progno=
sen wie
dieser in den USA binnen weniger Jahre die Reste staatlicher Wirtschafts-=
 und
Sozialpolitik beseitigt und die materiellen Grundlagen f=FCr jene Ordnung
geschaffen, in der sich der milit=E4risch-unterhaltungsindustrielle Kompl=
ex seine
Politik mittlerweile ungest=F6rt selber macht. Die europ=E4ische Linke, d=
ie heute in
Hardts und Negris Abgesang auf die starken Staaten und fetten Regierungen
einstimmt, bleibt dringend eingeladen, in Thomas Franks One Market under =
God
nachzulesen, in welchem Ausma=DF sich in den USA der Wired-=C4ra die Ansi=
cht
durchgesetzt hat, Demokratie und B=FCrgerrechte seien Errungenschaften, d=
ie von
den heroischen Anf=FChrern des freien Marktes permanent gegen die Vertret=
er von
Regierung und Parlament durchgesetzt werden m=FCssten.

Das spektakul=E4re Scheitern auch der zweiten Welle der Netzeuphorie - we=
nngleich
die Chefrhizomatiker von America Online, denen heute nicht nur Netscape u=
nd
Compuserve, sondern auch die Filmstudios der Warner Brothers, die Labels
Columbia und Elektra, die Zeitschriften Time, Life, Fortune und Money sow=
ie der
Fernsehsender CNN geh=F6ren, zu Recht darauf bestehen d=FCrften, Scheiter=
n sehe
anders aus - hat sich wohl bis in den letzten Winkel des Globus herumgesp=
rochen.
Doch gerade auf Seiten der europ=E4ischen Netzintelligenz hat das blo=DF =
zu
Ratlosigkeit gef=FChrt. Eine rapide schrumpfende Zahl rapide wachsender K=
onzerne
setzt im Kampf gegen die angeblichen Verbrechen von Software-, Musik- und
Biopiraterie digitale Urheber- und =BBgeistige=AB Eigentumsrechte durch, =
mit denen
sich nicht nur s=E4mtliche nicht kommerziellen Formen des Datenaustauschs
pr=E4ventiv kriminalisieren, sondern auch die nat=FCrlichen und sozialen =
Ressourcen
ganzer Kontinente enteignen lassen. Zugleich etablieren amerikanische wie
europ=E4ische Regierungsfirmen die technischen Standards einer elektronis=
chen
Sicherheitsarchitektur, neben der die =DCberwachungsmethoden des 20. Jahr=
hunderts
dilettantisch wirken. Und die Veteranen der Netzkritik fegen unentgeltlic=
h die
entv=F6lkerten Flure der digitalen Shopping Malls und f=FChren in ihrer r=
eich
bemessenen Freizeit auf den einschl=E4gigen Mailinglisten ihre tragischen
Niederlagen von einst als Farce wieder auf: in diesem Herbst, indem sie d=
ie
Gesch=E4ftsbedingungen des befreundeten New Yorker Netzkunst-Startups Rhi=
zome.org
als kasinokapitalistisch dekonstruieren. Na pfui, wie geht denn das zusam=
men,
wer h=E4tte das gedacht? Da passt es ins Bild, dass die Zeitschrift Konkr=
et ihren
Lesern ausgerechnet Telepolis als Startportal f=FCr Netzlinke empfiehlt, =
was
=E4hnlich viel Sinn macht, als w=FCrde De:Bug ihrem Publikum zum Einstieg=
 in die
Kapitalismuskritik das Verbrauchermagazin WiSo ans Herz legen.

Das Internet ist heute auf dem besten Weg, die neuen Formen elektronische=
r
Arbeit und Freizeit restlos miteinander zu vernetzen und computerisierte =
Freude,
Verschwendung, Knappheit, Sklaverei und Paranoia zu einem weltweiten 24st=
=FCndigen
Arbeitstag zusammenzusetzen: zu jenem digitalen Kontinuum, das vielen von=
 uns
zumindest spielerisch bereits vertraut ist als die sich vollendende Einhe=
it von
Spa=DF und Terror in einer radikal vereinzelnden Neuen =D6konomie.

Zur gleichen Zeit wirft die Geschichte ihre leeren Flaschen aus dem Fenst=
er. Das
Internet wird nicht deleuzianisch gewesen sein, sondern - read my lips, m=
ake no
mistake - das erste Massenmedium der Kontrollgesellschaften. Deren Wappen=
tier
wird nicht die Schlange gewesen sein, sondern der Linux-Pinguin. Die glob=
ale
Vernetzung autonomer Produzenten wird kein Rhizom gewesen sein, sondern d=
er
Produktionsmodus der hierarchichsten Wirtschaftsordnung, die die Welt je =
gesehen
hat. Die Grenze des Kapitalismus wird kein Ort gewesen sein, an dem sich =
eine
h=FCbsche Aussicht auf sein m=F6gliches Jenseits er=F6ffnet, sondern gera=
de jener
Bereich, in dem die herrschenden Verh=E4ltnisse am h=E4rtesten um ihr For=
tdauern
k=E4mpfen. Und eine Linke, die Morpheus f=FCr einen Filmhelden und PHP f=FC=
r ein
Verschl=FCsselungsverfahren h=E4lt (und auch ansonsten glaubt, ihr gemein=
samer Boden
best=FCnde aus geteilten Meinungen statt aus geteilten Methoden) wird, se=
lbst wenn
sie den mittleren Deleuze endlich durch den sp=E4teren ersetzt haben wird=
, keine
Linke gewesen sein, sondern blo=DF eine Rechte unter vielen.


Anstelle bibliographischer Angaben verweist der Autor auf Google oder tex=
tz.com
sowie auf nettime, make-world und star-ship, ohne die dieser Text nicht
entstanden w=E4re.

Sebastian L=FCtgert lebt und arbeitet als Autor und Programmierer in Berl=
in.


http://jungle-world.com/_2002/02/sub06a.htm


/*
    eine unwesentlich laengere version mit
    noch laengeren saetzen findet sich unter
    http://textz.com/index.php3?text=3Dnot+found
*/